Читать книгу Hör nie auf zu träumen - Olivia Newton-John - Страница 10

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You know all the answers.

You know what is right.

Mum erzählt mir oft, dass ich als kleines Mädchen eine Melodie perfekt singen konnte. „Du singst wie ein Engel“, sagte sie dann. Ich rührte meine Mutter und meine Schwester mit meinem Gesang immer zu Tränen. Aber auf eine gute Weise (hoffe ich zumindest). Schon als ich drei war, konnte ich ein Lied, das man mir vorsang oder vorspielte, Ton für Ton richtig wiederholen. In der Küche hatten wir ein großes Radio, dem ich stundenlang lauschte. Ich prägte mir zunächst die Texte zu meinen Lieblingssongs ein, bevor ich anschließend darauf bestand, meiner Familie ein Mini-Konzert zu geben. Diese Revuen liefen „professionell“ ab, selbst wenn der Eintritt frei war und mein Kostüm jeweils aus dem bestand, was ich aus dem Kleiderschrank meiner Mutter gezogen hatte.

Obwohl ich gern sang, war ich schüchtern. Ich fand es schwierig, vor einem Publikum aufzutreten, und sang exklusiv für meine Familie. Ich würde lernen müssen, mein Lampenfieber zu überwinden. Einer meiner ersten öffentlichen Auftritte war als Lady Mary in einer Schulaufführung von The Admirable Crichton. Ich bekam es hin, wenn auch mit Bauchweh. Aber ich mochte es.

Eine Karriere als professionelle Sängerin gehörte dennoch nicht zu meinen frühen Plänen. Ich dachte vielmehr darüber nach, irgendetwas mit Tieren zu machen. Etwa als berittene Polizistin. Das einzige Problem bestand darin, dass Frauen damals nicht zum Dienst bei der berittenen Polizei zugelassen wurden. Jahre später, als ich mit John Farnham und Anthony Warlow für The Main Event auf Tour war, wurde ich von der Adelaide Mounted Police zu einem Ausritt eingeladen. Endlich durfte ich auch diesen Traum ausleben!

Es gab ferner den Plan, Tierärztin zu werden. Doch das zerschlug sich, weil ich ja in der Schule an Mathe scheiterte – was angesichts meines Großvaters schon urkomisch war. Nun, es heißt, Mathematik und Musik seien miteinander verwandt, und zum Glück gelang es mir, wenigstens eines von beidem zu meistern.

Sollten alle Stricke reißen, dann könnte ich ja immer noch Ställe ausmisten. Und das tue ich schließlich heute noch für meine beiden Miniaturpferde Harry und Winston.

Unglaublich, aber wahr: Auch am Schulfach Musik biss ich mir an der Highschool die Zähne aus und erhielt für das Singen vom Blatt die schlechteste Note. Es ist mir zwar peinlich, aber ich kann das heute noch nicht sonderlich gut. Das Hauptproblem bestand damals darin, dass ich meinen Kopf woanders hatte und mich nach der Scheidung meiner Eltern nicht konzentrieren konnte. Obwohl ich in der Lage war, Musik nach dem Gehör zu erfassen, war ich nur halbherzig bei der Sache, weil ich an andere Dinge dachte.

Das war aber bloß ein Vorgeschmack auf meine Beziehung zur Highschool. Es fällt schwer, sich zu fokussieren, wenn man emotional nicht im Gleichgewicht ist. Der Riss, der durch unsere Familie ging, verunsicherte mich.

Meinen Frieden fand ich schon seit je in der Musik und im Schreiben von Gedichten. Es dauerte auch nicht lange, bis ich begann, meine Gedichte zu vertonen. Meinen ersten Song überhaupt schrieb ich mit der Tochter meiner Patentante Pearl, Cara. Da war ich etwa zwölf Jahre alt.

Why, oh, why did you go away from me?

It seems like years to me.

Why does it have to be?

My heart is a-breaking.

’Cause you’ve been a-taking.

The love you said was meant for me.

And darlin’, love ain’t meant for three.

Rückblickend sind das für eine Zwölfjährige ganz schön heftige Zeilen!

Mit fünfzehn dreht sich das Leben der meisten Mädchen um Schule, Jungs und gelegentliche Streitereien mit ihren Müttern. Ich hatte jedoch keine Zeit für die üblichen Neurosen eines Teenagers – abgesehen von den Auseinandersetzungen mit meiner Mum natürlich. Nach meinem Erfolg bei Kevin Dennis Auditions wurde ich für die TV-Sendung The Happy Show als eine Art Übergangslösung engagiert. Ich übernahm darin die Rolle der Luv’ly Livvy als Ersatz für die Darstellerin der Luv’ly Ann, die während der Weihnachtsfeiertage heiratete. Ich erzählte Geschichten, sang, tanzte und verteilte Preise an meine Weggefährten Princess Panda, Happy Hammond und Cousin Roy. Dabei handelte es sich um einen fantasievollen, vergnüglichen Spaß, und ich wollte gar nicht mehr damit aufhören.

Das Lampenfieber war vergessen. Die Kinder im Publikum waren ja so begeistert und lieb! Außerdem war es spannend, in einem echten Fernsehstudio zu drehen. Als dann Luv’ly Ann aus den Flitterwochen zurückkehrte (verdammt!) und es an der Zeit war, mein Livvy-Kostüm an den Nagel zu hängen, blieb mir allerdings nicht allzu lange Zeit, um traurig sein.

Im Handumdrehen wurde mir schließlich ein Vollzeit-Job in einer Show mit dem Titel Time for Terry angeboten, die von dem Iren Terry O’Neill moderiert wurde. Dort sollte ich gemeinsam mit meinem neuen Freund Ian singen.

Kurz etwas zum Thema „fester Freund“: Mein Vater war immer dagegen, dass ich mich mit Jungs verabredete, wohingegen meine Mutter da ein wenig nachsichtiger schien. Zwar war sie eigentlich auch nicht wirklich dafür, doch befand ich mich nun in einem Alter, in dem Grenzen ausgetestet wurden.

Ein fester Freund war nicht das einzige Zeichen dafür, dass ich erwachsen wurde. So verschoben sich meine Grenzen auch, als mir gestattet wurde, nach Sydney zu reisen, um an einer weiteren Talentshow teilzunehmen. Sie hieß Sing, Sing, Sing. In Melbourne hatte ich dafür vorgesungen. Gastgeber war kein Geringerer als Johnny O’Keefe, Australiens Elvis Presley! Zu seinen Hits zählten „Wild One“ und „Shout!“. Johnny hatte dramatisch gelocktes blondes Haar, das er nach hinten kämmte, und ein breites Draufgänger-Lächeln, mit dem er alle jungen Australierinnen ins Schwärmen und zum Kreischen brachte.

Ich war aufgeregt, Johnny zu treffen – ganz zu schweigen davon, für ihn zu singen! Damals fand man es nicht seltsam oder gar gefährlich, an einem anderen Ort als in einem Fernsehstudio vorzusingen. Ian begleitete mich auf Johnnys Hotelzimmer, wo ich vor dem Aussie-Elvis und seinem Produzenten zusammen mit Ian an der Gitarre eine gut einstudierte Version von „Summertime“ vortrug. Als wir fertig waren, sagte Johnny: „Du hast es drauf.“

Ich erinnere mich noch, dass er für uns alle Truthahn-Sandwiches kommen ließ, die vor süßer Cranberry-Soße nur so troffen. Sie schmeckten unglaublich, und ich liebe sie seit dem ersten Bissen damals.

Ein paar Monate später sollte ich den Song dann in einem Studio für die erste Show aufnehmen, die in Sydney aufgezeichnet werden würde.

Ich betrat das Tonstudio, wo mir Johnny die Hand schüttelte. Er zeigte auf eine kleine Kabine mitsamt Mikrofon in der Mitte des Raums. Im nächsten Moment wurde es mucksmäuschenstill.

(Nur kein Druck!)

Ich sang eine meinem Alter angemessene Version eines Liza-Minelli-Songs aus dem Musical Best Foot Forward mit dem Titel „What Do You Think I Am?“. Es passte, schließlich stand ich da in meiner gestärkten Schuluniform und sang mit sanfter Stimme ein Lied über ein junges Mädchen, das jemandem die trotzige Frage stellte, ob er denke, sie sei noch ein Baby. In einer Textzeile wurde das Publikum sogar gebeten, festzustellen, ob ich nun schon erwachsen sei. Immerhin trug ich ja bereits Wimperntusche von Maybelline! Im echten Leben lautete die Wahrheit jedoch: Ja, ja, ja … ich war noch ein Baby!

Meine Nerven lagen blank, als Johnny mitten im Song die Hand hob, um mich zu unterbrechen. Mochte er etwa meine Stimme nicht? Hatte ich etwas verbockt? Mein Herz rutschte mir bis hinunter zu meinen polierten schwarzen Mädchenschuhen.

„Livvy, hör mal kurz auf“, befahl Johnny. „Nicht jeder auf dieser weiten Welt weiß, was Maybelline ist. Warum singst du nicht stattdessen: ‚What do you think I’m using Vaseline for?‘“

Welche Erleichterung. Er wollte nur den Text ein wenig abändern. Das würde ich hinbekommen! Ich war ja so naiv. Als ich den neuen Text über die gute alte Vaseline sang, brachen alle Jungs vor Lachen zusammen. Johnny spielte mir nur einen nicht böse gemeinten Streich, der vielleicht ein wenig schweinisch war. Sein breites Grinsen wurde noch breiter, und er wand sich vor Lachen, während ich mir weiterhin mein kleines Herz aus dem Leib sang. Ich kann nicht mal sagen, ob ich langsam zu verstehen begann. Ich fühlte mich jedoch beschämt und wurde rot.

Willkommen in der Welt des Musikbusiness.

Ich war begeistert, als ich es in die Endauswahl für Johnnys Talentwettbewerb schaffte und meine Lieblingssongs von Dionne Warwick singen durfte. Da konnte ich natürlich noch nicht wissen, dass ich eines Tages tatsächlich mit ihr zusammen in einer Fernsehshow singen würde! An diesem Tag sang ich jedenfalls „Anyone Who Had a Heart“. Zu meinem Erstaunen gewann ich den Wettbewerb! Der große Preis bestand aus einer Schiffsreise nach England und etwas Taschengeld.

Dies läutete die Schlussrunde des Konflikts zwischen meiner Mutter und mir hinsichtlich meiner Ausbildung ein. Ich hatte während der Sommerferien gerade The Happy Show abgeschlossen, und Mum wollte, dass ich nun wieder zur Schule ging, um sie erfolgreich zu Ende zu bringen. Ich trug mein Dilemma einem meiner Lieblingslehrer, Mr. Hogan, vor.

„Was soll ich nur tun?“, fragte ich.

Mein Herz sagte mir, dass ich mich kopfüber in meine Gesangskarriere stürzen sollte, obwohl ich noch ein Jahr an der Highschool zu absolvieren hatte.

„Liv, wenn du mit deinen Gedanken ständig beim Singen bist, während du gleichzeitig versuchst, das letzte Schuljahr hinter dich zu bringen, wird das wohl nichts. Folge deiner Leidenschaft“, meinte er.

Das waren fürwahr weise Worte, und er verschaffte mir damit Klarheit. Danke vielmals, Sir!

Mum war nicht gerade begeistert, doch sie verstand, dass ich meinen Weg gewählt hatte und das, was ich tat, wirklich liebte. Da sie ja nun auch meine Managerin war, bestand sie darauf, dass ich, wenn ich schon nicht die Schule abschlösse, den nächsten Schritt unternehmen und mich auf den Weg nach London machen solle. Dort sollte ich meine Karriere ernst nehmen und die Royal Academy of Dramatic Arts (RADA) besuchen. Abgesehen davon wollte sie mich wohl auch unbedingt von Ian trennen. Sie fand mich einfach zu jung für einen festen Freund.

Vielleicht war Mum deshalb plötzlich für den Umzug, auch wenn sie ein paar Regeln aufstellte. Sie wollte nicht, dass ich London bloß einen flüchtigen Besuch abstattete. Wenn ich tatsächlich Sängerin werde wolle, dann müsse ich – oder machen wir daraus besser ein „wir“ – für längere Zeit dort bleiben und versuchen, meine Karriere in Schwung zu bringen.

Moment mal? Von allem, was ich kenne und liebe, und von meinem Freund wegziehen? Ohne mich!

Wir stritten. Ich weinte und flehte. „Ich werde nicht gehen!“, schrie ich. Meine Teenager-Hormone befeuerten dabei meinen Zorn darüber, für einen längeren Zeitraum fortgeschickt zu werden. Was für eine Tragödie! Ich konnte nicht verstehen, warum ich gerade jetzt, wo ich in einer Fernsehshow auftrat, einen Freund und eine Karriere hatte, wegmusste. In der örtlichen Tageszeitung war sogar ein Artikel über mich erschienen! Reichte das denn nicht aus?

„Du musst fahren“, sagte Mutter. „Wenn du singen willst, nimm diese Chance wahr. Vielleicht ist es die einzige, die du bekommst.“

Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich daraufhin zu packen begonnen hätte. Doch ich blieb stur. Dann griff aber das Leben selbst ein, so wie es das oft tut, und nahm mir die Entscheidung ab.

Mein kostenloses Ticket für die Schiffsreise würde (Gott sei Dank) bald verfallen, und mit diesem Termin im Hinterkopf war meine Zukunft klar. Schon bald stachen Mum und ich in See, und Ian blieb weinend am Kai zurück. Es brach mir das Herz, als mein Freund mir dabei zusah, wie ich abfuhr. Ich versprach ihm, in drei Monaten wiederzukommen. Doch für Heranwachsende ist das eine Ewigkeit.

Die Verunsicherung der Teenager-Zeit traf mich mit voller Wucht, und ich litt während der ganzen Überfahrt nach England. Ich erinnere mich nur noch daran, dass ich zur „Königin Neptun“ ernannt wurde, als wir den Äquator überquerten. Dabei handelte es sich um eine kleine Feier, bei der ein frisch gekrönter „König Neptun“ alle Passagiere in Wasser tauchte. Als Königin musste ich nur dabeistehen und zusehen.

Auf dem Foto sieht man, wie ich schmolle.

Das Swinging London der Sechziger befand sich inmitten einer Kulturrevolution, die von der Jugend vorangetrieben wurde. Die florierenden Kunst-, Musik- und Modeszenen beeinflussten die ganze Welt. Zu den Exporten zählten etwa die Beatles oder die Miniröcke, die Twiggy und Jean Shrimpton trugen. Der neue Lifestyle nannte sich „Mod“, und die Szene war dank Bands wie den Who, den Kinks und den Rolling Stones durch Musik geprägt.

Was für eine Zeit, um aufzuwachsen – und was für ein Ort erst!

Wenn ich mich nur auch so gefühlt hätte! Ich habe vergessen zu erwähnen, dass mir mein Freund ein Ultimatum von drei Monaten gestellt hatte: Wenn ich dann immer noch nicht wieder zurück sei, werde er sich mit anderen zu verabreden beginnen.

Mein Herz war zum ersten Mal gebrochen – und ganz sicher nicht zum letzten Mal!

Mum und ich wurden in etwas hineingeworfen, das ein großes neues Abenteuer hätte werden sollen, als wir in unsere neue Wohnung in Hampstead einzogen. Doch ich hatte weiter schlechte Laune. Unser neues Zuhause war eine winzige Bude mit nur einem Schlafzimmer; deshalb schlief ich auf einem ausziehbaren Sofa. Die Miete betrug neun Pfund in der Woche. Das konnten wir uns leisten, weil ich ein wenig Geld von meiner Fernsehkarriere gespart hatte. Zum Glück hatte der „Bank-Tag“ aus Grundschul-Zeiten einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, weshalb ich dieses Mal nicht vergessen hatte, etwas auf die Seite zu legen. (Keine Lutscher mehr für mich!)

Mum und ich stritten uns aber immer noch wegen des Themas Schule. Sie wollte, dass ich die Royal Academy of Dramatic Arts besuchte. Ich wollte aber nie wieder in meinem Leben einen Bleistift in die Hand nehmen oder ein Schulbuch aufschlagen. Sie wollte, dass ich Schauspiel studierte. Ich hingegen wollte nur singen. Ich hätte auf sie hören sollen.

Auch Rona, meine „Anstandsdame“, lebte inzwischen in England. Sie hatte keinen schlechten Einfluss auf mich, weil ich mich nicht für den „Sex, drugs and Rock’n’Roll“-Lifestyle der Sixties interessierte. Ich konnte ja nicht einmal eine weitere Zigarette vertragen. Stattdessen ließ ich Rona alle Triebe stellvertretend für mich ausleben.

Ich war jedenfalls nicht sonderlich von London beeindruckt – zumindest anfangs nicht.

„Alles hier ist so alt und schmutzig“, sagte ich geringschätzig. Wenn ich heute daran zurückdenke, kann ich gar nicht glauben, dass ich jemals so gedacht habe! Ich liebe nämlich die Schönheit dieser betagten, etwas verwohnten Gebäude mitsamt ihrer magisch anmutenden Geschichte. Mit sechzehn spielte die nachhaltige Bedeutung von Architektur für mich aber keine besondere Rolle.

Wer jedoch sehr wohl eine wichtige Rolle für mich spielte, war Ian. Sehr zu Mums Missfallen hatte ich ihn nämlich nicht vergessen, obwohl ich wusste, dass er zu Hause in Australien sein eigenes Leben lebte und nicht darauf wartete, dass seine weit entfernt lebende Flamme zu ihm zurückkehrte.

Ich muss wohl ziemlich anstrengend gewesen sein. Während Mum jeden Tag arbeitete, um in London unseren Lebensunterhalt zu verdienen, überlegte ich mir, wie ich zurück nach Melbourne gelangen könnte, um wieder mit Ian zusammen zu sein. Insgeheim buchte ich sogar mehrmals meine Rückreise, doch Mum war mir immer einen Schritt voraus und stornierte die Reservierung.

Bald würden die drei Monate um sein. Ich musste unbedingt nach Hause. Mum sorgte jedoch dafür, dass ich ohne Ticket blieb, was mich stinksauer auf sie machte. Ich versuchte sogar, mich unter gerichtliche Vormundschaft stellen zu lassen, um mich rechtlich von ihr zu lösen. Antrag abgelehnt!

Alles, was ich wollte, war, mit Ian zusammen zu sein. Doch da legte sich meine Mum quer. Was wusste ich schon in meinem Alter?

Die Antwort? Rein gar nichts über das wirkliche Leben oder über die Männer. Aber das soll mal jemand einem verliebten Teenager erzählen, der sich tausende Seemeilen von seinem Schatz entfernt befindet und sich jeden Abend über den schmalzigen Briefen, die wir uns fast täglich schrieben, die Augen ausweint.

Das Ende unserer Beziehung kam, als mir Ian mitteilte: „Liv, du bist immer noch nicht zurück, also habe ich angefangen, mich mit einer anderen zu treffen.“ In Wahrheit sehnte sich Ian nach einer Ehefrau und einer Familie, und ich war weder zum einen noch zum anderen bereit. Irgendwann bat ich ihn, nach London zu kommen. Aber er wollte Australien nicht den Rücken kehren. Ich wollte nämlich mittlerweile in England bleiben, was ein großer Wendepunkt war. In diesem Moment fand ich heraus, dass ich meine Karriere mehr wollte, als es mir bewusst gewesen war.

Jetzt, da ich selbst Mutter bin, weiß ich, dass Mum das Richtige tat, als sie mit mir nach London zog. Sie wollte, dass ich mein Talent auslotete, und gab mir jede Gelegenheit dazu. Und Ian? Der heiratete tatsächlich die liebe Jan, und es stellte sich als die ideale Beziehung für ihn heraus. Ich mag Jan sehr, und wir blieben alle miteinander befreundet, bis er vor ein paar Jahren viel zu früh verstarb.

1966 nahm ich für Decca Records meine erste Single auf. Sie trug den Titel „Till You Say You’ll Be Mine“. Die B-Seite hieß „For-Ever“. Ich hatte diese jungen Typen getroffen, die meinten, sie wollten eine Nummer mit mir aufnehmen. Leider klang sie so, als wäre sie in einem Badezimmer eingespielt worden. In einer der Besprechungen wurde mir empfohlen, besser eine Karriere als Flugbegleiterin anzustreben. Klar, es war keine sonderlich gelungene Produktion, aber es bedeutete zumindest einen ersten Schritt.

Man muss mit Kritik umzugehen lernen – und ich habe es gelernt. Damals fiel es mir schwer, weil ich keine Erfolge vorweisen konnte, mit denen ich die kränkenden Worte hätte neutralisieren können, damit sie sich nicht in meinem Kopf festsetzten.

Meine und Mums Rettung kam schließlich in Gestalt von Pat Carroll, die gerade erst in London eingetroffen war. Ich hatte mit Pat bereits in Australien in der Go Show zusammengearbeitet, einer Pop-Show für Teenager, die Ian moderierte und die aufstrebenden Acts wie etwa den Bee Gees eine Bühne bot.

„Wir wurden auf Anhieb enge Freundinnen“, erinnert sich Pat.

Pat war bereits eine bekannte Sängerin und Tänzerin. Während unserer kurzen Zusammenarbeit in der Show hatte sie mir ein paar Tipps zum Thema Bühnenpräsenz gegeben. Sie war außerdem ein sehr lieber Mensch, und wir blieben auch weiterhin in Kontakt. Ich war ganz aus dem Häuschen, als sie einen Rundfunk-Preis gewann, der ihr einen großartigen Einstieg in die englische Szene ermöglichte. Sie unterschrieb einen Vertrag bei einer größeren Agentur, der Bernard Delfont Agency, die sie bereits für Auftritte in mehreren Clubs gebucht hatte.

Ich traf sie an einem kalten Wintertag am Flughafen Heathrow, weil ich ihr beim Einzug in die Wohnung helfen wollte, die ihre Agentur für sie angemietet hatte. Schneeflocken wirbelten durch die eisige Luft, als wir mit dem Bus in eine unglaublich schäbige Gegend der Stadt fuhren, wo wir noch an ein paar gefährlichen Häuserblocks vorbei zu einem heruntergekommenen Apartmenthaus laufen mussten. Beim Anblick dieses Gebäudes fiel einem nur das Wort „deprimierend“ ein. Drinnen war es noch schlimmer. Wir gingen gleich wieder und sahen uns das Elend von der Straße aus an.

„Hier kannst du nicht bleiben, nicht einmal für eine Nacht“, sagte ich. „Du kommst mit zu uns.“

Ich musste Pat nicht überreden. „Die erste Unterkunft war einfach schrecklich“, sagte sie. Wir machten kehrt und brachen sofort auf. Unendlich dankbar zog sie zu uns in unsere winzige Wohnung. Dort schlief sie ein Jahr lang auf dem Boden auf einer Luftmatratze. Wir drei teilten uns fortan ein Bad, in dem man sich kaum umdrehen konnte. Wir hatten nur wenig Platz, doch Mum schien außer sich vor Freude zu sein, weil Pat mir die nötige Bodenhaftung verschaffte, um mir in London ein neues Leben aufzubauen.

Und Mum hatte recht – es war wunderbar, Pat bei uns zu haben. Schon bald hatten wir uns an unsere Haarteile, falschen Wimpern und Fingernägel, tonnenweise Lidstrich und schwarze Wimperntusche gewöhnt. Wir trugen fantastische Kleider mit Paisley-Muster oder sehr kurze Miniröcke. Meine cremefarbenen Lackleder-Stiefel bedeuteten mir am meisten, denn dafür hatte ich sparen müssen. Alle Girls in London zeigten selbstbewusst Bein.

Zunächst begleitete ich Pat als moralische Unterstützung zu ihren Auftritten in die über ganz England verstreuten Clubs. Doch schon bald überlegten wir uns, wie wir ihre und meine Träume verbinden könnten.

Mit Athol Guy, der beim ungeheuer populären australischen Pop-Quartett The Seekers Bass spielte und sang, waren wir befreundet; er nahm uns unter seine Fittiche. Eines Tages schlug er vor: „Warum tut ihr beiden euch nicht als Doppel-Act zusammen? Ihr könntet gemeinsam reisen.“

„Es war einsam, allein zu arbeiten“, erinnert sich Pat heute. „Als das Duo zur Sprache kam, war das perfekt. Eine Blondine und eine Brünette.“

„Was werden deine Agenten dazu sagen?“, fragte Pat.

Ihnen gefiel die Idee, doch die Sache hatte einen Haken. Sie konnten nicht mehr Geld herausschlagen, aber das war letztlich auch egal: Wir teilten uns die Gagen und Ausgaben und machten uns daran, die Welt zu erobern.

Wir wurden als „Pat and Olivia“ angekündigt.

Ein Duo ward geboren.

Jahre später sollte Pat augenzwinkernd zu mir sagen: „Ich habe damals meine Gage mit dir geteilt, wie wäre es, wenn du jetzt deine mit mir teilst?“

Hör nie auf zu träumen

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