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Drittes Kapitel

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singtau war stiller geworden. Der Matrose lebte in den Forts oder auf seinen Schiffen. Der Seesoldat stand in den Werken oder auf der Wacht an den Grenzen des Pachtgebiets, und der kommende Kampf trug ein erstes Ahnen seines Ernstes in die Stadt, als gegen Abend der Gouverneur Hauptquartier und Wohnsitz in die Bismarck-Kaserne östlich von Tsingtau, also hinter die Werke verlegte. Er kehrte dem Ort wie der Bevölkerung den Rücken und richtete unter Soldaten die Augen nach vorn in das Land des kommenden Kampfes. — Tsingtau und seinen Bürgern abgewandt, nicht mehr Beamter und Gouverneur, nur noch Soldat und Führer, durfte er die Tage der Belagerung verleben. Er wusste hinter sich Deutsche und alle beseelt vom entschlossenen Willen, lieber ein Grab unter den Trümmern ihres Heims zu finden, als ein Jota an deutscher Waffenehre zu opfern. Bis zur letzten Patrone für die Tsingtauer kämpfend, hat er — ein in der Kriegsgeschichte wohl einzigartiger Fall — nicht ein einziges Mal in Person oder durch Vertreter die Bevölkerung zu Ordnung oder Ausharren in Wort oder Schrift mahnen müssen. Der eigenen Pflicht bewusst, kam ihm nie ein Zweifel, dass jeder hinter ihm als Deutscher auch die seine tat und kannte. Die Bürger hörten von ihm nur, wenn mittags der Zettel an der Anschlagstafel Neues erzählte.

Still war am Morgen dieses 6. August auch der Hafen. Der Kreuzer „Emden“, das Kanonenboot „Jaguar“ und Torpedoboot „S 90“ waren verschwunden. Zu Anker lag nur der in den nahen Fährden und Nöten heldisch tapfere und treue Bundesgenosse, der österreichisch-ungarische Kreuzer „Kaiserin Elisabeth“, und in der Werft schlummerten, abgerüstet, die für Kampf nicht mehr verwendbaren kleinen Kanonenboote „Cormoran“, „Iltis“, „Tiger“ und „Luchs“.

„Da überkam mich ein Gefühl der Sorge und drückender Vereinsamung,“ erzählt eine von der Belagerung sprechende Dame, „bangten wir uns doch schon um die Bekannten auf dem Kreuzergeschwader, das auf der Fahrt nach der Südsee war.“ Doch gegen Abend lief Tsingtaus kleines Geschwader von drei Fahrzeugen wieder ein. S. M. S. „Emden“ brachte den Dampfer „Rjäsan“ von der russischen freiwilligen Flotte als Prise ein. Mit den Geschützen des „Cormoran“ wurde dem Russen bei der Ausrüstung zum Hilfskreuzer des Kanonenbootes anständiger Name gegeben. Eine deutsche Besatzung hat ihm Ehre gemacht. Die „Emden“ aber lag nur wenige Stunden im Hafen. Ehe des nächsten Tages Sonne die zackigen Gipfel des Lauschan, der Dolomiten Ostasiens, rötete, war sie auf der Fahrt in die Unsterblichkeit.

Tage des Wartens für den Bürger und der Arbeit für den Soldaten kamen. Das Geschäftsleben entschlummerte sacht. Wenn der darum müßige Tsingtauer auf die Hügel im Osten der Stadt wanderte, sah er mit Schmerzen die Bäumchen des jungen deutschen Waldes unter den Äxten in Kulihänden fallen. Öde und kahl wie vor vierzehn Jahren, der Tannen, Eichen, Buchen, Birken und Erlen beraubt, lag bald das Land, gefurcht von Schützengräben, gerunzelt von Batterie- und Scheinstellungen. Aber der Spaziergang durch jener Tage heißen Sonnenbrand in nun wieder schattenloser Einöde bot allein noch Zeitvertreib und brachte abends willkommene Müdigkeit. Straßenlaternen durften nicht mehr brennen. Die Fenster der Wohnungen mussten namentlich nach der See hin bei sinkender Dunkelheit abgeblendet werden. Die Polizei hielt die Augen offen, und in stickender Sommerhitze saß es sich nicht gemütlich hinter verschlossenen Scheiben. Der Tsingtauer lernte früh schlafen gehen. Morgens fand er wohl noch Arbeit im Beruf. Mittags lockte ihn die Nachrichtenbörse. Namentlich im Klub gab‘s viel Neues, doch wenig Wahres zu hören. Schanghai, seit Großonkel Olims Tagen das Heim und der Hochsitz des Küstenklatsches, hielt den Telegraphendraht heiß und schickte Lügen von immerhin strenger Um Parteilichkeit. Wenn gestern drei deutsche Torpedoboote ein Dutzend englischer Dreadnoughts zu den Fischen geschickt hatten, strichen heute „Goeben“ und „Breslau“ im Mittelmeer vor einem französischen Geschwader die Flagge. Der Tsingtauer lernte nichts mehr glauben, aber blieb stark in Zuversicht. Seinen festen frohen Glauben an den Sieg deutscher Waffen mehrte täglich die jubelnde Begeisterung der über Land oder Wasser freudig zum Kampf kommenden Landsleute. Drei Dampfer unter unserer Handelsflagge suchten Schutz im Hafen, den sie — versenkt — später sperren sollten. Die Besatzungen baten um Einreihung in die Kämpferschar, und für Wochen noch rann der dünne, aber stetige Strom treuer Männer durch wachsame Feinde leise und flink in die Werke. Mühselige Fußmärsche führten die Offiziere und Leute unserer Kanonen, boote auf dem Yangtse in den Platz. Die von der „Otter“ rüsteten ihr Boot hoch oben bei Swifu ab und kamen auf zerfetzten Sohlen in Lumpen nach Tsingtau. Die vom „Vaterland“ borgten sich von den Deutschen in Canton Zivil. Eine Wanderung von einundzwanzigtägiger Dauer brachte sie nach Schanghai und eine Dschunke von dort in die Kiautschou-Bucht. Für Dampfer war die Schiffahrt nach Tsingtau längst unterbrochen. Kein Deutscher konnte aus Asiens Häfen nach Tsingtau Passage nehmen. Ein Lehrer verbrachte darum fünf Wochen auf dem Rücken von Ponys, in Sänften und am Ruder von Barken, um das Ziel der Deutschen zu erreichen. Nicht allen, die für der Flagge Ehre bluten wollten, half das Glück. Elf Schiffsoffiziere, die in die Riemen ihres kleinen Kahns griffen, wenn der Wind das winzige Segel nicht blähte, fielen auf dem Gelben Meer in Feindeshand, nachdem sie hungernd und durstend fast zwei Monate unterwegs gewesen. Die deutschen Konsuln längs der asiatischen Küste könnten manch Lied vom braven Mann und deutscher Soldatentreue singen. Aus Niederländisch-Ostindien half einer zwei Söhnen alter Soldatenhäuser auf den Weg. Des einen Namen lasen wir vor wenigen Jahren wochenlang in der Chronik eines Gerichtsverfahrens. Er war verschollen, aber jetzt bereit zum Heldentod oder zur Heldentat, die sühnen und rehabilitieren kann. Das Schicksal hat es nicht gewollt und ihm den Weg zum Ziel verlegt. —

Die Helden von Tsingtau

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