Читать книгу Der einen Glück, der anderen Leid - Patricia Clara Meile - Страница 4
2 Die neue Kollegin
ОглавлениеAnfang Februar kriegten wir eine neue Arbeitskollegin in unser kleines Team – Milena. Sie war gerade vierundzwanzig geworden. Als sie beim zweiten Vorstellungsgespräch, Ende September des Vorjahres, zwei Stunden in unseren Bereich hineinschnuppern kam und ich ihr einen Teil unserer Aufgaben näher zu bringen versuchte, war sie mir alles andere als sympathisch gewesen. Trotz tadelloser Manieren, wirkte sie dominant, überheblich, arrogant und altklug auf mich – eine ausgesprochene Diva. Mein Teamleiter hatte mich am Ende des besagten Nachmittags nach meiner Meinung gefragt. Das hätte er sich sparen können. Ich sagte sie ihm ehrlich, doch er berücksichtigte sie nicht. Es war nicht, was er hatte hören wollen. Ich war enttäuscht. Dennoch versprach ich ihm, seine Entscheidung zu respektieren und zu unterstützen und ihr eine Chance zu geben. Kollegen und Kolleginnen aus dem internationalen Kundenservice munkelten, er hätte sie allein ihres guten Aussehens wegen eingestellt. Auch ich befürchtete, dass er sich davon hatte blenden lassen und hatte Bedenken, dass sie mich mit ihrer selbstsicheren Art unterbuttern würde, wie es schon frühere Arbeitskolleginnen getan hatten.
Milena ist eine hochgewachsene südosteuropäische Schönheit mit iberischem Einfluss. Unter ihren Ahnen vaterseits waren spanische Piraten gewesen. Wäre sie noch ein klein wenig schlanker, würde sie durchaus aus Fotomodell oder Miss durchgehen. Ihre Mutter war in ihrer Jugend Schönheitskönigin in ihrer Stadt gewesen. Sie hatte sich in die engsten Jeanshosen gezwängt, sie sogar nass gemacht und den ganzen Tag über auf der Haut trocknen lassen, damit sie sich perfekt an ihre Beine schmiegten. Ihre Schwestern hatten ihr reingeholfen. Noch heute ist ihr Markenzeichen knallroter Lippenstift. Ohne den verlässt sie das Haus nie. Sie liebt Blumen und Geschenke. Ihren Mann und ihre Kinder hat sie sich entsprechend erzogen. Jeden Monat, wenn sie den Lohn erhalten, erwartet sie von ihnen ein Präsent fürs Ehefrau und Mutter sein. Im Haushalt müssen zwar alle mitanpacken, doch als hervorragende Köchin verwöhnt sie ihre Liebsten dafür mit aufwändigen Gaumenfreuden. Bei Verwandten, Freunden und Nachbarn ist sie als Gastgeberin bekannt und geschätzt. Milena selbst hat ein makellos klassisches Gesicht mit großen dunklen Rehaugen umrahmt von dichten langen Wimpern und perfekt geschwungenen markanten Brauen, einer wohlgeformten Stupsnase, hohen Wangenknochen und einem vollen Mund, von dem man beinahe meinen könnte, die Lippen seien von einem begabten Chirurgen aufgespritzt worden. Außerdem hat sie langes volles glänzend braunes Haar, dessen herrlicher Schimmer an Akazienhonig erinnert und eine schöne Oberweite in C-Körbchen-Größe. Sie erinnert an eine brünette Barbie. Kein Wunder hat Milena zahllose Verehrer, darunter sowohl Männer als auch Frauen. Verständlicherweise ist dadurch bei ihr Selbstbewusstsein durchaus in beträchtlichem Maße vorhanden. Außerdem hatte sie eine regionaltypische Erziehung genossen, die darauf abzielt, das Selbstvertrauen der Kinder ausgeprägt zu fördern. Milena gehört wohl zu den attraktivsten fünf Prozent Menschen. Dennoch macht sie sich laufend Gedanken, wie sie sich durch plastische Eingriffe und Behandlungen noch schöner machen lassen könnte. Aussehen spielt für sie eine zentrale Rolle. Ständig muss sie sich damit profilieren, sich in Szene setzten und erwähnen, was sie für Komplimente und Blicke erntet.
Die ersten Tage, als sie bei uns anfing, war ich nach wie vor skeptisch. Durch meine Erlebnisse bin ich im Verlaufe der Jahre allgemein ein eher misstrauischer Mensch geworden. Ich verhielt mich jedoch freundlich, korrekt und zuvorkommend. Zum Feierabend ihres vierten Tages, musste ich nochmal rasch ins Büro zurück, weil ich mir noch etwas aufschreiben wollte, damit ich es am nächsten Tag nicht vergaß. Milena war nun an ihrem Mobiltelefon. Als ich hereinkam, sagte sie perplex zu der Person am anderen Ende: „Ich kann jetzt nicht reden.“ Natürlich ging ich sofort davon aus, dass sie über mich gelästert hatte. Ich war gekränkt. Bloß kurze Zeit später, begann sich eine andere junge Südosteuropäerin aus dem Kundenservice im gleichen Stockwerk an ihren Rockzipfel zu klammern. Sie gingen nach der Arbeit zusammen weg, machten gemeinsam Pausen und unterhielten sich in ihrer Muttersprache. Das versetzte mir einen erneuten schonungslosen Stich. Ich war eifersüchtig, sehr sogar. Ich hatte begonnen, Milena zu mögen, sie in mein Herz zu schließen. Doch typischerweise rotteten sich auch die Andersstämmigen der zweiten Generation wieder zusammen, obschon sie sogar eingebürgert waren. Die beiden verband wohl einfach mehr – Alter und Herkunft. Als Einheimische wurde ich einmal mehr sozusagen zur Außenseiterin. Es kam mir aussichtslos vor. Merkwürdig, wenn man sich plötzlich wünscht etwas zu haben oder zu sein, was man einst mit verächtlicher Missbilligung betrachtet hat. Warum bildet sich überhaupt diese Parallelgesellschaft der Ausländer und eingebürgerten Ausländer? Sie werden weder in ihrem Ursprungsland, noch im Land der Einwanderung als einheimisch akzeptiert und integriert.
Doch vermutlich hatte ich Milena unterschätzt. Sie vertraute mir mehr und mehr an, erzählte mir viel aus ihrem Leben, von ihrer Religion, ihrer Herkunft und ihrer Kultur. Mein Interesse stieg, mein Horizont erweiterte sich und meine Toleranz wuchs. Ich genoss ihre Gesellschaft. Wir verbrachten Mittagspausen zusammen, gingen spazieren, einkaufen oder in die Kantine und auch Kaffeepausen machten wir nun öfters. Einmal schlug sie sogar vor, dass wir an einem Sonntag etwas gemeinsam unternahmen. Das freute mich sehr. Ich hatte in einem Gespräch unter Frauen erwähnt, dass mir kräftige Männer mit dem Körperbau von Kampfsportlern gefielen. Also bot sie spontan an, mich zu einem typischen Schweizer Kampfsportanlass zu begleiten. Ich erinnere mich, dass meine beiden angeheirateten Cousins diese volkstümliche Freizeitbeschäftigung in ihrer Kindheit ebenfalls ausgeübt hatten. Ich organisierte die Tickets und holte sie dann bei sich zu Hause ab. Sie schien mich doch auch ziemlich gern zu haben. Gelegentlich erwähnte sie voller Begeisterung in den Augen, mir eines Tages ihre beste Freundin Sara vorstellen und ihre zweite Heimat, die Region ihrer ursprünglichen Herkunft, zeigen zu wollen. In Trachten herausgeputzt - Milena in Grün und Pink, ich in Beige, Zitronengelb und Rottönen - tauchten wir an der urschweizerischen Veranstaltung auf. Mehr noch wie die Männer, genossen wir jedoch die kulinarischen Höhepunkte des Festes und das Schießen lustiger Selfies. Ein andermal brachte Milena mir und dem Teamleiter einen Oreo-Cupcake aus einer Bäckerei auf ihrem Arbeitsweg mit. Am liebsten mag ich an den kleinen Kuchen die samtig puderzuckrige Butterkrem. Milena geht es genauso. Wir haben ohnehin beide eine absolute Schwäche für Desserts. Ein weiteres Mal zauberte sie uns eine Süßspeise mit hellem und weißem Toblerone-Mousse, luftig leichtem Schokoladenbiskuit und Schokostreuseln, was sie alles liebevoll in ein verschließbares Plastikgefäß schichtete. Punkto Kochkünste steht sie ihrer Mutter in nichts nach.
Verabredet sich Milena dann allerdings ab und zu wieder mit ihrer Landsfrau vom gleichen Stockwerk auf einen gemeinsamen Mittag oder einen Drink nach der Arbeit, kocht meine Eifersucht unwillkürlich hoch und vergiftet sogleich mein gesamtes Inneres. Ich fühle mich schlagartig niedergeschlagen, traurig, ausgeschlossen und kann nicht länger unbeschwert lachen. Zugleich weiß ich, dass meine Gefühle total daneben und unberechtigt sind. Ich darf ihr nichts vorschreiben, selbst wenn ich selbst sie stets frage, ob sie mitkommen mag, wenn ich mich mit noch einer weiteren Arbeitskollegin abmache. Ich schäme mich zutiefst für meine kindische Eifersucht. Da Milena sensibel ist, merkt sie normalerweise, wenn etwas in der Luft liegt. Doch darüber reden mag ich mit ihr nicht. Gewisse Dinge behält man besser für sich. Ich glaube, es würde unser gutes Verhältnis nur gefährden, wenn sie Bescheid wüsste.
Schlussendlich mochte ich Milena mehr als unser Chef, der sie, gegen meinen Willen, auf Biegen und Brechen hatte einstellen wollen. Sie war für mich wie eine kleine Schwester oder eine gute Freundin. Inzwischen nervte ihn unser fröhlich vertrautes weibliches Geschnatter im Nachbarbüro. Er begann, sie ihrer Leistungen wegen zu rügen. Angeblich hatte sie sich am Vorstellungsgespräch als sehr fleißig und ehrgeizig verkauft gehabt. Die Realität verlieh dann einen etwas anderen Eindruck. Enttäuschung und Ärger waren ihm ins Gesicht geschrieben, während ich glücklich über die unerwartet angenehme Stimmung unter uns beiden war. In Wahrheit hatte sie große private Sorgen, von denen wir damals nichts wussten. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren und zu fokussieren. Sie war froh über jede Ablenkung.
Eines Tages, in einer Teamsitzung, eskalierte die Situation jedoch in unschöner Weise. Unser Vorgesetzter war ganz offensichtlich überfordert. Mehrmals hatte er Milena bereits auf ihr lausiges Arbeitsverhalten angesprochen gehabt. Sie schien das alles allerdings gelassen genommen zu haben und änderte dementsprechend nichts. Zunehmend fühlte er sich von ihr veräppelt. So kritisierte er eine ihrer mehr schlecht als recht erledigten Aufgaben in meinem Beisein während der Sitzung über eine Dauer von über vierzig Minuten. Einen großen Teil der Schuld schob er dabei auch mir zu. Ich hätte sie mehr unterstützen und mich nicht auf private Gespräche einlassen sollen. Es war unfair. Ich bin ein hilfsbereiter Mensch und äußerst geduldig mit anderen. Natürlich nehme ich es etwas lockerer wie früher, als ich mir oftmals noch kaum Pausen zugestanden hatte, was für meine Gesundheit jetzt wahrscheinlich gar nicht so schlecht ist, aber ich bringe nach wie vor gute Leistungen, während sie in gewissen Phasen praktisch nichts macht und lieber mit Bekannten textet oder im Internet surft. Mir ist das egal. Das gute Klima in unserem Büro ist mir wichtiger und ich meine zu wissen, dass ich, wenn es mal Ernst gilt, mehr zu tun oder sogar Stress ist, auf sie zählen kann. Das reicht mir aus. Ich will sie nicht ständig überwachen. Ich lege Wert auf Selbstverantwortung und ich respektiere sie als erwachsenen, ebenbürtigen Menschen. Als solchen wird sie schließlich auch entlohnt. Im Endeffekt reagierten wir alle über, er mit Überspitzung, sie mit Trotz und ich mit Tränen. Es war ungewollt sehr persönlich und emotional geworden, was aber auch bedeutet, dass es uns nicht gleichgültig war. Dennoch verachte und schäme ich mich für meine extremen Gefühlsausbrüche hinreichend bis zu kleineren Nervenzusammenbrüchen, obschon derartige Schwankungen meine Kreativität fördern. Doch das Zeigen von Schwäche im professionellen Umfeld, empfinde ich als eine Art Gesichtsverlust. Man wird danach nie wieder gleich wahrgenommen und respektiert.
Die ersten Tage nach dieser Besprechung redete Milena weder mit mir noch mit unserem Teamleiter. Sie wich uns wo immer möglich aus, saß da und starrte nur stur auf ihren Bildschirm. Es tat mir weh, obschon ich wusste, dass sich ihre Wut nicht gegen mich richtete. Ihre freundliche Fröhlichkeit fehlte mir. Bald allerdings gingen wir - ich insbesondere aus großem Bedürfnis nach Harmonie - wieder aufeinander zu und sie plapperte mit mir erneut aufgeweckt wie zuvor. „Siehst du, nach dem Regen scheint die Sonne und nach dem Weinen wird gelacht, so heißt es doch auch in einem bekannten Schweizer Volkslied“, meinte ich. Es scheint ihr allerdings schwer zu fallen, beim Erzählen während der Arbeit ein gesundes Maß zu finden. Der Chef bedachte uns mit verurteilenden Blicken. Doch da Milena die Sympathie seiner Vorgesetzten auf ihrer Seite hat, ließ sie sich davon nicht beirren. Diese nächst höhere Vorgesetzte ist zufälligerweise ebenfalls zur Hälfte Südosteuropäerin. Ich befand mich derweil in einer schwierigen Lage zwischen Stuhl und Bank. Mit Milena sitze ich tagtäglich im Büro, mit meinem Vorgesetzten will ich es mir aber ebenfalls nicht allzu sehr verscherzen. Er nämlich überlegte sich zeitweise gar, sich von ihr zu trennen und ihr die Kündigung auszusprechen, sollte sie sich nicht maßgeblich bessern, woran er leider hochgradig zweifelte. Mitunter hatte ich das Gefühl, dass er inzwischen geradezu verbissen nach Gründen suchte, sie zu zerpflücken und zu vergraulen. Es schien mir, als ertrage er es nicht, dass wir zwei Frauen uns so gut verstehen, gemeinsam lachen, gemeinsam leiden. Es war, als ob bei ihm eine starke unterschwellige Eifersucht mitschwang. Er wollte mir meine Freundin nehmen.