Читать книгу Die Verschwörung der Schatten - Otto Eicke - Страница 6
2. Die ‚Unsichtbaren‘
ОглавлениеAm andern Tag ritten wir auf leidlich gebahnten Pfaden den Bergen zu, über die unser Weg nach dem persischen Hochland führte. Halef wandte sich bisweilen im Sattel zurück. Dann ließ er wieder den Blick nach den fernen Gipfeln schweifen und atmete tief wie einer, der eine Last von sich abgleiten fühlt. Er, der sonst allzeit Redselige, war auffällig schweigsam. Es musste ihn ein Gedanke beschäftigen, der Zeit brauchte, sich in seinem Kopf zu gestalten.
Und richtig! Als der Weg eine Krümmung machte, die uns den Blick auf die tiefer liegende Küstenlandschaft freigab, warf er die Rechte freudig in die Luft und strahlte mich an.
„Hamdulillah! – Preis und Dank sei Allah, dass endlich diese Niederungen des Fiebers und diese Ebenen der bösen Dünste überwunden sind! Mein Geist frohlockt und mein Körper dehnt sich wieder frei wie die Blüte des roten Mohns, wenn sie die Knospenhülle gesprengt hat. Fühlst du nicht auch, Sihdi, wie rein hier oben die Luft ist?“
„Gewiss“, nickte ich. „An der Küste ist kein gesundes Hausen. Hoffentlich zeigt sich bei uns nicht nachträglich noch eine schlimme Folge unseres kurzen Besuchs da unten.“
„O Sihdi, meine Gesundheit ist so frisch wie der Tag bei Sonnenaufgang und so unverwüstlich wie ein Gebetsteppich aus Farsistan33, und ich hoffe, du wirst die deinige nicht geringer einschätzen.“
Ich lächelte. Er aber deutete das Lächeln falsch und zog die Brauen hoch.
„Ich sehe in deinen Augen die Funken des Gelächters und in deinem Gesicht die Falten der Heiterkeit, Sihdi. Willst du in die Untugend der Zaghaftigkeit und in das Laster der Undankbarkeit verfallen, in dem du deiner und meiner Gesundheit misstraust? Erinnere dich, was wir ihr zugemutet haben und welche Probleme sie schon bestanden hat!“
„Hm! Denk an die Tage mit Hassan Ardschir Mirza, an unsere Krankheit bei den Ruinen des Turms zu Babel!34 Da hatte die Pest unsere Gesundheit in den Krallen wie der Geier die Taube und...“
„Grad daran denke ich“, unterbrach er mich. „Der Geier konnte die Beute nicht halten und die Taube flog froh und lebendig davon. Hast du das vergessen, Sihdi?“
„Ich weiß es. Der Allmächtige rettete uns damals aus schwerster Gefahr. Hoffen und vertrauen wir, dass er seine Hand auch ferner über uns hält!“
Das sagte ich nicht ohne Grund. Ich wusste, dass bisweilen schon ein Aufenthalt von wenigen Stunden in diesen ungesunden Küstenstrichen genügt, um auch in einen widerstandsfähigen Körper den Keim des tückischen Fiebers zu verpflanzen. Noch lag kein Anzeichen vor, das meine Bedenken gerechtfertigt hätte. Im Laufe des Tages aber wuchs meine Besorgnis. Ich selber spürte, obwohl die Sonne beträchtlich warm auf unseren schattenlosen Pfad niederbrannte, von Zeit zu Zeit ein leises Frösteln, das mir eine Gänsehaut über den Leib jagte, und Halef griff bisweilen nach seiner Stirn, als gelte es, dort etwas wegzuwischen, was ihm Unbehagen verursachte.
„Hast du Kopfschmerzen?“, fragte ich ihn, als er die verdächtige Gebärde immer und immer wiederholte.
„Wo denkst du hin, Sihdi?“ Dabei richtete er sich stramm im Sattel auf. „Ich bin Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn vom tapferen Stamme der Schammar. Kann ein solcher Mann Kopfschmerzen haben wie ein altes Weib, dem ein Dschinn35 hinter der Stirn sitzt und versucht, mit einem Hammer die Runzeln und Falten, die Verderber der Schönheit, von innen glatt zu klopfen?“
Ich war geneigt, mich zufrieden zu geben. Wenn Halef in dieser Weise mit seinem Mutterwitz liebäugelte, konnte er sich nicht ernstlich krank fühlen. Aber ich war doch darauf bedacht, die nötige Vorsicht nicht außer Acht zu lassen. Darum machte ich an diesem Tag zeitig Rast. Auch am nächsten Nachmittag sah ich mich beizeiten nach einem geschützten Ort um, wo uns der Nachtwind nicht treffen konnte.
Indem ich das vor uns liegende Gelände prüfend überschaute, bemerkte ich auf dem nächsten Bergrücken eine Senkung, ähnlich den Passkerben im eigentlichen Gebirge. Dort schien es zur Rechten hohe Felswände, zur Linken aber dichten Wald zu geben. Das musste ein Lagerplatz sein, wie wir ihn brauchten. Auch vermutete ich, dass das kleine Wasser, dessen Lauf wir seit einiger Zeit folgten, da oben seinen Ursprung hatte, sodass es uns für die Rast an nichts fehlen würde.
Meine Vermutungen bestätigten sich. Das Wasser führte uns hinauf zu dem erwähnten Pass. Nur erreichten wir ihn nicht so zeitig, wie ich gedacht hatte. Es dämmerte bereits, als unsere Pferde das letzte Stück der Steigung erkletterten.
Ich schwang mich aus dem Sattel, um meinem Tier das Steigen zu erleichtern. Halef folgte meinem Beispiel. Wir schritten jetzt durch einen regelrechten Wald, für die persische Landschaft eine Seltenheit, denn fast nur die Küstengebirge zeigen hier solchen Baumbestand. Die Stämme und Wipfel hinderten die Fernsicht, ein Umstand, der uns in dieser Gegend, wo jedes Zusammentreffen mit Mensch oder Tier eine Gefahr bedeuten konnte, zur Vorsicht mahnen musste. Bisher hatte ich, alter Gewohnheit folgend, ständig nach Spuren ausgeschaut, hatte aber nichts Verdächtiges entdeckt. Nun machte die rasch hereinbrechende Dunkelheit diesem Spähen ein Ende. Da ich jedoch damit rechnen musste, dass uns von der anderen Seite des Passes Menschen entgegenkamen, strengte ich mein Gehör scharf an und vermied auch jede Unterhaltung mit Halef.
Und schon wurde diese Vorsicht belohnt. Vor uns erklang plötzlich ein lauter Ruf. Eine andere Stimme antwortete. Genau zu verstehen war nichts. Dazu befanden sich die Rufenden wohl noch zu fern. Auch verwehte der Wind, der sich pünktlich mit Sonnenuntergang erhob, den leichten Schall. Sogleich wendete ich mich zu Halef um und hob warnend die Hand.
„Vorsicht! Es kommen Menschen.“
„Ich hörte zwei Männer miteinander reden“, gab Halef leise zurück. „Verstecken wir uns?“
„Ja! Rasch dahinüber in die Büsche! Da drüben sind wir sicher. Sie werden den Weg hier am Wasser nehmen. Schnell, mir nach!“
Ich drang rechts in das Gesträuch und zog das Pferd hinter mir her. Halef folgte so geschwind wie möglich. Das ging freilich nicht ohne Geräusch ab. Zweige raschelten, Ästchen knackten. Sobald ich uns geborgen glaubte, hielt ich an.
„Sie werden uns dennoch entdecken“, flüsterte Halef. „Das Rascheln und Knacken...“
„...haben sie nicht gehört. Sie sind noch zu fern.“
„Und unsere Spuren?“
„Die finden sie erst recht nicht. Sieh, wie dunkel es schon ist! Und die Leute da vor uns sind keine nordamerikanischen Indianer, von denen ich dir erzählt habe, dass keine noch so schwache Fährte ihren Augen entgeht. – Und nun schweig! Sie müssen bald vorüberkommen. Ich will wissen, wer die Leute sind.“
Wir lauschten angestrengt, hörten aber nichts. Alles blieb still. Ab und zu ging ein leises Rauschen durch die Baumkronen. Der Bach gluckste und murmelte. Sonst kein Laut. So verstrichen einige Minuten. Ich wurde bedenklich und horchte womöglich noch schärfer um mich. Hatten die Unbekannten unsere Anwesenheit etwa doch entdeckt? Verhielten sie sich darum so ruhig? Beschlichen sie uns vielleicht gar, um Näheres über uns zu erkunden? Ein Gefühl der Unsicherheit und des Unbehagens stieg in mir auf. Ich sah, dass Halef den Blick fragend auf mich richtete. Er bewegte die Lippen.
„Die Männer kommen nicht“, hauchte er. „Wenn sie uns nun...“
„Pst!“
Oben vom Pass her erklang wieder das Sprechen.
„Sie halten dort und reden miteinander“, meldete sich Halef, als die fernen Laute wieder verstummten.
„Ja. Der Schall kommt noch vom gleichen Fleck und aus gleicher Entfernung wie vorher“, bestätigte ich. „Entweder beraten sie sich über den Weg oder sie wollen im Pass lagern. Es ist grad die richtige Zeit dazu und diese Leute werden wohl auch herausgefunden haben, dass dort ein besonders geeigneter Rastplatz ist.“
„So soll sie der Scheitan36 fressen, diese Söhne der Anmaßung und Enkel der Dreistigkeit! Was können sie einen Ort für sich beanspruchen, den wir schon für uns ausgesucht haben! Was tun wir nun?“
„Ich werde mich anschleichen, um zu erfahren, mit wem wir es zu tun haben. Vielleicht sind die Leute vor uns friedliche Reisende wie wir. In diesem Fall zeigen wir uns ihnen und teilen mit ihnen den Platz.“
„Und wenn es keine friedlichen Reisenden sind, sondern kurdische Räuber und Diebe? Oder persische Wegelagerer? Oder – oder – höre, Sihdi, mir kommt da ein Gedanke, den du gewiss nicht zurückweisen wirst! Wenn es sich nun etwa gar um Schmuggler handelt, um Leute vom Geheimbund der Sillan?“
„Wie kommst du auf die Sillan?“
„Weil wir immer mit ihnen zusammenstoßen, seitdem wir an jenem Abend am Tigris die Bekanntschaft des Pädär-i-Baharat machten. Ist hier nicht jeder zweite Mensch, dem man begegnet, ein Sill? Sag, ob ich Unrecht habe!“
„Ob du Recht hast oder nicht, werde ich sogleich erfahren. Ich gehe jetzt und du bleibst bei den Pferden.“
„Nimm mich mit, Sihdi! Wie leicht kannst du in eine Gefahr geraten, aus der nur dein Freund und Beschützer Hadschi Halef Omar dich zu retten vermag.“
Mit dieser Bitte hatte ich gerechnet. Halef war ehrgeizig und über die Maßen tatenlustig. Wo es ein Abenteuer zu bestehen gab, wollte er dabei sein. Das hatte mich schon oft in Verlegenheit gebracht, denn der Tatendrang des Kleinen war leider nicht mit der nötigen Vorsicht gepaart. Darum ließ ich ihn gar nicht erst weiterreden. Er hätte sonst gewiss nichts unversucht gelassen, mich umzustimmen, und ich fürchtete meine Nachgiebigkeit seinem treuherzigen Bitten und Betteln gegenüber.
„Nein, Halef“, sagte ich, „es geht nicht. Unsere wertvollen Pferde dürfen nicht ohne Bewachung bleiben, ebenso meine Gewehre, die mir beim Anschleichen hinderlich wären. Und in wessen Obhut wäre so kostbarer Besitz sicherer als in der meines treuen Halef?“
So oft erprobt der Kniff auch war, den ich hier anwandte, er wirkte doch. Halef schmunzelte. Er sah sich auf einen wichtigen Posten gestellt. Das genügte seinem stark ausgeprägten Stolz als Mann und Krieger.
„Ja, Sihdi“, nickte er, „geh getrost allein! Die Pferde und die Gewehre sind bei mir so sicher wie im Schoß Ibrahims37. Und sollten dich diese Leute da oben etwa feindselig behandeln, so werde ich unter sie fahren wie el Büdsch38 unter den erschreckten Taubenschwarm.“
„Keine Unvorsichtigkeit!“, warnte ich. „Diese Männer werden mich nur zu sehen bekommen, wenn ich erkenne, dass uns von ihnen keine Gefahr droht. Du bleibst auf alle Fälle ruhig in deinem Versteck! Nur wenn ich nach Verlauf von mehreren Stunden noch nicht wieder bei dir sein sollte, magst du nachschauen, was mir zugestoßen ist.“
Ich übergab Halef den Bärentöter und den Henrystutzen, schob Revolver und Messer tiefer in den Gürtel, um sie beim Kriechen nicht zu verlieren, legte den hellen Haïk39 ab und trat meinen Spähergang an, indem ich, sorgsam jedes Geräusch vermeidend, den Hang emporkletterte.
Eine Strecke weit konnte ich mich getrost aufrecht fortbewegen. Dann aber hörte ich vor mir immer deutlicher den wechselnden Laut mehrerer Stimmen. Ich näherte mich rasch dem Lagerplatz der Männer, die es zu beschleichen galt. Dass sie wirklich hier lagerten, war mir jetzt schon klar. Durch die immer dünner werdende Wand des Gesträuchs, das mich von den Unbekannten trennte, schimmerte mir der anfangs nur schwache Schein einer Flamme entgegen. Reichlich genährt, wuchs sie rasch zum flackernden Feuer. Schon bemerkte ich, dass es rechts im Pass in einem windgeschützten Winkel brannte. An diesem Feuer ließen sich soeben vier Männer nieder, die ich an ihrer Kleidung, vor allem an den Filzmützen aus Ziegenhaar mit den lang herabhängenden Lederstreifen, als Kurden erkannte. Vier Pferde standen abseits zur Linken, wo der Wald angrenzte, und rauften hungrig das frische Blättergrün von den Zweigen.
Jetzt durfte ich nicht länger aufrecht vordringen. Ein Flackerschein des Feuers konnte mich treffen und einem der Kurden, der zufällig nach meiner Richtung blickte, meine Anwesenheit verraten. Ich bewegte mich also nur noch kniend weiter, bis ich dicht bei den Unbekannten im Gebüsch steckte.
Da schlugen kurdische Laute an mein Ohr.
„Chodeh40 sei Dank! Wir haben gerade noch zur rechten Zeit diesen Pass erreicht. Vorüber sind die Boten noch nicht. Sie werden wohl gar erst morgen im Lauf des Tages kommen. Und hier können wir sie nicht verfehlen.“
Ich lag am äußersten Rand der Büsche. Unmittelbar vor mir gab es einige Felstrümmer, die mir im Verein mit den Ausläufern des Unterholzes treffliche Deckung boten. Lang ausgestreckt verbarg ich mich hinter ihnen und musterte ungestört die vier Männer am Feuer, die sich soeben anschickten, ihre Abendmahlzeit zu verzehren, trockenes Fleisch und flache, gedörrte Teigfladen. Als Getränk bereitete der eine in einem Kessel über dem Feuer einen starken Kaffee. Dabei sprachen sie in kurzen Pausen lebhaft miteinander. Ich hatte zum Lauschen einen günstigen Augenblick erhascht.
„Sie können auch in der Nacht kommen“, widersprach derjenige, der soeben den brodelnden Kessel vom Feuer nahm, um das kochende Wasser in die derben Lederbecher zu gießen, in denen sich bereits der fein gemahlene Kaffee befand. Er fertigte also den beliebten Trank auf türkische Art. „Sie sind des Weges kundig und werden auch in der Dunkelheit reiten, denn es ist Eile geboten.“
„Ja“, nickte ein dritter, der mir seiner Kleidung und seiner Haltung nach der Vornehmste von der Gruppe zu sein schien. „Auch wir werden uns sputen müssen, wenn wir die Botschaft empfangen haben. Der Bei würde es uns übel lohnen, erführe er nicht zur rechten Zeit das Nötige.“
Der vierte von den Kurden verzehrte schweigend seine Mahlzeit. Vielleicht hielt er mit seiner Meinung zurück, weil er bei Weitem der Jüngste war. Dagegen meldete sich wieder der erste Sprecher.
„Die ‚Hüter des Lichts‘ sind wachsamer denn je und leuchten in jeden Winkel. Wir werden dem Bei rasche Nachricht bringen, damit die ‚Unsichtbaren‘ sicher über die Berge gelangen.“
Mir war der Sinn dieser Unterhaltung nicht recht klar. So viel stand fest: Die vier erwarteten irgendwelche Boten. Diese trugen ihnen eine Weisung zu, die von den Kurden ihrem Bei, ihrem Stammesoberhaupt, weitergegeben werden sollte. Von dieser Weisung hing dann offenbar ein Schritt des Bei ab, der darin bestand, ‚die Unsichtbaren‘ über die Berge zu bringen, und zwar heimlich und unbehelligt. Nun fragte es sich nur: Wer waren die ‚Unsichtbaren‘? Vermutlich doch wohl Menschen, Freunde der Kurden! Und wer waren die ‚Hüter des Lichts‘? Waren sie Feinde, vor denen sich der Bei samt den ‚Unsichtbaren‘ in Acht nehmen musste? Oder hatte die Bemerkung von der Wachsamkeit und dem Eifer der ‚Hüter des Lichts‘ einen ganz anderen Sinn, den ich nur nicht herausfand, weil ich es hier mit völlig fremden Personen und Verhältnissen zu tun hatte? Eine gewagte Gedankenverbindung wollte sich mir aufdrängen. ‚Licht!‘, dachte ich. ‚Ist der Gegensatz dazu nicht Schatten?‘ Aber ich schob diesen Einfall wieder beiseite. Sicherlich hatte er seinen Ursprung nur in Halefs Bemerkung von den Schatten, den Sillan. Ich durfte mich nicht zu voreiligen Folgerungen und somit zu Trugschlüssen verführen lassen.
Das Gespräch der Kurden schlief wieder ein. Sie hockten schweigsam am Feuer. Mir aber wurde meine Lage mit der Zeit unbehaglich. Der Wind, der in vereinzelten Stößen in den Pass fuhr, wehte mir den beißenden Rauch des Feuers grad ins Gesicht, indem er ihn seitlich zu Boden drückte. Das reizte zum Husten und Niesen und ich musste heftig gegen diesen Reiz ankämpfen. Dazu kam, dass mich wieder ein Frösteln befiel, das ich schon seit dem Vormittag bisweilen spürte. Auch lag mir eine bedenkliche Schwere in den Gliedern. Während ich sonst gegen körperliche Anstrengungen unempfindlich bin, beschlich mich jetzt eine lähmende Müdigkeit. Wie verlockend war der Gedanke, sich am Feuer der Kurden zu wärmen und einen Becher heißen, belebenden Kaffee trinken zu können! Auf Feuer aber und auf den ersehnten Trank musste ich verzichten, wenn ich mit Halef die Nacht, unbemerkt von den Kurden, in unserem Versteck zubringen wollte. Eine Flamme hätte unsere Anwesenheit unbedingt verraten. Oder sollten wir ein Stück zurückreiten, um weiter unten im Tal zu lagern? Lohnte sich diese Mühe in Nacht und Dunkelheit? Bestand nicht die Gefahr, dass wir dabei auf die von den Kurden erwarteten Boten stießen, dass also unsere Anwesenheit doch entdeckt wurde?
Da sich die Kurden noch immer beharrlich in Schweigen hüllten, sodass hier voraussichtlich nichts von Bedeutung mehr zu erfahren war, trat ich leise und vorsichtig den Rückzug an.
Als ich unser Versteck wieder erreichte, saß Halef an den Stamm einer Bergeiche gelehnt und horchte in die Nacht hinaus. Ich rief ihn mit unterdrückter Stimme an, damit er mich nicht für einen heranschleichenden Feind halten sollte. Sogleich sprang er auf und trat mir sichtlich erfreut entgegen.
„Allah sei Dank, dass du wieder da bist! Es war alles still. Ich wartete vergeblich auf den Lärm des Kampfes und auf den Knall deines Revolvers. Hast du die Feinde nur belauscht? Oder hast du sie mit der Kraft deines Arms und der Unwiderstehlichkeit deiner Faust zu Boden geschmettert?“
„Nicht so voreilig, mein lieber Halef!“, mahnte ich. „Warum sprichst du von Feinden? Ich fand vier Kurden um ein Feuer versammelt bei der Abendmahlzeit. Es liegt kein Grund vor, sie als Feinde zu betrachten. Vielmehr werden wir uns ihnen zeigen und sie bitten, mit ihnen lagern zu dürfen.“
„Maschallah – Wunder Gottes! Traust du den Unbekannten so rasch? Hast du vergessen, dass die Kurden ohne Ausnahme Diebe und Räuber sind?“
„Du selber scheinst vergesslich zu sein, Halef. Gewiss betrachten die Kurden den Raub, besonders den Pferdediebstahl, nicht als Verbrechen. Raub ist für sie ritterliches Handwerk. Man darf sich dabei nur nicht erwischen lassen. Aber sie sind auch treu und aufrichtig, zuverlässig und gastfreundlich. Das haben wir selber zur Genüge erfahren in Spinduri, in Gumri und in Lisan41. Natürlich dürfen wir es nicht an der nötigen Vorsicht fehlen lassen.“
Nun erzählte ich Halef in Kürze, was ich bei den Kurden erlauscht hatte. Die Fragen und Vermutungen, die ich im Stillen an das Gehörte knüpfte, behielt ich für mich. Ich mochte nicht unnütz über Dinge sprechen, in denen ich selber noch nicht klar sah. Halef, dem die ‚Hüter des Lichts‘ und die ‚Unsichtbaren‘ gleichfalls zu denken gaben, zeigte Lust, einen Meinungsaustausch darüber einzuleiten. Ich aber wehrte ab.
„Lass das jetzt, Halef! Mutmaßungen können uns leicht zu Irrtümern führen. Wenn wir mit den Männern sprechen, gewinnen wir eher Gewissheit. Nur musst du das Fragen mir überlassen. Hüte dich vor unbedachten Worten! Vielleicht finde ich, dass uns die Kurden nichts angehen. Dann trennen sich unsere Wege am Morgen wieder und sie mögen sehen, wie sie mit ihren ‚Hütern des Lichts‘ fertig werden.“
Er strich sich mit der Rechten über die spärlichen Bartfäden, als wollte er Worte des Widerspruchs von den Lippen wischen. Der Gedanke, von der Gabe seiner blühenden Beredsamkeit nicht nach Herzenslust Gebrauch machen zu dürfen, bedrückte ihn sichtlich. Aber er fügte sich und führte, nachdem ich meine Gewehre sowie den Haïk wieder umgehängt hatte, seinen Rappen schweigend hinter mir her.
In kurzer Zeit erreichten wir die Höhe. Wir brauchten uns ja nicht mehr in Acht zu nehmen. Im Gegenteil, die Kurden sollten uns kommen hören und aus unserer Sorglosigkeit auf unsere Unbefangenheit schließen. Durch das Stolpern der Pferdehufe im lockeren Geröll und das Geräusch unserer Schritte wurden die vier denn auch wirklich auf uns aufmerksam. Ihre Blicke wendeten sich nach unserer Richtung. Sie sahen zwei Männer und zwei Pferde durchs Gebüsch dringen. Genaues festzustellen, reichte das matte Licht des Lagerfeuers nicht aus. Der, den ich als den Vornehmsten bezeichnet habe, sprang auf und rief in freudigem Ton:
„Gheïne Chodeh kes nekahne – Gott ist allmächtig! Er führt die Erwarteten im rechten Augenblick zu uns. Da sind die Boten!“
Sogleich aber erkannte er seinen Irrtum. Wir waren ins Freie getreten. Er sah an unserer Kleidung, dass wir keine Kurden waren. Die Überraschung verschlug ihm die Rede.
Ich trat so unbefangen wie möglich auf ihn zu und grüßte im Kurmandschi.
„Ni’ vro’l ker – Guten Tag!“
„Chodeh t’aves-schkeht – Gott bewahre dich!“, antwortete er doppelsinnig. Dabei zogen sich seine Brauen zusammen. Er schien auf Feindseligkeiten gefasst zu sein, denn seine Rechte zuckte nach dem Gürtel. Auch seine Gefährten erhoben sich und legten die Hände an die Waffen.
Ich tat, als hätte ich den Doppelsinn seiner Rede nicht bemerkt, und nickte ihm die durch die kurdische Sitte gebotene Erwiderung freundlich zu.
„Chodeh te be’lit – Gott erhalte dich!“
„Atina ta, Anschiallah, kheïra!“, wich er mir abermals aus. „Gebe Gott, dass dein Besuch ein glücklicher sei!“
„Warum sollte er es nicht sein? Ich wüsste nicht, wie mein Besuch euch Unglück bringen könnte.“
„Nicht uns, sondern dir und deinem Gefährten! Wir sind tapfere Sipah42 und verstehen unsere Waffen zu führen.“
„Und ich bin ein Se’idvar, ein Jäger und Schütze, dessen Kugel niemals ihr Ziel verfehlt. Aber ich richte die Büchse nur auf das Wild, nicht auf Menschen; es sei denn, sie zwingen mich durch Böswilligkeit und Feindschaft zur Gegenwehr.“
Er machte eine abwehrende Handbewegung.
„Du trägst nicht den Kuhlik43 und den Antari44 der freien Kurden. Deine Kleidung verrät dich als einen Diener des Großherrn. Solche Leute bringen nichts als Unglück.“
„Du irrst. Ich bin kein Untertan des Großherrn, sondern stamme aus dem fernen Germanistan. Dieses Land liegt viele hundert Tagereisen von hier und wird von einem Melek45 beherrscht, der mächtiger ist als der Großherr. Dieser Mann aber“ – dabei deutete ich auf Halef – „stammt aus dem Belad al Arab46. Auch er ist kein Unfreier, sondern ein Scheik unter den Seinen. Wir kommen in Frieden und ich bitte dich, lass mich samt meinem Gefährten an deinem Feuer rasten und lass mich dein Hemscher47, dein Mivan48 sein!“
Ich bemerkte, dass der Kurde meinen Worten nur noch mit geteilter Aufmerksamkeit folgte. Ich war, als ich Halef erwähnte, ein wenig zur Seite getreten und hatte so den Männern den Blick nicht nur auf meinen Begleiter, sondern auch auf unsere Pferde freigegeben. Der Eindruck, den die beiden unvergleichlichen Rappen auf den Kurden machten, spiegelte sich deutlich in seinem Gesicht. Seine Augen leuchteten auf in Freude und Begehrlichkeit. Aber er beherrschte sich. Nur sprach er freundlicher als zuvor.
„Ich glaube dir. Ihr seid keine geringen Leute. Das sehe ich an euren Pferden. Solche Tiere besitzt nur ein Vornehmer. Erlaubst du, dass ich sie näher betrachte?“
„Ich erlaube es, warne dich aber, sie zu berühren oder ihnen sonst wie zu nahe zu kommen. Sie dulden das nur von ihren Herren.“
Er ging vorsichtig um die Rappen herum. Auch die anderen drei drängten herzu. Sie tauschten bewundernde Rufe untereinander. Halef benützte die Gelegenheit, mir einen missbilligenden Blick zuzuwerfen. Er hielt es für Leichtsinn, die Begehrlichkeit der Kurden zu reizen. Ich aber blinzelte ihm beruhigend zu. Ich wusste, was ich tat. Dass diese kurdischen Pferdekenner auf unsere herrlichen Tiere aufmerksam wurden, hätte ich nicht verhindern können. Darum wollte ich wenigstens die Gelegenheit nützen und uns bei ihnen in Achtung setzen. Dass ihnen die Lust zum Pferderaub verging, dafür glaubte ich sorgen zu können. Sie sollten nämlich nicht nur die Unübertrefflichkeit unserer Rappen, sondern auch die unserer Waffen kennenlernen.
Meiner Absicht, sie darüber zu belehren, kam der Anführer der vier überraschend entgegen.
„Die Tiere sind wirklich von edelstem Blut“, sagte er. „Haben sie ein Geheimnis? Kennst du es?“
Ich lachte ihm ins Gesicht.
„Ja, sie haben ein Geheimnis und ich kenne das meines Rappen wie mein Gefährte das des seinigen; denn wir sind ihre rechtmäßigen Herren. Im Übrigen hoffe ich nicht, dass du meinst, ich sei ein Kur’o, ein Knabe, weil du nach diesen Dingen fragst.“
„Chodih, ich wollte dich nicht beleidigen.“
„So forsche nicht weiter nach dem Geheimnis dieser Rappen! Kein Mann und Krieger wird so etwas verraten.“
„Aber nach deinen Waffen darf ich fragen? Ich sehe, dass du zwei Gewehre trägst. Das ist mir noch bei keinem begegnet. Du sagst, deine Kugel verfehle nie ihr Ziel. Welcher Schütze kann das mit Sicherheit behaupten!“
„Ich kann es und ich habe in einem fernen Land, dessen Namen du sicher nicht einmal kennst, noch manchen wackeren Jäger getroffen, von dem dasselbe gilt. Sieh hier diese alte, schwere Büchse! Sie tötet den Bären des Gebirges und trägt so weit wie keine eurer Feuerwaffen. Dieses kleine Gewehr aber ist eine Zauberflinte. Mit ihr kann ich ununterbrochen schießen, sooft ich will, ohne zu laden. Soll ich dir das beweisen?“
Auf seinem Gesicht erschien ein pfiffiges Lächeln. Er hielt mich für einen Aufschneider.
„Ja, beweise es!“
„So lass einen deiner Begleiter seine Lanze dort neben dem Feuer in die Erde stecken! Ich werde, ohne abzusetzen, den Schaft mit mehreren Kugeln durchlöchern, und zwar soll jede Einschussstelle von der nächsten genau den gleichen Abstand haben.“
Er gab den entsprechenden Wink. Dabei war in seinen Mienen noch immer das ungläubige Lächeln. Auch seine Begleiter betrachteten mich mit Blicken, in denen das Misstrauen gegen meine vermeintliche Prahlerei deutlich zu lesen stand.
Ich aber war meiner Sache sicher, obwohl es nicht leicht war, bei dem ungewissen Schein des flackernden Feuers die selbstgestellten Bedingungen dieses Probeschießens zu erfüllen. Die Lanze steckte im Boden. Ich nahm gehörigen Abstand, winkte den Zuschauern beiseitezutreten, und legte an. Ohne langes Zielen drückte ich ab – einmal – zweimal – dreimal. Acht Kugeln sandte ich aus meinem Henrystutzen in den aufrecht stehenden Schaft. Dann ließ ich die Büchse sinken.
„Geht hin und holt die Lanze!“, forderte ich die Kurden auf. „Dann sagt, ob ich getroffen habe oder nicht!“
Die vier sperrten schon jetzt, wie man zu sagen pflegt, Mund und Nase auf. Sie hatten sich ja davon überzeugt, dass ich acht Kugeln verschickt hatte, ohne zu laden. Nun brachte einer die Lanze herbei. Sie war genau so durchlöchert, wie ich vorausgesagt hatte. Das war ihnen zu viel. Das vermeintliche Wunder ließ sie in Ehrfurcht verstummen.
Nur der eine, der schon bisher den Sprecher gemacht hatte, fand Worte für sein Staunen.
„Gott ist allmächtig. Er kann seinen Lieblingen Zauberkräfte verleihen. Chodih, verzeih, dass ich deiner Rede nicht glaubte! Du hast gezeigt, dass du nicht zu viel sagtest. As kolahme tah – ich bin dein Diener.“
Das hatte ich gewollt, als ich darauf ausging, die schon oft erprobte Wirkung meines Henrystutzens auch an diesen Kurden zu versuchen. Ich konnte mit dem Erfolg zufrieden sein. Auch aus Halefs Gesicht war der Zug der Missbilligung verschwunden. Er hatte schon geschmunzelt, als das Probeschießen begann, und als ich dann rasch und verstohlen die acht Patronen ergänzte, während die Kurden ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Lanze richteten, hatte er die Gelegenheit benützt, mir schnell ein paar Worte zuzuflüstern.
„Allah akbar – Gott ist groß. Er kennt die Verborgenheit aller Gedanken und die Vortrefflichkeit aller Pläne. Verzeih, dass ich glaubte, der Breite deines Verstandes mit der Länge des meinigen zu Hilfe eilen zu müssen! Es war überflüssig. Die Kurden werden sich jetzt in Acht nehmen. Sie haben sich davon überzeugt, dass mit unseren Waffen nicht zu spaßen ist.“
Die Worte des Anführers waren eine nicht gewöhnliche Höflichkeit, aber doch immer noch eine unter Kurden übliche Redensart. Ich wollte mehr hören. Ich wollte, um vor jeder unliebsamen Überraschung sicher zu sein, ausdrücklich als Gast aufgenommen werden.
Darum gab ich Redewendung gegen Redewendung, wie es die Sitte des Landes erheischte.
„Chodeh dauleta ta masen beket – Gott vermehre deinen Reichtum! Denn du bist freundlich und gerecht und lässt die Vorzüge anderer gelten. Darum möchte ich dein Hemscher, dein Freund sein.“
„Sere men! Kheïr ati, jahrimen asis – Bei meinem Haupt! Willkommen, lieber Freund!“, antwortete er feierlich. „Nimm Platz an unserem Feuer!“
Dieses Willkommen musste ich als einen weiteren Gewinn buchen. Es bot uns bereits leidliche Sicherheit. Das Wort Mivan, Gast, ließ der Kurde leider unausgesprochen und ich konnte ihn nicht darum drängen, ohne ihn in beleidigender Weise mein Misstrauen fühlen zu lassen.
Wir tränkten also zunächst die Rappen am Quell des schon mehrfach erwähnten Baches. Dann durften sie sich am Waldsaum nach Belieben ihr Futter suchen. Wir selber lagerten uns im Kreis der Kurden und ich muss gestehen, dass ich mit ganz besonderem Behagen die Glieder streckte und die Wärme des Feuers auf mich einwirken ließ. Wir packten die bescheidenen Essvorräte aus, die wir unseren Satteltaschen entnommen hatten. Als der Anführer der Kurden das sah, wendete er sich höflich an mich.
„Verzeih, Chodih, dass wir euch nicht von unseren Speisen anbieten! Wir würden es gern tun, denn wir achten die Gebote der Gastfreundschaft. Aber wir haben selber fast nichts mehr zu beißen und morgen liegt ein anstrengender Ritt vor uns, wobei uns keine Zeit bleibt, uns nach einer Jagdbeute umzusehen.“
Mir wäre es lieber gewesen, wenn er uns einen einzigen Bissen Brot aus seiner Hand und einen Schluck Wasser aus seinem Lederbecher geboten hätte. Das erst wäre die gültige Besiegelung des Willkommens gewesen. Aber ich musste mich auch hier bescheiden, wollte ich nicht eine Verstimmung heraufbeschwören.
„Ich danke dir“, erwiderte ich also. „Wir werden auch so keinen Mangel leiden.“
„Trinken aber sollt ihr mit uns“, fuhr der Kurde fort. „Das kalte Wasser aus der Quelle macht frösteln in der rauen Nacht. Wir werden noch einmal Kaffee bereiten und bitten euch, wenigstens dieses geringe Geschenk anzunehmen.“
Auf seinen Wink erhob sich der, den ich schon vorher beim Kaffeekochen beobachtet hatte, und ging mit dem Kessel zum Quell, um frisches Wasser zu holen. Eben wollte ich meine Unterhaltung mit dem Sprecher der vier fortsetzen, um ihn womöglich noch ein wenig auszufragen, da ließ ein Geräusch mich aufhorchen.
Es kam aus der Richtung, aus der wir selber zur Passhöhe emporgestiegen waren. Kein Zweifel, es näherten sich Menschen, Reiter, unserem Lagerplatz, und zwar nur wenige; eine größere Schar hätte sich lauter bemerkbar gemacht. Die Nahenden waren vermutlich die erwarteten Boten.
Ich hatte vorsichtshalber den Henrystutzen zur Hand genommen und richtete den Blick nach der Stelle des Buschrandes, wo dem Geräusch nach die Kommenden erscheinen mussten. Auch Halef hielt sich für alle Fälle bereit.
„Wird es einen Kampf geben, Sihdi?“, fragte er in der Sprache der Dschesireh.
„Ich glaube und hoffe es nicht.“
„Schade! Ich wünschte mir grad irgendein Ereignis, das alle Kräfte des Körpers und alle Munterkeit des Geistes wachriefe.“
„Warum?“
„Weil ich den Dschinn sonst nicht loswerde, der hinter meiner Stirn hämmert und pocht. Er ist hartnäckig wie das Ungeziefer und eigensinnig wie ein Dschemel49, das von einem unverständigen Herrn verdorben wurde.“
Unser Gespräch wurde durch das Erscheinen zweier Männer unterbrochen, die, ihre Pferde am Zügel führend, aus dem Dickicht hervortraten. Sie trugen riesige Turbane von fast einem Meter Durchmesser und eng anliegende türkische Gewänder. Darüber aber fiel auch bei ihnen der weite Antari, der rot und schwarz gestreifte Kaftan, der sie als Kurden kennzeichnete. Ihre langen Flinten und Bambuslanzen konnten einem modern bewaffneten Europäer weder Achtung noch Furcht einflößen. Sie stutzten, als sie an unserer Kleidung erkannten, dass wir offenbar nicht zu ihren Landsleuten gehörten, die sich hier zu finden erwartet haben mochten. Ihr Gruß klang kurz und zurückhaltend.
Da wendete sich der Anführer der Kurden hastig an mich.
„Erlaube, Chodih, dass ich scheinbar das Gebot der Höflichkeit verletze und einige Worte unter vier Augen mit diesen Männern spreche. Sie kommen mit wichtiger Botschaft und wir haben hier auf sie gewartet. Was sie zu melden haben, ist nur für unsere Ohren bestimmt.“
Ich nickte und ließ ihn gehen. Dann stand auch ich auf und winkte Halef, mir zu folgen. Ich schritt hinüber zu unseren Pferden.
„Wir wollen uns unsere Decken holen. Sie sind bei dieser Kälte unentbehrlich.“
Er stimmte zu.
„Du hast Recht, Sihdi. Es wird eine unbehagliche Nacht geben. Ich traue diesen Kurden nicht und werde nicht schlafen, so müde ich auch bin, sondern...“
„Überlass das Wachen mir! Ich fürchte, du hast den Schlaf nötig. Dein Kopfschmerz gefällt mir nicht. Komm, nimm ein wenig Chinin! Das beugt dem Fieber vor. Auch ich werde ein solches Pulver schlucken.“
Ich holte aus der kleinen Taschenapotheke, die ich auf meinen Reisen ständig mitführte, die beiden Pulver hervor, eins für Halef, eins für mich. Dann schnallten wir die Decken ab. Dabei schweiften meine Blicke unauffällig zu den Boten hinüber. Sie standen noch immer am Waldrand. Der Anführer sprach leise und eifrig auf sie ein. Sie erwiderten ebenso lebhaft. Diese Kurden glaubten wohl, pfiffig und schlau zu sein. In Wahrheit waren sie im höchsten Grad unvorsichtig. Die Augen bald des einen, bald des anderen suchten Halef und mich. Dadurch verrieten sie, dass sie von uns sprachen. Das konnte an sich harmlos sein. Der Anführer berichtete den Ankömmlingen möglicherweise, wie er mit uns zusammengetroffen und was seiner Meinung nach von uns zu halten sei. Ganz sicher erzählte er von unseren Pferden und Waffen und von meiner Schießkunst. Aber dass er diese Dinge nicht in unserer Gegenwart vorbrachte, wollte mir ebenso bedenklich erscheinen, wie ich es begreiflich gefunden hatte, dass er die Kunde der Boten uns verbergen wollte. Sie ging uns nichts an, umso mehr aber alles, was jetzt da drüben über uns verhandelt wurde.
Halef, der mir stets ein gelehriger Schüler gewesen war, stellte inzwischen dieselben Beobachtungen an.
„Siehst du, Sihdi, wie sie die Köpfe zusammenstecken und dabei zu uns herüberschielen wie der Hund nach dem gebratenen Hammel, den sein Herr allein verzehrt? Allah lasse ihnen Steine wachsen im Bauch, dass ihnen der Hunger vergeht, der aus ihren Blicken leuchtet wie die Goldgier aus den Augen des Wucherers und Geizhalses!“
Er war voll Zorn. Darum war seine Sprache so bildhaft. Ich beeilte mich, ihn zu besänftigen.
„Ihr Appetit soll verschwinden auch ohne die Steine im Bauch. Ich werde wachsam sein. Und nun komm zurück zum Feuer! Wir müssen alles vermeiden, was den Argwohn dieser Männer erregen könnte. Je sicherer sie sich fühlen, umso leichter wird es uns, ihre Absichten zu durchschauen und zu durchkreuzen.“
Die Decken in Händen näherten wir uns wieder dem Feuer. Da trat auch der Anführer mit den beiden Boten hinzu. Er setzte sich. Die zwei aber blieben stehen und grüßten.
„Es selâm ’alejkum!“
„We ’alejkum es selâm!“ Halef und ich antworteten zu gleicher Zeit. Ich aber fuhr fort: „Warum grüßt ihr nicht in der Sprache eurer Heimat?“
Da ich jetzt Gelegenheit hatte, die beiden genauer zu betrachten, erkannte ich, dass sie einander auffällig ähnlich waren. Ein beträchtlicher Altersunterschied zwischen beiden ließ mich vermuten, dass ich Vater und Sohn vor mir hatte.
„Die Höflichkeit gebietet, dass man sich dem Fremden freundlich erweist“, antwortete der Ältere, und zwar in ziemlich geläufigem Arabisch. „Wir haben soeben gehört, dass die Heimat des einen von euch das Belad el Arab ist, und sehen, dass ihr beide die Tracht dieses Landes tragt. Darum sollt ihr auch seine Sprache aus unserm Mund vernehmen.“
Der Mann gab sich so freundlich, auffällig freundlich sogar. Bei einem Europäer, auch bei einem türkischen Städtebewohner oder bei einem Perser, die man wegen ihrer Höflichkeit und wegen ihrer verbindlichen Formen die Franzosen des Orients genannt hat, wäre ich versucht gewesen, von gewinnender Liebenswürdigkeit zu sprechen. An einem Kurden erregte es mein Misstrauen. Diese Bergbewohner sind durchweg rau, ungeschlacht, plump, unbeleckt im Wesen und derb. Sie gleichen dem spröden Boden, den wilden Wäldern, den harten Felsen, der unwirtlichen Landschaft ihrer Heimat, und ihre Eigenart ist nicht zuletzt die Folge eines herben, grausamen Schicksals, das diese trotzigen Wildlinge seit Jahrhunderten nicht zu friedlicher Entwicklung kommen lässt. Wäre dieser Kurde barsch und abweisend gegen uns gewesen, ich hätte seiner Grobheit lieber vertraut als so seiner Verbindlichkeit. Obendrein gefiel mir der Mann nicht. Er hatte keinen freien, offenen Blick und seine letzten Worte hatten einen seltsam lauernden Unterton.
„Wir danken dir“, erwiderte ich zurückhaltend. „Meine Erkundigung galt meiner Verwunderung darüber, dass euch die fremde Sprache geläufig ist.“
„Nur ich und dieser da, der mein Sohn ist, verstehen und sprechen sie, sonst keiner in unserem Stamm. Wir haben diese Kenntnis erworben, weil wir bisweilen in Geschäften zu den Männern reiten, die im Reich des Großherrn wohnen.“
Dann wandte er sich an seinen Sohn und trug ihm auf, die Pferde zu versorgen. Er selber ließ sich mit uns bei den anderen am Feuer nieder. Sein Sohn folgte nach kurzer Zeit.
Die beiden Boten begannen zu essen. Dann stand der Ältere auf, schüttete aus einem Säckchen fein gestoßene Kaffeebohnen in zwei Lederbecher und schickte sich an, kochendes Wasser aus dem frisch gefüllten Kessel daraufzugießen. Der Anführer hatte mich in eine Unterhaltung über Pferdezucht verwickelt; jetzt gab er dem Mann am Kessel einen Wink.
„Bereite auch den Fremden den Trank! Da sind zwei Becher!“
Ich achtete nicht weiter auf diese Vorgänge. Später sollte ich diese kleine Nachlässigkeit schwer zu büßen haben. Auch Halef war in Anspruch genommen. Der jüngere der beiden Boten sprach mit ihm Arabisch und der kleine Hadschi, der sich im Kurmandschi nur mangelhaft verständigen konnte, ergriff mit Wonne die Gelegenheit, den lästigen Zwang des Schweigens abzustreifen.
Einige Worte, die zwischen den beiden gewechselt wurden, fing ich soeben auf und sie veranlassten mich, fortan den Schilderungen des Anführers nur noch mit einem Ohr zu lauschen. Das andere horchte zu meinem plauderhaften Hadschi hinüber.
„B’ismillah – um Gottes willen! Wo denkst du hin?“, rief er soeben voll Entrüstung. „Wie kannst du den Glanz unsrer Mannhaftigkeit und den Ruhm unsrer Streitbarkeit so verkennen, dass du uns für Händler hältst! Öffne die Pforten des Erstaunens und die Tore der Bewunderung in deinem Herzen und vernimm, dass mein Sihdi der herrlichste aller Helden und der vortrefflichste aller Krieger ist, so weit Menschen ihre Zelte bauen und ihre Herden weiden! Sein Name ist Hadschi Emir Kara Ben Nemsi Effendi. Die Kugel aus seiner Büchse fliegt von hier bis zum Mond, wenn er es will, und hat noch niemals ihr Ziel verfehlt. Ich aber bin sein Freund und Beschützer und heiße Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah und bin der oberste Scheik der Haddedihn vom tapferen Stamm esch Schammar.“
Der junge Kurde lauschte diesen Überschwänglichkeiten mit einem Gesicht, dessen Ausdruck mir zu denken gab, und nun entschlüpfte ihm gar ein Wort jäher Überraschung.
„Das ist nicht möglich! Sprichst du die Wahrheit?“
Halef war nicht auf den Kopf gefallen. Auch er mochte etwas heraushören. Während er sonst nämlich die Frage, ob er nicht etwa flunkere, als eine Beleidigung schroff zurückgewiesen hätte, forschte er jetzt auffällig rasch:
„Was soll nicht möglich sein?“
„Dass – dass dein Sihdi ein solcher Held ist und – und dass du einen so langen Namen hast.“
Halef zog die Stirn in Falten. Aber sein Grollen war nicht echt. Das sah ich ihm an. Er wollte anderswo hinaus.
„Allah kerîm – Gott ist gnädig! Er mag dir deinen Unglauben verzeihen. Vielleicht hilft er dir auch gegen die Kürze deiner Gedanken und gegen die Mängel deiner Erinnerung.“
„Sus ol!“, fuhr der Kurde auf. „Schweig still!“ Dann fiel er wieder ins Arabische zurück. „Warum beschimpfst du meine Gedanken und meine Erinnerung?“
„Weil sie dich bisweilen im Stich zu lassen scheinen. Du wunderst dich über die Länge meines Namens und willst doch oft in Geschäften in den Ländern des Großherrn verweilt haben. Ist es dir da nicht aufgefallen, dass dort viele Menschen besonderen Wert auf die Länge des Namens legen?“
Der junge Kurde wurde der Antwort dadurch enthoben, dass uns sein Vater die Lederbecher mit dem Kaffee reichte. Wir tranken, ebenso die beiden Boten. Der ältere von ihnen verzog ärgerlich den Mund.
„Chodeh verderbe die Händler und Kaufleute! Sie fordern gute Piaster und geben dafür schlechte Ware. Dieser Kaffee taugt nichts, er schmeckt bitter.“
Der Mann hatte Recht. Auch mir fiel der bittere Nachgeschmack auf, den der Trank im Mund hinterließ. Aber ich schenkte dem keine Beachtung. Ich ahnte ja nicht, dass der Kaffee, den er und sein Sohn genossen, nicht bitter schmeckte und dass seine missfällige Äußerung nur dazu dienen sollte, uns den Trank unbedenklich schlucken zu lassen, wie er war. Arglos taten wir den hinterlistigen Schurken den Gefallen. Wir nahmen jeder mehrere Becher und fühlten uns wohlig erwärmt und neu belebt.
Halef versuchte, sein Gespräch mit dem jungen Kurden fortzusetzen, stieß aber, wie ich merkte, auf vorsichtige Zurückhaltung. Ich selbst bemühte mich, aus dem Anführer herauszuholen, was mir wissenswert erschien. So erfuhr ich, dass sich der Mann Melef nannte und dass er ebenso wie seine Gefährten zu einem Kurdenstamm gehörte, der seine Wohnplätze – und zwar zurzeit die Jilacks, die Sommersitze – zwei Tage entfernt östlich in den Bergen hatte.
„Wir werden morgen bei Tagesgrauen aufbrechen und gegen Sonnenaufgang reiten“, schloss Melef seinen Bericht. „Darf ich wissen, Chodih, ob ihr uns begleiten werdet?“
„Wir haben allerdings vorerst denselben Weg.“
„So lass mich dir mein Hani50 als Wohnstätte anbieten, dir und deinem Gefährten! Ihr sollt bei mir bleiben, solange es euch gefällt.“
„Deine Freundlichkeit ist groß und ich werde mit meinem Begleiter gern als dein Mivan, dein Gast, bei dir einkehren.“ Auf das Gastrecht berief ich mich absichtlich. Ich wollte Sicherheit haben. „Nur können wir nicht lange rasten. Der Weg führt uns ohne Verweilen weiter.“
„Darf ich wissen, wohin?“
„Nach Schiras.“
„Und ihr habt Eile?“
„Ein Freund erwartet uns dort.“
Das konnte ich sagen, ohne mich einer Unwahrheit schuldig zu machen. Ich dachte dabei an David Lindsay. Dass ich mich dabei so ausfragen ließ, hatte seinen guten Grund. Mir gingen die ‚Hüter des Lichts‘ und die ‚Unsichtbaren‘ nicht aus dem Sinn und ich wollte aus dem Verhalten Melefs meine Schlüsse ziehen. War der Kurde so ohne Weiteres bereit, uns mitzunehmen, so musste er samt seinen Leuten die Anwesenheit Fremder doch wohl nicht zu scheuen haben. Dass er mit seiner Einladung nur schlaue Spiegelfechterei treiben und schon fast entschlossen sein könne, uns andern Tages dahin zurückzuschicken, woher wir gekommen waren, lag für mich leider außerhalb jeder Berechnung. Meine Bemerkung, dass wir in Schiras erwartet würden, ließ den Kurden aufhorchen.
„Du hast einen Freund da drüben?“, erkundigte er sich mit fühlbarem Misstrauen. „Sagtest du nicht, du seist fremd hier?“
„Ja, und ich habe die Wahrheit gesagt. Der Freund, den ich meine, ist ein Franke wie ich, ein Inglo51.“
„Chodeh t’aves-schkeht – Gott bewahre dich! Wie kann ein Inglo der Freund eines freien Mannes sein! Die Ingli sind schlimmer als die ‚Hüter des Lichts‘.“
Beinah wäre mir ein Laut freudiger Überraschung entschlüpft. Grad noch zur rechten Zeit zwang ich mich zu einer arglosen Miene.
„‚Hüter des Lichts‘? Wer ist das?“
Jetzt erkannte der Kurde seine Unvorsichtigkeit. Er hätte das rasche Wort wohl gern zurückgenommen. Aber nun war es zu spät.
„Unsere Feinde!“, sagte er abweisend.
„Und warum gebt ihr ihnen diesen seltsamen Namen?“
„Das darf ich dir nicht sagen. Du bist ein Fremder.“
Einer plötzlichen Eingebung folgend legte ich dem Kurden lächelnd die Hand auf die Schulter. Ich wollte, wie der Volksmund sich ausdrückt, einmal auf den Busch klopfen.
„So will ich ehrlicher gegen dich sein, als du gegen mich bist. Meine Frage sollte nur deine Offenheit prüfen. Ich weiß es bereits.“
„Was weißt du?“
„Dass ihr von ‚Hütern des Lichts‘ sprecht, weil diese Männer mit der Fackel ihres Spürsinns auch die ‚Unsichtbaren‘ ausfindig machen.“
Melef zuckte zurück, als sei eine Natter vor ihm aufgezüngelt. Auch die übrigen Kurden, die unserem Gespräch bisher schweigend gefolgt waren, gerieten in Bewegung. Hier und da sah ich eine Hand, die nach der Waffe tastete. Hatte ich mich in dem begreiflichen Verlangen, hinter die Geheimnisse dieser Männer zu kommen, zu weit vorgewagt?
„Sei still!“, fuhr Melef auf. „Du weißt nicht, was du redest.“
„Das stimmt!“, nickte ich scheinbar unbefangen. „Ich hörte zufällig das Gespräch einiger Männer mit an, die sich von diesen Dingen unterhielten und...“
„Wo war das?“
„Hier in diesen Bergen.“
„Wer waren die Männer?“
„Ich kannte ihre Namen nicht. Es waren Kurden.“
„Woher kamen sie? Was war ihr Ziel? Wo standen ihre Wohnhütten?“
„Davon sprachen sie nicht.“
Meine Antworten stimmten mit der Wahrheit vollkommen überein. Nur verschwieg ich dem braven Melef, dass von ihm selbst und seinen drei Begleitern die Rede war. Er aber dachte nicht daran, diese Möglichkeit in Erwägung zu ziehen.
„Diese Männer waren törichte Schwätzer“, entschied er mit wegwerfender Geste. „Was konnten sie von uns und unseren Feinden wissen! Vergiss, was du von ihnen gehört hast! Es ist nichts. Es ist leere Narrheit.“
Ob er wirklich glaubte, ich würde mich mit dieser plumpen Vertuschung zufriedengeben? Oder fürchtete er meine Mitwisserschaft seiner Geheimnisse, so gering sie auch sein mochte, im Stillen weiter? Sann er nun auf Verrat, mich unschädlich zu machen?
Ich fand keine Antwort auf diese Fragen. Die Zeit musste alles erweisen. Mir blieben nur Wachsamkeit und Vorsicht.
Die Folge meines Vorstoßes war, dass der Quell der Beredsamkeit der Kurden versiegte. Halef gähnte. Selbst mich überkam eine unabweisbare Müdigkeit.
„Es wird Zeit, dass wir zur Ruhe gehen“, schlug ich vor. „Wie du sagtest, Melef, wollt ihr morgen früh bei Tagesgrauen aufbrechen. Ihr stellt doch eine Wache aus? Mein Gefährte und ich werden uns am Wachdienst beteiligen.“
Da fiel mir der ältere der beiden Boten ins Wort.
„Schlaft immerhin! Mein Sohn und ich kehren morgen nach Sonnenuntergang zurück...“
„Ah, ihr reitet nicht mit uns?“
„Nein. Es ist, wie ich sage. Wir haben Zeit und können rasten nach Belieben. Melef aber muss sich beeilen. Darum habt ihr den Schlaf nötiger als wir. Wir zwei werden uns in die Wache teilen.“
Da sämtliche Kurden dem zustimmten, konnte ich nicht widersprechen. Ich wünschte rundum eine Gute Nacht, gab Halef einen Wink und legte mich mit ihm ein wenig abseits im Schutz der Felsen nieder. Wir wickelten uns fest in unsere Decken, die Gewehre im Arm. Wenn wir beide uns jetzt noch ein wenig unterhielten, so konnte keiner der Kurden etwas dabei finden. Sie taten bereits dasselbe. Aber sie sprachen leise, sodass nichts zu verstehen war. Und wir machten es ebenso.
„Sihdi“, flüsterte mir Halef zu, „die Kurden sind nicht ehrlich. Dieser Sohn eines Vaters, dem ich die Lieblichkeit meiner Erzählung gönnte, ist mir in die Falle gegangen wie Abu ’l Ifrid52, den die Blutgier blind macht. Ich nannte ihm unsere Namen...“
„Das habe ich gehört. Es war unvorsichtig.“
„Willst du mein Antlitz schamrot machen, Sihdi? Weißt du nicht, dass meine Gedanken flink sind wie die Tijûr el Dschenne, die Geistervögel53, und scharfsinnig wie der Schahîn54? Der Kurde hat sich verraten. Er erschrak, als er unsere Namen hörte. Sie waren ihm bekannt.“
„Auch das habe ich beobachtet. Ich hörte auch, wie er sich herauszureden suchte und wie du ihn stelltest.“
„Und du tadelst mich noch immer?“
„Ich tadele nur, dass du eigenmächtig gehandelt hast. Im Übrigen hast du allerdings einen Beweis dafür erbracht, dass wir uns vor diesen Kurden in Acht nehmen müssen. Wir werden uns nicht auf sie verlassen, sondern, ohne dass sie es merken, abwechselnd wachen. Du magst die erste Wache übernehmen. Wecke mich, wenn deine Zeit um ist!“
Ich schloss die Augen. Da merkte ich erst, wie bleiern müde ich war. Es lag auf mir wie eine Lähmung, so als könnte ich kein Glied rühren. Ich wollte nachdenken, wollte mir noch einmal die Lage vergegenwärtigen, in der wir uns befanden. Aber das Denken versagte mir. Ich fiel in einen angstvollen und unruhigen Schlaf voll quälender Träume. Ich kämpfte mit dunklen Gestalten. Sie umdrängten mich in wüstem Gewirr. Ich wollte sie packen und ihnen die Faust an die grinsenden Schädel schmettern. Doch mein Hieb traf stets nur die leere Luft. Im entscheidenden Augenblick zerflossen die Gegner stets vor mir zu Nebel und Dunst und an mein Ohr klang höhnendes Gelächter: „Narr, der du glaubst, die ‚Unsichtbaren‘ fassen zu können! Ruf sie doch zu Hilfe, die ‚Hüter des Lichts‘! Merkst du denn nicht, dass du gegen ‚Schatten‘ kämpfst?“ – Da packte mich rasender Grimm. Meine Rechte griff nach dem Gürtel, den Revolver zu ziehen, als plötzlich eine Stimme mir zuzuflüstern schien: „Nicht die Schusswaffe! Sie nützt dir nichts! Nimm den Dolch!“ – Und schon umspannten meine Finger das persische Kampfmesser. Es war ein Chandschar, den ich einst im Wilden Westen auf eigenartige Weise gewonnen hatte.
Ich war dort mit einem Perser zusammengetroffen, der sich Dschafar Mirza nannte und die Vereinigten Staaten studienhalber bereiste. Er war ein hochgebildeter, liebenswürdiger Mann. Ich hatte ihn im Verdacht, ein kaiserlicher Prinz zu sein. Da er mit den Verhältnissen des Landes gänzlich unbekannt war, fiel er in die Gewalt der Komantschen, aus der ich ihn unter eigener Lebensgefahr rettete. So wurden wir Freunde und beim Abschied schenkte er mir seinen kostbaren persischen Dolch als Andenken.
An diesen Chandschar dachte ich jetzt im Traum. Ich fasste ihn und hob den Arm zum Stoß. Die Waffe blitzte. Ein übernatürliches Licht, so schien es mir, ging von ihr aus. Da sanken, wie von einem Zauber getroffen, die schattenhaften Feinde in sich zusammen. Ich hörte nur noch ihr lautes Geschrei und – erwachte.
Das Schreien kam von den Kurden, die in heftiger Erregung miteinander zu streiten schienen. Ich verstand nur abgerissene Worte, aber sie genügten, mir einen heillosen Schreck einzujagen. Und der Schreck wuchs zum Entsetzen, als ich meine Gewehre vermisste, die ich beim Einschlafen im Arm gehalten hatte.
Mit einem Satz war ich auf den Beinen, ohne darauf zu achten, dass mir die Glieder steif und schwer waren und dass ein dumpfer Schmerz in meinen Schläfen pochte.
„Halef, wach auf!“ Ich musste den Kleinen derb schütteln, bevor er die Augen aufschlug. „Halef, ermuntere dich! Man hat uns bestohlen!“
„Be – bestohlen?“, stammelte er mühsam.
„Die Pferde! Meine Gewehre!“
„Sind sie fort?“
Es saß schon aufrecht und vermisste nun auch die eigene Flinte. Ich konnte ihm nicht antworten. Die Kurden hatten unser Erwachen bemerkt. Melef sprang sogleich auf uns zu.
„O Chodih, es ist Furchtbares geschehen. Kelehschan55 haben uns im Schlaf heimgesucht. Eure Pferde sind verschwunden. Sag, was wir tun sollen! Wir müssen den Dieben sogleich nachjagen. Mit deinem Zaubergewehr wirst du...“
„Gar nichts werde ich“, unterbrach ich ihn. „Auch die Gewehre hat man mir genommen. Wo sind die beiden Boten? Sie hatten die Wache.“
Er sah sich wie hilfesuchend um.
„Ich – ich weiß es nicht. Sie sind nicht mehr da.“
„So sind sie die Spitzbuben!“
„Chodih, was denkst du von diesen Männern! Sie sind unsere Brüder.“
„Darauf könnt ihr offenbar nicht stolz sein.“
„Sie sind samt ihren Pferden fort. Darum vermute ich, dass sie sofort zur Verfolgung der Räuber aufgebrochen sind.“
„Ohne auch ein Wort davon zu sagen? Meinst du wirklich, dass sie so kopflos gehandelt haben?“
„Der Schreck wird sie überwältigt haben. Hätten sie selbst eure Rappen genommen, so wären doch ihre Pferde hier zurückgeblieben.“
„Du irrst“, schnitt ich seine Einwände ab. „Unsere Tiere dulden nur ihre Herren im Sattel. Jeder andere wagt seinen Hals, wenn er sie zwingen will, ihn zu tragen. Es wird schon Mühe genug gekostet haben, sie am Zügel fortzuführen. Und nun lass mich nachsehen, in welcher Richtung die Diebe entflohen sind! Befiehl deinen Leuten, dass sie sich ruhig hier an der Feuerstätte halten! Sie zerstören mir sonst die Spuren der Flüchtlinge.“
Er zeigte ein erstauntes, ungläubiges Gesicht, tat aber doch nach meinem Geheiß. Er belächelte wohl im Stillen mein Beginnen, denn die Kurden sind keine Fährtensucher. Ich ließ ihn ruhig dabei und gab Halef einen Wink, mir zu folgen.
Wir suchten zunächst den Waldrand ab, wo unsere Tiere geweidet hatten. Dort war der Boden arg zerstampft, ein Beweis dafür, dass sich die Rappen gegen die Berührung von fremder Hand gewehrt hatten. Mehr war hier nicht zu ersehen; denn Melef war mit seinen Leuten an diesem Platz hin und her gelaufen. Weiterhin aber gab es steinigen Untergrund, Geröll oder gewachsenen Fels, der keine Spuren annahm. Ich sah mich vor eine Aufgabe gestellt, die wohl auch dem Spürsinn eines Indianers zu schaffen gemacht hätte.
Dabei hatte ich meine liebe Not mit Halef. Er klagte, schimpfte und drohte in einem fort.
„Allah verderbe diese Hunde, diese Söhne von Hunden, diese Enkel und Urenkel von Hundesöhnen! Abu Jahja, der Engel des Todes, lasse ihre Füße straucheln, wenn sie es Sirath, die Brücke des Jenseits, überschreiten wollen, dass sie in die tiefste Dschehenna56 stürzen! Dort soll sie der Scheitan dazu verdammen, in alle Ewigkeit auf riesigen Kanafid57 zu reiten, deren Borsten den Sitz ihrer Gefühle beleidigen und den Ruhepunkt ihrer Glieder kränken werden! O Sihdi, warum hast du nicht auf meine stumme Warnung geachtet und hast ihnen Appetit gemacht auf unsere Rappen und auf deine Zaubergewehre! Siehst du nun ein, dass die Länge meines Verstandes der Breite des deinigen weit überlegen ist?“
„Nein. Du hast ebenso wenig wie ich gemerkt, dass man uns ein Schlafmittel in den Kaffee gemischt hat.“
„Allah akbar – Gott ist groß! Aber die Heimtücke dieser Schurken ist fast noch größer. Ein Schlafmittel, sagst du? Darum also hast du mich noch nicht gescholten, dass ich die Wache versäumt und dich nicht geweckt habe? Glaube mir, Sihdi, es ging mir wie dem Trunkenbold, den der Raki58 übermannt.“
„Ich weiß es. Du trägst keine Schuld. Auch ich war betäubt.“
„Ja Allah, welch eine Schlechtigkeit! Diese Väter der Hinterlist und Großväter des Verrats haben das Gastrecht verletzt.“
„Nein. Sie haben sich vielmehr von Anfang an gehütet, uns ihre Gäste zu nennen. Und dann haben sie den eigentlichen Streich, die Einschläferung wie den Diebstahl, von den beiden Boten ausführen lassen. Die aber waren nicht dabei, als man uns den Willkommen bot. Damit rechtfertigen sich die vier scheinheiligen Halunken vor ihrem Gewissen.“
„Und du meinst, dass die beiden so ohne Weiteres einen Trank des Schlafes, ein Wasser des Vergessens zur Hand hatten, wie die Männer aus dem Belad er Rumi59 ständig das Feuer in Gestalt von Kibritat60 in der Tasche tragen?“
„Sie haben uns einfach Opium in unsere Kaffeebecher geschüttet. Haschisch können sie recht wohl bei sich gehabt haben; sie mischen ihn wahrscheinlich in ganz geringen Mengen unter ihren Tabak. So ist auch der bittere Geschmack des Kaffees samt meinem Kopfschmerz zu erklären. Jetzt aber bitte ich dich zu schweigen. Ich brauche meine Gedanken zur Verfolgung der Spur. Sie scheint jenseits des Passes hinabzuführen, also nach Osten.“
Wenn ich hier von einer Spur spreche, so ist damit eigentlich zu viel gesagt. Ich sah, dass die Eindrücke der Pferdehufe den weichen Boden am östlichen Rand verließen. Dann fand ich nur ganz vereinzelt noch eine Schramme im Gestein, unzweifelhaft von einem im Geröll abgeglittenen Tritt der Tiere verursacht. Diese Abschürfungen aber konnten auch von gestern stammen, von den Gäulen der Kurden, als sie zur Passhöhe angestiegen waren. Ich ging gleichwohl den ungewissen Merkmalen eine Strecke weit nach. Schon rechnete ich damit, bis ganz ins jenseitige Tal hinabklettern zu müssen. Dort unten gab es wieder Wald, hier und da sogar grasige Flächen. Schlug ich dort einen Halbkreis mit der Linie des Höhenzugs, in den sich der Pass einkerbte, als Sehne, so musste ich die Fährte der Flüchtlinge finden, mochten sie geradeaus, nach rechts oder nach links geritten sein, falls sie nur überhaupt nach dieser Seite ihren Weg genommen hatten.
Da fiel mein Blick auf einige Holzsplitter, die am Rand der abwärtsführenden Schlucht lagen. Ich winkte Halef, stehenzubleiben, und untersuchte den Platz sorgfältig. Die Schrammen im Gestein waren hier besonders ausgeprägt. Die Splitter erwiesen sich als Stücke einer Bambusstange. Aber es war kein gewöhnliches Holz. Die äußere Fläche war poliert und gebeizt. Das sagte mir genug. Ich schob die Holzstückchen in die Tasche und wendete mich zu Halef zurück.
„Wir können umkehren. Ich habe die Spur. Die Diebe sind hier hinab geflüchtet.“
Wir kletterten wieder zum Pass empor. Halef konnte seine Neugier nicht bemeistern.
„Was hast du soeben eingesteckt, Sihdi?“
„Bruchstücke einer Kurdenlanze! Sie ist zersplittert, als eines der geraubten Pferde aufbäumte und den Mann zu Boden schleuderte, der es am Zügel führte. Er war so klug, die Trümmer, die ihn verraten mussten, aufzuheben, hat aber die Splitter übersehen.“
Melef und seine Leute empfingen uns mit Mienen, in denen Dummpfiffigkeit, Überheblichkeit, Schadenfreude und Spott von geheuchelter Teilnahme nur matt übertüncht wurden. Unser Gebaren war ihnen unverständlich. Sie glaubten, uns mühelos übers Ohr hauen zu können.
„Warum sucht ihr auf jener Seite?“, empfing uns der Anführer.
„Weil die Pferdediebe dorthin entflohen sind.“
„Du irrst, Chodih. Hast du nicht gehört, dass die beiden Boten davon sprachen, sie wollten heute nach Westen umkehren?“
„Ah, du gibst also zu, dass sie die Täter sind?“
„O nein! Ich – ich sagte das nur, weil – weil ich sehe, dass du dich von deinem Verdacht nicht abbringen lässt.“
„Allerdings nicht. Und die Spuren, die ich gefunden habe, bestätigen mir, dass ich Recht habe.“
„Spuren?“, fragte er verwundert.
Ich nahm ihn kurzerhand beim Arm und führte ihn hinüber zum Waldrand. Dort gab ich ihm die nötigen Erklärungen. Ich wies ihm die nach Osten gerichteten Hufeindrücke und die Schrammen im Gestein. Endlich zog ich die Lanzensplitter aus der Tasche und sagte ihm dazu, was zu sagen war.
Halef und die übrigen Kurden waren uns gefolgt. Die drei machten nicht eben geistreiche Gesichter. Halef weidete sich an ihrem verlegenen Staunen. Melef aber kratzte sich hinterm Ohr.
„Chodih, jetzt sehe ich, dass du wirklich jener Kara Ben Nemsi bist“, entfuhr es ihm.
„Ach, das weißt du? Das können dir nur die Boten gesagt haben, denen mein Begleiter unsere Namen verraten hat. Ihr habt also über uns gesprochen?“
„Ja, vor dem Einschlafen.“
„Es ist gut. Ich weiß, woran ich bin.“
„Was meinst du damit, Chodih?“
„Ich meine, dass es sich jetzt entscheiden wird, ob ihr unsere Freunde oder unsere Feinde sein wollt. Die Boten scheinen andernorts bereits von uns gehört zu haben. So wird euch auch bekannt sein, dass wir nicht mit uns spaßen lassen. Du gibst vor, unser Freund zu sein. Ich will dir das glauben, wenn du uns die zwei besten von euren Pferden überlässt, damit wir die Diebe verfolgen und uns unser Eigentum zurückholen können.“
„Chodih“, fiel er ein, „du vergisst, dass wir selber die Tiere notwendig brauchen. Wir haben Eile, denn wir müssen die Botschaft...“
„Die Botschaft zu eurem Bei zu bringen, genügen zwei. Die anderen können zu Fuß langsam folgen. Vielleicht nehmen euch auch die Diebe diese Arbeit ab. Ich vermute, sie werden eher in euren Jilacks sein als wir.“
Melef wehrte sich verzweifelt gegen mein Ansinnen. Vor allem versuchte er immer wieder, uns nach Westen zurückzuschicken. Da machte ich dem Hin und Her ein Ende.
„Ich sehe, dass du uns von der Verfolgung der Schuldigen ablenken willst. Also willst du unser Feind sein. Gut! Mit seinen Feinden pflegt Kara Ben Nemsi kurz zu verfahren. Sieh her! Kennst du diese kleinen Waffen? Sie haben zusammen zwölf Schuss. Für euch aber genügen drei Kugeln.“
Er prallte zurück. Der Anblick der Revolver, die mir glücklicherweise geblieben waren, weil sie fest im Gürtel steckten, wirkte.
„Chodih, du drohst?“
„Du zwingst mich dazu.“
„Wir werden uns nicht wehrlos niederschießen lassen.“
„Lächerlich! Ehe ihr nach Messer oder Gewehr greift, sitzt euch bereits meine Kugel im Schädel.“
„So denk an die Blutrache!“
„Niemand wird erfahren, dass ihr hier eines ruhmlosen Todes gestorben seid.“
Da lenkte er ein.
„Chodih, es ist ja gar nicht nötig, dass es zwischen uns zum Kampf kommt. Wir werden euch beweisen, dass wir es mit der Freundschaft ehrlich meinen. Ihr sollt zwei Pferde haben. Deren Besitzer müssen dann freilich zu Fuß gehen. Das ist ein großes Opfer. Wir anderen zwei aber reiten mit euch, solange sich das mit unserer Pflicht verträgt, dem Bei die Botschaft zu bringen.“
Seine Miene war undurchdringlich. Aber ich ahnte, dass er auch jetzt wieder Hintergedanken hegte. Dennoch ging ich auf seinen Vorschlag ein. Erstens blieb uns nichts anderes übrig und zweitens sollte er uns nicht wieder übertölpeln. Wir waren gewarnt.
„Gut“, erklärte ich, „so soll es gelten. Ich hoffe, dass du es aufrichtig meinst. Andernfalls hättest du selber den Schaden davon. Wir wollen einen Imbiss zu uns nehmen und dann aufbrechen.“
Eine halbe Stunde später verließen wir den Ort dieses unerfreulichen Erlebnisses. Melef und der jüngste von den Kurden begleiteten uns. Die anderen zwei folgten zu Fuß. Es ging nach Osten, die Schlucht hinab, in ein bewaldetes Tal. Um unsere Pferde und meine Gewehre war mir nicht bang. Ich wollte den Dieben ihre Beute schon wieder abjagen. Die Hauptsache war, dass das Chinin seine Schuldigkeit getan zu haben schien. Ich fühlte mich wieder so spannkräftig wie nur je und Halef versicherte mir von sich dasselbe.
„Sihdi“, sagte er, „wenn ich’s recht bedenke, freue ich mich über den Streich, den uns die Kurden gespielt haben. Das gibt doch wieder ein Abenteuer. Hamdulillah – Allah sei Preis und Dank dafür!“