Читать книгу "In den wilden Bergschluchten widerhallt ihr Pfeifen" - Otto Meister - Страница 4

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Vorwort

Von Dr. Thomas Wagner

China ist in den letzten Jahren zunehmend ins Zentrum des wirtschaftlichen und kulturellen Interesses Europas gerückt. Es geht von diesem aufstrebenden und gleichzeitig traditionsreichen Land eine schillernde Faszination aus.

Dabei wird die Annäherung von Ost und West gemeinhin als Phänomen der jüngsten Geschichte aufgefasst und in Zusammenhang mit der Globalisierung genannt. Die vorliegende historische Publikation lässt die Entdeckung zu, dass diese Sichtweise so zu kurz gegriffen ist. Andererseits erzeugt gerade der rückwärts gerichtete Blick in die Vergangenheit in diesem Sinne einen erneuten Bezug zur Aktualität.

Als Präsident der Schweizerisch-Chinesischen Gesellschaft habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, Projekte der Zusammenarbeit und des interkulturellen Austausches beider Länder zu ermöglichen, gleichsam zu katalysieren und darüber hinaus einem interessierten Publikum zugänglich zu machen.

Dieses Buch dokumentiert den Bau der Eisenbahnlinie von Lào Cai nach Kunming im heutigen China durch die Compagnie Française des chemins de fer de l’Indochine et du Yunnan ab 1898. Der Text fusst dabei auf Originaldokumenten des mitarbeitenden Schweizer Ingenieurs Otto Meister aus den Jahren 1903 bis 1909. Es ist Teil einer Würdigung, die dieser ungeheuren historischen Pionierleistung zukommt, die u.a. von Franzosen, Schweizern, Italienern und Chinesen verschiedenster Volksgruppen gemeinsam erbracht worden ist und die mit der Aufnahme des Baus in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes hoffentlich ihren Höhepunkt finden wird.

Als ich erstmals die zahlreichen Fotografien sowie das Tagebuch und die Briefe einsehen konnte, die die Familie Meister archiviert hatte, war ich von der Dimension der Konstruktion und der Tragweite der gesamten organisatorischen Unternehmung überrascht. Wie war es möglich, dass diese Eisenbahnlinie von 465 km Länge mit 155 Tunneln und 107 Brücken, durch völlig unwegsames Gelände unter widrigsten Umständen erbaut und bis heute voll funktionsfähig im Originalzustand erhalten, bei uns gänzlich unbekannt war?

Otto Meister hatte 1896 seinen Abschluss als Bauingenieur am Eidgenössischen Polytechnikum (der späteren ETH Zürich) gemacht. Er ist damit der gleichen Schule zuzurechnen wie der schweizerische Ingenieur Maurice Koechlin, dessen Pläne die Grundlage für den Bau des Eiffelturms bilden sollten. In zahlreichen Brücken der Eisenbahnlinie finden sich Bauteile desselben Stahlbausystems, das im Eiffelturm verwendet wurde. Insbesondere die Menschen-Brücke, die wegen ihrer Ähnlichkeit zum chinesischen Schriftzeichen für «Mensch» so genannt wird, geniesst in China grosse Berühmtheit (Nationalmonument der VR China). Sie lässt mit ihrer Kühnheit und elegant klaren Konstruktion den Geist spüren, der dem Polytechnikum in Zürich des späten 19. Jahrhunderts entsprang.

Es ist aber nicht allein die Dokumentation einer grossartigen Ingenieursleistung, die dieses Buch ausmacht, sondern die Lebendigkeit und Authentizität, die aus den Tagebuchtexten von Otto Meister sprechen und einen echten Einblick in die damalige Lebenswelt, sowohl in China als auch in der Schweiz, erlauben.

Eine ganz besondere Anerkennung und grossen Dank verdienen Sylvia Meister und Giorgio Hoch, die während mehrerer Jahre mit der erforderlichen Neugierde und mit enormem, persönlichem Einsatz die zahlreichen Dokumente zusammengestellt und ausgewertet haben. Dabei recherchierten sie insbesondere vor Ort auf Reisen in die VR China (Yunnan) und nach Paris.

Die Herausgabe dieses Werkes wird wesentlich dazu beitragen, dass die Pionierleistung des Schweizer Ingenieurs Otto Meister in Erinnerung bleibt.


Otto Meister in seinem Büro in Shanghai, undatiert.



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