Читать книгу Hör nie auf zu träumen - Olivia Newton-John - Страница 11

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I believe in the power of now.

Unser Probenraum war eine beengte Wohnung in einer hübschen Ecke von Hampstead mit Kopfsteinpflaster. Tagsüber, wenn Mum arbeitete, übten wir. Danach aßen wir früh zu Abend und zogen los, um jede Nacht aufzutreten. Pat konnte fantastisch nähen und schneiderte unsere Kostüme wie für eine große Rockshow. Ich war in solch häuslichen Künsten eine Niete und musste das Säumen übernehmen, was ich gerne tat, während ich meine Lieblingssongs im Radio hörte.

Wie sich bald herausstellte, waren die Outfits unser kleinstes Problem.

An unserem ersten Abend in einem der Londoner Clubs vergaßen wir, dass wir Tanzschritte einstudiert hatten, wir uns also bewegen mussten. Damals waren die Mikrofone an dicken schwarzen Kabeln befestigt. Mitten in einem unserer Sets auf der Bühne – es war bereits ein Uhr morgens – ging Pat nach links und ich nach rechts. Unsere Kabel verhedderten sich, bis wir uns gar nicht mehr bewegen konnten. Es ist schon ein unvergleichliches Gefühl: Man singt, und plötzlich fangen alle laut zu lachen an. Wir wussten ja nicht, dass wir tatsächlich eine Comedy-Nummer vortrugen! Wenn ich dann noch auf die Nase gefallen wäre, dann hätten die zehn Leute an der Bar, die nur mit einem Ohr der Show folgten, sogar mit Standing Ovations reagiert.

Auch der Transport war so eine Sache. Pat und ich schafften ein Auto an, obwohl ich nicht fahren konnte und in England sowieso noch zu jung für eine Fahrerlaubnis war. Weil Pat zwei Jahre älter war und fahren durfte, kauften wir uns diese alte Rostlaube, einen Mini-Minor. Der Van kostete uns ganze vierzig Pfund. Mehr konnten wir uns auch nicht leisten.

Pats Vater hatte sich stets um ihre geschäftlichen Belange gekümmert. Doch von der Karre erzählten wir ihm nichts. Immerhin waren wir reif und weltgewandt genug, um die Verhandlungen selbst zu führen. Das dachten wir zumindest.

Da standen wir nun. Zwei unschuldige Mädels, die einem älteren Typen ein Bündel Bargeld überreichten. Im Gegenzug warf er uns die Autoschlüssel zu. So zogen wir los – ohne jegliche Überprüfung, ohne Kaufbestätigung, ohne Zulassung, ohne Versicherung. Praktisch ohne alles. Was wussten wir schon? Wir waren doch bloß zwei Girls mit fahrbarem Untersatz – bis uns zwei schnucklige junge Polizisten anhielten und nach unserer Zulassung fragten.

„Was für eine Zulassung denn?“, stotterten wir.

„Bitte aussteigen, Ladys.“

Unsere erste größere Investition sollte umgehend ein bitteres Schicksal ereilen. Das Auto wurde beschlagnahmt, und die so hilfsbereiten wie attraktiven Bobbys fuhren uns nach Hause. Nur aus Gefälligkeit. Aus irgendeinem Grund tauchten die beiden dann immer wieder bei uns in der Wohnung auf und befragten uns zu dem Vorfall mit dem Wagen. Sie flirteten auf Teufel komm raus – genau wie wir auch. Zum Schluss verkauften sie das Auto sogar für uns, obwohl wir keine Papiere besaßen.

Kleine Gefälligkeiten von Fremden waren die winzigen Lichtblicke, die uns in diesen kargen Zeiten über die Runden halfen.

Irgendwann gingen wir „auf Tour“ durch England. Wir traten in einer Reihe kleiner Clubs auf und hatten ganze fünfzig Pfund dabei. Das war lächerlich wenig, denn davon mussten wir beide doch Essen, Unterbringung und Transport bezahlen.

Wir lebten unseren Traum. Einmal fuhren wir sogar in bitterer Kälte mit der Fähre nach Irland, um dort Urlaub zu machen. Leider verloren wir dabei total die Orientierung. Wann immer wir Einheimische nach dem Weg fragten, fuchtelten die nur mit einer Hand und sagten: „Ach, das ist einfach die Straße runter.“ 25 Kilometer weiter saßen wir dann aber immer noch auf unseren Fahrrädern …

Einen besonderen, ja gar heiligen Ort konnten wir aber doch ausmachen. So küssten wir beide den Blarney Stone. Der Legende nach wird dem, der diesen Stein küsst, nicht nur die Gabe der Beredsamkeit zuteil, nein, auch Humor und Gewitztheit werden dadurch gestärkt. Nur wie der Stein zu küssen war, stellte ein Problem dar. Man musste auf einen Burgturm steigen, sich rückwärts über eine Brüstung beugen, den Kopf neigen und die Lippen auf den Stein drücken. Eklig! Ich überlegte, ein Taschentuch zwischen meinen Mund und den Stein zu legen. Gott weiß, wer alles schon diesen Stein geküsst hatte!

Unser Trip war wunderbar, für Pat allerdings auch ein wenig frustrierend. So wollte sie eines Tages die Reste eines leckeren Abendessens zum Frühstück verzehren. Ich erinnere mich noch, wie sie schmollte, als ich den gesamten Inhalt unserer Tasche an ein klapperdürres Pferd verfütterte. (Das würde ich heute wieder tun – und tue es ja auch!)

Für die Rückfahrt nach England kauften wir die billigsten Tickets. Pat wurde ein wenig seekrank, deshalb saßen wir draußen auf dem Deck. Der unerbittliche britische Wind fegte um unsere kalten, roten Gesichter. Der Kapitän sah, wie wir buchstäblich festfroren, und hatte Mitleid mit uns. Er lud uns in seine Kabine ein. Unsere Zähne klapperten, während wir langsam wieder auftauten. Irgendwie erholten wir uns aber wieder.

Wir waren nicht wirklich die erfahrensten Reisenden, doch durch Gottes Gnade überlebten wir sämtliche Strapazen.

Unser Budget erlaubte es uns ein anderes Mal, bis nach Zürich zu fahren. Im Zug dorthin trafen wir auf zwei charmante amerikanische Jungs. Dass sie Amerikaner waren, wussten wir, weil sie so perfekte weiße Zähne hatten! Sie luden uns zum Abendessen ein. Natürlich sagten wir zu, weil wir ihre Gesellschaft genossen – und außerdem eine kostenlose Mahlzeit dabei heraussprang!

Die Jungs führten uns in ein vornehmes Hotelrestaurant mit Blick auf einen wunderschönen kristallklaren See. Wir aßen herrlich zu Abend und stopften uns sogar noch Brot fürs Frühstück in unsere Handtaschen. Zwischenzeitlich hofften die Männer, unser gemeinsamer Abend könne noch andernorts bei ein paar Cocktails fortgesetzt werden und … Nun, genau dieses „und“ war es, was uns beunruhigte!

Nervös quetschten wir uns mit den beiden Männern in ein Taxi. Sie nannten dem Fahrer die Adresse eines Hotels am Ort. Panisch behielt ich Pat im Auge. Sie erwiderte meinen Blick und sah aus, als wäre sie am liebsten aus dem Fenster gehüpft. Wir mussten schnell handeln, bevor die Situation außer Kontrolle geriet. Als die Jungs den Taxifahrer bezahlten, liefen wir einfach davon, so schnell uns unsere Beine trugen, hinein in das große, überfüllte Hotel, bevor die beiden überhaupt begriffen, was da vor sich ging. Es war, als hätten wir uns in Luft aufgelöst.

Wir wollten nicht der Nachtisch sein.

Falls die beiden dies hier lesen: Nichts für ungut, wir entschuldigen uns hiermit – und danke für das Abendessen!

*

Einmal, als wir eine Woche keine Arbeit und jeweils zwanzig Pfund übrig hatten, beschlossen wir, mit dem Zug durch Europa und bis nach Paris zu reisen. Wir frühstückten das Brot vom Vortag, während wir unser restliches Kleingeld abzählten, um uns noch zwei Stück Obst für das Mittagessen zu kaufen, vielleicht sogar noch etwas zum Abendessen. An manchen Tagen hatten wir nur Brot und Obst – und hielten das für eine ausgewogene Ernährung.

Wir übernachteten in Absteigen und schliefen auf alten, harten Betten unter dünnen, abgewetzten Bettdecken. Das Toilettenpapier war schrecklich rau. Vielleicht war es Schleifpapier, weil das billiger war. In kalten Nächten wärmte uns die Heizung kaum. Die Fliesen waren eisig – wenn wir uns trauten, mitten in der Nacht aufzustehen, weil wir aufs Klo mussten, gefroren unsere Füße sofort zu Eis. Aber all das machte uns überhaupt nichts aus. Wir waren jung, frei, sangen für unsere Verköstigung und genossen unser Nomadenleben in vollen Zügen.

Manchmal gingen wir in Paris am Nachmittag ins Kino und schliefen einfach die ganze Vorstellung durch, weil das billiger war, als sich für einen halben Tag ein Zimmer zu nehmen, bevor unser Zug abfuhr. Wir hatten einen Ort, um zu dösen – und mitunter waren die Filme auch gar nicht so schlecht, selbst wenn wir nichts verstanden.

Zurück in London, sangen wir weiterhin in Clubs und konnten unseren Lebensunterhalt davon bestreiten. Allerdings traten wir auch in ein paar sehr sonderbaren Etablissements auf, die schlimmstenfalls gefährlich und bestenfalls fragwürdig waren.

Nie werde ich den Abend vergessen, an dem wir in einem mir bis dahin völlig unbekannten Lokal namens Raymond’s Revuebar auftreten sollten. Pat und ich trugen, als wir dort eintrafen, unsere hübschesten hellblauen Minikleider mitsamt stilsicheren Marabu-Federn. Pat hatte diese Outfits selbst geschneidert, und ich hatte sie von Hand perfekt gesäumt. Hinter der Bühne warf ich noch einen letzten Blick in den Spiegel und musste lächeln. Meine kleine Frisur saß tadellos. Da war keine Strähne fehl am Platz.

Musikalisch begleiten ließ uns der Club von seinem Pianisten, der ein paar Noten anspielte, als wir die Bühne betraten. Ich fand es ein wenig seltsam, dass sich hinter der Bühne ein riesiges Aquarium ohne einen einzigen Fisch befand. Darin planschte ein halbnacktes Mädchen!

Das nur aus Männern bestehende Publikum – mit Koch und Kellner waren es insgesamt acht – verfolgte uns mit dubiosen Blicken, als wir in all unserer Unschuld mitten auf die Bühne gingen. Es stellte sich heraus, dass Mädchen, die so wie wir aussahen, nur selten durch diese Tür kamen. Ich machte große Augen, als mir auffiel, dass gleich mehrere der Männer an den Tischen Regenmäntel trugen – obwohl es draußen gar nicht regnete.

Wir sangen „Soon It’s Going to Rain“ – in diesem Fall eine Hommage an die Art von Club, um den es sich hier handelte, beziehungsweise an die Einheitskleidung der lüsternen Gäste. Wir hielten uns an unsere fröhliche Choreografie – kleine Bewegungen nach links und rechts. Die Männer wirkten ein wenig verwirrt, als ob sie auf etwas warteten.

Doch unsere Federn behielten wir an. So wie auch den Rest unserer Kleidung. Sogar meine Haare blieben in Form. Nichts verrutschte auch nur ein bisschen.

Ein paar Nummern später kam der Besitzer des Clubs, Paul Raymond, zu uns hinter der Bühne. Er schüttelte zwar den Kopf, war aber auch nicht wirklich sauer.

„Mädchen“, sagte er, „ich glaube nicht, dass das funktioniert. Euer Agent hat da was missverstanden.“

Man muss ihm zugutehalten, dass er uns für die ganze Woche bezahlte. Als wir uns auf den Weg machten, blickte ich mich noch einmal zum Mädchen im Aquarium um und hoffte, dass es darin nicht ertrinken würde.

Obwohl wir in der Nachtclub-Szene auftraten, sah ich nie wirklich etwas Übles, das bei mir seelische Narben hinterlassen hätte. Nie sah ich Leute Drogen konsumieren oder etwas anderes tun, was illegal war. Vielleicht sah ich es ja nicht, weil ich mich einfach nicht dafür interessierte.

Vielleicht lag es auch an der Musik.

Wir arbeiteten ununterbrochen an unserer Show und perfektionierten sie. Einmal studierten wir einen unserer Fernsehauftritte, wobei uns auffiel, dass ich ständig zu starren schien, während Pat ganz natürlich blinzelte. Ich wirkte ungelenk, doch Pat half mir und zeigte mir, wie man tanzt. Zu Hause in London probten wir vor Mum. Wir benutzten Haarbürsten als Mikrofone und übten unsere Schritte:

Eins, zwei, drei, vier.

Kreuzen, zwei, drei, vier.

Zurück, zwei, drei, vier.

Umdrehen, zwei, drei, vier.

Es glich einer Sechzigerjahre-Version einer modernen Tanz-Reality-­Show.

Wenig später traten wir in einer Show vor Soldaten auf, etwa auf US-Militärbasen in Deutschland und auf Zypern. Unser Publikum dort war unglaublich, so herzlich und gastfreundlich. Einmal flogen wir nach Libyen, wo ein paar GIs uns fragten, ob wir in ihrem Panzer mitfahren wollten. Im Panzer durch die libysche Wüste – eine unglaubliche Erinnerung.

Das hätte auch gefährlich sein können – war es aber nicht. Wir trugen Tarnkleidung und Stahlhelme und verbrachten eine wunderbare Zeit mit den Jungs, die sich lieb und respektvoll benahmen. Eine gewisse Naivität konnte in manchen Situationen durchaus hilfreich sein. Außerdem waren wir ja nicht allein. Pat und ich hielten uns stets gegenseitig den Rücken frei.

Im Laufe der Zeit traf ich unentwegt auf neue Leute. Das wiederum führte unvermeidlich zu einer neuen Liebe. So lernte ich Bruce Welch kennen, der bei der sehr erfolgreichen Instrumental-Gruppe The Shadows spielte, die auch lange Jahre als Cliff Richards Begleitband fungierte. In England waren sie eine große Nummer. Pat und ich hatten das große Glück, in ihrem Vorprogramm auftreten zu dürfen, was ganz schön aufregend war.

Mit Peter Gormley hatten wir denselben Manager wie Cliff. Er kümmerte sich auch um die frühen Karrieren von Künstlern wie Frank Ifield, den Seekers, Marvin Welch und Frank Farrar. Peter gründete zudem Festival Records, wo schon bald die australischen Versionen meiner eigenen Platten erscheinen würden.

Pat und ich tourten mit Cliff im Rahmen seiner Cliff Richard Show. Wir wurden als Backgroundsängerinnen engagiert, obwohl wir uns nicht immer nur strikt im Hintergrund hielten.

„Als mich Olivia und Pat begleiteten, wurde ich Zeuge eines inter­essanten Phänomens. Alle Männer im Publikum blickten schnurgerade über meine linke Schulter hinweg. Eines Abends warf ich selbst während meines Auftritts einen Blick über die Schulter. Pat und Olivia standen nicht mehr knapp zwei Meter hinter mir, sondern hatten sich bis fast auf meine Höhe geschlichen, wo sie diese sexy Tanzbewegungen vollführten! Am nächsten Abend bat ich unseren Manager Peter: ‚Sei so nett und postiere die Mädchen hinter dem Klavier.‘ Dann, als ich auf die Bühne ging, ließ ich jemanden den Deckel aufklappen, sodass sie niemand sehen konnte! Sie wussten, dass ich das nur im Scherz tat. Wir hatten damals ja so viel Spaß – und auch später, als wir dann Duette sangen.“ Und Sir Cliff fügt hinzu: „Man muss sich bei einem Duett ein wenig in den Gesangspartner verlieben, und das fiel mir bei Livvy besonders leicht.“

*

Mit neunzehn hatte ich lange Haare und einen Pony und trug Baumwollhemdchen und Schottenröcke aus der Kinderabteilung von Marks and Spencer. Meine Kleidung musste mehrere Saisons überstehen, was sie gewöhnlich auch tat. Es war ein Glück, dass ich gut haushalten konnte, denn Pat und ich wurden langsam flügge. Ich liebte Mum, aber wir brauchten einfach mehr Platz. Sie ermutigte uns schließlich dazu, uns eine eigene Wohnung zu suchen.

Unsere erste lag im Londoner Stadtzentrum, im Stadtteil Earl’s Court im Royal Borough of Kensington and Chelsea. Dort traf man außerdem auf sehr viele andere Australier. Dort zu wohnen war nicht billig, und so teilten wir unsere Unterkunft mit zwei weiteren australischen Mädchen namens Geraldine und Gail.

Tatsächlich hatten wir hier nicht viel mehr Platz als in unserer alten Wohnung in Hampstead, wo wir mit Mum gelebt hatten. Pat und ich teilten uns das eine Zimmer, das andere bewohnten die beiden Schwestern Geraldine und Gail. Beide waren sie talentierte Schauspielerinnen, die in London Fuß zu fassen versuchten. Pat trat später in einer Bühnenproduktion von Bye Bye Birdie zusammen mit Gail auf. Wir hatten alle Einzelbetten mit Vorhängen dazwischen, was uns ein wenig Privatsphäre ermöglichte. Dann gab es da noch ein kleines Wohnzimmer und eine winzige Küche. Trotzdem war es ein Riesenspaß, auf sich allein gestellt zu sein und keinen Regeln folgen zu müssen. Außerdem war es spannend, finanziell für sich selbst aufzukommen.

Was wir doch für verrückte junge Hühner waren!

Ehrlich gesagt konnten wir uns glücklich schätzen, Tag für Tag zu überleben, weil Pat noch nie in ihrem Leben auch nur ein Ei gekocht hatte und ich selbst auch nicht kochen konnte. Wir waren lediglich in der Lage, uns auf dem örtlichen Markt mit Essbarem zu versorgen. Ich weiß noch, dass ich viel Kartoffelbrei und Würstchen aß. An unserem ersten gemeinsamen Weihnachten brieten wir den Truthahn mitsamt den Innereien, die in einer kleinen Plastiktüte in ihm drinsteckten …

Rona, die einen neuen Mann namens Graeme hatte, erfuhr von unserem kulinarischen Missgeschick und konnte kaum aufhören zu lachen, als wir sie am nächsten Abend anbettelten, uns etwas Essen zukommen zu lassen.

Eines Nachts nach einer Show aßen wir gemeinsam mit ein paar Freunden zu Abend. Einer der Jungs sagte ganz beiläufig: „Olivia, du bist sehr ehrgeizig.“ Auf der Stelle brach ich in Tränen aus. Damals war „ehrgeizig“ ein Schimpfwort – ganz besonders, wenn man es zu einer Frau sagte.

„Ich bin gar nicht ehrgeizig“, schluchzte ich.

Ich fühlte mich so gekränkt, weil Ehrgeiz für mich bedeutete, sich rücksichtslos an die Spitze durchzubeißen. Als wäre man bereit, einfach alles zu unternehmen, etwa mit jedem zu schlafen, um es in der Welt des Showbiz bis nach oben zu schaffen. Das wurde mit diesem Wort angedeutet. Ganz egal, ob falsch oder richtig: Das war mein Eindruck, als ich jung war – und so etwas ins Gesicht gesagt zu bekommen tat ordentlich weh. Erst später begriff ich, dass es eigentlich ein Kompliment ist, ehrgeizig genannt zu werden. Es war ganz sicher nichts, wofür man sich schämen musste. Damals merkte ich aber schon, dass sich gewisse Männer bei dem Gedanken an selbstständige, ambitionierte Frauen unwohl fühlten.

Einer meiner Freunde half mir, zwischen den Zeilen zu lesen: „Vielen Männern geht es gegen den Strich, wenn Frauen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und nach Höherem streben.“

Tatsächlich sollte sich meine Strebsamkeit letzten Endes aber als Segen herausstellen – auch wenn ich sie selbst lieber als „Stärke“ bezeichnete.

Ich wusste, dass Mum mir diese Stärke vermittelte, indem sie eine Scheidung überstand und in ein anderes Land zog, um ihre Tochter dabei zu unterstützen, Erfolg zu haben. Sie war schon Feministin, bevor dieses Wort modern wurde. Sie war stark, clever und selbstlos. Und das musste man bewundern.

Sie lehrte mich, dass man nicht weiß, wie stark man ist, bevor man auf die Probe gestellt wird.

*

Die nächsten Jahre über gingen Pat und ich stets auf Tour, sobald unser Agent uns Auftritte buchen konnte. So schafften wir es sogar bis zurück nach Australien, wo Pat ihren zukünftigen Ehemann wiedertraf, den unglaublich begabten Songwriter und Produzenten John Farrar. Wir waren alle bereits seit Jahren miteinander befreundet. Natürlich würde er Jahre später einige meiner größten Hits schreiben und produzieren. So wie Pat sollte er ein lebenslanger treuer Freund werden.

John Farrar erinnert sich noch an unser erstes Treffen: „Ich spielte in dieser Band mit Namen The Strangers, und wir traten in dieser Fernsehsendung auf. Liv und ich trafen uns auf dem Set. Ich weiß noch, wie ich mir dachte, dass sie ein liebes, kleines Mädchen sei. Dann sah ich, wie sich praktisch jeder im Studio schlagartig in sie verliebte. Mir war klar, dass sie einen hinreißenden Sound hatte, der anders und einzigartig war.“

Als ich einundzwanzig wurde, verlobte ich mich mit Bruce, was für Aufregung sorgte. Immerhin lebten er und seine Frau damals zwar schon getrennt, waren aber noch nicht geschieden. Er folgte uns nach Australien, als wir dort in einem TV-Special auftreten sollten. Als er mir dort öffentlich eine Liebeserklärung machte, führte das zu einem Skandal. Wegen der „Verstrickungen“ meines Freundes wurde ich ohne Vorwarnung aus der Show geworfen. Ich fühlte mich gedemütigt. Außerdem tat es mir ja so leid für Pat.

Und die Hiobsbotschaften wollten nicht abreißen. Nach einem weiteren Auftritt vor Truppenverbänden flogen wir in einer Militärmaschine zurück nach England. Dem Grenzschutzbeamten am Flughafen fiel auf, dass Pats Visum abgelaufen war. Er weigerte sich, es zu verlängern. Er stempelte es sogar ungültig. Sie war jedenfalls ganz außer sich, weil sie nun nicht mehr nach England einreisen durfte. Dank meiner Mutter hatte ich immer sowohl einen englischen als auch einen australischen Pass. Also konnte ich nach England zurückkehren, um mit Bruce zusammen zu sein. Pat war es, die mich darin bestärkte, nach London zurückzugehen, um bei meinem Verlobten zu sein und eine Solokarriere zu verfolgen. Ich fühlte mich so schuldig, weil ich wieder einreisen durfte und sie mich nicht begleiten konnte.

„Du bist so weit, es allein zu schaffen, versuch es“, sagte sie wohlwollend.

Ich beschloss, nach London zurückzukehren, um bei Bruce zu sein und an meiner Solokarriere zu arbeiten. Doch tat es mir im Herzen weh. Pat und ich waren so lange Zeit wie siamesische Zwillinge gewesen. Außerdem war ich mir nicht einmal sicher, ob ich ohne sie überhaupt singen konnte.

Zurück in London, zog ich mit Bruce zusammen. Kurze Zeit später erfuhr ich, dass Pat und John Farrar heiraten würden. Ich war begeistert und erinnerte mich daran, wie ich vor längerer Zeit einmal zu ihr gesagt hatte: „Du solltest zurück nach Australien ziehen und diesen lieben Typen John Farrar heiraten.“ Inzwischen machte ich es mir mit Bruce und unseren Irish Settern Geordie und Murphy in unserem Nest gemütlich. Es blieb allerdings nicht viel Zeit, um in der Wohnung herumzuhängen, weil die Band meines Verlobten, die Shadows, auf dem europäischen Festland, in Japan und England so berühmt waren.

Leider war eines der Bandmitglieder, der unglaublich begabte Bassist John Rostill, verstorben. John hatte die Songs „Let Me Be There“, „If You Love Me, Let Me Know“ und „Please Mr Please“ geschrieben, durfte jedoch tragischerweise deren Erfolg nicht mehr miterleben. Nach seinem Tod beschlossen Hank Marvin und Bruce, neu anzufangen und ein Trio zu gründen. Sie suchten nach einem dritten Mann, und ich schlug John Farrar, Pats neuen Ehemann, vor. Immerhin war er ein fantastischer Sänger, Gitarrist und Songwriter. Schon bald war die Entscheidung gefallen. Sie wussten von John und seinem Talent und boten ihm rasch die Stelle an.

Im Handumdrehen war somit auch Pat wieder in England. Sie und John zogen in dasselbe Haus, in dem auch ich mit Bruce wohnte. Es fühlte sich großartig an, alle unter demselben Dach zu wissen. Außerdem war es wunderschön, Pat wieder in meiner Nähe zu haben. Da nun alle versammelt waren, machten sich John und Bruce daran, mein erstes Album zu produzieren. Das war eine glückliche Zeit, die aber auch von Schuldgefühlen geprägt war. Es muss sehr schwer für Pat gewesen sein, wie ihr Mann mich ohne sie produzierte. Doch Pat unterstützte mich und John. Ich habe sie wegen ihrer Souveränität und ihrer Reife stets respektiert.

Wir nahmen das Album in den legendären Abbey Road Studios auf, wo ich die Tage mit meinem Hund Geordie zu meinen Füßen zubrachte. Einmal stieß er während des Gitarrensolos zu „If Not For You“ das Mikrofon um. Wir beließen das Geräusch aber auf der Aufnahme, und ich muss immer noch lächeln, wenn ich es höre.

Ich muss auch lächeln, wenn ich mich daran erinnere, wie im Studio nebenan die Beatles mit George Martin an ihrem neuen Album bastelten. Ich hatte das Glück, sie alle kennenlernen zu dürfen, weil Bruce mit dieser berühmtesten Band aller Zeiten gut befreundet war. Tatsächlich erzählte er mir, dass Paul McCartney ihm die Verlagsrechte an einem seiner Songs angeboten habe. Paul zog eine Gitarre aus dem Kofferraum und spielte Bruce ein paar Takte vor. Bruce lehnte jedoch ab. Zwar hatte die Nummer damals noch einen anderen Arbeitstitel, doch handelte es sich dabei um „Yesterday“!

Eines Tages betrat ich das Studio und traf dort John und Yoko an, eng umschlungen. Sie waren jung und verliebt. Eine wunderschöne Erinnerung. Ich sollte Yoko erst Jahre später wiedersehen, als ich mich gerade auf Hochzeitsreise befand. John war da leider schon tot. Was für eine Tragödie.

Im November 1971, im Alter von dreiundzwanzig Jahren, veröffentlichte ich mein erstes Studioalbum If Not For You. Die gleichnamige Single stammte aus der Feder Bob Dylans und war ein Riesenhit. Auch George Harrison hatte eine Version davon aufgenommen. Londoner Discjockeys und Romantiker allerorten fanden Gefallen daran. Es war ein exzellenter Song für Liebende jeden Alters.

Jahrzehnte später sollte ich herausfinden, dass es auch der Lieblingssong meines Ehemanns John war.

Es war aufregend, ein Album auf dem Markt zu haben. Die nächsten Monate vergingen wie im Flug, während ich bei Auftritten in Fernsehshows in ganz Kontinentaleuropa, Großbritannien und Australien vorgestellt wurde. Außerdem tourte ich gleichzeitig als normaler Bühnen-Act. Vielleicht war ich damals ja noch zu jung, um das zu meistern. Ich folgte jedenfalls einem Weg, den ich später bereuen sollte. Es führte letzten Endes dazu, dass Bruce und ich unsere Verlobung auflösten.

Ich hatte immer nur den allergrößten Respekt vor Bruce. Er half mir dabei, meinen Sound zu erschaffen, und ich werde ihm immer dankbar dafür sein. Bruce war ein sehr lustiger Mann mit einem unglaublichen kreativen Gespür. Außerdem verstand er es, mich zu fördern. Die Bassstimme auf meinen ersten Country-Scheiben war ebenfalls seine Idee. Er half mir dabei, meinen Kleidungsstil zu entwickeln, und brachte mir unterschiedliche Arten von Musik und Essen näher. Ich schulde ihm eine ganze Menge.

Nach unserer Trennung machte ich Urlaub in Südfrankreich. Am wunderbaren weißen Sandstrand von Monte Carlo saß ich mit meiner australischen Freundin Chantal, mit der ich in London die Wohnung teilte. Sie wollte mir den Cousin ihres Verlobten vorstellen. Aus dem Wasser stieg daraufhin ein sehr großer, sehr blonder und sehr attraktiver Mann, Lee Kramer. Als wir am Abend als Gruppe ausgingen, beugte er sich zu mir rüber und sagte: „Nun, du siehst abends auf jeden Fall besser aus als tagsüber.“

Meine Aufmerksamkeit hatte er auf jeden Fall!

Wir ließen den Abend in einem Club ausklingen, und ich war mir sicher, ihn nie wiederzusehen. Am nächsten Tag reiste ich zurück nach England. Und wer saß da plötzlich neben mir im Flugzeug nach London? Lee Kramer! Jahre später gestand er mir, dass er tatsächlich jemanden dafür bezahlt habe, um an diesen Platz zu kommen. Letzten Endes gingen wir ein paar Jahre miteinander, und Lee wurde sogar mein Manager.

Meine Karriere verlief weiterhin erfolgreich. 1974 trat ich sogar beim Eurovision Song Contest auf. Ich wurde gebeten, das Vereinigte Königreich zu vertreten, und stellte jede Woche in der Cliff Richard Show einen neuen Song vor. Das Publikum musste dann daraus seinen Favoriten küren. Schlussendlich erreichte ich den vierten Platz beim Eurovision Song Contest dieses Jahres. Sieger wurden die unglaublich begabten ABBA mit ihrem Song „Waterloo“. Ich liebte ABBA, und wir wurden bald Freunde.

Das war schon ein toller Moment in meiner Karriere. Leider aber nicht in meinem Privatleben. Das lag nach der Trennung von Lee nämlich in Scherben. Für kurze Zeit kamen Bruce und ich noch einmal zusammen, doch das hielt auch nicht lange.

Wieder Single, konnte ich auf ein paar Ablenkungen zählen. Eines Tages rief mich Russ Regan, Leiter der Plattenfirma UNI, wegen meines Songs „If Not For You“ an. Russ würde mich später dazu ermutigen, den Schritt nach Amerika zu wagen, wofür ich ihm ewig dankbar sein werde. Er ist kürzlich verstorben, leider noch bevor ich ihm für seine ermutigenden Worte damals danken konnte.

„Schätzchen, du hast da einen Hit“, sagte er. „Dein Hit steht in den Billboard-Charts auf Platz 25. Du musst unbedingt hierherkommen!“

Damit war das auch geklärt. Nächster Halt: Amerika!

Hör nie auf zu träumen

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