Читать книгу "In den wilden Bergschluchten widerhallt ihr Pfeifen" - Otto Meister - Страница 6
ОглавлениеZu den Texten von Otto Meister
Von Paul Hugger
Der erste Text von Otto Meister, ein Bericht über den Bau der Yunnan-Bahn, dessen Adressat unbekannt ist – vermutlich war es ein mit der Bahntechnik Vertrauter –, hat zunächst einen dokumentarischen Wert, was das Technische betrifft. Da beschreibt ein Ingenieur, der selber am Bau beteiligt war, das Werden einer Eisenbahnlinie in den teilweise unwegsamen Gebirgsregionen Südostasiens, und zwar zu einer Zeit, als solche Texte selten waren. Der Bericht skizziert das landschaftliche Umfeld, zeigt die schwierigen Bedingungen der Realisierung auf, in technischer, geologischer, klimatischer und menschlicher Hinsicht. Er geht dabei weit über das bloss Statistisch-Numerische und rein Technische hinaus. Entsprechende Informationen werden zwar am Anfang gegeben, aber dann erhalten wir Einblicke in die Arbeitsund Lebensverhältnisse der am Bahnbau Beschäftigten, die Risiken, die sie eingingen, und man spürt, dass hier ein Ingenieur schreibt, den nicht nur die materiellen Seiten interessierten, sondern dem eine echte Anteilnahme an menschlichen Schicksalen eignete, auch wenn einmal das unselige Wort vom «Menschenmaterial» auftaucht, einer damaligen Usanz entsprechend. Das Ganze endet mit einer Würdigung der Ästhetik einer solchen Eisenbahnlinie mit ihren Tunnels und Brücken, wie sie auch im entsprechenden Fotoalbum Meisters aufscheint.
Der zweite Text – «Die Kulis starben auch schon wie die Fliegen» – besteht aus Briefen, die Meister seinen Eltern und Geschwistern sandte. Aus ihnen entsteht ein farbiges und eindrückliches Bild vom Bahnbau in Südchina. Hier wirkt die Sprache viel direkter und persönlicher als in seinem offiziellen Bericht, zumal Meister einen regen schriftlichen Kontakt mit den Seinen in Zürich unterhielt und einen sehr anschaulichen, detailreichen und präzisen Stil schreibt, um den ihn wohl mancher moderne Ingenieur beneiden dürfte. Die Texte schildern die Mühsal der Anreise durch das tropische und subtropische Bergland und erhellen die Lebens- und Arbeitsbedingungen im südchinesischen Grenzgebiet mit all ihren Wechselfällen. Wir erfahren Dinge über den Alltag in diesem damals sonst kaum beschriebenen Teil Chinas, was die Briefe besonders wertvoll und eigentlich einzigartig macht.7 Wir haben die Passagen darum nach dem Baubericht als eigenständigen Textkorpus angeführt. Durch das tropische Klima und durch Beschädigungen auf der langen Reise nach Europa sind leider einige Stellen unleserlich geworden. Die Transkription beruht auf Kopien der Originale. Der Text gibt die orthografische Originalversion wieder; wir haben lediglich offensichtliche Flüchtigkeitsfehler korrigiert. Dagegen wurde die Interpunktion, wo es nötig war, vervollständigt. Die Zwischentitel stammen vom Herausgeber.
Der dritte Text – «‹Die ganze Nacht hörte das Geknatter nicht auf.› Mit dem Schiff auf dem Jangtsekiang während der Bürgerkriegswirren 1929» – von Otto Meister, den wir integral wiedergeben, wurde am 4. Februar 1930 an seinen damaligen Arbeitgeber, die Gebrüder Sulzer in Winterthur, gesandt. Er führt mitten in die Bürgerkriegswirren, wie sie sich Ende 1929 im Zentrum Chinas anbahnten. Trotz den hier beschriebenen kriegerischen Auseinandersetzungen brach der eigentliche Kampf erst im Mai 1930 aus und endete am 4. November des gleichen Jahres. Die Kuomintang als Koalition war auseinandergebrochen, und die einstigen Verbündeten waren zu Gegnern geworden, d.h. Tschiang Kai Schek stand seinen früheren Waffengefährten, den «warlords» Yan Xishan, Feng Yuxiang und Li Zougren, gegenüber. Aus den Kämpfen, die gegen 300 000 Opfer gefordert hatten, ging Tschiang Kai Schek schliesslich als Sieger hervor.
Im Januar 1929 unternahm Meister, wohl im Auftrag seiner Firma, eine Fahrt mit geschäftlichen Absichten auf dem mitttleren Jangtsekiang, dem berühmten Sektor der Drei Schluchten, dessen eindrückliche Naturformen heute in den aufgestauten Wassern versunken sind. Es war ein kühnes Unternehmen, wie wir aus dem Bericht ersehen, zwischen den Frontlinien hindurch, wobei offenbar die gepanzerten Schiffe der europäischen Konzessionsmächte eine gewisse Duldung erfuhren. Trotzdem brauchte das Unternehmen Mut, schon wegen möglicher Fehlangriffe. Wir finden hier nochmals den unerschrockenen Abenteurer, wie seinerzeit bei der Reise durch Zentralamerika. Für den Leser von heute gibt der Bericht Einblick in ein wichtiges Kapitel der neueren chinesischen Geschichte, bevor die grosse Auseinandersetzung mit Japan begann.
Der Text mit dem Titel «Schiffahrt auf dem Mittleren und Oberen Yangtsze», einem eigentlichen Understatement, beginnt mit dem Hinweis, dass es sich um einen Auszug aus seinem Tagebuch handle, der vielleicht für Sulzer nicht ohne Interesse sei, «da er zeigt, wie es heutzutage mit dem Reisen in China und speziell auf dem Yangtsze bestellt» sei. Ergänzt werden diese Auszüge mit drei Briefen Meisters von derselben Reise an seinen Sohn Freddy.
Die Provinz Yunnan im Süden von China und der Verlauf der Yunnan-Bahn von Haiphong (Vietnam) nach Kunming.
Karte der ganzen Bahn zwischen Lao-Kay (Thành phó/Lào Cai) und Yunnansen (Kunming) sowie das Höhenproil (nächste Seite) aus dem Album von Otto Meister.
Curriculum Vitae von Otto Meister für die Arbeitssuche nach seiner Tätigkeit bei der Yunnan-Bahn.