Читать книгу Imkersterben - Patricia Brandt - Страница 13
Nikita
ОглавлениеIhre Taschenlampen blitzten zwischen den dunklen, hohen Fichten auf. Als sein Kumpel Kay das Gartentor zu dem einsam gelegenen Holzhaus am Selenter See aufstieß, gab die Angel einen quietschenden Ton von sich. Nikita zuckte erschrocken zusammen. Doch im Haus blieb alles ruhig. JP schlug sich genervt gegen die Stirn. Als wenn sie nicht selbst wüssten, dass sie still sein sollten, dachte Nikita, sagte aber nichts. Auch nicht so was wie »Chill mal«. Bei JP musste man immer aufpassen. Er wollte keinen Beef mit dem Typen.
»Wir müssen nach hinten, ums Haus rum«, zischte JP. Der Name wurde englisch ausgesprochen – Jay Pi. Dabei hieß JP eigentlich Jan-Philipp. JP konnte Thai-Boxen und war mit Vorsicht zu genießen.
Nikita wusste nicht, was in dieser Nacht am Haus des Försters passieren sollte, er hatte sich nicht getraut zu fragen. Auf jeden Fall hatte er kein gutes Gefühl bei der Sache.
Inständig hoffte er, dass Kurt Tietjen keinen Bewegungsmelder installiert hatte. »Wenn der Obermacker mich sieht, erkennt der mich«, flüsterte er Kay zu. Vor nicht langer Zeit hatte Nikita dem Förster zusammen mit seinem Vater einen Besuch abgestattet. Nachdem sie in Opas Haus gezogen waren, mussten sie sich auch um Opas Bienen kümmern. Frerk hatte voll auf unsicher gemacht. Er wollte unbedingt ein paar Tipps von einem »richtigen« Imker. Unnötig.
Opa hatte ihm alles beigebracht, was es über Bienen zu wissen gab. In den Ferien hatte Nikita ihn gelöchert. Er wusste nicht nur, was dieser Tietjen ihnen sagte, nämlich, dass Frerk Mitte April die Honigräume aufsetzen sollte. Sicher wusste er tausendmal mehr über Bienen als dieser Förster. Zum Beispiel, dass Bienen sich nach getaner Arbeit gern zusammenkuschelten. Nikita wusste mehr über Bienen, als sein Vater sich vorstellen konnte.
Dieser Tietjen war außerdem tierisch unfreundlich gewesen, meinte, dass seine Tipps nicht kostenlos zu haben seien. Zum Schluss hatte er ihnen ein Glas Waldhonig für sechs Euro aufgenötigt, obwohl sie noch Honig von Opa im Keller hatten.
Im Mondlicht konnte man die Umrisse der Bienenkästen nur erahnen. Sie standen in einer langen Reihe, ganz in der Nähe eines Gartenschuppens. Weil er sich nicht konzentriert hatte, rempelte er versehentlich Kay an, der vor ihm ging. »Aua«, fluchte sein Kumpel leise. »Tritt mir nicht in die Hacken, du Pfosten!«
Gerade als er den Mund öffnete, um Kay ein »selber Pfosten« entgegenzuschleudern, hielt ihm JP einen Böller aus seinem versifften Rucksack hin: »Für dich.«
Nikitas Nackenhaare stellten sich unversehens auf. »Für mich? Wieso? Was – was – soll ich damit?«
JP zeigte auf die Bienenkästen. »Du bist so lost! Los! Deckel auf, Böller rein!«
Nikita spürte plötzlich eine Kälte in seinem Magen, die sich wie ein Virus immer weiter ausbreitete.
Er wollte den Bienen nichts tun. In diesen Kästen, die man Beuten nannte, lebten Wesen, die sich umeinander kümmerten. Im Sommer fächelten sich die Bienen kühle Luft zu, im Winter wärmten sie sich gegenseitig. Die Bereitschaft, alles für die Familie zu geben, unterschied Bienen deutlich von Menschen, besonders von seiner Mutter. Mona war abgehauen. Wahrscheinlich wusste sie nicht mal, dass Frerk und er nicht mehr in Berlin wohnten.
Mit Schrecken erkannte er, dass JP in seinem Rucksack ein ganzes Arsenal an A- und D-Böllern mitgeschleppt hatte. Er erhaschte einen Blick auf Kays pickliges Gesicht: In dessen Augen erkannte er ebenfalls Panik. Keiner von ihnen beiden wollte Tiere töten. Fühlten Bienen Schmerzen?
JP warf ihm ein Feuerzeug zu und zischte: »Alles Gucci – wir machen’s zusammen – auf drei.«
Das Feuerzeug prallte an seiner Jacke ab. Er bückte sich in Zeitlupe danach. »Die krepieren doch«, flüsterte er entsetzt, als er hochkam und JP in die Augen sah. JP hatte sie zu schmalen Schlitzen verengt: »Und wen juckt’s?«
Nikita verbrannte sich am Daumen, als er das Feuerzeug aufspringen ließ und eine Flamme emporschoss. Er biss sich auf die Unterlippe, während er das Feuerzeug an die Zündschnur hielt. Nikita hörte es knistern, dann schmiss er den Böller so weit weg von den Bienen, wie er konnte. Alle beobachteten, wie das Teil auf dem Schuppendach explodierte.
Seine Füße fingen automatisch an zu rennen. Hinter ihm zischte und krachte es, als zwei der Bienenkästen fast gleichzeitig in die Luft flogen. Holz splitterte und grellrote Flammen loderten vor dem Nachthimmel.
Beim Laufen drehte Nikita den Kopf über die Schulter und sah, dass Kay aufschloss. JP schien am Bienenstand geblieben zu sein, denn es krachte und pfiff noch ein paarmal und Lichtblitze zuckten über den Himmel. Ihm fiel ein, dass es über Wochen nicht geregnet hatte. Das Feuer würde sich schnell ausbreiten.
Schuldgefühle raubten ihm fast die Kraft, um zwischen den Tannen und Schösslingen vorwärtszustürmen. Seine Beine fühlten sich weich wie Pudding an.
Auf Höhe des Forsthauses schaute er ängstlich zu den Fenstern und erstarrte: Hinter einer der Scheiben erkannte er die Frau des Försters. Er sah ihr kleines, blasses Gesicht nur kurz, doch er war sich sicher, dass sie ihn ebenfalls entdeckt hatte.
Nikita rannte blindlings weiter. Immer wieder stolperte er, über Baumwurzeln oder Tannenzapfen. Genau konnte er das nicht sagen, weil er durch einen Tränenschleier sah.
Seine Brust brannte, als er sein Mountainbike aus dem Busch an der Landesstraße zerrte. Dann strampelte er los, als hinge sein Leben davon ab. Es war ihm Latte, wo JP und Kay blieben. Er würde nie wieder mit ihnen reden. Vor allem nicht mit JP. Das schwor er sich, als er verschwitzt an der St.-Jürgen-Kirche am Berliner Platz ankam.
In der Rundkirche hatte der Trauergottesdienst für seinen Großvater stattgefunden. Die goldene Kugel auf dem Dach des Gotteshauses leuchtete mystisch im Mondlicht. Als wollte Hinnerk Ackermann, verstorben mit 96 Jahren, ihm persönlich ein Zeichen aus dem Himmel senden.
Opa würde ihm vielleicht vergeben, wenn er sich ab sofort um alle Bienen der Welt kümmerte. Opa hatte für seine Bienen gelebt. Ohne diese kleinen Bestäuber, hatte er Nikita mindestens hundertmal erzählt, konnten die Menschen nur vier Jahre überleben.
Noch immer aufgebracht pfefferte er sein Rad zu Hause gegen die Schuppenwand. Der Lenker drehte sich und das Velo fiel scheppernd zu Boden. »So ein Mist«, fluchte er leise.