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Als Hure verdächtigt, Kaiserin geworden

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Das byzantinische Mosaik in San Vitale, Ravenna zeigt Theodora als Kaiserin. In hunderte farbiger und goldener Steinchen aufgelöstes Portrait. Ein Symbol von Schönheit und Macht. So wie damalige Auftraggeber, Bischöfe und ihre Künstler sie sahen. Eine Frau ihrer Zeit. Hätte es anders sein können?

Aufrecht steht sie im weiten Krönungsmantel. Die Krone, doppelt gelegte alabasterweiße Perlen im vollen Haar über heller Stirn. An beiden Ohren Gehänge über die Schultern bis zu den Brüsten. Perlenketten, die wie Zöpfe aussehen. Byzantinisch die Gloriole hinter ihrem Kopf, christliches Symbol. In der orientalischen Überlieferung ist sie eine Heilige. Respektvoll umgeben von ihrem Hofstaat. Auch festlich gekleidet. Zwei Frauen zu ihrer Linken, zwei Männer zu ihrer Rechten. Allerlei Heilige im Umkreis und Dienerschaft. Die Kirche ein Welttheater.

Wir fragen uns, konnte der damalige Kaiser Justinius I. eine Schauspielerin mit dem Ruf einer Hure zur Frau haben? Sie muss eine schöne Hexe gewesen sein, die ihn verführte. Ihm kurz vor dem Höhepunkt das Heiratsversprechen abluchste. In solchen Situationen ist Mann zu allem bereit. Jede Frau weiß das.


Kaiserin Theodora im Mosaik der Apsis von San Vitale, Ravenna an der nördlichen Adria.

Theodora war Schauspielerin. In der Spätantike generell im Verdacht, eine Hure zu sein. Ob sie davon wusste, ist nicht bekannt. Aber wie jede üble Nachrede: sie kann stimmen oder nicht. Begonnen hat ihr Erwachsenenleben auf der Bühne. Schauspielerin, einer der wenigen Berufe, die Frauen im 6. Jahrhundert ausüben konnten. Nachdem bis dahin Frauenrollen von Männern gespielt wurden. Potentaten und Publikum wollten aber auf den Brettern, die die Welt bedeuten, richtige Frauen sehen. Keine So-als-ob-Figuren mit verrutschtem Busen. Und falsettierender Stimme.

Theodora lockte die neue Möglichkeit, Frau auf die Bühne zu bringen. Sah ihre Chance berühmt zu werden und studierte das Fach, die einschlägigen Stücke. Sie war begabt. Spielte das Leben, wie Zuschauer es kannten. Männer flippten aus und suchten sie für sich privat zu gewinnen. Die ein oder andere Kollegin lockte das Geld. Die Möglichkeit gesellschaftlich aufzusteigen. Theodora blieb standhaft.

Schauspielerinnen mussten sich also mit dem Vorurteil herumschlagen, sie seien Prostituierte. Ob es an den Rollen lag, Helden des Stückes zu verführen? À la Kleopatra Caesar oder Antonius? An klingenden Münzen, die ihnen dieser Nebenjob einbrachte? Nichts ist dokumentiert. Man kann sich gut vorstellen, dass männliche Besucher des Theaters sich wie Caesar vorkamen. Die Aktrice umwarben oder zwangen, ihre Bühnenrolle fortzusetzen quasi im Nebenberuf. Als Kleopatra im Privatissimum eines fremden Mannes.

Stoff genug für Gerüchte. Man munkelte, dass Mann sie prügelte, wenn sie aus seiner Sicht der Rolle nicht gerecht wurde. Das Äußerste verlangte, was Frauen in solchen Situationen zu tun haben. Ihrer Auffassung nach. Seinen Köper abschlecken streicheln und küssen. Mann, der sich an solchen schwülen Abenden als Kaiser sah, genoss und zahlte. Fühlte sich wie Adam seinerzeit als erster Mensch. Mit allen Rechten eines Erstgeborenen.

Ob Theodora eine Hure war, ist nicht sicher. Eher nicht. Theodora war zwar eine schöne Frau. Für Männer begehrtes Objekt. Aber gesittet und fromm. Ihr Vater nannte sie deshalb Theodora: Gottesgeschenk.

Eines Tages kam ein junger Mann ins Theater, ein Stück von Aristophanes zu sehen. Justin, Neffe des oströmischen Kaisers Justin I. entflammte sofort in Liebe. Wollte Theodora auf der Stelle heiraten. Obwohl es Senatoren gesetzlich verboten war, Schauspielerinnen wegen ihres schlechten Rufes zu heiraten. So weit reichte damals schon ein Verdacht.

Seine strenge Mutter und die ganze Familie untersagten ihm jeglichen Umgang mit Theodora. Eine Hure auf dem Thron? Undenkbar. Mit Huren verkehrt kein Mann. Schon gar keiner, der in absehbarer Zeit Kaiser des oströmischen Reiches wird.

Die beiden Verliebten fanden Gelegenheiten, unbemerkt von Staat und Familie, sich näher kennenzulernen. Nicht lange Zeit verging, Justin älter und reif, die Nachfolge seines Onkels anzutreten. Entschloss sich als erstes, das umstrittene Gesetz zu modifizieren und seine Geliebte zu heiraten. Mochten Mutter und Verwandtschaft noch so sehr Zeter und Mordio schreien. Er nannte Theodora seine gottgegebene Partnerin.

Man beachte das Wort Partnerin. Bei uns spricht Mann erst seit ein paar Jahrzehnten von Partnerin, meint er eine Frau. Aber noch lange nicht sind alle Frauen Partnerinnen. Ehepartnerin, Partnerin in einer Kanzlei, des Chefs einer Fensterputzer-Firma. Liebe beziehungsweise gleiches Gehalt inklusive.

Kaum war Justin Alleinherrscher, nannte er sich Kaiser Justinian I. und Theodora „Augusta“, also Kaiserin. Titel der Kaiserinnen von alters her. Sie liebte ihren Mann sehr und er sie. Gewann bald schon Einfluss auf seine Entscheidungen in der Politik. Veranlasste das, was ihr am Herzen lag: Verbot öffentlicher Prostitution und Mädchenhandel.

Vom ersten Tag ihrer Mitregentschaft an kümmerte sie sich um Arme, Kinder, Witwen und Kranke. Zeitlebens protegierte sie den Monophysitismus. Eine Glaubensrichtung im Orient, die Christus nur eine Natur zusprach. Nicht Gottmensch, wie Christen glauben.

Justinian ließ sie gewähren. Das Mann-Frau-Risiko schien nicht zu existieren. Praktizierten Arbeitsteilung. Sie war die engste Beraterin ihres Mannes. Hielt eine flammende Rede, als ein Gegenkaiser ausgerufen wurde. Und Justinian die Hauptstadt verlassen wollte. Er blieb der Kaiser. Motiviert von seiner Frau, gestützt von begeisterten Massen. Theodora verstand ihn auch im Finanziellen zu motivieren und beider Vermögen zu mehren. Sie starb viel zu früh an Krebs. Ließ einen Mann zurück, der sich nach kurzer Trauerzeit engagiert um ihre Anliegen kümmerte.

Soll einer sagen, Frauen sind nur das, was man sieht. Das Potential hinter ihren schönen Gesichtern nicht. Es sei denn, sie haben einen Mann, der sie lässt. Selbst zu sein und das zu erledigen, was zu erledigen ist. Kaum vorstellbar, dass Justinian das Rätsel Frau ängstigte oder ärgerte. Er liebte Theodora trotz jeder ihrer Einfälle, mit denen sie ihn überraschte. Kein Anlass für ihn, das Rätsel zu fürchten. Auch eine Möglichkeit, Zweisamkeit zu entspannen: Akzeptanz.

Das Rätsel Frau

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