Читать книгу Wie wir nicht sind - Osama Abu El Hosna - Страница 10

14.30 Uhr

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Während der Arbeit kann ich an nichts anderes denken, als an mein Bett zuhause. Die Müdigkeit löst alle Gedanken an Verantwortung, an Liebe auf. Sie wickelt alle Zweifel in nur einen großen, dumpfen Wunsch ein: endlich schlafen zu können. Als ich mit allem fertig bin und am Karlsplatz gerade in die U-Bahn steigen möchte, ruft mich Rashid an. Rashid ist ein guter Freund von mir.

»Osama«, sagt er zu mir, »kannst du mir helfen? Ich schaue mir heute noch eine Wohnung an, in der Kettenbrückengasse«. Ich kann nicht aufhören zu gähnen. Rashid hört es. »Wenn du zu müde bist, dann macht es nichts, ich schaffe es auch so«, sagt er schnell, aber ich verspreche ihm, dass ich da sein werde. »Um wieviel Uhr?«

Bis halb sechs ist noch etwas Zeit. Ich sitze in der U-Bahn und die Fahrt kommt mir heute unendlich lang vor, länger als sonst. Ich stelle mir vor, wie ich einschlafe, wegdöse und mit der Bahn so lange hin und herfahre, bis die Sonne untergeht. Nicht, dass das möglich wäre. Die Menschen sind heute besonders laut, als wären sie verrückt geworden. Auf den Bildschirmen in der U-Bahn geht es um nichts anderes, als den nächsten harten Lockdown, der morgen beginnen soll. Warum liegt dann so eine Aufbruchsstimmung in der Luft? Weil niemand weiß, wann das nächste Mal wieder ein normales Leben möglich sein wird? Oder weil es so aussieht, als würde gerade heute der Frühling beginnen? Als hätte der Kalender nicht gerade den November eingeläutet, die dunkelste Zeit im Jahr für mich, dieser Monat, der sich in die Länge zieht, wie Kaugummi. Ich schwitze in dem warmen U-Bahn-Waggon und sehe aus dem Fenster, als wir wieder nach draußen fahren. Nein, wirklich nichts sieht nach Herbst aus. Die Sonne strahlt in mein Gesicht, und es liegt eine Stimmung in der Luft, so als wolle jeder diesen Tag noch einmal richtig ausnutzen. Alle wollen noch einmal nach draußen gehen, sich verabreden, Freunde sehen, ins Kino, was trinken gehen. Es wird laut telefoniert und lachend werden Verabredungen für den Abend getroffen. Für mich gilt das nicht. Nur noch Rashid helfen heute und dann wieder ab nach Hause, denke ich mir. Nada und ich haben schon lange keinen freien Abend mehr zusammen verbracht. Ich muss die Augen schließen, so grell treffen mich die Sonnenstrahlen im Gesicht. Das kleine Mädchen, das mir gegenübersitzt, lacht mich an. Mit ihren Fingern klopft es gegen die Scheibe, wie der Sekundenzeiger einer Uhr.

Ich steige an der Station aus und gehe eilig durch die Unterführung. Wie immer um die Mittagszeit staut es sich an den Rolltreppen, und ich nehme die Treppe trotz meiner schweren Beine. Ich rieche den Duft von Gebäck, Falafel und Döner und erst jetzt merke ich, wie hungrig ich bin. Heimlich hoffe ich, Nada hat gekocht, vielleicht das, was ich am liebsten esse, Spaghetti mit Shrimps oder eine Lasagne. Aber als ich in die Wohnung komme, ihren Namen rufe, fällt mir ein, dass sie selbst heute länger arbeiten muss. Trotzdem, Nada ist immer in der Wohnung, auch wenn sie gerade nicht da ist. Ihr Geruch ist überall. Man spürt sie in der sauberen Küche, in den Kipferln, die mit Schokoladencreme gefüllt auf dem Wohnzimmertisch stehen, auf den kleinen Zetteln, die sie mir hinterlässt.

»Im Kühlschrank ist ein Hühnchen, das darauf wartet gekocht zu werden«, lese ich auf einem gelben Post-it, das an der Garderobe klebt. Ich muss lachen, wasche mir die Hände und fange an. Es gibt nicht viel, das ich kochen kann, aber mein Hühnchen wird immer gut. Ich nehme es aus dem Kühlschrank und mache es sorgfältig sauber, schneide Zwiebeln und Kartoffeln und gebe alles in einen Plastiksack. Während das Hühnchen im Ofen schmort, bereite ich den Reis zu.

Nada kommt genau rechtzeitig zum Essen. »Du siehst müde aus«, sagt sie, nachdem sie das Hühnchen gelobt hat und ein Löffel Reis in ihrem Mund verschwindet. »Hast du schlecht geschlafen?«.

Ich traue es mich nicht, ihr zu sagen, dass ich seit Tagen schlecht schlafe, seit wir uns vor einer knappen Woche verlobt haben. Wie soll ich ihr das sagen? Dass da ein Knoten in meinem Kopf entsteht, wenn ich darüber nachdenke, wie Liebe auf Verantwortung trifft. Sie wartet auf meine Antwort und sieht mich lange an, während ich mir schnell meinen Mund mit Hühnchen und Reis fülle, um nicht antworten zu müssen.

»Ich bin nur müde«, sage ich, nachdem ich fertiggekaut habe, »nur müde, ich lege mich etwas hin.«

Wie wir nicht sind

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