Читать книгу Dr. Laurin Staffel 3 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 9
Оглавление»Wenn Papi schon mal Zeit hat, müßt ihr ausgehen«, maulte Konstantin.
»Mein lieber Sohn, was meinst du, wie gern ich zu Hause bleiben würde«, erwiderte Dr. Leon Laurin mit einem Seufzer.
»Warum müßt ihr denn auf so ’ne Party gehen, Mami?« fragte Konstantin. »Ist doch scheußliches Wetter heute.«
»Ist bestimmt mächtig glatt«, gab nun auch Kaja, Konstantins Zwillingsschwesterchen, ihren Kommentar.
Was die Zwillinge am meisten kränkte, war die Tatsache, daß auch die Großeltern an dieser Party teilnehmen würden und sie auf deren Gesellschaft verzichten mußten.
Professor Dr. Anton Sabat feierte seinen siebzigsten Geburtstag. Erst kürzlich war er von einem langjährigen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt. Er wollte seine alten Freunde noch einmal um sich versammeln, bevor er sich ganz ins Privatleben zurückzog. Professor Joachim Kayser hatte von ihm selbst erfahren, daß er seinen ständigen Wohnsitz im Tessin nehmen wollte, und das war der eigentliche Grund, warum die Familien Kayser und Laurin die Party nicht versäumen wollten. Es stand nämlich zur Debatte, daß Professor Sabat seinen hiesigen Besitz verkaufen wolle. An diesem war Joachim Kayser schon lange interessiert. Nun auch sein Schwiegersohn Dr. Laurin, denn der Park, der Professor Sabats prächtiges Haus umschloß, erstreckte sich bis zur Prof.-Kayser-Klinik.
Im Interesse der Klinik mußte sofort etwas unternommen werden.
»Mach dir doch nicht so viele Gedanken, Leon. Der Besitz ist noch nicht verkauft. Bert und Friedrich sind auf dem laufenden. Teresa und Sandra werden bestimmt ihren ganzen Charme versprühen, um Sabat für uns einzunehmen.«
»Du aber nicht«, erklärte Leon energisch. »Dieser alte Charmeur hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Du liebe Güte«, lachte Antonia, »er kann dich doch nicht ausstechen.«
»Ihr redet vielleicht komisch«, sagte Konstantin empört. »Das mag ich gar nicht.«
»Ich auch nicht«, schloß Kaja sich an.
»Ich auch nicht«, sagte der kleine Kevin, der noch einmal erschien, obgleich er gar nicht wußte, worum es ging. »Mami ist aber schön«, staunte er dann.
»Wenigstens einer macht mir ein Kompliment«, lächelte Antonia, die wirklich zauberhaft aussah in dem neuen Abendkleid, das sehr schlicht geschnitten war, aber ganz besonders elegant wirkte.
»Zu schön für diese triste Gesellschaft«, äußerte sich nun auch Leon. »Na, dann müssen wir wohl!«
Karin, der gute Geist der Familie Laurin, erschien, um sich der Kinder anzunehmen. Es gab erst noch einen tränenreichen Abschied, der dann mit dem Versprechen gedämpft wurde, daß sie am Wochenende alle gemeinsam in den Zirkus gehen würden.
*
Das Haus, ein prächtiger Bau aus der Gründerzeit, war von Scheinwerfern angestrahlt. Fast wie ein Schloß wirkte es, und fürstlich war auch der Empfang durch zwei Diener in Livree.
Glanz und Gloria vergangener Tage entfalteten sich, aber Professor Sabat selbst, mit einer attraktiven jungen Frau an der Seite, versprühte jugendliches Feuer.
Überschwenglich küßte er Antonia die Hände. »Zauberhaft sehen Sie, liebste Antonia, aus. Wie freue ich mich, Sie alle so frisch und munter wiederzusehen.«
Er sagte noch eine ganze Menge, bis er sich darauf besann, sie mit seiner Begleiterin bekannt zu machen.
Antonia schnappte nach Luft, als er Delia Dillon als seine zukünftige Frau vorstellte.
Aber er mußte sich auch anderen Gästen widmen.
Antonia stärkte sich erst einmal mit einem Sherry.
»Jetzt hat es mich aber bald umgehauen«, sagte sie atemlos. »Delia Dillon, das ist doch eine Schlagersängerin.«
»Alter schützt vor Torheit nicht«, bemerkte Leon ironisch. »Na, hoffentlich begeht er nicht noch Schlimmeres. Sie sieht ganz so aus, als wäre sie nur auf sein Geld aus.«
Ähnliches dachten wohl auch Joachim und Teresa Kayser. Auch Andreas und Sandra Brink, die sich später zu ihnen gesellten. Bert Kayser, der Bruder von Professor Joachim Kayser, und seine Frau Monika waren noch nicht erschienen.
»Da werden wir uns wohl lieber an sie halten müssen«, sagte Teresa, trotz ihrer reifen Jahre eine bemerkenswert schöne Erscheinung.
»Das müssen dann aber die Männer übernehmen«, warf Sandra, Leon Laurins aparte Schwester, ein.
»Hört euch das an«, sagte Sandras Mann Andreas seufzend, »jetzt hetzen sie uns auf eine Schlange.«
»Schlange?« sagte Antonia gedankenvoll. »Mir kommt sie mehr wie eine Raubkatze vor.«
Etwas Katzenhaftes hatte Delia Dillon an sich, aber sie war eine reizvolle Katze, umgeben von einem Hauch Frivolität. Doch das würde ja besonders auf Männer älteren Semesters wirken, meinte Teresa anzüglich.
»Auf mich nicht«, erklärte Professor Kayser brummig. »Ich habe tagtäglich mehr Schönheit um mich versammelt.«
»Schmeichler«, lachte Teresa leise und schnippte ihm ein imaginäres Stäubchen von der Schulter.
*
Dann erschienen Bert und Monika Kayser in Begleitung eines hochgewachsenen Mannes mittleren Alters, der einen etwas düsteren Eindruck machte.
Er wurde ihnen von Bert, der heute anscheinend einen ganz besonders guten Tag hatte, als Julian Westhaus vorgestellt.
Irgendwie wirkte er beunruhigt, als Professor Sabat und Delia nahten.
Andreas sah den Zeitpunkt gekommen, sich lieber dem kalten Büfett zu widmen. Leon hegte schon den Gedanken, seine häusliche Gemütlichkeit völlig nutzlos gegen dieses Tamtam eingetauscht zu haben.
Antonia gab sich sorgenvollen Gedanken hin. Damit, daß Sabat noch eine soviel jüngere Frau an sich binden würde, hatten sie nicht rechnen können.
Zur Ruhe setzen konnte man sein Vorhaben wohl kaum nennen. Wenig später sah alles schon wieder ein bißchen hoffnungsvoller aus. Bert und Monika gesellten sich wieder zu ihnen.
»Nur keine Panik«, sagte Bert Kayser, der die trüben Gedanken von ihren Mienen ablesen konnte. »Es steht nicht schlecht. Westhaus ist der andere Interessent, aber mit dem werde ich schon klarkommen.«
Leon hatte sich umgewandt und sah soeben Westhaus im Gespräch mit Delia Dillon, und ihm entging es nicht, daß sie ihre Hand auf seinen Arm gelegt hatte.
*
»Muß das sein, Delia?« fragte Julian Westhaus.
»Was meinst du?« fragte sie hintergründig. »Daß ich Anton mag? Er ist wie ein Vater zu mir.«
»Genauso sieht es aus«, bemerkte der Mann sarkastisch. »Aber ich meine etwas anderes. Für mich war es eine Überraschung, dich hier zu sehen.«
»Sonst wärst du wohl nicht gekommen?« fragte sie heiser.
»Nein, sonst wäre ich nicht gekommen«, erwiderte er kühl. »Ich kann mir keinen Skandal leisten.«
»Du willst doch den Besitz haben«, sagte sie betont. »Dann mußt du schon gut mit mir stehen.«
»Machst du seine Geschäfte?« fragte Julian Westhaus spöttisch.
»Ich habe immerhin einen beträchtlichen Einfluß auf ihn«, erwiderte sie mit einem frivolen Lächeln. »Jedenfalls freue ich mich, daß wir uns wiedersehen und noch oft wiedersehen werden. Warum hast du deine Frau nicht mitgebracht?«
Seine Augenbrauen hoben sich. »Sie besucht keine Partys«, erwiderte er.
Delia lachte auf. Es klang gefährlich.
»Man könnte sie wohl für ein Dienstmädchen halten«, sagte sie gehässig.
Sein Gesicht versteinerte sich noch mehr. »Amelie ist…« Doch er kam nicht weiter, denn Anton Sabat nahte, und in seinen Augen war ein merkwürdig wachsamer Ausdruck.
»Gestatten Sie, daß ich Ihnen Delia entführe?« fragte er.
*
Viel gab es von diesem Abend eigentlich nicht zu berichten. Es war nicht anders, als auf anderen Partys auch.
Teresa, Monika, Antonia und Sandra gaben sich die erdenklichste Mühe, die Stimmung ihrer Männer zu heben.
Es war ein vergebliches Unterfangen.
Teresa gelang es nur für ein paar Minuten, Sabat in ein Gespräch zu verwickeln. Antonia tanzte einmal mit ihm, aber es kam überhaupt kein Gespräch auf. Er schien ermüdet, vielleicht sogar ein wenig deprimiert. Das jugendliche Feuer, das er zu Beginn des Abends versprüht hatte, war jedenfalls schnell verlöscht.
Leon wäre wohl mit einer Mordswut im Bauch nach Hause gefahren, hätte er nicht rein zufällig ein kurzes Gespräch belauscht, das Delia und Julian Westhaus miteinander führten.
Leon hatte sich für ein paar Minuten verdrückt. Er brauchte unbedingt frische Luft.
Langsam ging er die Terrasse entlang und atmete die kühle Nachtluft ein. Die Musik übertönte seine Schritte, aber aus irgendeinem Raum vernahm er Delias Stimme. Er erkannte ihr sinnliches Timbre sofort.
»Sei doch nicht kindisch, Julian«, sagte sie. »Ich werde Sabat heiraten, gut. Du bist doch auch verheiratet. Ich werde seinen Namen bekommen und sein Vermögen. Sein Äußeres täuscht. Er ist ein kranker Mann, sonst hätte ich mich nicht mit ihm eingelassen. Und du wirst doch nicht ein ganzes Leben mit dem häßlichen Entlein verbringen wollen. Es kann alles wieder so sein wir früher.«
»Nein, das wird es nicht«, sagte Julian Westhaus.
»Du nimmst es mir doch nur übel, daß ich…«
Leon konnte nichts mehr hören. Ein lautes Klirren übertönte Delias Worte oder ließ sie verstummen. Dann rief plötzlich Antonia seinen Namen.
»Wo steckst du denn, Leon? Ich möchte jetzt gehen«, sagte sie müde. »Mir wird es zu blöd. Wir wollen den Abend lieber bei Bert und Monika beschließen.«
*
Sie hatten noch ziemlich lange beieinander gesessen. Professor Kayser äußerte sich recht drastisch über den alten Esel Sabat, Bert gab zu, daß er mit Delia Dillon auch nicht gerechnet hatte, und schließlich rückte Leon mit der Vermutung heraus, daß Delia und dieser Westhaus etwas miteinander hätten.
»Na, das hat uns gerade noch gefehlt«, sagte Andreas deprimiert.
»Vielleicht kommt Sabat dahinter und jagt seine Delia zum Teufel. Er hat auf mich einen recht niedergeschlagenen Eindruck gemacht«, sagte Antonia.
Leon legte den Arm um sie. »Du bist eine gute Trösterin, Antonia«, sagte er, »aber ich denke eher, daß die beiden den alten Herrn aufs Kreuz legen wollen. Hat dieser Westhaus denn eigentlich das Kapital, um das Grundstück zu kaufen?«
»Er ist stinkreich«, warf Andreas ein. »Daran gibt es keinen Zweifel. Ich habe die besten Informationen von Friedrich.«
*
Zwei Tage später, sie hatten das Thema Grundstückskauf lieber nicht mehr erörtert, sollte Dr. Leon Laurin Amelie Westhaus ganz überraschend kennenlernen.
Hanna Bluhme, seine Sprechstundenhilfe und tüchtige Bürokraft, erwartete ihn schon dringend, als er aus dem Operationssaal kam.
»Eine Frau Westhaus wartet schon seit eineinhalb Stunden«, sagte sie. »Eine so geduldige Patientin habe ich noch nicht erlebt.«
Er mußte wirklich töricht dreinschauen, denn Hanna musterte ihn verblüfft.
»Frau Westhaus? Patientin?« wiederholte er mechanisch. »Das ist ja merkwürdig.«
Wieso das merkwürdig sein sollte, konnte sich Hanna nicht denken. Schließlich war das ja auch eine Frauenklinik.
Aber Dr. Laurin gab darüber keine Aufklärung, er hatte es plötzlich eilig. Er wechselte seinen Kittel, und wenig später trat Amelie Westhaus ein.
Unglücklich sah sie aus, wie Dr. Laurin für sich feststellte, und ein wenig farblos.
Irgendwie überraschte es ihn, daß sie ihn tatsächlich als Arzt konsultieren wollte. Ob ihr Mann sie hergeschickt hatte?
»Ich würde gern die Bestätigung von Ihnen haben, daß ich ein Baby bekomme, Herr Doktor«, sagte sie leise, aber mit einer angenehmen Stimme.
Er sah sie forschend an. Ihr Gesicht war schmal. Die Haut sehr zart und rein. Schöne, weitgeschnittene graue Augen, umgeben von einem Kranz dunkler Wimpern, blickten ihn an. Keinerlei Make-up störte die mädchenhafte Reinheit dieses Gesichtes. Sie gehörte zu dem Typ Frau, der Leons Ritterlichkeit auf den Plan rief. Selten genug war das der Fall. Heutzutage wußten die meisten Frauen ihre Vorzüge ins rechte Licht zu rücken, und ein Mann wie er forderte dies ungewollt heraus. Dr. Laurin war ein ungewöhnlich attraktiver Mann, doch Amelie Westhaus nahm das nicht zur Kenntnis.
Sie hatte ihre Hände ineinander verschlungen und wich seinem Blick aus. Er wanderte in eine uferlose Ferne.
»Das ist sehr wichtig für mich«, sagte sie leise.
»Daß Sie ein Baby bekommen?« fragte er ruhig. Unwillkürlich dachte er, ob das wohl der einzige Grund gewesen sei, warum Julian Westhaus sie geheiratet hatte, eine unscheinbare, aber wahrscheinlich standesgemäße Frau.
Noch wußte er nicht, daß er damit den Nagel auf den Kopf traf.
Sie nickte gedankenverloren. »Ich will mir Gewißheit verschaffen«, sagte sie dann rasch. »Ich möchte nicht, daß mein Mann von diesem Besuch erfährt. Ich möchte ihn keinesfalls enttäuschen.«
Er hütete sich, ihr zu sagen, daß er ihren Mann bereits kennengelernt hatte.
»Wir sind nämlich schon über ein Jahr verheiratet«, fuhr sie mit belegter Stimme fort.
»Ein Jahr ist doch keine Zeit«, sagte er beiläufig, aber der traurige Blick verriet ihm, daß es für sie eine sehr lange Zeit war.
Während der Untersuchung konnte er feststellen, daß sie völlig gehemmt und verängstigt war. Für eine bereits seit mehr als einem Jahr verheiratete Frau war das sehr merkwürdig, aber anscheinend war das auch eine sehr eigenartige Ehe. Noch mehr allerdings setzte es ihn in Erstaunen, daß sie bereits über den vierten Monat der Schwangerschaft hinaus sein mußte, obgleich man es äußerlich kaum spürte.
Als er es ihr bestätigte, kam ein heller Glanz in ihre Augen. Sogar ein Lächeln legte sich um ihren Mund.
»Sie können nicht wissen, was es für mich bedeutet«, sagte sie verhalten. »Ich hatte so entsetzliche Angst, daß ich mich getäuscht haben könnte«, bekannte sie scheu.
»Haben Sie denn niemanden, mit dem Sie sprechen können?« fragte er nach kurzem Überlegen.
Sie schüttelte den Kopf. »Meine Mutter ist früh gestorben. Mein Vater vor ein paar Jahren. Die Tante meines Mannes nahm mich auf. Aber wozu erzähle ich das? Könnte ich die Konsultation bitte sofort begleichen, Herr Doktor?«
»Ich würde es gern sehen, wenn Sie regelmäßig zur Kontrolle kommen würden«, stellte er fest. »Ein paar gute Ratschläge müssen Sie auch mitnehmen. Viel frische Luft, keine Aufregungen, vor allem keine Überanstrengung.«
»Anzustrengen brauche ich mich nicht. Wir haben genügend Personal. Meistens leben wir ja auf dem Land. Nur jetzt sind wir für einige Wochen in der Stadt. Mein Mann hat geschäftlich zu tun.«
Er hat sie mitgenommen, dachte Dr. Laurin, aber auf Partys scheint er sich lieber nicht mit ihr zu zeigen. Aus Rücksicht auf ihre Gesundheit vielleicht?
»Wir werden doch lieber eine Blutprobe machen. Welche Blutgruppe haben Sie?«
»Das weiß ich nicht.«
»Um so wichtiger ist es, daß wir sie bestimmen«, erklärte er.
»Ist das denn nötig?«
»Es kann manchmal lebensrettend sein, auch für das Kind«, erwiderte er. »Der Rhesusfaktor ist sogar von großer Bedeutung. Dann kommen Sie bitte Ende der Woche noch einmal und holen sich den Befund ab.«
Er hoffte, daß sie wiederkommen würde. Vielerlei Gedanken gingen ihm durch den Sinn, die eine Antipathie gegen Julian Westhaus in ihm weckten, aber eine um so größere Sympathie für diese junge Frau.
*
Amelie und Julian Westhaus wohnten in einem Gästehaus in einer abgelegenen Straße dieses Vorortes.
Professor Sabat hatte das vermittelt, aber Julian gelangte immer mehr zu der Überzeugung, daß es von Delia so arrangiert worden war. Dem Makler, der ihm den Besitz von Professor Sabat angeboten hatte, war es ungewollt herausgerutscht, daß Delia die Sache in die Wege geleitet hatte.
Julian war verärgert, aber er wurde auch von seinem Gewissen geplagt. Er hatte sich vorgenommen, mit Amelie zu sprechen, aber sie war nicht da, als er heimkehrte.
Er hatte sich mit seinem jetzigen Leben, das sein Vater so bestimmt hatte, abgefunden. Es stimmte ihn besorgt, daß Delia immer noch daran dachte, ihn zurückzugewinnen.
Es war verrückt, was sie vorhatte. Sabat war wirklich ein alter Narr, wenn er dieses Spiel nicht durchschaute. Ein unwürdiges Spiel, das einem Westhaus nicht anstand. Schließlich hatte er sich für die Tradition seiner Familie entschieden und war sich der Konsequenzen bewußt gewesen, als er es tat. Sein Verstand hatte so entschieden.
Amelie kam eine halbe Stunde später. Sie war überrascht und erschrocken, ihren Mann vorzufinden.
»Wo warst du?« fragte er.
Amelie zuckte zusammen. »Spazieren«, erwiderte sie und errötete.
»Die Luft bekommt dir gut«, bemerkte er. »Du hast sogar ein bißchen Farbe bekommen. Aber könntest du dich nicht ein bißchen geschmackvoller kleiden? Auf dem Land macht es ja nichts aus, aber was müssen die Leute hier denken, wenn sie dich so sehen?«
»Ich werde mir Mühe geben«, sagte sie gehorsam.
»Damit ist es nicht getan. Du wirst einmal einen eleganten Modesalon aufsuchen. Morgen siedeln wir in ein Hotel in die Innenstadt über.«
Das Leuchten in ihren Augen erlosch.
»Könnte ich nicht noch ein paar Tage hierbleiben, Julian?« fragte sie scheu.
»Wieso?« fragte er irritiert.
»Es ist sehr hübsch hier, man kann spazierengehen. In der Stadt weiß ich doch gar nicht, was ich anfangen soll.«
Er überlegte ein paar Sekunden. »Gut, meinetwegen«, sagte er dann. »Ich werde bis zum Wochenende ohnehin sehr viel unterwegs sein. Am Samstag ist der Empfang bei Konsul Lemont. Diesmal möchte ich dich sehr um deine Begleitung bitten.«
»Wenn du es wünschst…«, sagte sie leise.
*
Dr. Laurin war froh, an diesem Abend pünktlich aus der Klinik zu kommen.
»Hast du heute wieder was vor?« fragte Konstantin skeptisch.
»Nein, warum meinst du das?«
»Weil du schon so früh kommst«, erwiderte Konstantin. »Das ist man ja gar nicht gewohnt. Mami ist nämlich noch bei Sandra.«
Aber im selben Augenblick kam sie schon, ein bißchen außer Atem, aber recht fidel, wie Leon feststellen konnte, und er vermutete auch sogleich, daß sie etwas auf dem Herzen hatte, da sie ihm zublinzelte.
Es war etwas ungewöhnlich, daß sie zu Sandra fuhr, ohne die Kinder mitzunehmen. Den Grund erfuhr er jedoch erst am späten Abend, nachdem sie ihre Trabanten endlich zur Ruhe gebracht hatten.
Antonia mixte für jeden einen Drink und stellte Gebäck auf den Tisch. »Fein, daß wir ein bißchen Zeit haben«, sagte sie. »Ich habe dir viel zu erzählen.«
»Ich dir auch«, entgegnete er.
»Dann fang du an«, sagte sie.
»Du wirst es nicht glauben, aber heute war Amelie Westhaus bei mir«, begann er.
Antonias schöngeschwungene Augenbrauen hoben sich leicht. »Ist das die Möglichkeit«, sagte sie erstaunt. »Aus welchem kühlen Grunde?«
»Sie erwartet ein Baby.«
»Dann tut sie ja ihre Pflicht und Schuldigkeit«, erklärte Antonia ironisch.
»So was höre ich nicht gern«, meinte Leon stirnrunzelnd.
»Ob du es nicht gern hörst oder nicht, ist diesbezüglich egal. Jedenfalls hat er sie darum geheiratet. Ja, darum, Leon. Um seinem Erben eine ebenbürtige Mutter zu geben. Mich bringt so etwas in Harnisch.«
»Woher beziehst du dein Wissen?« fragte Leon.
»Von deiner Schwester. Sandra hat sich informiert. Sie hat die Gellenstein eingeladen.«
»Wer ist das?« fragte er verblüfft.
»Die Freiin von Gellenstein ist die Klatschtante der feinen Welt«, erwiderte Antonia munter. »Sie hört alles, sie weiß alles, sie ist das wandelnde Tageblatt, aber sonst eigentlich nicht übel. Recht ansehnlich dazu. Es war ein unterhaltsamer Nachmittag.«
»Du läßt die Kinder zu Hause, um dir die Geschichten einer Klatschtante anzuhören?« fragte er konsterniert.
»Wir wollten eine ganz bestimmte Geschichte hören«, erklärte Antonia. »Nämlich die von Westhaus und einer gewissen Delia Dillon, die bald Frau Sabat werden soll. Meine Güte, man kann doch auch mal neugierig sein. Mit unserer Omi ist da nichts mehr anzufangen. Sie kümmert sich nur noch um ihre Enkelkinder.«
Ja, früher war immer Teresa diejenige gewesen, die über allen Gesellschaftsklatsch Bescheid wußte.
»Es ist eine interessante Story«, sagte Antonia.
»Dann erzähle mal«, meinte Leon.
»Julian Westhaus war mit Delia vor vier Jahren liiert. Sein Vater war dagegen. Eine Schlagersängerin paßte nicht in die erlauchte Familie der Westhaus.«
Antonia machte es auf die spöttische Art. »Ob nun der alte Baron seinen aus der Art geschlagenen Sprößling zur Räson gebracht hat, oder ob sein Testament Delia zurückscheuchte, weiß niemand. Ich nehme das Letztere an, nachdem ich sie kennengelernt habe und ahne, wozu sie für Geld alles fähig ist. Also, der alte Westhaus machte ein Testament, in dem er seinen Sohn enterbte, falls er Delia Dillon heiraten würde. Er muß das ziemlich drastisch und laut verkündet haben, denn bald darauf nahm die Dillon ein Engagement im Ausland an, und der brave Julian machte seinen Doktor in Philosophie. Dann verkündete er seine Verlobung mit Amelie von Hartenstein, Tochter aus edlem, aber verarmten Geblüt, die als Haustochter bei seiner Tante Donata weilte.«
»Ja, sie hat mir gesagt, daß die Tante ihres Mannes sie nach dem Tode ihrer Eltern zu sich genommen hätte. Sie ist übrigens ein sehr scheues, aber sehr sympathisches Wesen.«
Antonia blinzelte.
»Frau Gellenstein sagte, daß sie völlig unscheinbar sei und nirgends in Erscheinung treten würde.«
»Sie ist sehr zurückhaltend. Ich würde sagen unterjocht«, erklärte Leon aggressiv.
Antonia sah ihn nachdenklich an. »Sie hat deine Ritterlichkeit geweckt, also muß etwas an ihr dran sein«, bemerkte sie.
»Wie genau du mich kennst, Liebling.«
Sie lehnte sich an ihn und blickte träumerisch. »Alle Frauen, die nicht geliebt werden, tun mir leid«, sagte sie leise. »Aber zurück zu Amelie Westhaus. Sie bekommt also ein Baby.«
»Ja, die Hälfte der Zeit ist schon bald vorüber, aber sie war noch nie beim Arzt.
Sie hat mir schüchtern bekannt, daß sie sich schon einmal getäuscht hatte«, sagte Leon sinnend. »Ich nehme an, daß er nicht sonderlich viele Nächte mit ihr geteilt hat. Ich habe was gegen diesen Mann.«
»Du bist für die Frau«, erklärte Antonia. »Ich muß sie kennenlernen.«
»Gefährlich werden kann sie dir nicht, mein Schatz, aber du würdest sie gern haben. Ich hatte direkt Vatergefühle. – Was, zum Teufel, ist jetzt noch zwischen ihm und dieser Delia?«
»Willst du dich etwa einmischen? Die Gellenstein hat gesagt, daß er nur noch wenig in Erscheinung tritt. Geld hat er wie Heu, aber er lebt mit seiner Frau nur auf dem Gut.«
»Augenblicklich nicht. Sie wohnen im Gästehaus Grün. Du kennst doch Frau Grün auch?« fragte er sinnend hinzu.
»Meinst du etwa, ich sollte ihr mal einen Besuch machen?« fragte Antonia konsterniert.
»Sie würde sich bestimmt freuen, wenn sie die Zwillinge mal wieder beäugen könnte«, erwiderte Leon.
»Na, diese Amelie muß wirklich ein besonderes Wesen sein«, stellte Antonia anzüglich fest.
»Ein Geschöpf, das Mitgefühl erregt und das eine sehr anmutige Frau sein könnte, wenn eine kluge Freundin ihr helfen würde.«
»Und diese kluge Freundin soll wohl ich sein?«
»Du würdest ein gutes Werk tun, mein Liebes. Sei ehrlich, neugierig bist du doch auch.«
Das leugnete sie diesmal nicht. Sie war sehr neugierig geworden, was sie aber nicht hinderte, das Glück zu genießen, ihrem Mann noch immer eine begehrenswerte Frau zu sein.
*
Während Dr. Laurin anderntags schon wieder im Operationssaal stand, zog Antonia ihre Kinder zu einem Spaziergang an.
»Schön ist das Wetter gerade nicht«, meinte Konstantin.
»Aber gute Luft ist es. Von allem Staub befreit. Wir machen unsere Trimm-dich-Aktion, Konstantin.«
Damit konnte sie ihm den kleinen Ausflug schmackhaft machen. Kevin dagegen konnte das Vergnügen genießen, heute bei Omi und Opi Hahn im Korb zu sein.
Die Zwillinge sahen süß aus in dem gelben Lackmäntelchen, und Antonia war, wie immer, bildhübsch anzuschauen. Sie war eine ausgesprochen attraktive Frau mit einem gewissen Etwas, das überall Aufsehen erregte. So war es auch nicht verwunderlich, daß jedermann ihnen nachschaute. Bekannt waren sie ohnehin, und wenn sie durch die Straßen gingen, mußte sie es einkalkulieren, daß sie oftmals angesprochen wurde.
»Wo wollen wir denn eigentlich hin?« fragte Konstantin.
»Ein Stück durch den Wald, und dann können wir mal Frau Grün besuchen«, sagte Antonia.
»Frau Grün haben wir schon lange nicht mehr besucht«, meinte Kaja. »Das ist fein, Mami. Vielleicht hat sie wieder junge Kätzchen.«
»Koko hat sie doch auch sicher noch«, meinte Konstantin hoffnungsvoll, denn Frau Grüns sprechender Wellensittich hatte ihnen damals sehr imponiert. Sie hatten mal Gäste aus dem Ausland bei Frau Grün einquartiert gehabt, weil für vier Personen doch kein Platz mehr in ihrem Haus war.
Frau Grün hatte ihr Altersproblem vorzüglich gelöst. Sie hatte das hübsche Haus, das sie mit ihrem Mann bewohnt hatte, der in der Prof.-Kayser-Klinik an einem Leberleiden gestorben war, umbauen lassen zu einer komfortablen Pension, in der sie zehn Gäste aufnehmen konnte. Das Haus
war eigentlich ständig belegt. Frau Grün hatte eine Beschäftigung und immer Kontakt zu Menschen. So sah sie mit ihren fast siebzig Jahren noch jung und rüstig aus.
Als sie auf Konstantins stürmisches Läuten die Tür öffnete, ging ein Strahlen über ihr Gesicht.
»Das ist aber eine Überraschung!« rief sie freudig aus. »Liebe Frau Laurin, blendend sehen Sie aus.«
»Sie aber auch, Frau Grün«, sagte Antonia herzlich.
»Wir machen jetzt nämlich Trimm-dich, und da dachten wir, daß wir Sie mal wieder besuchen können«, erklärte Konstantin eifrig.
»Na, hoffentlich macht ihr künftig dann recht oft Trimm-dich«, lachte Frau Grün. »Ich freue mich, wenn ihr zu mir kommt.«
»Aber nicht so laut, es werden doch Gäste da sein«, sagte Antonia. Alles hatte einen ganz harmlosen Anstrich, und auch, als Frau Grün erklärte, daß augenblicklich nur Frau Westhaus im Hause sei, zuckte Antonia mit keiner Wimper.
»Die anderen sind tagsüber immer unterwegs«, erklärte Frau Grün. »Spätestens elf Uhr sind alle mit dem Frühstück fertig, dann gehört der Tag mir. Ihr dürft ruhig toben, Kinder, Frau Westhaus ist sehr nett. Sie beschwert sich nicht.«
Antonia brauchte gar nicht lange zu überlegen, wie sie Amelie Westhaus am besten kennenlernen könnte, denn wenig später erschien sie von selbst.
»Dürfte ich mir einen Tee machen, Frau Grün?« fragte sie höflich.
Antonia und die Kinder waren eben im Nebenzimmer und ließen sich von Koko etwas erzählen. Aber Antonia hörte die Frage und trat ganz schnell in das Wohnzimmer, wo Frau Grün für ihre Gäste den Tisch hatte decken wollen.
»Oh, guten Tag«, tat sie überrascht.
»Darf ich bekannt machen? Frau Dr. Laurin – Frau Westhaus«, stellte Frau Grün vor.
»Frau Dr. Laurin?« fragte Amelie befangen.
»Ja, sie ist auch eine richtige Frau Doktor«, erklärte Frau Grün. »Sie hat früher als Ärztin praktiziert, und Dr. Laurin besitzt heute die Prof.-Kayser-Klinik.«
Feine Röte stieg in Amelies Wangen. Sie wollte wohl nicht zugeben, daß sie Dr. Laurin kannte, aber sie sagte: »Ich freue mich, Sie kennenzulernen.«
»Ich freue mich auch«, erwiderte Antonia herzlich. Leon hatte recht. Dieses schüchterne Geschöpf verdiente Mitgefühl.
Natürlich hatten die Zwillinge die Stimmen gehört und wollten nun auch wissen, mit wem ihre Mami da sprach. Sie kamen hereingestürmt.
»Das sind meine Zwillinge Konstantin und Kaja«, sagte Antonia. »Hoffentlich machen sie nicht zuviel Krach.«
»Mich stört es nicht. Ich habe Kinder gern«, sagte Amelie, und damit hatte sie bei den Zwillingen schon ein Stein im Brett.
»Sie könnten doch eigentlich mit uns Tee trinken, Frau Westhaus«, sagte Frau Grün freundlich. »Das tun wir sonst auch«, fügte sie erklärend zu Antonia gewandt hinzu. »Herr Westhaus hat nämlich in der Stadt zu tun.«
»Ich wollte eigentlich lieber hierbleiben, weil es hier so angenehm zu wohnen ist«, sagte Amelie rasch.
»Dr. Laurin habe ich es eigentlich zu verdanken, daß ich die Pension habe«, erklärte Frau Grün. »Damals, als mein Mann starb, sagte er mir, ich solle mir eine Beschäftigung suchen, und das habe ich dann auch getan. Es war gut so für mich.«
»Und für Ihre Gäste, liebe Frau Grün«, sagte Amelie warm. »Es ist so heimelig bei Ihnen.«
»Ich helfe Ihnen rasch«, erklärte Antonia, als Frau Grün in die Küche ging. »Ihr unterhaltet Frau Westhaus inzwischen«, sagte sie zu den Kindern.
Antonia hoffte, nun von Frau Grün mehr über Amelie zu erfahren, und sie hatte sich nicht getäuscht.
Wie die meisten alten Damen war Frau Grün mitteilsam, und besonders bei Antonia brauchte sie sich keinen Zwang anzutun.
»Im Grunde ist das ein ganz armes Hascherl, obgleich sie sehr reich ist«, erzählte sie sofort. »Sie war richtig glücklich, daß sie hierbleiben konnte. Ist auch eine komische Ehe. Sie sagt zu allem ja und amen. Man müßte ihr ein bißchen das Rückgrat stärken.«
Antonia wurde sehr nachdenklich, noch mehr, als sie sah, wie reizend sich Amelie mit den Kindern beschäftigte.
»Sie heißt Amelie«, sagte Konstantin begeistert, »und sie könnte uns eigentlich mal besuchen, Mami.«
»Ja, Amelie soll uns mal besuchen!« rief auch Kaja.
Antonia lächelte. »Unsere Kinder sind zutraulich, wenn sie jemanden mögen. Sie können aber auch sehr widerspenstig sein, wenn das Gegenteil der Fall ist.«
»Amelie mögen wir«, versicherte Konstantin.
»Das merke ich«, erwiderte Antonia.
Amelies Wangen färbten sich noch dunkler, aber es stand ihr gut, und auch Antonia dachte, daß sie viel mehr aus sich machen könnte.
»Ich bin nur noch ein paar Tage hier, dann gehe ich auch in die Stadt«, sagte Amelie leise, und es klang freudlos.
»Dann besuchen Sie uns doch morgen«, schlug Antonia heiter vor.
»Ja, das soll sie tun!« rief Kaja aus. »Sie weiß nämlich, wie man aus Taschentüchern Häschen macht. Da wird Kevin auch Spaß haben.«
»Es würde mich wirklich freuen«, sagte Antonia, und da fing sie einen Blick von Frau Grün auf, der verriet, daß diese manches ahnte.
»Das ist sehr nett von Ihnen, Frau Dr. Laurin, aber ich bin doch eine völlig Fremde für Sie«, sagte Amelie verlegen.
»Das sind Sie jetzt schon nicht mehr.«
»Das bist du gar nicht mehr«, erklärte Kaja, und da sie schon beim Du waren, gab es daran nicht den geringsten Zweifel.
*
Delia hatte keine Ahnung, daß Julian nach München gefahren war. Sie wartete auf einen günstigen Augenblick, um aus dem Haus zu kommen, da sie ihn unbedingt noch einmal sprechen wollte. Sie wußte, daß er im Gästehaus Grün wohnte, aber nicht, daß auch seine Frau dort war.
Sie zog den kostbaren Pelzmantel über, den Anton Sabat ihr erst kürzlich geschenkt hatte, doch als sie an der Haustür war, kam er gerade aus der Stadt zurück.
»Wohin willst du?« fragte er.
»Ein wenig an die Luft gehen«, erwiderte sie mit ihrem süßesten Lächeln.
»Bleib nicht zu lange. Ich bekomme nachher Gäste«, sagte er. »Jetzt möchte ich mich noch ein bißchen niederlegen.«
Alter Tattergreis, dachte sie ironisch. Aber ihr konnte es ja nur recht sein.
»Ist Westhaus nun eigentlich interessiert an dem Besitz?« fragte sie lauernd.
»Warum konzentrierst du dich eigentlich so auf ihn?« fragte er gepreßt. »Es gibt noch andere Interessenten.«
»Er hat das meiste Geld.«
»Weißt du das so genau?« fragte er nachdenklich. »Man darf den Leuten nicht zu sehr entgegenkommen, Delia, das drückt den Preis.«
Sie hörte keine Zweideutigkeit aus seinen Worten heraus, und doch war sie darin enthalten. Anton Sabat hatte seinen Verstand nicht ganz an sie verloren. Er hatte heute wieder einiges gehört, was ihn sehr nachdenklich stimmte. Allerdings war er wirklich zu müde, um sich damit jetzt noch mehr zu beschäftigen, und ihre ganze Anziehungskraft auf ihn hatte Delia noch nicht verloren. Bis zu einem gewissen Grad war er ihr hörig. Eine noch so junge, so begehrenswerte Frau konnte einem Mann in seinem Alter schon gefährlich werden.
Er machte sich keine allzu großen Sorgen, als sie ging, denn er wußte ja, daß Julian Westhaus sich in München ein Hotelappartement genommen hatte. Er kam eben von einer Besprechung mit ihm, was er Delia nur nicht hatte verraten wollen, weil er jetzt wußte, daß früher intime Beziehungen zwischen ihnen bestanden hatten.
Das hatte ihm einen solchen Tiefschlag versetzt, daß er um keinen Preis der Welt mehr bereit war, ihm den Besitz zu verkaufen. Deswegen hatte er auch Bert Kayser und Dr. Brink für diesen Abend eingeladen.
Noch war Anton Sabat nicht bereit, Delia aufzugeben, aber er wollte weg von hier. So schnell wie möglich.
Im Tessin war sie weit entfernt von Julian Westhaus.
Mit solchen Überlegungen sank er in einen tiefen Erschöpfungsschlaf, während Delia sich auf den Weg zum Gästehaus Grün machte.
*
Donnerstag nachmittag hatte Frau Grün ihr Kaffeekränzchen mit ein paar alten Damen. Sie ging dann schon gegen zwei Uhr aus dem Haus, um wieder früh genug zurück zu sein.
Gegen drei Uhr wollte Antonia Amelie abholen.
Sie war eine halbe Stunde weg, als es läutete. Amelie wurde unruhig, weil sie gerade festgestellt hatte, daß ihre Uhr stehengeblieben war. Sollte das schon Frau Laurin sein? fragte sie sich und geriet in Aufregung, weil sie ihre Haare noch nicht gebürstet hatte. Aber da läutete es zum zweiten Mal, und so, wie sie war, lief sie zur Tür.
Aber draußen stand nicht Frau Laurin, sondern eine ihr fremde Frau.
»Ich möchte zu Herrn Westhaus«, sagte die Frau herrisch.
Amelie brachte nicht über die Lippen zu sagen, daß sie Frau Westhaus sei.
»Er ist nicht da«, erwiderte sie stockend. »Er ist in der Stadt.«
»Wann kommt er zurück?« fragte Delia, die auch keine Ahnung hatte, daß Amelie vor ihr stand, denn sie hatte nie ein Bild von ihr gesehen.
»Gar nicht«, erwiderte Amelie und war im selben Augenblick froh, sich nicht vorgestellt zu haben.
»Wissen Sie seine Adresse?« fragte Delia.
»Nein«, griff Amelie schnell zu einer Notlüge. »Frau Grün ist auch nicht da. Ich bin ganz allein im Haus.«
Mit einem flüchtigen Gruß entschwand Delia wieder, ohne ihren Namen genannt zu haben. Dennoch hatte Amelie ein banges Gefühl.
Alles drehte sich um sie. Sekundenlang lehnte sie an der Wand, und dann läutete es wieder.
Diesmal war es Antonia Laurin, die einen Aufschrei unterdrücken mußte, als sie in das wachsbleiche Gesicht der jungen Frau blickte.
»Es tut mir leid. Mir war so übel«, stammelte Amelie. »Ich bin noch nicht mal gekämmt.«
»Kommen Sie«, sagte Antonia fürsorglich. »Kämmen können Sie sich auch bei uns. Sicher ist es Ihnen schlecht, weil Sie ein Baby erwarten.«
»Sie wissen es?« fragte Amelie zögernd.
»Eine Frau, die selbst Mutter ist, sieht es«, erwiderte Antonia, und das entsprach sogar der Wahrheit. Selbst wenn sie es nicht gewußt hätte, heute hätte sie es gemerkt.
Amelie ließ sich willenlos zum Auto führen.
»Es ist gut, daß ich die Kinder daheim gelassen habe. Nun können Sie sich erst einmal ein bißchen erholen«, sagte sie. »Haben Sie sich erschrocken?«
»Woher wissen Sie das?« fragte Amelie tonlos.
»Weil mir immer übel war, wenn ich mich erschrocken habe«, erklärte Antonia.
»Da war eine Frau, die wollte meinen Mann sprechen«, sagte Amelie gequält. »Ich kenne sie nicht. Ich habe nicht gesagt, daß ich Julians Frau bin.«
Was für ein Kind ist sie doch noch, dachte Antonia mitleidvoll. Sie ahnte, wer diese Frau gewesen war. Und sie wollte jetzt nichts anderes mehr, als Amelie helfen. Das konnte man aber nicht, wenn man um den heißen Brei herumredete.
»Amelie«, sagte sie weich. »Darf ich Sie so nennen?«
Amelie nickte.
»Ich habe Ihre Bekanntschaft gesucht«, fuhr Antonia fort. »Mein Mann hat mir erzählt, daß Sie bei ihm waren. Zwei Tage zuvor haben wir Ihren Mann bei Herrn Sabat kennengelernt.«
»Ja, da war er. Er hat es mir gesagt«, erwiderte Amelie mit schwerer Stimme. »Er wollte mit ihm wegen eines Besitzes verhandeln.«
»Dort traf er Delia Dillon«, sagte Antonia.
»Delia Dillon«, wiederholte Amelie mit einem Aufschluchzen.
»Ich möchte Ihnen die Wahrheit sagen, Amelie, weil nur die Wahrheit Ihnen helfen kann«, sagte Antonia. »Ich möchte Ihnen helfen.«
»Warum wollen Sie das? Sie kennen mich doch kaum.«
»Ich fühle, daß Sie einen Menschen brauchen, und mein Mann hat es auch gefühlt. Mir liegt die Schauspielerei nicht, aber da wir uns nun kennen, möchte ich nicht mit ansehen, wie Sie leiden. Auch das spürt man, Amelie«, schloß sie weich.
»Ich kann doch nichts tun«, schluchzte Amelie auf. »Ich war ein Nichts, als Julian mich heiratete. Tante Donata hat es ihm eingeredet. Sie hat es gutgemeint, auch mit mir.«
»Warum haben Sie ihn geheiratet? Nur weil Tante Donata es Ihnen eingeredet hat?«
Amelie schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Ich liebe ihn, ich habe ihn immer geliebt«, flüsterte sie.
»Kindchen, warum kämpfen Sie dann nicht um diese Liebe?« fragte Antonia nach einer kleinen Pause. »Sie sind doch eine Frau – seine Frau!«
»Ich kann ihm doch gar nichts bedeuten. Ich kann ihm nur einen Erben zur Welt bringen. Mehr kann ich nicht tun.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Antonia beinahe zornig. »Herrgott im Himmel, gibt es denn keinen Menschen, der Ihnen Mut gemacht hätte?«
Amelie schüttelte den Kopf. »Tante Donata hat gesagt, daß es ein großes Glück für mich ist, Julians Frau zu werden. Sie sagt, daß ich die richtige Frau für ihn bin.«
»Aber wahrscheinlich ist sie genauso weltfremd wie Sie«, sagte Antonia.
»Sie ist doch schon achtzig Jahre alt«, murmelte Amelie.
Ein Kind und eine achtzigjährige Frau? Antonia fröstelte es. Wahrscheinlich hatte sie noch kein liebes Wort von ihrem Mann vernommen. Weiter wollte sie gar nicht denken.
»Sie werden ihm die Hölle heißmachen«, sagte die temperamentvolle Antonia.
»Ich?« fragte Amelie verwundert.
»Vertrauen Sie mir?«
Amelie nickte.
»Dann werde ich Sie in die Schule nehmen. Sind Sie dazu bereit?«
»Was soll ich denn tun?« fragte Amelie kleinlaut.
»Eine Frau werden, die den Männern den Kopf verdreht. Es wäre doch gelacht, wenn dies nicht möglich wäre.«
»Aber das will ich gar nicht. Jetzt bekomme ich das Baby.«
»Für ihn oder auch für sich?« fragte Antonia energisch. »Wollen Sie Ihr Baby behalten, Amelie?«
»Ich habe es mir gewünscht«, erwiderte die junge Frau leise. »Ich glaube daran, daß er, Julian, dann nicht mehr über mich hinwegsehen würde.«
»Ein Baby kommt nicht von irgendwoher«, bemerkte Antonia sanft. »Es gehören ein Mann und eine Frau dazu.«
Da begann Amelie zu weinen, und es dauerte lange, bis sie sich beruhigte.
»Morgen fahren wir in die Stadt, Amelie«, sagte Antonia liebevoll. »Wir gehen zum Friseur, wir kaufen Ihnen die schönsten Kleider, die wir finden können. Ihr Mann wird nicht mehr wissen, wer er ist, wenn er Sie sieht.«
Amelie sah sie zweifelnd an, aber sie nickte zustimmend. »Julian hat gesagt, daß ich mich hübscher anziehen soll«, sagte sie leise.
Dann ist ja noch nicht Hopfen und Malz verloren, dachte Antonia. Er merkt wenigstens, daß aus ihr etwas zu machen wäre.
*
Amelie hatte sich offensichtlich große Mühe gegeben, vorteilhaft auszusehen, aber man spürte, wie unsicher sie in sich selbst war.
Wie sich herausstellte, verfügte Amelie über ein eigenes Konto, das Julian ihr eingerichtet hatte, als sie heirateten. Bisher hatte sie davon kaum Gebrauch gemacht, und jetzt machte sie sich schon Gedanken, was ihr Mann wohl sagen würde, wenn sie auf einmal soviel Geld ausgab.
Antonia lachte. »Wenn er eine elegante Frau haben will, muß er damit rechnen. Es tut ihm doch nicht weh.«
Beim Friseur waren sie schon angemeldet. Diskret führte Antonia ein kurzes Gespräch mit der jungen Friseuse, von der sie sich immer bedienen ließ. Die Haare bekamen einen modischen Schnitt. Sehr apart war Amelies Gesicht, da das Haar sich nun locker um die schmalen Wangen legte. Sich selbst mußte sie eben noch mehr Schwung geben, aber das würde schon mit der Kleidung kommen, hoffte Antonia.
Natürlich mußte es Kleidung sein, die schon auf ihren Zustand zugeschnitten war. Ein Abendkleid brauchte Amelie auch, für den Empfang beim Konsul Lemont, wie sie beklommen erzählt hatte.
»Ich weiß nicht, warum Julian mich dorthin mitnehmen will«, sagte sie nachdenklich.
»Sie werden ihn überraschen«, erklärte Antonia energisch. »Also, Lektion eins: Kopf hoch und ein klein wenig von oben herab, das steht einer werdenden Mutter gut zu Gesicht.«
Sie fand den leichten, humorigen Ton, der nicht verletzend war.
»Julian merkt doch gar nicht, daß ich ein Baby erwarte«, sagte sie leise.
»Dann wird es aber Zeit, daß Sie es ihm sagen. Möglichst in einem Augenblick, der ihm wenig Zeit zum Nachdenken läßt. Sagen Sie es ganz beiläufig. Aber das wird sich schon ergeben. Nun Lektion zwei: Denken Sie in jeder Situation daran, daß Sie seine Frau sind. Besonders dann, wenn Ihnen Delia Dillon noch einmal begegnen sollte. Sie tragen seinen Namen. Niemand braucht zu merken, daß Sie an seinen Gefühlen zweifeln.«
»Ich zweifle doch nicht. Ich weiß, daß ich ihm nichts bedeute«, erwiderte Amelie.
»Also gut, dann wissen Sie es, aber andere brauchen es nicht zu wissen, und Sie haben ein Recht, an seiner Seite zu sein. Niemand sonst. Er wird das in der Öffentlichkeit bestimmt nicht in Frage stellen. Manchmal beruhen Konflikte auch auf Mißverständnissen. Kommen wir zur Lektion drei, die solche eventuell beheben kann. Sie nehmen sich vor, ihm zu gefallen. Dabei werden Sie vielleicht anderen Männern gefallen. Sie ahnen gar nicht, wie heilsam das ist für einen Mann. Sie müssen ihm ein Rätsel werden. Bisher glaubt er doch, Sie genau zu kennen. Ich war meinem lieben Leon ziemlich lange ein Rätsel. Er mir allerdings auch.«