Читать книгу Verfluchtes Taunusblut - Osvin Nöller - Страница 10

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12. Mai 2016

Björn schleppte sich die Treppe hinunter zum Erdgeschoss der Villa in Königstein, die er zusammen mit seiner Frau Tanja und dem Sohn Lars bewohnte. Aus dem Garderobenspiegel starrte ihn ein groß gewachsener, schlanker Mann aus blutunterlaufenen Augen an. Er hatte das Gefühl, dass jemand den kahlrasierten Schädel in einen Schraubstock eingespannt habe und ständig den Druck erhöhe.

Es musste sich vieles ändern! Doch wie oft hatte er sich das vorgenommen? Nach einem sekundenlangen Zögern betrat er die moderne Küche.

„Guten Morgen“, krächzte er, während sich sein staubtrockener Mund zusammenzog. Gierig sog er den Kaffeeduft ein, der den Raum ausfüllte, und setzte sich an den Tisch.

„Na, das scheint ja ein lustiger Abend gewesen zu sein! Du siehst umwerfend aus!“, ätzte Tanja.

Lars nickte ihm mit vollen Backen zu.

„Spar dir deinen Spott! Das Geschäftsessen hat länger gedauert als gedacht. Danach gab es einen letzten Drink an der Bar“, knurrte Björn und goss Kaffee in eine Tasse, die vor ihm stand. Er ärgerte sich, dass er auf den Vorwurf reagiert hatte und dadurch in die Defensive geraten war. Er trank einen Schluck.

„Waren bestimmt ein paar mehr Absacker!“, giftete sie weiter, ohne ihn anzusehen. „Lohnte es den Einsatz wenigstens?“

Er wusste, dass es sie nicht interessierte, was in der Firma geschah. Ihr einziges Interesse am Unternehmen beschränkte sich auf die finanzielle Absicherung, die es ihr bot. Er hatte nie versucht, dies zu ändern. Genauso hatte er es längst aufgegeben, Unmut darüber zu äußern, dass sie stetig zunahm und mit ihren 36 Jahren einen ansehnlichen Umfang erreicht hatte.

„Wir werden den Auftrag bekommen“, erwiderte er gleichgültig und schmierte sich ein Marmeladenbrötchen. Beim ersten Biss protestierte sein Magen derart heftig, dass er das Brötchen zurück auf den Teller legte.

Das angebliche Geschäftsessen bestand aus einer Pokerrunde, bei der er nahezu 5.000 Euro verloren hatte. Aus Frust war er anschließend durch verschiedene Bars gezogen.

„Deine Mutter hat angerufen. Es sei dringend. Du sollst so bald wie möglich zurückrufen“, richtete seine Frau ihm aus.

Welches Problem mochte Barbara haben? Es kam nicht oft vor, dass sie spontan anrief.

„Papa, ich hab eine Zwei in Mathe!“ Lars trank den Rest Kakao aus.

„Was? – Super!“ Björn strich ihm zärtlich über den Kopf. „Ich finde es toll, wie sehr du dich in letzter Zeit verbessert hast.“ Er überlegte. „Wollen wir beide zum Public Viewing ins Stadion nach Frankfurt fahren, wenn die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes EM-Spiel hat? Ich glaube, das ist am 12. Juni.“

„Europameisterschaft? Echt jetzt? Krass!“ Der Sohn strahlte ihn an.

Björn blickte zu Tanja. „Ich muss los, das Büro wartet.“

Er erhob sich schwerfällig, presste ein Lächeln heraus und verließ die Küche. Im Flur nahm er sein Jackett vom Bügel an der Garderobe, die Autoschlüssel und den Sender für die Garage, und eilte aus dem Haus.

Er stand vor dem sich öffnenden Garagentor, als sich ihm jemand von hinten näherte. Blitzartig fuhr er herum. Ein grimmig dreinschauender Koloss funkelte ihn an. Die grauen, im Nacken zusammengebundenen Haare verliehen ihm den Anschein eines Altrockers. Der Typ passte perfekt zu dem verkorksten Morgen.

„Hallo Schreiner, du hast mich vielleicht erschreckt! Was willst du hier?“

Der Mann grinste. „Nachdem Anrufe bei dir keinen Erfolg haben, komme ich halt persönlich, um dich an unsere Abmachung zu erinnern! Es ist demnächst Liefertag!“

Björn begann zu zittern. Der Kraftprotz trat einen Schritt auf ihn zu.

„Was, was meinst du? Du bekommst dein Geld. Hab noch ein paar Tage Geduld!“ Er wich in die Garage zurück.

Der Riese folgte ihm. „Es geht nicht um die Kohle. Ich krieg fünf Prozent Anteile an eurer Firma, so, wie wir es vereinbart haben! Und zwar hurtig!“ Er packte Björn an den Armen und drückte ihn gegen die Garagenwand. „Sonst werde ich ungemütlich!“

„Carlo“, Björn versuchte, ruhig zu bleiben, „du weißt, ich benötige die Zustimmung der Familie, das dauert ein wenig.“

„Kumpel, du brauchst zu lange!“, spie ihm der Angreifer entgegen, wobei einzelne Speicheltropfen in Björns Gesicht landeten. „Ich hab dir die 200.000 Euro vereinbarungsgemäß gegeben. Jetzt bist du dran! Du verarschst mich nicht weiter!“

Schreiner löste sich von ihm und ging einen Schritt zurück. Bevor Björn etwas erwidern konnte, schlug der Kerl ihm in die Magengrube. Der Hieb raubte Björn die Luft, er sackte zusammen und stöhnte.

„Das war die letzte Warnung. Ich erwarte deinen Anruf, wann wir zum Notar gehen können! Lass dir nicht zu viel Zeit, sonst komme ich wieder. Dann bin ich nicht so nett!“

***

Diana hatte das Gefühl, in dieser Nacht kaum geschlafen zu haben. Sie wälzte sich im Bett hin und her und grübelte über Kai nach. Hinzugekommen war eine ständig wachsende Unruhe vor ihrer Begegnung mit Julia.

Am Morgen schmerzten ihr alle Knochen. Sie überlegte kurz, ihren Mann anzurufen, beließ es aber bei dem Gedanken.

Sollte er ein wenig schmoren, denn sie ärgerte, dass er sich nicht gemeldet hatte und keine Sorgen um sie zu haben schien. Seufzend sendete sie ihm schließlich doch eine Kurznachricht: Bin angekommen. Wetter prima. Bad Homburg schön. Um 11 Uhr ist der Termin. Grinsend vermied sie Anrede und Absender. Er durfte ruhig merken, wie sauer sie war!

Das Frühstück rührte sie kaum an und bald war es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Die Arztpraxis lag 400 Meter entfernt in derselben Straße. Das Gewitter vom Vorabend hatte die Luft gereinigt, es hatte merklich abgekühlt.

Gemächlich ging sie an der Promenade entlang und wurde mit jedem Schritt langsamer. Tat sie das Richtige? Sollte sie nicht besser alles dabei belassen, wie es war? Was würde es ihr bringen, eine neue Familie kennenzulernen? Zweifel rasten durch ihren Kopf.

Letztlich gab sie sich einen Ruck und marschierte entschlossen das letzte Stück zur Praxis, die sich im Erdgeschoss eines Hauses aus der Gründerzeit befand. Diana klopfte an die Praxistür und betrat den Eingangsbereich. Hinter einem Empfangstresen saß eine Sprechstundenhilfe und schrieb etwas. Rechts von ihr waren zwei weiße Türen mit Behandlungszimmer 1 und Behandlungszimmer 2 beschriftet. Links führte eine Glastür in das Wartezimmer.

Beinahe hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht! „Guten Morgen“, grüßte sie stattdessen und stellte sich vor den Schalter.

„Einen Augenblick, ich bin gleich für Sie da“, entgegnete die Assistentin, ohne aufzusehen. Sie legte ihren Stift beiseite und warf eine Karteikarte in ein Körbchen neben ihr. Dann blickte sie auf. Sofort bildeten sich Falten auf ihrer Stirn.

„Oh, Frau Doktor!“ Sie hielt eine Sekunde inne. „Äh, oh, entschuldigen Sie“, stammelte sie und starrte Diana an.

„Mein Name ist Fiedler“, half diese ihr, „ich habe einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung.“

„Ja, äh, ach so. Einen Moment.“ Die Sprechstundenhilfe sah auf ihren Bildschirm. „Ja, da haben wir Sie. Würden Sie das bitte im Wartezimmer ausfüllen.“ Sie gab ihr ein Formular und einen Kugelschreiber. Erneut zögerte sie. „Besser, Sie nehmen dort kurz Platz.“ Sie zeigte auf einen Stuhl, der vor den Behandlungszimmern an der Wand stand.

Als Diana saß, sprang die Assistentin auf und eilte in eines der Sprechzimmer.

Wenig später erschien sie, gefolgt von einer Frau, die die Angestellte um eine Kopflänge überragte. Diana glaubte, in einen Spiegel zu sehen. Langsam erhob sie sich mit zittrigen Knien.

Julia trug einen weißen Arztkittel, ihre nackten Füße steckten in Sandalen und die Haare waren genauso zusammengebunden, wie es Diana zu tun pflegte, wenn sie arbeitete. Sogar die grünen Augen und der Leberfleck am Hals, den sich Diana im vorigen Jahr hatte entfernen lassen, waren identisch!

Die Ärztin schien irritiert. „Guten Morgen, Frau …“, sie schaute auf eine Karteikarte, „Fiedler.“ Ihre Stimme war einen Tick dunkler. „Kommen Sie bitte mit.“ Sie blieb einen Moment wie unschlüssig stehen, drehte sich ein wenig steif um und hielt die Tür zum Behandlungsraum 2 auf.

Er war mit einem Schreibtisch, vor dem zwei Hocker standen, einem gynäkologischen Stuhl, einer Liege und einem Wandschrank eingerichtet, wobei die Farbe Weiß dominierte.

Julia zeigte auf einen Besucherstuhl, ging um den Tisch herum, und setzte sich auf einen Drehsessel. „Wer sind Sie?“, fragte sie mit einem unsicheren Ton.

Dianas Hände waren klatschnass, in ihrem Magen brodelte ein Vulkan. „Ich bin Ihre …, deine Zwillingsschwester Diana.“ Sie nahm Gunters Mappe aus ihrer Handtasche.

„Ich habe keine Schwester“, entgegnete Julia mit ein wenig festerer Stimme.

„Das dachte ich bisher ebenfalls. Bis ich diese Unterlagen sah.“ Sie reichte ihr die Kopie der Urkunde zur Adoptionsfreigabe und die ihrer Geburtseintragungen, dazu den Bericht des Anwalts.

Die Ärztin las die Seiten langsam durch. Sie schien mehrmals zu beginnen. Endlich gab sie Diana die Blätter zurück, die auf dem Stuhl hin und her rutschte und die Finger fest verwoben hatte.

Julias Gesicht hatte jegliche Gesichtsfarbe verloren. „Ich muss gestehen, ich bin perplex. Wenn die Dokumente echt sind, …“ Sie brach den Satz ab, stand auf, ging zum Fenster, wo sie sich gegen die Fensterbank lehnte.

„Deine Ähnlichkeit ist frappierend“, duzte sie Diana erstmals. „Meine Assistentin kam völlig aufgelöst zu mir und behauptete, dass draußen eine Doppelgängerin säße.“

Diana wurde ruhiger. „Genau diesen Eindruck hatte ich, als ich dich gerade sah!“

Die Schwester schien zu überlegen und spielte mit ihren Haaren. „Ich gebe zu, dass mich das im Augenblick überfordert!“ Sie sah die Zwillingsschwester an. „Können wir uns später in Ruhe unterhalten? Das Wartezimmer ist voll. Wo wohnst du? Ist es möglich, dass wir uns am Abend sehen?“

„Ja, ich wollte bis Sonntag bleiben. Ich übernachte im Parkhotel.“ Sie stockte. „Könnte ich unsere Mutter treffen?“

Julia stutzte eine Sekunde. „Weiß ich nicht. Ihr geht es außerordentlich schlecht. Wie wäre es, wenn ich um 19 Uhr ins Hotel komme und wir zusammen essen gehen?“

Diana nickte und stand auf. „Gern.“

Ihre Schwester runzelte die Stirn. „Wie hast du es erfahren?“

Diana erzählte in wenigen Sätzen von Renates Besuch. Julia schüttelte den Kopf, nahm ein Taschentuch aus dem Kittel und wischte sich die Augen. Ihre Lippen bebten. „Sie ist tot!“

***

Björn saß am Schreibtisch und versuchte, der Übelkeit Herr zu werden. Auf der Fahrt in die Firma hatte er zweimal anhalten müssen, um sich zu übergeben. Im Büro tauschte er das verschmutzte Hemd gegen ein frisches, das für Notfälle immer im Schrank hing. Er war sich sicher, dass Tanja von dem Vorfall in der Garage nichts mitbekommen hatte. Außerdem war er froh, dass seine Sekretärin im Haus unterwegs gewesen war, als er eintraf.

Er hatte die Bürotür geschlossen. Um sich abzulenken, nahm er den Quartalsabschluss und überflog ihn kurz. Mit den Zahlen war er weitgehend zufrieden. Der Gewinn war allerdings in den ersten drei Monaten leicht zurückgegangen, was vor allem daran lag, dass sich die Kosten deutlich erhöht hatten.

Er wusste, dass er das in der Gesellschafterversammlung überzeugend zu erläutern hatte. Dies sollte ihm gelingen, wobei er den wahren Grund verschweigen musste. Er selbst war für den gestiegenen Aufwand verantwortlich, obwohl ihm die Steigerung ziemlich hoch vorkam. Eva Harms, die Leiterin der Buchhaltung, konnte ihm die Ursache sicher erklären. Den Bericht legte er in die oberste Schreibtischschublade.

Seine Kopfschmerzen wurden ein wenig schwächer. Mit zittrigen Händen wählte er Hugos Nummer, der schon nach dem ersten Klingelton abnahm. Björn berichtete ihm von Schreiners Besuch.

„Hugo, rede bitte mit dem Typ. Er muss sich gedulden!“, forderte er. „Ich benötige zunächst Barbaras Genehmigung, wie du weißt.“

„Vergiss es! Ich habe mit ihr gesprochen. Julia hat ihr von dem Investor erzählt und die Reaktion war eindeutig. Sie wird nie zustimmen!“

Er erschrak. Wie sollte er aus dieser Sache rauskommen?

Das war vermutlich der Grund für Mutters Anruf gewesen. Glücklicherweise hatte er bisher nicht zurückgerufen.

„Verdammt! Was mache ich jetzt?“ Die Kopfschmerzen verstärkten sich wieder. „Ich bin derzeit nicht in der Lage, Schreiner die Schulden zurückzahlen und ohne Barbaras Placet bekommt er keine Anteile.“ Er zögerte einen Moment. Entschlossener fuhr er fort. „Er muss sich ein paar Monate gedulden! Das Thema erledigt sich biologisch! Sie wird von Tag zu Tag weniger.“ Es überraschte ihn, wie leicht ihm die Worte über die Lippen kamen. Er hatte einen großen Respekt vor ihr, aber er spürte, dass sie mit dem Leben abgeschlossen hatte. Seine Probleme lösten sich demnächst in Luft auf! Ein Grinsen überzog sein Gesicht.

„Hugo, wenn sie tot ist, habe ich freie Bahn. Christian interessiert sich nicht für die Firma, solange er Geld erhält. Den bekomme ich auf meine Seite und damit kann mir Julia egal sein.“

„Sei nicht so optimistisch! Barbara sieht zwar schlecht aus, ist jedoch eine Kämpferin. Ich würde mir für Schreiner eine Lösung einfallen lassen. Der wartet nicht mehr lange, wie du bemerkt haben dürftest.“

Björn stutzte. „Du bist ein schöner Freund! Erst schleppst du mir den Vogel an und dann lässt du mich hängen“, beschimpfte er den Familienanwalt.

„Es reicht!“, entgegnete dieser barsch. „Ich hab dir nicht gesagt, dass du dir das Geld vorab leihen sollst. Ich bin ebenso wenig für deine Spielschulden verantwortlich! Das war zu verlockend für dich, oder? Sieh zu, wie du das allein hinbekommst!“

Das Klicken in der Leitung verriet ihm, dass Hausmann das Gespräch beendet hatte. Das Büro verschwamm vor seinen Augen und er schloss eine Schreibtischschublade auf. Er entnahm ihr einen Beutel mit weißem Pulver. Sorgfältig verteilte er es auf dem Tisch vor ihm. Kurze Zeit, nachdem er das Kokain geschnupft hatte, kehrten die Lebensgeister zurück.

Er stand auf, lief zum Fenster und starrte auf das Vordach der Produktionshalle, die sich dem neueren Verwaltungsgebäude direkt anschloss. Falls Barbara hinter sein Geheimnis käme, würde es ziemlich unangenehm für ihn werden!

***

Julia bog mit ihrem Opel Corsa in die Einfahrt des Lautrupschen Anwesens in der Kreuzallee ein. Das zweiflügelige Einfahrtstor war geöffnet und der Parkplatz leer. Alles schien wie immer zu sein.

Sie schloss die Tür zur Wohnung ihrer Mutter auf und eilte in die Bibliothek, wo sie Barbara vermutete.

Diese sah überrascht auf. Ihre geröteten Augen deuteten darauf hin, dass sie vor Kurzem geweint haben musste.

Julia ging zu ihr und nahm sie vorsichtig in den Arm, um sich danach in den zweiten Sessel neben sie zu setzen.

„Hallo, gibt es etwas Neues? Ist die Polizei noch da?“

Barbara hatte sie am Morgen in der Praxis angerufen und ihr mitgeteilt, dass die Putzfrau Renate tot in ihrem Wohnzimmer aufgefunden hatte. Mehr wusste sie bisher nicht.

Die Mutter schüttelte den Kopf. „Nein. Zwei Kommissare waren hier und haben mir Fragen gestellt. Ob sie Verwandte habe, mit wem sie befreundet sei und zum ganzen Drumherum hier. Sie gehen davon aus, dass sie gestern Abend gestorben ist. Was genau geschehen ist, wissen sie nicht.“ Sie schluchzte. „Warum sie? Wieso nicht ich?“

Sie faltete ein Taschentuch auseinander und schnäuzte sich die Nase, um sich sofort kerzengerade aufzurichten. „Die Beamten wollen wiederkommen. Christian war bis eben hier. Er ist ziemlich fertig.“

Julia nahm ihre Hand. „Was ist mit Björn? Weiß er es?“

Barbara nickte. „Er hat vor ein paar Minuten angerufen, nachdem ich ihn vor Stunden um einen Rückruf gebeten hatte. Es schien ihn nicht sonderlich zu berühren.“ Ihre Worte klangen bitter.

Julia fröstelte es und sie überlegte fieberhaft, wie sie ihr eigentliches Thema beginnen konnte. Es war sicher unfair, es in dieser furchtbaren Situation anzuschneiden, aber es half nichts! Sie musste Gewissheit erlangen! Schließlich trat sie die Flucht nach vorne an. „Wieso hast du mir nie erzählt, dass ich eine Zwillingsschwester habe?“

Barbara schaute sie mit großen Augen an. Sie knetete hektisch die Hände. „Wie kommst du darauf?“, fragte sie in ruhigem Ton.

„Meine Schwester Diana war heute Vormittag in der Praxis und hat mir die frohe Botschaft überbracht! Jetzt sag endlich, was das zu bedeuten hat! Warum hatte ich keine Ahnung?“

Die Mutter atmete tief ein, sah zum Fenster und Julia befürchtete zunächst, dass sie nicht antworten würde. Plötzlich ging ein Ruck durch sie und Julia glaubte einen Moment, ein zartes Lächeln gesehen zu haben.

„Es war sicher ein Fehler, dass wir dir nichts davon gesagt haben. Anfangs gab es widrige Umstände, irgendwann, befürchte ich, war es zu spät. Ich weiß nicht, ob du mir glaubst, dass ich mir fest vorgenommen hatte, dir alles zu erzählen, bevor ich endgültig gehe. Mir fehlte bisher allein der Mut.“ Sie tupfte sich mit einem Taschentuch die Lippen ab. Mit einem Mal klang sie eifrig. „Woher kam sie? Wie hat sie dich gefunden? Ist sie noch da?“

Julia schaute sie nachdenklich an. „Ja, sie ist in der Stadt. Ich treffe sie heute Abend.“ Dann berichtete sie, was ihr Diana erzählt hatte. Barbara legte die Stirn in Falten.

„Was ist das für ein Wahnsinn? Wie kam Renate an die Informationen? Warum hat sie mir nichts gesagt?“ Sie strahlte plötzlich. „Sie hat es mir zuliebe getan!“ Ein Schatten überzog ihr Gesicht. „Jetzt ist sie tot und ich kann mich nicht einmal bedanken!“

Julia überging ihr Selbstmitleid. Sie war überrascht, wie standhaft ihre Mutter die Ereignisse, zumindest äußerlich, verkraftete, befürchtete sie doch jeden Moment, dass ein Zusammenbruch bevorstehen könnte. Derzeit erfüllte das Adrenalin in den Adern seine Aufgabe. Obwohl sie ein schlechtes Gewissen bekam, musste sie dies ausnutzen, um mehr zu erfahren. „Weshalb gabst du sie zur Adoption frei?“

„Hat sie sich nach mir erkundigt? Wie ist sie?“, ignorierte die Kranke die Frage. Ihre Stimme zitterte ein wenig.

„Ja, sie hat gefragt, ob sie dich treffen könne. Ich weiß nicht. Willst du das denn? Noch einmal, warum hast du sie damals weggegeben?“

Die Mutter lächelte und entspannte sich merklich. Sie rutschte kaum sichtbar hin und her. Julia erahnte ihre Schmerzen. „Du triffst sie und lernst sie kennen. Ich möchte sie unbedingt sehen! Lade sie für morgen Abend ein und komm mit ihr hierher. Dann erkläre ich euch alles. Verzeih mir, mein Kind.“ Sie lehnte sich zurück.

Julia kannte sie und begriff, dass sie in diesem Moment nicht mehr sagen würde.

„Endlich kann ich gehen“, hauchte Barbara.

Es klingelte. Julia erhob sich und ging zur Haustür, vor der zwei Männer standen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der eine war ein glatzköpfiger Riese mit einem massigen Körper und einem grauen Vollbart. Er steckte in einem dunklen Anzug und einem weißen Hemd mit einer einfarbig dunkelgrünen Krawatte. Sie schätzte ihn auf um die Fünfzig. Der andere schien ein paar Jahre jünger zu sein, war dürr wie ein Spargel, höchstens einen Meter siebzig groß und damit einige Zentimeter kleiner als sie selbst. Seine schwarzen, gewellten Haare reichten ihm bis zu den Schultern. Er trug eine dunkelblaue Jeans, ein beiges Shirt und Sportschuhe.

Der Ältere ergriff das Wort und wie auf Kommando zeigten beide ihre Ausweise vor. „Guten Tag, ich bin Kriminalhauptkommissar Harald Berger.“ Er deutete auf den Begleiter. „Das ist mein Kollege, Kriminaloberkommissar Martin Schubert. Mit wem haben wir das Vergnügen?“

Sie stellte sich kurz vor und führte die Beamten in die Bibliothek.

„Frau Lautrup, wir müssen sie leider noch einmal belästigen“, begann der Beamte, nachdem er sich in den zweiten Sessel hatte fallen lassen. Julia, die neben Schubert stehen blieb, wunderte sich, dass das Möbelstück unter dem Gewicht des Hauptkommissars nicht zusammenbrach.

Barbara sah die Polizisten mit wachem Blick an, als Schubert Berger eine Mappe gab.

Dieser blätterte einen Moment scheinbar zufällig darin. „Sagen Sie, warum könnte die Verstorbene Unterlagen über den Absturz Ihres Mannes gesammelt haben?“ Er zeigte auf den Ordner, wobei seine Stimme unbeteiligt klang.

Barbaras Augen wurden ein wenig schmaler. Sie schüttelte den Kopf. „Weiß ich nicht. Woher haben Sie das?“

„Aus ihrer Wohnung. Auffällig erscheint uns, dass es handschriftliche Notizen gibt, aus denen wir schließen, dass sie den Verdacht hatte, das Unglück könne mutwillig herbeigeführt worden sein. Wollen Sie uns bitte berichten, was damals geschah?“

Barbara sah den Kommissar fest an. „Das ist schnell erzählt. Karl-Heinz litt unter einer hochgradigen Nussallergie. Er wollte an diesem Tag einen Rundflug vom Flugplatz Anspach aus über den Taunus und Westerwald unternehmen. Die Maschine ist direkt vor der Landung am Großen Feldberg abgestürzt. Später hat man festgestellt, dass er etwas Nusshaltiges gegessen haben musste und bewusstlos wurde. Die Polizei vermutete einen Unfall und stellte die Ermittlungen ein. Da gibt es sicher eine Akte bei Ihnen.“ Sie hustete.

Berger nickte. „Die haben wir angefordert. Was haben Sie denn damals gedacht?“

Barbara schwieg einen Moment, als ob sie nachdachte. Julia beobachtete sie und wurde das Gefühl nicht los, dass sie irgendetwas verschwieg. „Ich konnte mir das nicht vorstellen. Karl-Heinz kannte seine Allergie und verhielt sich äußerst penibel. Er hatte beim Fliegen stets zwei Schokoriegel dabei, immer dieselbe Sorte, die ganz bestimmt keine Nüsse enthielt. Mehr nicht.“

„Hat Frau Hubert Zweifel geäußert oder einen Verdacht erwähnt?“

„Renate war von Anfang an der Meinung, dass jemand nachgeholfen habe. Eine Weile hat sie versucht, mir das einzureden. Ich glaubte das nie, denn wer sollte so etwas tun?“

Berger gab sich zufrieden und wandte sich an Julia. „Was wissen Sie darüber?“

„Nichts, was über das hinausgeht, was meine Mutter erzählt hat.“ Was bezweckten die Beamten? Sie spürte zwar eine gewisse Neugier, wurde jedoch auch zunehmend verwirrter.

Der Kommissar gab Schubert den Hefter zurück und nahm eine Fotografie aus der Innentasche seines Jacketts. Die Bildqualität ließ den Schluss zu, dass es sich um eine ältere Aufnahme handelte.

„Kennen Sie dies? Können Sie mir sagen, wer die Leute darauf sind?“ Er hielt Barbara das Foto hin. Sie zuckte einen winzigen Augenblick zusammen, als sie es betrachtete, um sich sofort wieder in den Griff zu bekommen.

Julia stellte sich hinter sie. Fünf Personen standen vor einem Haus, das sie nicht kannte. Zwei Männer und drei Frauen, alle ungefähr zwanzig Jahre alt. Die Jungen trugen schulterlange Haare, Bärte und weit ausgeschnittene Hosen. Die Kleidung der Mädchen bestand aus sehr kurzen Röcken und bunten Blusen.

„Woher haben Sie das?“, fragte Barbara leise. „Kann sein, dass ich es mal gesehen habe. Das sind Karl-Heinz und ich, sowie Renate und unser Freund Hugo Hausmann.“ Sie deutete auf eine Rothaarige in der Mitte. „An die erinnere ich mich nicht. Wir vier waren damals eine Clique und dauernd unterwegs. Wird irgendeine Bekannte von Hugo sein. Keine Ahnung! Wissen Sie, das muss in den Siebzigern gewesen sein. Wo haben Sie es denn gefunden?“ Julia war sich jetzt sicher, dass ihre Mutter nicht alles preisgab, was sie wusste.

Berger runzelte die Stirn. Ob er Barbaras kurze Veränderung beim Blick auf das Bild wahrgenommen hatte?

„Das lag im Wohnzimmer unter dem Sofa. Nicht weit von der Toten entfernt. Okay, lassen wir das.“ Er steckte das Foto ein.

Julia wurde es zu viel. „Sagen Sie, meine Herren, warum stellen Sie diese Fragen?“

Der Kommissar überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete. „Es tut mir leid, wir müssen Ihnen mitteilen, dass ihre Freundin getötet wurde. Jemand hat sie mit einem Sofakissen erstickt!“

***

Auf dem Rückweg zum Hotel schwirrte Diana der Kopf. Das Treffen mit ihrer Schwester war aus ihrer Sicht besser als erwartet verlaufen. Sie hatte das Gefühl, dass Julia ähnlich überrascht gewesen war wie sie selbst nach dem Besuch von Renate Hubert in der vergangenen Woche. Allerdings hatte Diana die Nachricht über deren Tod aus der Bahn geworfen. Die Frau, die ihr Leben durcheinandergebracht hatte, war gestorben!

In ihrem Hotelzimmer angekommen, legte sie sich auf das Bett und grübelte. Sie wusste nicht, wohin das führen würde, spürte nur einen ständig größer werdenden Willen, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Es war für sie äußerst wichtig, ihre leibliche Mutter und ihre Brüder kennenzulernen. Sie musste erfahren, was damals passiert war und warum es geschah. Das war Barbara Lautrup ihr schuldig! Es wurde ihr mulmig, denn sie wurde den Eindruck nicht los, dass hier eine Welle auf sie zurollte und es längst zu spät war, dieser auszuweichen.

Ihr Telefon klingelte, es war Kai. Zögerlich nahm sie das Gespräch an. Er erkundigte nach dem Treffen. Ihren kurzen Bericht schloss sie mit der Nachricht, dass Renate verstorben sei.

Es war einen Moment still in der Leitung. „Das ist ja ein Ding! Wieso tot?“

Was war das für eine Reaktion? Sie hätte ein wenig Mitgefühl erwartet und zwang sich, ruhig zu bleiben.

„Sie wurde heute tot aufgefunden. Ich finde das alles seltsam. Kommt dir das nicht merkwürdig vor?“

Er schien zu überlegen. „Ja, doch. Da siehst du mal, was es für Zufälle gibt.“ Die Antwort klang in ihren Ohren gleichgültig.

Plötzlich begann er von den begonnenen Renovierungen an der Außenfassade seiner Apotheke zu erzählen. Sie hörte die Worte, ohne den Inhalt aufzunehmen. Zum einen drifteten ihre Gedanken ständig ab, außerdem bemerkte sie erneut, wie gering sein Interesse an ihren Gefühlen war. Nach ein paar weiteren Floskeln beendeten sie das Telefongespräch. Der Kloß in ihrem Hals ließ sich nicht runterschlucken, ihre Augen wurden glasig. Unvermittelt öffneten sich alle Schleusen und sie weinte hemmungslos.

***

Julia betrat pünktlich um 19 Uhr die Lobby des Hotels. Sie schlug Diana vor, zu Sänger's Restaurant zu gehen, das ein Stück entfernt in derselben Straße lag.

Beim Betreten des Lokals begrüßte sie die Chefin mit Handschlag.

Diana gefiel die Wohnzimmeratmosphäre mit den weißen Stuckdecken. Eine Kellnerin führte sie zu einem abseits stehenden Tisch. Nach einem kurzen Blick in die Karte bestellten sie ein Menü.

Sie nippte an einem Glas Sekt, das sie sich als Aperitif gönnte und beobachtete ihre Schwester, als diese von ihrem Besuch bei Barbara erzählte. Ein eiskalter Schauer durchlief sie, als sie erfuhr, dass Renate ermordet worden war. Hatte das mit ihr zu tun? Schließlich geschah die Tat am Tag ihrer Ankunft! Sie wischte sich die feuchten Hände an den Jeans ab.

Julia schien die Veränderung bei ihr bemerkt zu haben. „Wir sind mindestens genauso geschockt wie du. Mutter kann es überhaupt nicht fassen. Wer macht so etwas?“ Die letzte Frage stellte sie eher sich selbst.

Diana atmete tief ein und versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich wieder auf ihre Zwillingsschwester konzentrierte.

Wie vertraut sie ihr vorkam. Sie hatte sich in ihrer Kindheit immer eine Schwester gewünscht. Jemand, mit dem sie hätte Geheimnisse haben können. Klar gab es Freundinnen, doch das war nicht dasselbe gewesen.

Julia riss sie aus ihren Gedanken. „Was machst du eigentlich? Beruflich, meine ich.“

Sie lachte. „Ich bin auch Ärztin, kümmere mich in einer eigenen Praxis in Celle um Kinder und Jugendliche.“

„Hast du Geschwister?“

„Nein.“ Sie erzählte vom Autounfall ihrer Eltern, als sie zehn Jahre alt war. „Ich bin bei den Großeltern väterlicherseits aufgewachsen. Die haben, so gut es ging, versucht, mir Papa und Mama zu ersetzen. Sie besaßen einen Obst- und Gemüseladen.“

„Oh, das war bestimmt nicht einfach.“

„Ja, das Geschäft hat sie sechs Tage die Woche auf Trab gehalten. Am Sonntag wurde die Buchhaltung gemacht. Ich durfte auch oft helfen.“ Sie verzog das Gesicht.

„Trotzdem musst du ein Bombenabitur geschafft haben, sonst hättest du keine Ärztin werden können!“

„Ja, die Schule fiel mir zum Glück leicht.“

„Leben sie noch?“

„Nein, sie sind 2001 und 2003 gestorben. Erst Oma, später Opa.“ Sie zögerte. „Bist du eigentlich verheiratet?“

„Hat sich nicht ergeben. Der Richtige wurde bisher nicht gebacken.“ Julia lachte. „Ich bin genug mit meinen Projekten beschäftigt. Ich kümmere mich um Flüchtlinge. Das kostet neben der Praxis ziemlich viel Zeit.“

Die Atmosphäre entspannte sich zunehmend. Sie wechselte das Thema. „Erzähl mir von Mutters Krankheit.“

Julia schilderte, dass bei Barbara vor fast zwei Jahren bei einer Routineuntersuchung eine akute Leukämie festgestellt worden sei. Sie erhielt daraufhin eine Chemotherapie. Nachdem diese und eine erneute Behandlung nicht anschlugen, spendete ihr Julia Knochenmark. Zunächst sah es danach aus, als ob sie gesund werden könnte, bevor sie vor drei Monaten einen Rückfall erlitten habe. Diesmal gestalte sich der Krankheitsverlauf deutlich aggressiver.

„Sie hat beschlossen, auf eine weitere Therapie zu verzichten. Alles Zureden meinerseits hat nicht geholfen.“ Sie machte eine kurze Pause und sah aus dem Fenster. „Sie möchte dich übrigens morgen treffen. Falls es bei dir passt, fahren wir am Abend zu ihr.“

Genau das hatte Diana gehofft. Es tat bereits jetzt weh, ihre Mutter, von der sie erst vor wenigen Tagen erfahren hatte, so schnell zu verlieren. Sie verstand deren Entscheidung, zumindest menschlich.

„Wer ist unser Vater?“, wechselte sie erneut das Thema, nachdem sie ein köstliches Stück Zander gegessen hatte.

„Ich hoffe Karl-Heinz Lautrup“, lachte ihre Schwester. Dann wurde sie sofort ernst. „Er ist tot.“

Sie erzählte von dem Flugzeugabsturz und erwähnte die Fragen der Kommissare.

Dianas Augen weiteten sich. Sie nahm den Zeitungsartikel aus ihrer Handtasche, den ihr Renate gegeben hatte.

„Schau dir das an. Frau Hubert glaubte bis zuletzt nicht an einen Unfall!“

Julia las den Artikel. „Das ist eindeutig ihre Handschrift. Sie hatte von Anfang an eine Verschwörungstheorie. Mutter will davon nichts hören. Ich glaube ebenfalls, dass es ein Unglück war.“ Sie gab ihr die Seite zurück.

Der Nachtisch wurde gebracht und beide schwiegen, während sie ihr Himbeerparfait aßen.

Die Unterhaltung wurde immer lockerer, bald unterhielten sie sich über Gott und die Welt.

Nach der zweiten Flasche Rotwein bemerkte Diana, dass ihr langsam schwindlig wurde. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und erschrak. Es war 22 Uhr. Drei Stunden waren verflogen, von denen sie keine Minute bereute.

Sie bezahlten, gingen ins Hotel und verabschiedeten sich im Foyer voneinander.

„Ich hole dich um 18 Uhr hier ab. Ist das okay?“, fragte Julia auf dem Weg zum Taxi, das vor dem Eingang wartete.

„Ja, prima, ich werde da sein.“ Sie zögerte. „Das war trotz aller ernsten Themen ein wunderbarer Abend!“

Ihre Schwester nahm sie in den Arm und flüsterte: „Sehe ich genauso.“

***

Eva Harms kraulte Björns Brust. „Willst du den Investor wirklich in die Firma bringen?“

Wieso erinnerte sie ihn jetzt an Schreiner? Er hatte ihn gerade aus den Gedanken verbannt.

„Sag mir eine andere Lösung! Ich muss meine Schulden begleichen und das ist der einfachste Weg. Fünf Prozent tun uns nicht weh.“ Er strich ihr über den Kopf.

„Ich habe das Geld angewiesen! Warte noch ein paar Tage, dann kannst du den Typen ausbezahlen. Es ist kaum möglich, in Luxemburg Beträge in der Größenordnung bar abzuheben. Die sind ziemlich pingelig geworden. Kenne zum Glück dort Leute!“ Sie rekelte sich. „Wenn der die Kohle hat, bist du raus aus der Nummer.“

„Der hält nicht mehr lange still. Das hat er mir bei seinem Besuch heute sehr deutlich gemacht! Ich hab einen Schuldschein unterschrieben und ihm darin zugesagt, Anteile zu übertragen. Falls er zu Mutter rennt, bin ich geliefert. Die ist ohnehin in letzter Zeit schwierig.“

„Die Beteiligung hat keine Bedeutung! Mit deiner Zusage wird er schwerlich was anfangen können. Verklagen wird er dich wohl kaum.“ Sie schien kurz zu überlegen. „Willst du nicht mit ihr reden? Möglicherweise kannst du sie von der Expansion überzeugen. Die Idee hat was und funktioniert vielleicht ohne Investor.“

Sie setzte sich auf und schaute ihn an. Ihre schulterlangen schwarzen Haare umspielten ihr makelloses Gesicht. Sie straffte ihren schlanken Körper, wodurch die kleinen Brüste noch fester wirkten.

Was für eine wunderschöne Frau, schoss es ihm durch den Kopf. Er war froh, sich auf sie eingelassen zu haben. Die Initiative war von Eva ausgegangen. Er hatte sich anfangs sogar eine Weile geziert. Vor wenigen Tagen hatten sie den ersten Jahrestag in ihrer Wohnung stürmisch gefeiert.

„Mit ihr zu reden, ist reine Zeitverschwendung. Sie ist stur wie ein Esel. Schreiner will die Anteile, und zwar jetzt! Wann bekomme ich das Geld?“

„Übernächste Woche.“

„Das ist zu spät. Ich brauch es spätestens am kommenden Montag. Versuch alles. Übrigens, die Kosten sind zum Quartal ziemlich gestiegen. Das dürfte nicht nur mit unseren Zusatzausgaben zusammenhängen. Was ist da los?“

Sie stutzte und wandte sich einen Augenblick von ihm ab. „Es sind deine privaten Nebenausgaben! Kann ich im Moment nicht beantworten, schaue ich mir morgen an.“

Björn setzte sich. „Habe ich ganz vergessen: Renate Hubert, Mutters Freundin, ist gestern ermordet worden!“

Sie riss die Augen auf. „Umgebracht? Das gibt es nicht! Weiß man, wer es war?“

Er nahm einen Schluck aus dem Champagnerglas, das auf dem Nachttisch neben ihm stand. „Nein, glaube nicht. Frage mich ohnehin, wer dieser langweiligen Schabracke das Licht ausgeknipst hat.“ Er grinste. „Barbara ist auf jeden Fall total fertig.“

Verfluchtes Taunusblut

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