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Pete war Marcs bester Freund. Sie verbrachten die Pausen in der Schule und ihre Freizeit miteinander, tranken billiges Dosenbier, gafften Mädchen hinterher, redeten stundenlang über Musik und tauschten Penthousemagazine. Pete behauptete zudem, politisch interessiert zu sein: Er fand nicht nur seine sozialdemokratischen Eltern Scheiße, sondern auch gleich die ganze spießige Gesellschaft. Der Sozialismus an sich, argumentierte Pete, sei eine bemerkenswert gute Idee mit völlig vernünftigen Zukunftsprognosen. Die Bundesrepublik war ihm nur ein diktaturenfreundlicher Sammelplatz von Altnazis, Kapitalisten und langweiligen Spießern.

Petes Protest gegen System und Regime bestand in erster Linie darin, sich im Hause seiner Eltern mit Joints zuzurauchen. Marc fand an diesem Protestgebahren schnell Gefallen, was die beiden Freunde noch inniger verband und ihnen zudem die Sympathie von zwei jungen Studentinnen einbrachte, die Pete bei einer Party kennengelernt hatte. Nadja rauchte und vögelte gleichermaßen gern und war mit Pete liiert. Sie sah nicht so dolle aus, lachte zu laut und an den falschen Stellen, aber ihre Figur war tadellos, fand Marc und beneidete Pete herzlich wenig um sein Los, zumal er sich in Nadjas Freundin Anna verguckt hatte.

Anna rauchte, um sich zu betäuben und Marc rauchte mit, um sich zu unterhalten. Die spröde und abweisend wirkende blonde Frau mit dem schön geschwungenen Mund reizte Marc; ihre desinteressierte Kühlheit schreckte ihn jedoch gleichzeitig ab, so dass er sich damit zufrieden gab, dass Anna in sich gekehrt ihre Einsamkeit mit ihm und den gemeinsamen Joints teilte. Pete und Nadja verzogen sich häufiger bereits in die Nebenräume, während Marc mit Anna einfach da saß, Joint um Joint baute und rauchte und um eine Unterhaltung focht. Anna wirkte stets unnahbar und unangreifbar, so sehr sich Marc auch um Witz, Charme und geistreiche Konversation bemühte.

Es war leichter, wenn sie zu viert waren, denn in der Gegenwart von Nadja wirkte Anna entspannter. Trotzdem war sich Marc sicher, dass Anna ihn mochte, und er gelobte Geduld, um diese scheue Schönheit zu wecken. Pete verstand das alles nicht.

„Warum hast du nicht wenigstens versucht mit ihr zu knutschen,“ fragte er, als Marc ihm seine heimliche Zuneigung gestand.

„Ich weiß nicht, ob sie mich ernst nimmt. Ich bin ja jünger. Und irgendwie wäre es auch nicht angemessen gewesen,“ behauptete Marc. „Es entwickelt sich noch.“

„Hättest du es versucht, wüsstest du was Sache ist,“ entgegnete Pete und so ließen die Freunde das Thema erst einmal ruhen. Weil alles gesagt war.

Ohne Anna wäre Marc der Kundgebung sicherlich ferngeblieben, doch als er hörte, dass Nadja und Pete nicht alleine zum Opernplatz zogen, war ihm die Teilnahme an der Protestveranstaltung selbstverständliche Pflicht. Dabei interessierten Marc die Studentenproteste herzlich wenig. Auch kannte er den zuständigen Kultusminister, der sein Kommen versprochen hatte, nicht einmal dem Namen nach. Ihm ging es darum, Anna zu beeindrucken und deswegen hatte er die Eier eingesteckt.

„Wir können keine Drachen mehr besiegen, um Prinzessinnen zu erobern, also werden wir anders glänzen,“ hatte Marc Pete erklärt und auch diesem zwei Eier zugesteckt.

Marc fand, dass die meisten Studenten eher harmlos bis verblödet wirkten. Es schien ihm, als liefen alle nur in dem Zug mit, weil sie irgendjemanden kannten, aber nicht, weil sie irgendetwas wollten. Trotzdem hatten sich zwei Mannschaftswagen mit vielleicht zwanzig Polizisten für den Demonstrationszug interessiert und standen nun vor den Abstellgittern am Platz der Kundgebung. Ein paar mit Funkgeräten ausgestattete Personenschützer in Zivil liefen mit geschäftiger Miene und staatstragendem Gehabe durch die Gegend.

Als der Kultusminister im Anschluss an die Studentenreden das Podium bestieg, kam doch noch einmal etwas wie Bewegung in die Menge. Mechanisch erhob sich ein Pfeifkonzert und es war schwer, sein eigenes Wort zu verstehen. Aus dem Geheul und Gelächter heraus flogen die ersten Eier von Marc und Pete recht präzise und klatschten den starr stehenden Sicherheitsbeauftragten vor die Füße. Wild schimpfte der Minister über die Unfähigkeit der Anwesenden zum politischen Diskurs. Die beiden nächsten Eier waren noch besser lanciert und vor dem Körper des Kultusministers entfalteten sich Regenschirme. Trotzdem zerplatzte ein Ei unter dem großen Jubel der Menge in einem ungeschützten Moment am Sakko des Politikers.

Marc und Pete freuten sich wie kleine Kinder, Nadja und Anna lachten übermütig und alles hätte gut sein können, wenn die beiden Freunde nicht die Einsatzmöglichkeiten der Polizei unterschätzt hätten. Ohnehin war die Kundgebung überschaubar gewesen und die Teilnehmer friedlich, so dass die beiden Polizisten in Kampfanzügen locker über die Absperrung hüpften und problemlos ihren Weg durch die Menge zu Marc fanden. Der lachte noch bis zu dem Moment, als einer von beiden ihn überwältigte und im Polizeigriff hinter die Absperrung führte. Pete und die Mädchen hatten das Geschehen besser beobachtet und waren Augenblicke zuvor blitzschnell in der Menge abgetaucht.

Marc blieb der einzige Märtyrer für eine Sache, die ihn nicht interessierte. Er hatte Spaß gesucht und wollte ein Mädchen beeindrucken. Nun saß er als einziger Gefangener im Bus zwischen acht scherzenden und gut gelaunten Kollegen der Bereitschaftspolizei in Erwartung neuen Ärgers. Der Diensthabende formulierte die Anzeige später auf „Landfriedensbruch in Tateinheit mit Beleidigung“, dann durfte Marc die Wache verlassen.

Es blieb Marcs letzter politischer Widerstand und er hoffte, dass wenigstens Anna ihn für seinen Mut und seine Tatkraft ein wenig bewunderte. Ansonsten erinnerte er sich auf dem Heimweg durch die dunklen Gassen einmal mehr an die Ratschläge seines Vaters. „Geh bei rot, wenn keiner kommt und lass dich nicht dabei erwischen,“ hatte der ihm geraten. Statt dessen hatte Marc nun bereits die zweite Anzeige am Hals.

„Nicht das Ei ist verkehrt gewesen. Das war für eine gute Sache, für Anna. Mein eigentliches Problem ist, dass ich mich erwischen lasse,“ befand Marc in jener Nacht und entschied, aufmerksam zu bleiben und nie wieder seine Gegner zu unterschätzen.

Pete verkaufte die Geschichte in der Schule so, als hätten die beiden Freunde den Staat in seinen Grundfesten erschüttert und wären die einzigen politischen Krieger der Oberstufe. Allerdings interessierte das quasi niemanden, denn die schriftlichen Abiturarbeiten standen vor der Tür und boten gewichtigeren Gesprächsstoff. Politische Ansichten waren unpopulär geworden.

Der bekiffte Boxer beim Erstrundengong

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