Читать книгу Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 6

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»Wo steckt denn Marla schon wieder?«, erkundigte sich Marianne Hasselt bei ihrer Chefin Tatjana.

Die Tortenkünstlerin hatte den Kopf durch den Vorhang in die Backstube gesteckt und sah sich suchend um.

»Offenbar verträgt sie meine neueste Kreation nicht«, erwiderte die Freundin von Danny Norden und deutete in Richtung Toilette, aus der verdächtige Geräusche kamen. »Dabei finde ich meine Kirsch-Flocken-Törtchen absolut genial.«

»Deine Bescheidenheit in allen Ehren«, lachte Marianne auf, »aber ich glaube auch nicht, dass Marla unter deinen Backkünsten leidet.«

Tatjana, die mit beiden Händen in einem Brotteig steckte, legte den Kopf schief und sah ihre Mitarbeiterin an.

»Sondern?«

»Sag bloß, du hast nichts bemerkt.« Marianne konnte nicht glauben, dass es ihrer Chefin mit dieser Frage ernst war.

»Was hätte ich denn bemerken sollen, außer dass Marla in letzter Zeit abwechselnd unter Heißhungerattacken und Brechreiz leid …« Mitten im Satz hielt Tatjana inne. Ein Gedanke war ihr in den Sinn gekommen. »Sag bloß, sie leidet unter Bulimie?« Dabei blickte sie so ungläubig drein, dass Marianne schon wieder lachen musste.

Tatjana zog die Stirn kraus.

»Was denn? Ess-Brechsucht ist eine gefährliche Krankheit, die auch zum Tod führen kann«, verteidigte sie sich, und Marianne hob die Hände.

»Entschuldige, ich will mich nicht über dich lustig machen. Aber Marla macht gerade in den letzten Wochen und Monaten nicht den Eindruck, als litte sie unter Magersucht.«

Das stimmte. In der Tat hatte sich Tatjanas junge Mitarbeiterin von einem hässlichen Entlein in einen strahlenden Schwan verwandelt. Verschwunden waren die blauen Haare, die schwarze Kleidung und das Piercing, mit dem ihr Nasenflügel verziert gewesen war. Und auch ihre Figur hatte sich verändert. Aus dem mageren, kleinen Mädchen war eine Frau geworden, schlank zwar, aber mit attraktiven Rundungen an den richtigen Stellen.

»Besonders in letzter Zeit hat sie ganz schön Oberweite bekommen.« Marianne warf einen Blick auf ihr Dekolleté. »Davon kann ich nur träumen.«

Tatjana lachte und formte zwei unverkennbare Rundungen aus ihrem Brotteig.

»Bisher hatte ich nicht den Eindruck, als würde es deinem Mario an irgendwas fehlen.« Erst an diesem Morgen hatte sich der Arzt der Behnisch-Klinik vor der Bäckerei mit einem leidenschaftlichen Kuss von seiner Freundin verabschiedet.

Bevor Marianne einen Kommentar zu den Teigbrüsten unter Tatjanas Händen abgeben konnte, tauchte Marla wieder in der Backstube auf. Schnell schob Tatjana den Brotteig zusammen und setzte eine Unschuldsmiene auf.

»Geht’s dir wieder besser?«, erkundigte sie sich.

Marla nickte.

»Ich weiß auch nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist«, dachte sie laut nach. »Das hab ich erst, seit ich Pascal kenne. Vielleicht reagiert mein Körper irgendwie allergisch auf ihn. Ich hab mal so was gelesen.« Nach einer katastrophalen Beziehung mit einem Taugenichts erlebte die elternlose junge Frau zum ersten Mal, wie sich wahre Liebe anfühlte. Ein Lächeln huschte über Marlas Gesicht, als sie an den Galeristen dachte, den sie vor ein paar Monaten kennen- und lieben gelernt hatte.

Tatjana und Marianne sahen sich an. Sie hatten den gleichen Gedanken und konnten sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen.

»Ich glaube, dein Körper reagiert nicht auf Pascal allergisch, sondern eher auf das, was er mit ihm angestellt hat.«

Marla drehte sich zu ihrer Kollegin um und sah sie mit großen Augen an, Unverständnis im Blick.

»Wie meinst du das?«

In diesem Augenblick hielt Tatjana es nicht länger aus. Inzwischen hatte sie aus dem Teig einen ordentlichen Laib Brot geformt und legte ihn zum Gehen auf ein Backbrett. Sie wusch sich die Hände und legte sie dann auf Marlas Schultern.

»Was Marianne dir sagen will, Schätzchen: Hältst du es für möglich, dass du schwanger bist?«

»Schwanger?« Wie ein Peitschenhieb fuhr dieses kleine Wort durch die Backstube. Es war offensichtlich, dass Marla keine Sekunde an diese Möglichkeit gedacht hatte. »Aber ich nehm doch die Pille.«

»Hattest du nicht Anfang des Jahres auch mit diesem Magen-Darm-Virus zu tun?«, erinnerte sich Tatjana an die Zeit, in der sie ihren Freund Danny kaum zu Gesicht bekommen hatte.

Die Patienten waren von einer wahren Epidemie heimgesucht worden, und die beiden Ärzte hatten alle Hände voll zu tun gehabt, um die Krankheit in den Griff zu bekommen.

»Ja … schon«, gab Marla zu. »Aber was hat denn das damit zu tun?«

»Bei Magen-Darm-Infekten ist es schon mal möglich, dass die Pille wieder ausgeschieden wird, bevor sie ihre Wirkung tun kann«, war es die ältere Marianne, die dieses Phänomen erklärte.

»Aber … aber …«, stammelte Marla und war sichtlich überfordert. »Was mache ich denn jetzt?« Tränen glitzerten in ihren Augen, als sie auf den Hocker sank, der in einer Ecke der Backstube stand. »Was soll ich denn mit einem Kind? Und wie bringe ich Pascal diese Botschaft bei?« Wie ein Kartenhaus brach in diesem Moment das Leben zusammen, das sie sich in den letzten Monaten aufgebaut hatte.

Nicht genug damit, dass sie die Stelle als Bäckerin bei Tatjana bekommen hatte und vorübergehend bei ihrer Chefin und deren Freund wohnen durfte, hatte ihre neue Chefin auch noch dafür gesorgt, dass es mit Marlas künstlerischer Karriere steil bergauf gegangen war. Die Bilder, die an den Wänden des Cafés ein neues Zuhause gefunden hatten, verkauften sich genauso gut wie die frischen Brötchen und köstlichen Teilchen, die in der Bäckerei feilgeboten wurde. Neben vielen anderen Kunden war auch Pascal Lüders so auf die begabte Künstlerin aufmerksam geworden, und schnell war aus der Begeisterung für die Werke eine leidenschaftliche Liebe für die Künstlerin geworden.

Nach vielen chaotischen Jahren schien Marlas Leben also endlich in gefestigten Bahnen zu verlaufen. Und nun das! Ein Kind!

Diesmal war es Tatjana, die zuerst die passenden Worte fand.

»Was dieser Backstube noch gefehlt hat, ist ein Kinderwagen. Was meinst du, Marianne?«

»Keine Frage. Vor allen Dingen, weil Backwaren so wahnsinnig geduldig sind. Sie stören sich nicht an Kindergeschrei«, stimmte die Tortenkünstlerin so aufmunternd zu, dass sich Marla wenigstens ein bisschen getröstet fühlte.

»Ihr würdet mich also nicht an die frische Luft setzen?« Ihre Stimme klang schüchtern wie selten zuvor.

»Natürlich nicht«, erwiderte Tatjana ohne Zögern. »Mal abgesehen davon dürfte ich das auch gar nicht. Falls du wirklich schwanger bist, genießt du besonderen Schutz vom Staat.«

»Es wäre schön, wenn der Staat auch Pascal dazu verdonnern könnte, mich weiter zu lieben. Auch mit Kind«, erwiderte Marla düster.

»Was hältst du davon, wenn du ihm eine Chance gibst, bevor du dich in Gedanken schon als alleinerziehende Mutter siehst?«, machte Marianne den einzig vernünftigen Vorschlag. »Die Kinderfrage habt ihr ja sicher noch nicht diskutiert, und du weißt wahrscheinlich gar nicht, wie er zu dieser Sache steht.«

»Stimmt!«, musste Marla ihrer Kollegin recht geben.

»Und bevor du die Pferde scheu machst, gehst du erstmal zu Danny oder Daniel in die Praxis und lässt dich untersuchen«, beschloss Tatjana und ging zum Telefon, das nach wie vor im Durchgang zwischen Backstube und Verkaufsraum an der Wand hing.

Trotz der Renovierung hatte sie sich von diesem Relikt aus der Vergangenheit nicht trennen können. Ehe Marla widersprechen konnte, wählte sie die Nummer der Praxis und vereinbarte einen Termin für ihre junge Mitarbeiterin.

*

»Frau Claas bitte.« Dr. Daniel Norden stand in der Tür zum Wartezimmer und nickte der Mutter seines kleinen Patienten aufmunternd zu.

Nina Claas saß auf einem Stuhl in der Ecke, ihren Sohn auf dem Schoß. Er drückte die blasse Wange an ihren Oberkörper und schien zu schlafen.

»Wir sind dran, Lukas!«, raunte Nina ihm zu und stand auf. Es machte ihr sichtlich Mühe, und sie schwankte unter ihrer Last, als sie Dr. Norden ins Sprechzimmer folgte.

Als sie sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch setzte, seufzte Lukas und schmiegte sich wieder an sie.

»Das ist aber nicht der Lukas, der neulich eine Schublade ausgeräumt und die Patientenakten durcheinander gebracht hat?«, fragte Dr. Norden mit einem Lächeln auf den Lippen.

Während seine Mutter untersucht worden war, hatte der kleine Rabauke einen unbeobachteten Augenblick genutzt und Wendy eine Überstunde beschert.

Doch auch auf diese Bemerkung reagierte der Junge nicht. Offenbar ging es ihm wirklich schlecht, was seine Mutter gleich bestätigte.

»Ich hab mich neulich ja wirklich geschämt für das, was er da angestellt hat.« Ihr Blick ruhte auf dem Kind auf ihrem Schoß. »Aber jetzt würde ich mich freuen, wenn er irgendeine Dummheit anstellen würde. Diese Apathie macht mir Angst.«

»Seit wann ist er denn so schlapp?«, erkundigte sich Daniel.

»Seit ein paar Tagen. Anfangs hab ich mir keine großen Sorgen gemacht und war ganz froh, dass er freiwillig einen Mittagsschlaf gemacht hat. Bis Lukas Fieber bekommen und über Kopf- und Gliederschmerzen geklagt hat. Da hab ich dann angefangen, mir Sorgen zu machen.«

»Wie hoch ist das Fieber?«

»38 Grad, manchmal ein bisschen höher, manchmal niedriger.«

»Ist Ihnen sonst noch irgendwas aufgefallen?«, setzte der Arzt seine Anamnese fort, um mehr Klarheit zu bekommen und dem Kind unnötige Untersuchungen zu ersparen. »Hat er Husten oder Schnupfen? Weitere Schmerzen?«

Die Antwort gab der Junge selbst, als er in diesem Augenblick ein paar Mal trocken hustete, ehe er wieder an die Brust seiner Mutter sank.

In diesem Moment wusste Dr. Norden, was zu tun war.

»Das muss ich mir mal genauer anhören«, erklärte er und stand auf. Er ging um den Schreibtisch herum und beugte sich zu Lukas hinab, der in den Armen seiner Mutter hing. »Nicht erschrecken«, warnte er leise. »Ich trag dich jetzt rüber ins Behandlungszimmer. Dort höre ich dich ab und mache einen Ultraschall von deiner Brust.«

Mit geschlossenen Augen hatte Lukas zugehört. Als Daniel Norden geendet hatte, hob er ein Augenlid und schielte zu dem Arzt hinüber.

»Tut das weh?«, krächzte er.

»Es wird höchstens ein bisschen kalt«, konnte Dr. Norden den Jungen beruhigen und setzte seine Ankündigung gleich in die Tat um.

Nina wich nicht von der Seite ihres Sohnes.

»Und?«, fragte sie, nachdem sie sich während der Untersuchung im Hintergrund gehalten hatte. »Was fehlt Lukas?«

Daniel befreite den Kopf des Ultraschallgeräts vom durchsichtigen Gel, desinfizierte ihn und steckte ihn in seinen Halter zurück.

»Ich fürchte, Lukas hat sich eine Lungenentzündung angelacht«, machte er keinen Hehl aus den Hinweisen, die er gefunden hatte. »Um ganz sicher zu gehen, nehme ich ihm jetzt noch Blut ab. Wenn mein Verdacht richtig ist, sind die Entzündungsparameter erhöht. Außerdem schicke ich einen Abstrich in die Klinik, um herauszufinden, welcher Erreger dahinter steckt.«

Nina Claas machte gar nicht erst den Versuch, ihre Angst zu verbergen.

»Eine Lungenentzündung? Um Gottes willen! Das ist doch wahnsinnig gefährlich«, stieß sie hervor.

»Keine Sorge«, versuchte Daniel, die Mutter zu beruhigen. »Seit der Einführung der Antibiotika hat sich die Prognose bei Pneumonien erheblich verbessert.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, lächelte er. »Damit wir keine Zeit verlieren, bekommt Lukas sofort ein Antibiotikum. Wenn die Ergebnisse der Klinik vorliegen, können wir die Behandlung verfeinern.«

»Dann muss Lukas nicht ins Krankenhaus?«, fragte Nina Claassichtlich erleichtert.

»Er ist ein kräftiger junger Mann mit guter Konstitution«, bescheinigte Dr. Norden seinem Patienten. »Solange sich sein Zustand nicht verschlechtert, kann er zu Hause bleiben. Vorausgesetzt natürlich, er ist nicht allein.«

Diese Sorge konnte Nina ihrem Arzt nehmen.

»Als selbstständige Steuerberaterin habe ich mir mein Büro ohnehin im Haus eingerichtet. Es war mir wichtig, immer für Lukas da sein zu können.« Als sie das Rezept aus Daniels Händen entgegennahm, wirkte sie schon nicht mehr so besorgt wie am Anfang ihres Besuchs. Und als Dr. Norden versprach, am Abend nach Ende der Sprechstunde bei ihnen vorbeizufahren und nach Lukas zu sehen, war sie vollends beruhigt.

»Sie ahnen nicht, wie glücklich ich darüber bin, dass Sie unser Arzt sind«, bedankte sie sich, als Daniel ihr auch noch anbot, Lukas ins Auto zu tragen. »Das ist wie ein Sechser im Lotto.«

»Sie übertreiben.« Bescheiden wie immer winkte Daniel Norden ab. »Ich tue nur meine Arbeit.«

»Und die machen Sie besonders gut«, ließ sich Nina Claas die Begeisterung jedoch nicht nehmen und sah kurz so aus, als wollte sie ihrem Arzt vor lauter Dankbarkeit um den Hals fallen. Als sie aber die Assistentin Janine Merck am Fenster sah, verzichtete sie darauf.

»Sieht ganz danach aus, als ob Frau Claas den Chef zum Anbeißen findet«, bemerkte die ehemalige Krankenschwester und steckte eine Patientenakte an ihren Platz zurück.

»Das wäre nicht das erste Mal«, erwiderte Wendy ungerührt. In all den Jahren, seit sie Assistentin in der Praxis Dr. Norden war, hatte sie die unglaublichsten Dinge erlebt. Eine Verehrerin mehr oder weniger konnte sie da nicht mehr erschüttern. »Und wie immer wird sie auf Granit beißen!«, fügte sie hinzu und lachte gemeinsam mit Janine.

*

»Wenn ich gewusst hätte, dass es bei euch so lustig zugeht, wäre ich schon früher vorbei gekommen«, schmunzelte Marla Brandt, als das Lachen der beiden Assistentinnen durch die Praxis hallte.

Inzwischen hatte sie ein paar Stunden Zeit gehabt, sich an den Gedanken einer Schwangerschaft zu gewöhnen.

»Das macht gar nichts. Unsere gute Stimmung wirst du in Zukunft sowieso öfter genießen können«, erwiderte Danny und blickte auf den Schwangerschaftstest, auf dem sich deutlich zwei rosa Striche abzeichneten. »Herzlichen Glückwunsch, du wirst Mutter.«

Marla antwortete nicht sofort. Sie saß dem Freund ihrer Chefin gegenüber und sah ihn in Gedanken versunken an.

»Also doch«, seufzte sie schließlich und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. »Warum bin ich nur nicht selbst auf diese Idee gekommen?«

»Sei froh! Dann musst du nicht ganz so lange auf die Ankunft des neuen Erdenbürgers warten«, erwiderte Danny und musste an die Ungeduld manch einer werdenden Mutter denken, die es kaum erwarten konnte, ihr Baby in den Armen zu halten.

»Dieses Problem habe ich eher weniger«, entfuhr es Marla. »Ich fürchte, ich brauch noch ein bisschen Zeit, um mich überhaupt an diesen Gedanken zu gewöhnen.«

Danny legte den Kopf schief und sah die Mitarbeiterin seiner Freundin an.

»Du willst das Kind aber schon haben, oder?«, fragte er nach.

Marla ließ sich Zeit mit einer Antwort.

»Als Tatjana meinte, ich könnte schwanger sein, wäre ich ehrlich gesagt am liebsten aus dem Fenster gesprungen«, beschloss sie schließlich, die Wahrheit zu sagen.

Das war sie Danny schuldig, zumal er sich ihr gegenüber mehr als großzügig gezeigt hatte.

Der junge Arzt saß an seinem Schreibtisch und betrachtete Marla.

»Auch so eine Reaktion ist völlig normal«, versuchte er, sie zu trösten. »Immerhin bringt ein Kind viele Veränderungen mit sich.«

»Ein Glück, dass ich die Wohnung in eurem Mietshaus ergattert habe. Dann haben wir beide wenigstens eine eigene Bleibe«, dachte Marla laut nach, und Danny lächelte.

»Manchmal fügen sich die Dinge ganz von selbst. Kommst du mit rüber?«, fragte er und stand auf. »Ich möchte noch einen Ultraschall machen.«

Ohne Zögern folgte Marla ihm hinüber in das kleine Zimmer und legte sich auf die Liege. Die Augen auf den Monitor gerichtet, sagte sie:

»Zum Glück wird der Umzug leicht. Viele Sachen habe ich ja nicht. Und die paar Wände sind gleich gestrichen.«

Danny ließ den Schallkopf über Marlas Leib gleiten und konzentrierte sich auf den Bildschirm.

»Erstens sind wir auch noch da und werden dich nach Kräften unterstützen. Und zweitens hat das Kind ja auch noch einen Vater«, gab er nebenbei zu bedenken. »Schau mal, hier ist dein kleiner Prinz. Oder die Prinzessin! Das kann ich jetzt noch nicht so genau sagen.« Er drehte den Bildschirm, dass Marla besser sehen konnte, und zeigte auf das Wesen, das schon deutlich zu erkennen war.

»Pascal weiß noch nichts von seinem Glück«, seufzte Marla, während sie ihr Baby bestaunte. »Und ehrlich gesagt habe ich Angst davor, es ihm zu sagen. Schließlich sind wir erst seit ein paar Monaten ein Paar.«

»Vielleicht ist es besser, dass uns das Leben manchmal ein Schnippchen schlägt und manche Entscheidungen selbst trifft. Sonst würden wir manche Erfahrung vor lauter Bedenken gar nicht machen.« Lächelnd deutete Danny auf die kleinen Finger, die deutlich zu sehen war. »Ist das nicht ein großes Wunder?«

»Wirklich!«, staunte auch Marla. »Es scheint ja schon ziemlich groß zu sein.«

»Die Größe des Kopfes entspricht in etwa der achtzehnten bis zwanzigsten Schwangerschaftswoche.«

»Waaaaas?« Jetzt war Marla doch aus dem Häuschen. »So weit schon? Dabei hab ich gar nicht viel zugenommen.«

Danny lachte und zog ein Papiertuch aus dem Spender, um das durchsichtige Gel vom Bauch der werdenden Mutter zu wischen.

»Kein Wunder. Wie sollst du auch zunehmen, wenn dir ständig schlecht ist?«

»Stimmt auch wieder. Hoffentlich ist das bald vorbei.«

»Aller Erfahrung nach kann es nicht mehr lange dauern«, versprach Danny und reichte Marla die Hand, um ihr von der Liege zu helfen. »Wir sehen uns in vier Wochen wieder. Ich meine, in der Praxis. Dann bekommst du deinen Mutterpass und wirst hochoffiziell in den Club der werdenden Mamis aufgenommen.«

»Ich kann’s kaum erwarten«, erwiderte Marla und rang sich ein Lächeln ab. Wenn nicht die drängende Sorge um Pascals Reaktion ihre Stimmung gedrückt hätte, hätte sie sich durchaus über diese Botschaft gefreut. So aber verabschiedete sie sich mit gemischten Gefühlen von Danny Norden, um sich gleich im Anschluss auf den Weg zu ihrem Freund zu machen. Sie konnte nicht schnell genug reinen Tisch machen und herausfinden, wie es in Zukunft weitergehen sollte.

*

»Da sind Sie ja endlich!«, begrüßte die Haushälterin Lenni ihren Chef, der an diesem Abend später als sonst nach Hause kam. »Ich musste das Risotto mit meinem Leben verteidigen!«

»Etwa Ihr sensationelles Gemüse-Risotto?«, fragte Daniel nach und leckte sich die Lippen. »Da haben Sie gut daran getan. Dafür begehe ich glatt einen Mord.«

»Offenbar nicht nur Sie!« Lächelnd verschwand Lenni in der Küche, um endlich das Essen auf den Tisch zu bringen.

Unterdessen gesellte sich Daniel zu seiner Familie, die sichtlich ungeduldig am Esstisch saß.

»Es geschehen noch Zeichen und Wunder! Da bist du ja endlich«, rief Felix, zweitältester Sohn der Familie. »Was hast du mit Lenni angestellt? Sie hat sich geweigert, das Risotto rauszurücken, bevor du da bist, und riskiert lieber den Hungertod von fünf Familienmitgliedern. Das ist ungerecht und gemein.«

»Sie ist eben eine treue Seele und weiß, mit wem sie sich gut stellen muss«, schmunzelte Dr. Norden und beugte sich zu seiner Frau hinab, um sie mit einem Kuss zu begrüßen.

»Was hat dich aufgehalten, mein Schatz?«, fragte Fee und streichelte ihm über die Wange.

»Ich bin noch schnell bei einem kleinen Patienten vorbei gefahren. Er hat eine Lungenentzündung, wie das Labor der Behnisch-Klinik inzwischen bestätigt hat.«

»Wie geht es ihm?«, erkundigte sich Felicitas und passte mit Argusaugen auf, dass Felix, der die Verteilung des Risottos übernommen hatte, gerecht vorging.

»Bis jetzt ist sein Zustand unverändert«, musste Daniel gestehen und dankte seinem Sohn, der auch seinen Teller gefüllt hatte. »Wenn das Antibiotikum bis morgen Abend keine Wirkung zeigt, werde ich Lukas doch sicherheitshalber in die Klinik schicken.«

»Oh, das wird Kollege Lammers besonders freuen«, unkte Fee in Erinnerung an den ungeliebten Mitarbeiter.

Seit ein paar Monaten verstärkte der begnadete Kinderarzt das Team der Pädiatrie und neidete Fee bereits genauso lange ihren Posten als stellvertretende Chefin der Abteilung. Er ließ keine Gelegenheit aus, sie zu kritisieren und Intrigen gegen sie zu schmieden. Besonders schlimm war es, seit Mario Cornelius seine Schwester in Schutz genommen und sie vom Verdacht eines Fehlers befreit hatte. »Er wartet nur darauf, mir eins auszuwischen. Ein Patient, den du schickst, ist mit Sicherheit ein gefundenes Fressen, um auf dir und deinen Fähigkeiten herumzuhacken«, prophezeite Fee.

Als Felix das hörte, verzog er das Gesicht.

»Ich hätte gute Lust, ihm mal so richtig eins auszuwischen«, knurrte er, doch seine Mutter legte die Hand auf seinen Arm.

»Darauf wartet er doch nur. Aber diesen Gefallen tun wir ihm nicht. Am meisten ärgert sich dieser Profilneurotiker, wenn er keine Beachtung bekommt. Deshalb reagiere ich gar nicht mehr auf seine Gemeinheiten. Damit fahre ich ganz gut.«

»Deine Selbstbeherrschung ist bewundernswert«, erwiderte Felix und schob einen großen Löffel voll Risotto in den Mund.

»Ganz im Gegensatz zu deiner!«, kommentierte seine Schwester Anneka. »Die hast du jedenfalls nicht von Mum geerbt.«

»Abgesehen davon solltest du vielleicht mal auf deine Figur achten«, versuchte Janni mit einem Trick, seinen Bruder von der nächsten Portion abzuhalten. »Ich finde, du hast ganz schön zugenommen in letzter Zeit?«

»Wirklich?« Felix blickte kurz an sich hinunter. Dann schob er den nächsten Löffel in den Mund. »Na ja, es gibt eben verschiedene Arten von Menschen. Diejenigen, die diszipliniert auf ihre gute Figur achten. Und dann gibt’s da mich. Ich achte diszipliniert auf gutes Essen.« Mit diesem frechen Spruch hatte er die Lacher wieder einmal auf seiner Seite und nutzte die Gunst der Stunde, um sich noch einen Nachschlag zu holen.

»Dieser Spruch hätte eigentlich von dir stammen müssen«, raunte Danny seiner Freundin zu, die ungewöhnlich still neben ihm saß und nur von ihrem Teller naschte. »Was ist los mit dir? Bist du krank?« Er war sichtlich beunruhigt, und sofort ruhten aller Augen auf der Bäckerin, die wie ein richtiges Familienmitglied geliebt wurde.

Tatjana schüttelte den Kopf mit den streichholzkurzen Haaren.

»Ich mach mir nur ein bisschen Sorgen um Marla«, gestand sie nach kurzem Zögern. »Sie wirkte nicht gerade glücklich über die Neuigkeiten.«

»Also, ich finde es toll, dass sie ein Baby bekommt«, erklärte Dési im Brustton der Überzeugung.

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Neuigkeit in der Familie herumgesprochen, und alle waren begeistert. Alle, einschließlich Danny. Er liebte Kinder und wünschte sich insgeheim schon länger, Vater zu werden. Doch seine Freundin Tatjana litt unter einer Erbkrankheit und scheute das wenn auch geringe Risiko, diese Krankheit weiterzugeben. Marlas Baby würde sie vielleicht umstimmen.

»Ich auch. Vor allen Dingen deshalb, weil sie eine Wohnung in unserem Haus gefunden hat und wir uns so alle zusammen um das Kind kümmern können«, tat er seine Meinung kund.

Tatjana durchleuchtete ihn mit einem Blick aus ihren dunkelblauen Augen. Ihrer Sehbehinderung war es zu verdanken, dass ihre Sensibilität ausgeprägter war als bei anderen Menschen. Manchmal hatte Danny das ungute Gefühl, sie könnte seine Gedanken lesen. So auch jetzt, als sie sagte:

»Wie praktisch. Da brauchen wir kein eigenes Baby und können es zurückgeben, wenn es zu anstrengend wird.« Sie wusste, dass das nicht war, was er hören wollte, und blinzelte ihm belustigt zu. »Übrigens seid ihr alle herzlich zum Babysitten in der Backstube eingeladen.«

»Moment, Moment«, gemahnte Daniel Norden zur Geduld. »Bis es so weit ist, hat Marla noch jede Menge Arbeit. Immerhin muss sie noch die Wohnung renovieren und den Umzug machen.«

»Das wird ja wohl kein Problem sein«, erwiderte Fee und reichte Janni ihren Teller. Er hatte sich bereit erklärt abzuräumen und wollte die günstige Gelegenheit nutzen, um in der Küche schon mal nach dem Nachtisch zu sehen. Er war der einzige, den das Thema kalt ließ. »Immerhin sind wir genug Leute, sodass Marla sich in eine Ecke setzen und uns zusehen kann«, fuhr Fee fort.

»Da kennst du sie aber schlecht. Sie wird die erste sein, die den Malerpinsel schwingt«, scherzte Tatjana, die ihren Teller inzwischen auch leer gegessen hatte. Mit ihrem unerschütterlichen Zusammenhalt schaffte es die Familie Norden immer wieder, ihr die Sorgen aus der Seele und ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. »Aber wir könnten versuchen, sie mit einer Renovierungsparty von der Arbeit abzuhalten.«

Diese Idee stieß auf offene Ohren, und fast sofort entbrannte eine Diskussion über die Organisation und Durchführung dieses Vorhabens, und der Abend endete mit schönen Plänen, die der werdenden Mutter viel Mut gemacht hätten.

*

Während die Familie Norden muntere Pläne schmiedete, saß Marla wie auf Kohlen in Pascals Galerie. Ohne seine Freundin zu Wort kommen zu lassen, hatte er sie mit geheimnisvoller Miene ins Wartezimmer gebeten und war wieder im Büro verschwunden. Seither wartete sie und wurde mit jedem Augenblick nervöser. Nach einer gefühlten Ewigkeit erlöste Pascal Lüders seine Freundin endlich.

»Tut mir leid, dass du warten musstest, Prinzessin«, entschuldigte er sich mit einem Kuss bei ihr. »Aber du bist ein bisschen zu früh gekommen.«

»Du hast gesagt, dass ich immer willkommen bin«, erwiderte Marla kläglich.

»Natürlich bist du das«, versicherte Pascal, als er die Angst in ihren Augen sah. »Aber gerade heute hatte ich einen besonderen Kunden hier.«

Marla nickte und schluckte. Normalerweise hing sie an Pascals Lippen und ließ sich nur zu gern von den Sammlern erzählen, die bereit waren, ansehnliche Summen in vielversprechende Kunstwerke zu investieren. Doch an diesem schicksalsschweren Tag dachte sie noch nicht einmal daran nachzufragen.

Pascal entging ihr Schweigen nicht.

»Willst du denn gar nicht wissen, was er von mir wollte?«, wunderte er sich und legte den Arm um ihre Schultern, um sie in sein Büro zu führen.

Dort bot er ihr einen Platz auf der Ledercouch an und holte eine Flasche Champagner.

Marla zuckte zusammen, als der Korken an die Decke knallte und eine deutliche Spur hinterließ.

Doch Pascal lachte nur und schenkte schnell zwei Gläser ein, ehe das kostbare Nass überlaufen konnte.

»Auf dich, meine Prinzessin!« Er wollte mit Marla anstoßen. Doch die saß wie versteinert auf der Couch und starrte ihn an.

»Wieso auf mich?« Ahnte er etwa schon etwas? Ausgeschlossen! In diesem Fall hätte er ihr niemals ein Glas Champagner angeboten. »Was habe ich mit deinen Geschäften zu tun?«

»Ganz einfach.« Pascal strich sich eine Strähne aus der Stirn und setzte sich neben seine Freundin auf die Couch. Er griff nach ihrer Hand und zog sie an seine Lippen. Dabei ließ er Marla nicht aus den Augen. »Ich habe deine komplette Serie ›Mensch und Galaxie‹ an einen international bekannten Sammler verkauft. Er ist begeistert von deinen Werken und will dich groß rausbringen.« Pascal strahlte übers ganze Gesicht und sah seine Freundin an. Stolz und Erwartung lagen in seinen Augen. »Und? Was sagst du jetzt?«

Es war ein Glück, dass Marla saß. Der Boden unter ihren Füßen begann, gefährlich zu schwanken.

»Das … das … das ist fantastisch«, stammelte sie.

In diesem Moment bemerkte Pascal, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

»Aber was ist denn mit dir? Ich dachte, du führst wahre Freudensprünge auf, wenn ich dir von deinem Erfolg erzähle. Stattdessen sitzt du da wie ein verschrecktes Kaninchen … So kenne ich dich gar nicht!« Der Blick, den er ihr zuwarf, war plötzlich voller Sorge. Erst jetzt fiel ihm ihre Begrüßung wieder ein. »Was ist passiert, Prinzessin? Du hast vorhin gesagt, dass du mit mir reden musst. Und ich hab dich nicht zu Wort kommen lassen.« Er stellte das Glas auf den Couchtisch und nahm auch noch ihre zweite Hand. »Wie rücksichtslos von mir.«

Marla nagte an ihrer Unterlippe. Doch jetzt gab es kein Entkommen mehr.

»Mir ist in letzter Zeit doch öfter mal schlecht«, begann sie. »Deshalb war ich heute beim Arzt.«

»Und? Hat er was festgestellt? Bist du krank?« Pascal war die Aufregung in Person und rutschte auf der Couch hin und her. »Jetzt sag schon! Was fehlt dir? Hoffentlich nichts Ernstes.«

»Wie man’s nimmt«, seufzte Marla und wusste, dass sie die Karten endlich auf den Tisch legen musste. »Wir bekommen ein Kind.«

Mit einem Schlag wich die Farbe aus Pascal Lüders‘ Wangen.

»Was sagst du da?«, hauchte er, und Marla wäre am liebsten im Erdboden versunken. Genauso hatte sie sich seine Reaktion vorgestellt.

Sie entzog ihm ihre Hände, rutschte ein Stück von ihm weg und senkte den Blick.

»Ich bin schwanger. Schon im vierten Monat«, wiederholte sie das, was Danny ihr vor etwas mehr als einer Stunde gesagt hatte. »Aber du musst dir keine Sorgen machen. Es ist in Ordnung, wenn du das Baby nicht willst. Ich war mindestens genauso geschockt wie du, als Danny Norden mir vorhin die Wahrheit gesagt hat. Das war ein ganz schöner Schock. Aber abtreiben lassen will ich es auch nicht. Mal abgesehen davon, dass es dazu schon zu spät …«

»Wieso abtreiben? Wie kommst du auf so eine wahnsinnige Idee?«, unterbrach Pascal sie so harsch, dass Marla zusammenzuckte.

Der Ausdruck auf seinem Gesicht verwunderte sie.

»Na ja … ich dachte … ich wollte …« Hilflos brach sie ab und sah Pascal dabei zu, wie er die Hand wieder nach der ihren ausstreckte.

»Du dachtest, dass ich das Kind nicht haben will?«, fragte er ebenso sanft wie heiser.

Marla presste die Lippen aufeinander und nickte.

»Ich hatte so Angst davor, es dir zu sagen. Wahrscheinlich wollte ich es deshalb nicht bemerken. Obwohl alles so offensichtlich war.«

Während sie sprach, ließ der Galerist sie nicht aus den Augen.

»Und du hattest wirklich keine Ahnung, welches Geschenk du mir damit machst? Nein, wie solltest du das auch wissen. Wir haben ja noch nicht darüber gesprochen«, beantwortete er seine Frage gleich selbst.

Es dauerte einen Moment, bis der Sinn seiner Worte in Marlas Bewusstsein vordrang. Trotzdem verstand sie ihn nicht.

»Wie bitte?«, fragte sie.

»Ich sagte, du weißt gar nicht …«

»Ich hab verstanden, was du gesagt hast«, unterbrach Marla ihn. »Ich will wissen, ob du das wirklich ernst meinst. Oder ob du dich über mich lustig machst.« Die Möglichkeit, dass sich Pascal wirklich über das Kind freute, hatte sie trotz Mariannes Empfehlung gar nicht in Betracht gezogen. Sie ahnte nicht, wie sehr sie Pascal damit verletzte.

Der Galerist zog seine Hände zurück.

»Habe ich mich je über dich lustig gemacht?«, fragte er mit Reibeisenstimme.

Marla schluckte und schüttelte den Kopf.

»Nein.« Das genaue Gegenteil war der Fall. Nie zuvor hatte sich die junge Künstlerin so respektiert, akzeptiert und geschätzt gefühlt wie von Pascal Lüders. »Nie!«

»Und warum sollte ich jetzt damit anfangen?« Seine Frage war berechtigt, und plötzlich brannten Tränen in Marlas Augen.

»Ach, Pascal, ich weiß es doch auch nicht«, konnte sie ihren Kummer schließlich nicht mehr zurückhalten. »Ich war so verwirrt und hilflos und hatte so Angst, dass du mich nicht mehr lieben würdest.« In diesem Moment gab es kein Halten mehr, und sie brach in Hemmungsloses Schluchzen aus.

Einen Augenblick sah Pascal ihr hilflos zu. Dann konnte er nicht anders und schloss Marla in seine Arme. Als wäre sie selbst noch ein Kind, wiegte er sie so lange hin und her, bis sie sich langsam beruhigte.

»Ist es jetzt besser?«, fragte er mit seiner Samtstimme, die er für ganz besondere Gelegenheiten reserviert hatte.

»Wenn du mich nicht verlässt, ist alles gut«, schniefte Marla und nahm das Taschentuch, das er ihr reichte.

Pascal lächelte schmerzlich.

»Ich hab dir doch erzählt, dass ich in einer Pflegefamilie groß geworden bin. Aber ich habe dir nicht gesagt, dass ich mir immer eine eigene, kleine Familie gewünscht habe. Ich möchte unbedingt erfahren, wie sich das anfühlt … Mit den Menschen zu leben, die wirklich und von Anfang an zu einem gehören. Unwiderruflich. Und diesen Traum lässt du jetzt Wirklichkeit werden. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.« Diesmal war Pascal es, der den Tränen nahe war. Um seine Schwäche nicht zu zeigen, schloss er seine Prinzessin in die Arme, als wollte er sie nie mehr wieder loslassen. Und in diesem Moment glaubte Marla wirklich daran, dass alles gut war, es für immer bleiben würde.

*

Ein paar Tage vergingen, die angefüllt waren mit Plänen und Vorbereitungen. Marla überzeugte ihren Freund, dass sie nicht bei ihm, sondern trotzdem wie geplant in ihre eigene Wohnung ziehen wollte. Das war schon deshalb praktisch, weil Tatjana und Danny ihre Babysitterdienste und auch sonst jede erdenkliche Hilfe angeboten hatten. Die erste und dringendste Maßnahme war die Renovierung der Wohnung, und die ganze Familie Norden erklärte sich bereit, mit anzupacken. Der kommende Sonntag wurde als Termin auserkoren. Danny war schon früh auf den Beinen. Seine Freundin Tatjana ließ er aber so lange wie möglich schlafen. Wegen ihrer Arbeit war sie jeden Tag zu nachtschlafender Zeit auf den Beinen und hatte sich die sonntägliche Ruhe redlich verdient. Irgendwann gab es aber kein Erbarmen mehr.

»Im nächsten Leben wirst du bestimmt eine Fledermaus. Die können ohne Probleme zwanzig Stunden am Tag verschlafen. Oder aber du wirst ein Faultier.« Über seine Freundin gebeugt stand der junge Arzt am Bett und hielt Tatjana eine Tasse Kaffee unter die Nase. Doch an diesem Morgen schien sie noch nicht einmal der aromatische Duft ihres Lieblingswachmachers wecken zu können. Ihre Augen blieben geschlossen, und ihr regelmäßiger Atem verriet, dass sie tief und fest schlief. Doch Danny traute dem Frieden nicht recht.

»Schade, dann werde ich die knusprigen Brezen selbst essen müssen. Und den guten Kaffee allein trinken«, erklärte er laut und deutlich und richtete sich auf.

Er war schon im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Tatjanas Stimme zu hören war.

»Ich vermisse ja wirklich die Zeit, als ich morgens voller Elan aus dem Bett gesprungen bin und gleich hellwach war.«

Nur mit Mühe konnte sich Danny ein Lachen verkneifen. Er drehte sich um und kehrte an Tatjanas Seite zurück.

»Du? In diesem Leben? Schwer vorstellbar«, erwiderte er und setzte sich auf die Bettkante. »Wie alt warst du da?«

»Ungefähr vier«, erwiderte Tatjana und nahm ihm ohne die Augen zu öffnen und ohne einen Tropfen zu verschütten die Tasse aus der Hand. »Du hast recht. Das war ein anderes Leben.«

»Besser oder schlechter als dein Leben mit mir?«, konnte sich Danny eine Frage nicht verkneifen. Im selben Moment wusste er, dass sie ein Fehler gewesen war.

So müde konnte Tatjana gar nicht sein, als dass sie seine Schwäche nicht gnadenlos ausgenutzt hätte.

»Hmmm. Darüber müsste ich nachdenken. Aber mein Kopf arbeitet erst, wenn ich was zu essen bekomme. Eine von diesen knusprigen Brezen zum Beispiel, von denen du gerade gesprochen hast.« Sie blinzelte ihren Freund durch die halb geschlossenen Augen an, der diese Aufforderung auch ohne weitere Erklärungen verstanden hatte.

»Schon gut. Eure Hoheit wünscht also Frühstück ans Bett. Was darf es außer Brezen, Croissants, frisch gepresstem Orangensaft und Kaffee noch sein?«

»Wie wär’s mit einem Kuss? Dann weiß ich auch ohne Nachdenken, dass du das Beste bist, was mir je passiert ist«, ließ sich Tatjana zu einem Kompliment hinreißen, dem Danny nicht widerstehen konnte.

»Du bringst mich noch um den Verstand«, seufzte er und beugte sich über sie, um ihren Wunsch zu erfüllen.

»Nichts lieber als das«, murmelte Tatjana an seinem Mund und zog ihn zu sich hinunter in die weichen Kissen. Ihre kühlen Hände schoben sich unter sein Shirt und jagten ihm einen wohligen Schauer über den Rücken.

»Ich dachte, du hast Hunger«, raunte er ihr zwischen zwei Küssen zu.

»Manchmal muss man Prioritäten setzen. Die Brezen laufen mir nicht davon, du aber vielleicht schon.« Sie küsste ihn wieder. Doch Dannys Pflichtbewusstsein war nur schwer zu besiegen.

»Wir müssen in einer halben Stunde beim Renovieren sein«, erinnerte er sie noch an ihr Versprechen.

»Deine Familie ist es gewohnt, dass wir zu spät kommen. Sie versteht das«, erklärte Tatjana mit vor Leidenschaft heiserer Stimme, ehe sie ihren Worten Taten folgen ließ, die Danny alle Sinne raubten. Endlich gab er sich geschlagen, zog die Decke über sie und beschloss, für diesen Moment sämtliche Pflichten zu vergessen und in vollen Zügen das Geschenk zu genießen, das Tatjana ihm spontan machte.

Mit verstrubbelten Haaren, verräterisch leuchtenden Augen und Wangen und eine Viertelstunde zu spät lief das Paar Hand in Hand die Treppen hinunter und tauchte schließlich am Ort des Geschehens auf. Felix öffnete ihnen.

»Sieh mal einer an. Seid ihr im Stau gestanden?«, feixte er. Hinter ihm im Flur stand ein Eimer Farbe, die Malerrolle lag bereit.

»Nein. Die S-Bahn hatte Verspätung«, scherzte Tatjana gut gelaunt und zwinkerte Danny zu, der ihr heimlich einen Klaps auf den Po gegeben hatte. »Also, was habt ihr für uns zu tun? In welchem Zimmer dürfen wir uns austoben?«

»Das fragst du am besten Marla«, gab Felix nur zu gern Auskunft. »Sie ist ganz in ihrem Element und kommandiert uns herum wie ein Feldwebel.« Er grinste Tatjana an. »Wenn sie das von dir gelernt hat, kann einem mein Bruder nur leid tun.«

»Pass auf, dass ich dich nicht in deinen Farbeimer tauche«, drohte Tatjana im Scherz, als ein Poltern und ein gellender Schrei die ausgelassene Stimmung mit einem Schlag zerstörte.

»Das war Marla!« Alarmiert sah sich Danny um. »Wo ist sie?«

Daniel Norden und seine Frau kamen aus der Küche gelaufen.

»Sie sind im Wohnzimmer«, erklärte der Arzt. Als er und Fee den Schrei gehört hatten, hatten sie alles stehen und liegen gelassen und eilten Marla zu Hilfe. Tatjana, Danny und Felix folgten ihnen.

Sie fanden die junge Malerin mit ihrem Freund im Wohnzimmer. Pascal kniete neben Marla, die zusammengekrümmt am Boden lag. Die Leiter, auf der sie gestanden hatte, war umgefallen.

»Ich hätte sie nicht hinauflassen dürfen«, gab er sich selbst die Schuld und sah voller Angst in die Runde. »Aber als ich sie zurückhalten wollte, hat sie mich nur ausgelacht.«

»Du musst dich nicht entschuldigen«, erwiderte Felix. »Diese Art Frauen sind in dieser Familie keine Seltenheit.« Er schickte einen Blick in die Runde.

Doch anders als sonst hatte in diesem Moment niemand Sinn für seine Scherze. Daniel kniete auf der anderen Seite von Marla und beugte sich tief über sie.

»Kannst du mich hören?«, fragte er.

»Ja. Es geht schon wieder.« Tapfer, wie sie war, wollte sie sich auf den Ellbogen abstützen.

Mit sanfter Gewalt drückte Dr. Norden sie zurück auf den Boden. Nicht nur die Wunde an ihrer Stirn gab Anlass zur Sorge. Er hatte auch Angst um das Baby.

»Du bleibst schön liegen«, befahl er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Hast du Schmerzen im Bauch?«

Diesmal schüttelte die junge Bäckerin den Kopf.

»Nein. Aber mein Bein tut weh.«

Verdreht, wie es war, nahm das nicht wunder.

»Sieht so aus, als ob das operiert werden müsste. Du musst auf jeden Fall in die Klinik«, sprach Daniel ein Machtwort und suchte in seinen Taschen nach seinem Handy.

Doch Danny war ihm schon zuvor gekommen.

»Gib dir keine Mühe. Ich war schneller«, erklärte er und deutete auf den Apparat in seiner rechten Hand. »Der Rettungswagen ist in fünf Minuten hier.«

»Ich fahre mit.« Pascal harrte noch immer neben seiner Freundin aus und streichelte unablässig ihre Hand.

Doch davon wollte Marla nichts wissen.

»Auf keinen Fall. Du musst unseren Helfern sagen, was in der Wohnung zu tun ist«, widersprach sie. »Schließlich will ich in einer Woche einziehen.«

Pascal schüttelte den Kopf.

»Ist das denn die Möglichkeit? Selbst auf dem Boden ist die Prinzessin noch in der Lage, Befehle zu erteilen.«

Trotz seiner Sorge um Marla lachte Daniel.

»Diese Hartnäckigkeit mag hin und wieder unangenehm sein, hat aber durchaus ihre Vorteile«, erwiderte er. »Marla ist eine zähe Kämpferin. Sie gibt so schnell nicht auf.« Er blinzelte der jungen Bäckerin aufmunternd zu, als auch schon das Martinshorn des Krankenwagens zu hören war, der Marla Brandt in die Behnisch-Klinik bringen sollte.

*

»Die Aufnahmen vom Schädel sind unauffällig. Möglicherweise haben Sie ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma. Da macht mir das Bein schon mehr Sorgen. Wir haben es mit einer komplizierten Schienbeinfraktur zu tun«, erklärte Dr. Matthias Weigand, der an diesem Sonntag Dienst in der Notaufnahme hatte. »Die sollten wir so schnell wie möglich operieren.«

»Und was ist mit dem Kind?« Daniel Norden hatte den Krankentransport begleitet und gemeinsam mit Matthias die Röntgenbilder studiert, während ein Gynäkologe Marla untersucht hatte.

»Der Muttermund ist geschlossen, und dem Kind scheint es gut zu gehen«, teilte Dr. Schneider seine Erkenntnisse mit seinen Kollegen.

»Mit deinem Kind ist alles in Ordnung«, wandte sich Daniel an Marla, die auf der Liege lag und den Stimmen der Ärzte lauschte. »Das ist doch schon mal eine gute Nachricht.«

»Aber was ist mit der Operation? Schadet die Narkose meinem Baby nicht?« Nach dem ersten Schock hatte sich Marla schnell mit dem Gedanken vertraut gemacht, Mutter zu werden. Pascals Begeisterung über die Schwangerschaft war ein weiterer Grund dafür, dass ihre Liebe im selben Maß wuchs wie das Kind in ihrem Leib.

Diese Entwicklung war erfreulich, und allein deshalb wollte Dr. Norden ihr die Sorgen unbedingt nehmen. Dazu gehörte, dass er alles so genau wie möglich erklärte.

»Da du als schwangere Frau niemals als nüchtern giltst, ist der Einsatz einer Gesichtsmaske nicht möglich. Deshalb muss die Beatmung während der Narkose über einen Atemschlauch in der Luftröhre erfolgen. Als Folge kann es zu Heiserkeit in den Tagen nach der Narkose kommen. Zudem ist das Risiko einer Lungenentzündung leicht erhöht. Weitere schwangerschaftsbedingte Komplikationen sind bei einer Vollnarkose aber kaum zu erwarten«, versuchte er, ihr Mut zu machen. »Dein Kind wird von all dem vermutlich nichts mitbekommen.«

Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.

Marla legte die Hand auf ihren Leib und streichelte darüber.

»Wenn’s weiter nichts ist. Das schaffen wir schon! Nicht wahr, mein Schatz?« Als sie lächelte, sah sie aus wie ein Engel.

»Ich freue mich, dass du der Zukunft jetzt positiv entgegen sehen kannst«, bemerkte Dr. Norden, als eine Schwester ans Bett trat und das Zeichen zum Aufbruch gab. Es wurde Zeit für die Operation.

»Inzwischen verstehe ich sogar, was Danny gemeint hat«, fuhr Marla fort, während Daniel neben ihrem Bett den Flur hinunter ging. »Wenn ich dran denke, dass ich noch so viele Monate drauf warten soll, bis ich den kleinen Spatz endlich in meinen Armen halten kann, werde ich ganz kribbelig.«

»Glaub mir, die Zeit wird schneller vergehen, als dir lieb ist.« Die Türen zum Vorraum des Operationssaals öffneten sich lautlos. »Besonders in den schlaflosen Nächten wirst du noch an mich und dieses Gespräch denken«, versprach Daniel und zwinkerte Marla zu, die gleich darauf auf den Eingriff vorbereitet wurde.

*

Auch Dr. Norden hatte sich dazu entschlossen, bei der Operation dabei zu sein, und schon eine Viertelstunde später war es so weit. Der Eingriff begann. Zunächst kamen die Operateure gut voran, als der Anästhesist Dr. Bergmann Unregelmäßigkeiten feststellte.

»Die Patientin hat einen Blutdruckabfall.« Seine Stimme war ruhig, doch jeder wusste, was das bedeuten konnte.

Daniel, der dem Orthopäden Konrad Metzler assistierte, sah den Kollegen über den Tisch hinweg an.

»Bei uns ist alles in Ordnung«, beantwortete Dr. Metzler seine stumme Frage. »Kollege Lammers, sehen Sie bitte mal nach dem Kind.«

Fees ungeliebter Kollege war in den OP gerufen worden, um die Vitalfunktionen des Ungeborenen zu überwachen. Sofort zog er das Ultraschallgerät zu sich und legte den Schallkopf auf. Kein Wort kam über seine Lippen. Im Operationssaal herrschte Schweigen, und nur das Operationsbesteck klapperte hin und wieder leise.

»Und? Alles in Ordnung?«, fragte Daniel nach einer Weile.

Volker Lammers zog eine Augenbraue hoch.

»Diese Ungeduld liegt offenbar in der Familie«, gab er eine Kostprobe seiner scharfen Zunge. Ehe Dr. Norden aber einen passenden Kommentar parat hatte, konzentrierte sich der Kinderarzt wieder auf den Monitor. »Hier stimmt was nicht. Der Herzschlag des Kindes ist arrhythmisch.«

»Der Blutdruck der Patientin stabilisiert sich wieder«, gab indes der Anästhesist Entwarnung.

Der Orthopäde wiegte den Kopf.

»Könnte mit der Narkose zusammenhängen«, machte er keinen Hehl aus seiner Vermutung. »Eine Schraube noch, dann bin ich hier fertig. Danach beruhigt sich das Herzchen bestimmt wieder.«

»Wie Sie meinen!« Dr. Lammers ärgerte sich ganz offensichtlich darüber, nicht so ernst genommen zu werden, wie er es sich wünschte, und beendete die Ultraschalluntersuchung.

Wenig später beendete auch Konrad Metzler seine Arbeit. Die Wunde wurde geschlossen und Marla noch im Operationssaal geweckt und in den Wachraum geschoben. Dort wurde sie bereits erwartet.

»Pascal? Du? Warum bist du hier?«, fragte sie mit schleppender Stimme. Sie war noch deutlich benebelt von der Narkose. »Ich hab doch gesagt, du sollst in der Wohnung bleiben.«

Erleichtert wie selten zuvor in seinem Leben zog Pascal einen Stuhl ans Bett und lächelte. Bedacht darauf, den Tropf nicht zu berühren, nahm er die Hände seiner Freundin zwischen die seinen. Das Lächeln auf seinen Lippen erfasste auch seine Augen und ließ sein ganzes Gesicht strahlen.

»Du solltest dich lieber daran gewöhnen, dass du nicht alles und jeden im Griff haben kannst«, raunte er Marla zu und küsste ihre Hände. »Das wird dir spätestens unser Spatz klar machen, wenn er erst auf der Welt ist.«

Zu diesem Zeitpunkt ahnte der Galerist nicht, dass seine Worte prophetischen Charakter hatten. Und auch Marla wiegte sich in der Sicherheit, dass sich die Wolken wieder verzogen hatten und eine makellose Sonne von ihrem Himmel des Glücks strahlte.

*

Nachdem Daniel Norden seine Familie über den glücklichen Ausgang der Operation informiert hatte, verließ er die Klinik, um zurück in die Wohnung zu fahren. Unterwegs beschloss er spontan, die Gelegenheit zu nutzen, um bei der Familie Claas vorbeizuschauen und sich nach Lukas‘ Wohlergehen zu erkundigen. Zunächst schien das Antibiotikum angeschlagen zu haben, sodass er auf eine Einlieferung in die Klinik verzichtet hatte. Doch dann stagnierte Lukas‘ Zustand und allmählich wurde es Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

Dr. Norden hatte den Wagen kaum vor dem Reihenhaus geparkt, als sich die Tür öffnete und ein Mann Mitte Dreißig auf ihn zueilte.

»Ein Glück, dass Sie kommen, Doktor!«, rief Helmut Claas schon von weitem. »Meine Frau wollte Sie gerade anrufen.« Er erreichte den Wagen und hielt Daniel die Tür auf.

»Was ist passiert?«

»Lukas! Wir haben den Eindruck, dass es ihm schlechter geht.« Der Vater machte einen so verzweifelten Eindruck, dass Dr. Norden nicht weiter fragte.

»Ich bin sofort da!« Er nahm die Arzttasche vom Rücksitz und eilte neben Helmut auf das Haus zu.

Obwohl der Arzt den Weg von früheren Besuchen kannte, ließ er dem Hausherrn den Vortritt und ließ sich in Lukas‘ Zimmer führen. Nina saß am Bett ihres Sohnes. Als sie Daniel sah, atmete sie auf.

»Sie schickt der Himmel!«, erklärte sie und legte das Telefon zurück auf den Nachttisch.

Im selben Moment hustete Lukas. Trotz der Medikamente klang es tatsächlich schlimmer als tags zuvor.

»Hey, Sportsfreud, was machst du denn für Sachen?«, begrüßte Dr. Norden seinen kleinen Patienten.

Aber Lukas stand der Sinn nicht mehr nach Scherzen. Er lag im Bett und starrte Daniel aus glasigen Augen an.

»Haben Sie Fieber gemessen?«, wandte sich der Arzt an die Eltern.

»Es steigt allmählich«, bestätigte Nina seinen Verdacht, und Daniel klappte den Deckel seiner Arzttasche wieder zu.

»In diesem Fall halte ich es für besser, wenn wir nicht länger warten und Lukas in die Klinik bringen«, traf er seine Entscheidung.

Beide Elternteile waren einverstanden.

»Inzwischen ist mir das wirklich lieber«, gestand Nina. Sie stand am Schrank und warf ein paar von Lukas‘ Sachen in seine Lieblingssporttasche. »Wenn er so hustet und lethargisch im Bett liegt, bekomme ich richtig Angst.«

»Verständlich. Wir fahren sofort los.«

Diese Ankündigung verwunderte Nina.

»Sie kommen mit? Aber es ist doch Sonntag.«

»Wenn Lukas‘ Krankheit darauf keine Rücksicht nimmt, kann ich das auch nicht«, versuchte Daniel, die sichtlich besorgte Mutter mit einem kleinen Scherz aufzuheitern. Tatsächlich ließen sich Nina und Helmut zu einem Lächeln hinreißen, und der Arzt fuhr fort: »Natürlich kümmere ich mich auch am Sonntag um meine Patienten und werde in der Klinik alle nötigen Untersuchungen selbst begleiten.«

»Das können wir nie mehr wieder gut machen«, erklärte Helmut, und seine Stimme war weich vor Dankbarkeit.

Doch davon wollte Daniel Norden nichts wissen.

»Lukas kann es gut machen, indem er schnell wieder gesund wird«, gab er zurück und sah dem Vater dabei zu, wie er seinen Sohn für den Transport in warme Decken packte.

Nur eine halbe Stunde später kehrte Daniel Norden in die Behnisch-Klinik zurück.

»Sieh mal einer an«, feixte Dr. Lammers, als er den Ehemann seiner Vorgesetzten auf dem Flur erblickte. Dass Daniel nicht allein war, kümmerte ihn nicht. »Sie können sich wohl gar nicht von der Klinik trennen. Offenbar halten Sie sich für genauso wichtig, wie Ihre Frau es tut. Aber soll ich Ihnen was verraten? Es läuft brillant ohne Sie beide. Vielleicht sogar besser als mit Ihnen.«

»Vielen Dank für diese Information. Wenn Sie fertig sind, können Sie sich bitte mal diesen Jungen hier ansehen.« Dr. Norden dachte nicht daran, auf die Provokationen des Kollegen einzugehen.

Volker Lammers ballte die Hände zu Fäusten. Es war ihm anzusehen, dass ihm eine knackige Antwort auf den Lippen lag. Doch diesmal nahm er Rücksicht auf die Familie, die hinter Daniel stand. Ein liebenswürdiges Lächeln auf den Lippen wandte er sich an Helmut Claas.

»Mein Name ist Dr. Lammers«, stellte er sich vor. »Was fehlt Ihrem Sohn?«

»Ich habe vor einer Woche eine bakterielle Pneumonie bei Lukas diagnostiziert und mit Antibiotika behandelt«, war es Dr. Norden, der diese Frage beantwortete.

Mit einer steilen Falte auf der Stirn wandte sich Lammers an den Kollegen.

»Wenn ich mich nicht irre, habe ich gerade mit dem Vater gesprochen und nicht mit Ihnen.«

»Das ist schon in Ordnung«, beeilte sich Nina zu versichern. »Dr. Norden genießt unser ganzes Vertrauen. Außerdem weiß er besser Bescheid als wir und kann Ihnen alle Informationen geben, die Sie zur Weiterbehandlung brauchen.«

Einen Moment lang sagte niemand ein Wort, und Daniel Norden hörte, wie der Kollege tief einatmete.

»Schön«, gab sich Lammers überraschend geschlagen. »Dann lassen Sie mal hören, was Sie sonst noch so herausgefunden haben.«

»Das Antibiotikum hat zunächst angeschlagen, und Lukas‘ Zustand stabilisierte sich. Mehr aber leider nicht. Seit heute geht es ihm schlechter. Deshalb habe ich entschieden, ihn in der Klinik untersuchen zu lassen. Wir brauchen ein CT der Lunge. Dann sehen wir weiter.«

»Und wozu brauchen Sie mich, wenn Sie ohnehin schon einen Plan im Sack haben?«, erkundigte sich Lammers spitz.

Trotz des Ernstes der Lage musste Daniel lächeln.

»Ich schätze die Meinung eines fähigen Arztes«, erklärte er mit seiner charmantesten Stimme und brachte Dr. Lammers damit sichtlich in Verlegenheit.

Mit dieser Antwort hatte er nicht gerechnet.

»Veranlassen Sie das CT. Wenn ich Zeit habe, schaue ich mal drüber«, erwiderte er und ließ die kleine Gruppe grußlos stehen.

Nina sah Dr. Lammers nach und schnappte nach Luft.

»Dieser Mensch legt keine Hand an mein Kind.«

So weit wollte ihr Mann Helmut nicht gehen. Doch auch ihm stand die Skepsis ins Gesicht geschrieben.

»Wer war das überhaupt?«, erkundigte er sich.

»Ein sehr fähiger Kollege, auch wenn er sich größte Mühe gibt, das zu vertuschen.« Daniel dachte auch jetzt nicht daran, sich über Lammers auszulassen. Das war nicht sein Stil, würde es nie sein. Abgesehen davon gab es im Augenblick Wichtigeres, um das er sich kümmern musste.

»Wir sollten jetzt wirklich keine Zeit mehr verlieren und Lukas zum CT bringen«, machte er einen Vorschlag, der allgemeine Zustimmung fand.

*

»So, das war’s!« Der herrliche Frühlingstag neigte sich seinem Ende entgegen, und draußen dämmerte es bereits, als Tatjana Bohde endlich den Pinsel zur Seite legte und sich in Marlas Wohnung umsah. Der Geruch nach Farbe erfüllte jeden Raum. »Sieht toll aus.«

»Das haben wir richtig gut gemacht«, stellte auch Felix mit Kennermiene fest.

»Iiih, hier stinkt’s!« Demonstrativ hielt sich Dési die Nase zu, und ihr älterer Bruder hob die Nase.

»Findest du? Ich mag den Geruch.«

»Ich mein doch nicht die Farbe.« Wegen der zugehaltenen Nase quakte Dési wie eine Ente, und die übrigen Helfer lachten. Davon ließ sie sich jedoch nicht ablenken. »Ich meine dein Eigenlob. Das stinkt!«

Doch mit dieser Behauptung konnte sie den zweitältesten Sohn der Familie nicht aus der Ruhe bringen.

»Ein bisschen Selbstbewusstsein hat noch niemandem geschadet«, ließ sich Felix nicht einschüchtern und bohrte seinen Zeigefinger in Désis Flanke, dass sie quietschte und einen Satz zur Seite machte. »Aber mit einem Loch im Bauch ist das schönste Ego nichts wert«, fuhr er fort, während er die Pinsel und Malerrollen einsammelte, um sie in der Badewanne auszuwaschen. »Was haltet ihr davon, wenn wir uns zur Feier des Tages den Magen in den ›Schönen Aussichten‹ vollschlagen? Wenn ich an Tatjanas Flammkuchen denke, bekomme ich weiche Knie.«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als er fühlte, wie ein Stuhl unter seinen Allerwertesten geschoben wurde.

»Das hier ist ein probates Mittel gegen unsichere Bodenhaftung.« Tatjana beugte sich über seine Schulter und grinste ihn an. Felix war ihr wie ein Bruder, die beiden hatten denselben Humor und immer viel Spaß zusammen. »Und aus dem Flammkuchen wird heute leider nichts. Ich fahre nämlich jetzt in die Klinik zu Marla. Das bin ich ihr schuldig.«

»Aber du kannst mich doch hier nicht einfach verhungern lassen? Schon gar nicht, wenn ich deiner Kollegin meine wertvolle Arbeitskraft zur Verfügung gestellt habe«, reklamierte Felix.

Das Blitzen in seinen Augen verriet, dass er nur scherzte.

Trotzdem fielen seine Worte auf fruchtbaren Boden, und Tatjana drückte ihm die Karte eines Pizzaboten in die Hand.

»Bestellt euch was Schönes. Die Rechnung geht auf Pascal. Er hat mir aufgetragen, euch fürstlich für eure Dienste zu entlohnen. Das habe ich hiermit getan.«

Mit gemischten Gefühlen betrachtete Felix die Speisekarte.

»Das nennst du fürstlich?«

Weiter kam er nicht, denn seine Geschwister sahen die Sache offenbar anders. Janni und Dési brachen in Jubel aus.

»Pizza! Lecker!« An diesem Abend waren sie sich einig, was nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit war.

»Ich nehm eine Pizza Regina!« Janni fiel es nicht schwer, eine Entscheidung zu treffen.

»Und ich wollte schon immer mal eine Calzone probieren«, zog Dési nach.

Fee betrachtete ihren Nachwuchs mit einem Lächeln, das ihr ganzes Wohlwollen ausdrückte.

»Das wäre doch nicht nötig gewesen«, sagte sie zu Tatjana, die ans Waschbecken getreten war.

»Ich wasche meine Hände ausnahmsweise mal in Unschuld«, lächelte die Bäckerin und drehte den Wasserhahn auf. »Pascal wollte sich unbedingt erkenntlich zeigen. Wahrscheinlich könntet ihr auch Champagner und Kaviar bestellen, wenn es dafür einen Lieferservice gäbe. Er ist völlig überwältigt von unserer Hilfsbereitschaft.«

»Dabei war das doch ein Klacks.« Fees Blick glitt über die frisch gestrichenen Wände. »Sogar in reduzierter Besetzung haben wir alles an einem Tag geschafft. Bis Marla aus der Klinik kommt, sind die Wände trocken, und sie kann in ihr Reich einziehen und ein Nest für sich und das Baby bauen.«

»Ich denke, das wird Pascal schon vorher erledigen!«, gab Tatjana zurück. Inzwischen hatte sie sich die Farbe von den Fingern gewaschen und schlüpfte in ihre Jacke. »Bestellst du mir eine Pizza Capricciosa?«, wandte sie sich an Danny, der mit einem Berg Malerfolie in den Armen in der Tür auftauchte. »Die esse ich, wenn ich aus der Klinik nach Hause komme.«

»Eine wunderliche Pizza für eine wunderliche Frau«, scherzte Danny und wollte Tatjana einen Kuss geben.

Dabei kam ihm ein Stück farbbespritzte Folie in den Weg. Das Resultat sorgte für einen Heiterkeitsausbruch, den Tatjana nach einem Kuss auf seine Wange zum Aufbruch nutzte.

So fröhlich sich die Familie während der Arbeiten gezeigt hatte, so klar war, dass sich jeder Gedanken um die verletzte Marla machte. In der Vergangenheit war das Schicksal nicht gerade zimperlich mit ihr umgesprungen, und alle hofften, dass die Geschichte ein gutes Ende nahm. Nach Daniel Nordens Telefonanruf schienen die Sterne gut zu stehen, und frohen Mutes betrat Tatjana bald darauf das Krankenzimmer.

»Oh, Marla, ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass alles gut gelaufen ist«, brachte sie ihre Freude zum Ausdruck und drückte ihrer Mitarbeiterin die Blumen in den Arm, die sie noch rasch in einem Geschäft vor der Klinik erstanden hatte. »Ein Glück, dass wir mit so vielen Ärzten befreundet sind.«

»Das kannst du laut sagen! Dr. Norden war sogar bei der Operation dabei und hat mich keine Sekunde aus den Augen gelassen!«, lächelte Marla.

Allmählich ließ die Wirkung der Narkose nach, und ihre Wangen hatten schon wieder ein bisschen Farbe.

»Das Baby hat auch alles gut überstanden, oder?«

»Alles bestens!« Marla hob die Augen. »Der kleine Schatz hat sich wacker geschlagen.« Ihr Blick glitt an Tatjana vorbei zur Tür, die sich geöffnet hatte.

Pascal kam mit einem Becher Kaffee herein, den er sich im Warteraum für Besucher geholt hatte.

»Tatjana! Schön, dich zu sehen!« Er begrüßte die Chefin seiner Freundin mit einem Kuss links und rechts auf die Wange und wollte eine Frage stellen, als Marla ihm zuvor kam.

»Gut, dass ich euch beide jetzt hier habe«, erklärte sie in Pascals Richtung und griff nach dem Haltegriff über ihrem Kopf, um sich aufrecht hinzusetzen. »Dann kannst du dir von Tatjana erklären lassen, was noch alles zu tun ist, und einen Malerservice beauftragen. Ich hätte zwar gern selbst gestrichen, aber das geht ja jetzt leider nicht mehr. Besonders das Kinderzimmer …« Marla hielt inne und dachte an die schönen Schablonen, die sie selbst angefertigt hatte.

Diese Pause nutzte Pascal, um das Wort zu ergreifen.

»War sie schon immer so?«, erkundigte er sich bei Tatjana.

»Sagen wir mal so: Marla war schon immer sehr entschieden. Zumindest, solange ich sie kenne.« Sie lachte, als sie an den Tag dachte, an dem sie und Danny die Bekanntschaft des blauhaarigen Mädchens gemacht hatten. Mit dem Fahrrad war sie zum Vorstellungsgespräch gekommen und hätte um ein Haar Danny Norden auf dem Gehweg vor der Bäckerei umgefahren. »Statt sich zu entschuldigen, hat sie ihn einen alten Mann genannt. Das hat ihm schwer zugesetzt«, berichtete Tatjana mit vor Vergnügen funkelnden Augen.

»Stell dir vor, daraufhin wollte mich Tatti nicht mehr einstellen«, beschwerte sich Marla spaßeshalber bei ihrem Freund.

»Ein Glück, dass sie über ihren Schatten gesprungen ist«, lächelte Pascal. »Sonst hätte ich dich nie kennengelernt.«

»Da hätten wir alle ganz schön was verpasst!« Dieses Kompliment kam von Herzen, und Marla hatte Tränen in den Augen, als sie nach Tatjanas Hand griff.

»Schön, dass ihr das so seht«, schniefte sie und nahm das Taschentuch, das Pascal ihr reichte.

Um keine allzu rührselige Stimmung aufkommen zu lassen, wandte sich Tatjana wieder den praktischen Dingen des Lebens zu.

»Übrigens braucht ihr keinen Maler mehr. Die Wohnung ist fix und fertig gestrichen. Sogar deine Schablonen sind zum Einsatz gekommen. Du hättest sehen sollen, wie viel Mühe sich Anneka damit gegeben hat. Das Kinderzimmer ist wirklich wunderschön geworden.«

Diese Nachricht überraschte selbst Pascal.

»Ihr habt die ganze Wohnung gestrichen?«

»Na klar! Die Familie Norden macht keine halben Sachen«, verkündete Tatjana stolz wie Oskar. Immer öfter in letzter Zeit vergaß sie, dass sie selbst keine echte Norden war, so sehr identifizierte sie sich mit dieser großartigen Familie.

»Das hätte ich mir eigentlich denken können!« Marla lachte übers ganze Gesicht und bat Pascal, ihr gleich am nächsten Tag ein Foto des Kinderzimmers mit in die Klinik zu bringen.

»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Er beugte sich über sie, um sie zärtlich zu küssen, ehe er sich an Tatjana wandte. »Wo seid ihr denn heute Abend alle? Dann lasse ich eine ganze Kiste Champagner und Kaviar vorbei bringen.«

»Nicht nötig. Ich hab die Meute schon mit Pizza versorgt«, grinste Tatjana sehr zu Pascals Entsetzen. »Und ich muss mich jetzt auch verabschieden. Danny und eine Pizza Capricciosa allein daheim … Das kann eigentlich nicht gut gehen!« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich für diesen Abend von Marla und Pascal und machte sich gut gelaunt auf den Heimweg, sich des Glückes wohlbewusst, das ihr mit ihrem Freund und seiner Familie jeden Tag aufs Neue widerfuhr. Sie konnte nur hoffen, dass Marla mit Pascal eine ähnlich gute Wahl getroffen hatte. Doch zumindest in diesem Moment sah alles danach aus.

*

Von so einer ausgelassenen Stimmung war Dr. Daniel Norden an diesem Abend weit entfernt. Obwohl er kein Spezialist war, hatte ein Blick auf die Aufnahmen genügt, um zu wissen, dass Lukas nicht nur an einer Lungenentzündung litt. Der Kollege Lammers bestätigte diesen Verdacht gleich darauf.

»Im linken Lungenlappen hat sich offenbar Eiter angesammelt«, murmelte er, als er am Schreibtisch vorm Computer saß. Seine Miene war ernst, und aller Hohn und Spott war daraus verschwunden. In diesem Moment war er ganz und gar verantwortungsvoller Arzt, der sich auf das Leid seines Patienten konzentrierte.

Mit Entsetzten hatten die Eltern diese Diagnose aufgenommen.

»Aber wie kann das sein?«, fragte Helmut mühsam beherrscht.

»Ein sogenanntes Empyem in der Lunge kann durch verschiedene Organismen verursacht werden«, erklärte Volker Lammers und lehnte sich zurück, um Helmut anzusehen. »Streptococcus aureus ist die verbreitetste Ursache in allen Altersgruppen und für den Großteil solcher Erkrankungen bei Säuglingen und Kleinkindern verantwortlich. Hat Ihnen das der Kollege Norden denn nicht gesagt?« Mit dieser Bemerkung verflog der Eindruck des wohlwollenden Mediziners, und der Sarkasmus gewann wieder Überhand.

»Natürlich hat uns Dr. Norden über dieses Risiko aufgeklärt«, ergriff Nina sofort Partei für ihren Arzt. »Aber wir stimmen mit ihm überein, dass man nicht immer gleich vom schlimmsten Fall ausgehen muss. Deshalb haben wir abgewartet.«

»Ein böser Fehler«, entfuhr es Dr. Lammers. »Der mit Eiter gefüllte Hohlraum muss dringend entleert werden. Dazu wird ein Schlauch in die Brust Ihres Sohnes gelegt. Das alles wäre ihm erspart geblieben, wenn der Kollege rechtzeitig reagiert hätte.«

»Schießen Sie immer gleich mit Kanonen auf Spatzen?«, konnte sich Daniel diese Unterstellungen nicht länger gefallen lassen. »Das Empyem hätte sich auch in der Klinik bilden können.«

»Das ist Ihre ganz persönliche Meinung.«

Daniel stand neben Volker Lammers und atmete ein paar Mal tief ein und aus.

»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich diese Diskussion gern auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.« Nichts in seiner Stimme verriet seine innere Erregung. »Ich würde jetzt lieber den Eingriff besprechen und mich im Anschluss um Lukas kümmern.«

»Diese Sorge können Sie getrost mir überlassen, Kollege Norden.« Volker Lammers stand auf und nickte den Eltern zu. »Eine Schwester bringt Sie in einen Aufenthaltsraum. Ich lasse Sie rufen, sobald wir im OP fertig sind.«

Helmut und Nina Claas tauschten Blicke, die von dem tiefen Verständnis des Ehepaars sprachen.

»Wir möchten, dass Dr. Norden bei dem Eingriff dabei ist«, tat Lukas‘ Vater seine und die Meinung seiner Frau kund. »Natürlich nur, wenn er einverstanden ist.« Ein wenn auch verhaltenes Lächeln spielte um seine Lippen, als er Daniel Norden das Vertrauen aussprach.

»Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Lukas zu helfen«, versprach Daniel ohne Triumph in der Stimme.

Er war nur froh, dass Blicke nicht töten konnten, denn es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass er andernfalls auf der Stelle tot umgefallen wäre.

*

»Was für ein Tag!«, seufzte Daniel Norden, als er an diesem Abend endlich neben seiner Frau auf dem Sofa saß.

»Mein armer Liebling!« Fees Mitgefühl war echt, als sie den Arm um seine Schultern legte und ihn an sich zog. Noch wusste sie nicht, was sich in der Klinik abgespielt hatte. Aber sie kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, wie erschöpft er ewar.

Einen Moment lang saß das Ehepaar reglos da, völlig versunken in die Nähe des anderen. Erst als sein Magen laut und vernehmlich knurrte, erwachte Daniel aus seiner Versunkenheit.

»Oh, das klingt nach einer Reklamation«, stellte Fee fest und stand auf.

»Hat die gefräßige Meute was zum Essen übrig gelassen?«

Fee war schon an der Tür, als sie sich noch einmal umdrehte.

»In weiser Voraussicht habe ich eine Pizza für dich mitbestellt und sie versteckt«, beruhigte sie ihren Mann.

Nur ein paar Minuten später kehrte Felicitas mit einem Tablett in der Hand zurück. Sie brachte nicht nur die versprochene Pizza, sondern auch noch eine Schüssel Salat und eine Flasche Wein mit. »Das hast du dir redlich verdient«, erklärte sie, als sich Daniel bedankte.

»Habe ich dir schon mal gesagt, dass du die beste Ehefrau, Mutter und Liebhaberin von allen bist?«, fragte er und griff nach der Gabel, um eine Tomate aufzuspießen und in den Mund zu stecken.

»Du hast die Ärztin vergessen«, machte Fee ihn auf sein Versäumnis aufmerksam und zwinkerte ihm zu zum Zeichen, dass sie scherzte.

Doch diese Bemerkung erinnerte Daniel unwillkürlich an Volker Lammers.

»Tut mir leid. Aber dieses Prädikat hat schon dein Kollege Lammers für sich reserviert.«

Als Felicitas diesen Namen hörte, verdrehte sie die Augen.

»Sag bloß, du hattest das Vergnügen, ihm heute zu begegnen.«

»Ich durfte sogar mit ihm im OP stehen und mich vor meinen Patienten maßregeln lassen.« Während Daniel sein Abendessen verspeiste, berichtete er seiner Frau von den ungeheuerlichen Begebenheiten in der Klinik.

Gelassenheit und Ruhe waren normalerweise herausstechende Eigenschaften der Ärztin. Doch im Zusammenhang mit Volker Lammers war Fee nahe dran, sich zu vergessen.

»So ein Vollidiot!«

Mit dieser Bemerkung brachte sie Daniel zum Lachen.

»Entschuldige! Aber so ein Wort aus deinem Mund ist wirklich ungewöhnlich.«

»Es ist ja auch mehr als ungewöhnlich, dass Jenny so jemanden einstellt und auch noch mit dieser Beharrlichkeit an ihm festhält.« Felicitas schüttelte den Kopf, dass ihr Haar mit der Farbe von reifem Weizen hin und her schwang.

Daniel nahm eine weitere Pizzaecke und aß die Hälfte davon, ehe er antwortete.

»Einerseits gebe ich dir natürlich recht. Wenn Lammers mit allen Leuten so umspringt, wird über kurz oder lang der Ruf der Klinik leiden. Andererseits hat er heute wirklich gute Arbeit geleistet.« Er griff nach seinem Glas Wein und stieß mit Fee an. »Immerhin hat er Lukas eine Vollnarkose erspart. Wie er unter örtlicher Betäubung den Schlauch gesetzt hat, um den Eiter abzusaugen … das war schon bemerkenswert«, zollte Dr. Norden dem Kollegen seinen Respekt.

»Ich finde die Reaktion der Eltern viel bemerkenswerter«, wollte Fee allerdings nichts davon wissen und schielte auf das Stück Pizza in Daniels Hand. »Dass sie dich dabeihaben wollten, spricht für ihre Menschenkenntnis.« Ehe Daniel begriff, wie ihm geschah, beugte sie sich blitzschnell zu ihm hinüber und biss ein Stück von seiner Pizza ab. Sie hatte der Versuchung nicht länger widerstehen können.

»Aber ich muss meine Menschenkenntnis offenbar überdenken«, kommentierte Daniel den Appetit seiner Frau. »Wahrscheinlich ist es gar nicht Felix, der mir immer den letzten Rest von Lennis Abendessen vor der Nase wegschnappt.«

»Halt, dieser Eindruck ist vollkommen falsch«, verteidigte sich Fee kauend. »Aber wenn du mir die Pizza schon so hinhältst … Wie soll ich da widerstehen?« Sie trank einen Schluck Wein und rutschte dann näher. »Das ist ähnlich wie mit dir«, murmelte sie und schmiegte sich an ihren Mann. »Dir kann ich ja auch nie länger als fünf Minuten widerstehen.« Felicitas beugte sich vor und küsste seinen Hals, dass Daniel seinen Hunger schlagartig vergaß.

»Wenn das so ist, will ich mal nicht so sein«, raunte er ihr zu und schob den Teller zur Seite. Obwohl noch mehr als die Hälfte von seinem Abendessen übrig war, verlangte es ihn plötzlich nach ganz anderen Köstlichkeiten, die nicht nur den Leib, sondern auch die Seele in Brand setzten und noch nachglühten, als er längst mit seiner Frau in den Armen eingeschlafen war.

*

Das Feuer brannte auch noch in Dr. Felicitas Norden, als sie am nächsten Morgen zu Marla ins Krankenzimmer kam.

»Guten Morgen, meine Liebe. Wie geht es dir heute?«, fragte sie sichtlich gut gelaunt und schob das Ultraschallgerät, das sie mitgebracht hatte, ans Bett.

»Ganz gut, danke!« Marla musterte die Ärztin mit Interesse. »Das Streichen scheint dir gut bekommen zu sein.«

Im ersten Moment wollte Fee widersprechen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten.

»Ja, nachdem Daniel Entwarnung gegeben hat, war es sehr lustig mit Pascal und den Kindern. Da hast du dir schon einen Netten ausgesucht«, lenkte Fee ab und setzte sich auf die Bettkante.

Marlas Wangen wurden rot vor Freude, und sie zog ihr Nachthemd hoch, damit die Ärztin mit der Untersuchung beginnen konnte.

»Es freut mich, dass ihr euch mögt«, erklärte sie, als sie bemerkte, wie das Lächeln auf Fee Nordens Gesicht verschwand.

»Stimmt was nicht?«

»Das Herz deines Kindes schlägt wieder arrhythmisch wie bei der Operation gestern«, kam sie nicht umhin, die Wahrheit zu sagen.

Marla erschrak.

»Und was bedeutet das?«

Konzentriert studierte Felicitas die Bilder auf dem Monitor.

»Zunächst einmal solltest du dir keine Sorgen machen. Solche Unregelmäßigkeiten sind keine Seltenheit, müssen aber trotzdem abgeklärt werden. Ich schlage vor, dass wir eine Dopplersonographie machen. Das ist eine spezielle Ultraschalluntersuchung, mit der die Fließgeschwindigkeit des Blutes in den Arterien und Venen gemessen wird. So lassen sich Gefäßverengungen aufdecken«, erläuterte sie das weitere Vorgehen. »Außerdem werde ich Dr. Lammers zu Rate ziehen. Er hat sehr viel Erfahrung auf dem Gebiet der pränatalen Diagnostik.«

Marla schluckte und nickte.

»Bitte mach alles, was nötig ist, damit es meinem Spatz gut geht«, bat sie und legte die Hände auf ihren Leib, den Fee inzwischen vom durchsichtigen Gel befreit hatte.

Schon jetzt konnte die junge Künstlerin ihre anfängliche Ablehnung nicht mehr verstehen. Wenn sie nur daran dachte, dass es ihrem Baby schlecht ging, wollte sie in Panik ausbrechen.

Felicitas bemerkte die Sorgen der werdenden Mutter und versuchte, sie abzulenken.

»Willst du wissen, was es wird?«

Der Versuch zeigte zumindest kurzfristig Erfolg.

»Gern. Kann man das denn schon erkennen?«

»Inzwischen bist du in der 21. Woche. Und ich habe genug gesehen, um ganz sicher zu sein.«

»Ein Junge?«, mutmaßte Marla, und Felicitas lächelte und nickte. »Freust du dich?«

»Und wie! Ehrlich gesagt hab ich mir sogar einen Jungen gewünscht. Rosa und Rüschen und Kleider sind nicht so mein Ding. Dann schon lieber so ein cooler kleiner Kerl«, geriet Marla unvermittelt ins Schwärmen.

»Oh, nur weil du ein Mädchen hast, heißt das noch lange nicht, dass es Kleider und Spitzensöckchen tragen will«, konnte Fee aus ihrem reichen Erfahrungsschatz berichten. »Die Emanzipation hat längst Einzug ins Kinderzimmer gehalten.«

»Na, hoffentlich will mein Fynn dann keine Kleider anziehen«, grinste Marla, bevor sich Felicitas für den Moment verabschiedete, um Dr. Lammers zu holen.

Glücklicherweise musste die werdende Mutter nicht lange warten. Diesmal verzichtete der Kinderarzt auf unflätige Kommentare in Richtung seiner Kollegin und nahm sich sofort des Falles an. Doch das Ergebnis seiner Untersuchung war niederschmetternd.

»Es tut mir leid, aber das Herz des Kindes ist nicht richtig ausgebildet«, redete er nicht lange um den heißen Brei herum.

Marla hatte immer noch gehofft, dass es sich um ein Versehen handelte, und wollte es nicht wahrhaben.

»Wie bitte?«

»Der linke Herzmuskel ist deutlich verdickt, die Kammer unterentwickelt«, fasste Volker Lammers seine Erkenntnisse zusammen. »Das ist ein signifikanter Hinweis auf eine Aortenklappen­stenose. Aber natürlich brauchen wir noch weitere Untersuchungen.«

Verständnislos sah Marla von einem zum anderen.

»Aber was heißt dieses Aorten­stenosendings genau?«

»Das bedeutet, dass sich die Herzklappe nicht vollständig öffnen kann. Dadurch ist der Strömungswiderstand des Blutes an der Klappe erhöht, der Druck in der linken Herzkammer steigt an. Ein Druckunterschied zwischen Herzkammer und Aorta ist die Folge.«

Fee hatte den Ausführungen des Kollegen schweigend gelauscht. Doch an dieser Stelle meldete sie sich zu Wort.

»Einfacher ausgedrückt kann das Blut bei dieser Erkrankung nicht mehr richtig aus dem Herzen ausströmen. Das Herz muss mehr Kraft aufbringen, um dagegen anzupumpen«, versuchte sie, Marla die Vorgänge so verständlich wie möglich auseinanderzusetzen. »Trotzdem gelangt nicht mehr genug sauerstoffreiches Blut in den Körperkreislauf. Das kann zuerst für das Gehirn gefährlich werden. Es braucht den Sauerstoff am dringendsten, um seine Funktion aufrecht zu erhalten.« Mehr wollte die Ärztin zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.

»Du meinst …«, wollte Marla zu einer Frage ansetzen, als Dr. Lammers sie unterbrach.

»Wir meinen, dass Ihr Kind einen Herzfehler hat«, wählte er klare Worte, die keine Fehlinterpretation zuließen.

Marlas Augen füllten sich mit Tränen, und Fees Herz zog sich zusammen vor Mitgefühl. Auf der einen Seite verabscheute sie den Kollegen dafür, so deutliche Worte zu wählen. Auf der anderen Seite wusste sie, dass es so das Beste war.

In ihre Gedanken hinein schluchzte Marla auf.

»Aber … aber … das kann doch gar nicht sein«, stammelte sie. »Danny hat mich doch untersucht. Er hätte doch was merken müssen.« Es war offensichtlich, dass sie sich an jeden Strohhalm klammerte.

»Ob das Herz richtig ausgebildet ist, kann man frühestens in der 21. Woche feststellen«, musste die Ärztin zugeben und suchte nach Worten des Trostes. »Ich kann mir vorstellen, wie dir zumute ist. Aber statistisch gesehen hat jedes hundertste Kind kein perfektes Herz. Ich weiß, das ist nur ein schwacher Trost, aber bei der der Mehrheit der Kinder kann die Missbildung im Laufe der Zeit vollständig korrigiert werden. Das trifft bestimmt auch auf euer Kind zu.« Felicitas wollte selbst daran glauben, dass alles gut werden würde.

Volker Lammers machte keinen Hehl daraus, was er von der Prognose seiner Kollegin hielt.

»Jeder Fall ist anders.« Seine Stimme klirrte vor Kälte. »Sicher ist nur, dass Ihr Kind nach der Geburt sofort in eine Spezialklinik verlegt und operiert werden muss.«

Marla trocknete sich die Tränen mit dem Tuch, das Felicitas ihr gereicht hatte. Ihre Augen waren rot und verquollen vom Weinen.

»Aber mein Sohn ist doch dann noch so klein«, presste sie mühsam hervor.

Diesen Einwand ließ Dr. Lammers nicht gelten. Auf dem Weg zur Tür winkte er ab.

»In der Herzchirurgie sind solche Eingriffe heutzutage Standard.« Ohne Abschied verließ er das Krankenzimmer, und sowohl Fee als auch Marla starrten ihm nach.

»Was für ein herzloser Mensch«, murmelte die werdende Mutter.

»Das würde auch keine Operation der Welt ändern«, konnte Fee dieser Ansicht nur zustimmen.

*

Auch Nina Claas war zu dieser Zeit in der Behnisch-Klinik. Nach dem geglückten Eingriff hatte sie im Bett neben ihrem Sohn übernachtet und saß jetzt bei Lukas. Sie hatten gemeinsam gefrühstückt – Lukas hatte immerhin ein paar Löffel Haferflocken mit Milch gegessen –, und nun las sie ihm aus seinem Lieblingsbuch vor, das sein Vater vor der Arbeit in die Klinik gebracht hatte.

» … raschelte es verdächtig im Gebüsch. Erschrocken fuhr Tim herum …«

Ein Geräusch aus dem Bett ließ Nina aufblicken. Fast sofort stockte ihr der Atem. Lukas‘ Gesicht war verzerrt, und er starrte seine Mutter aus großen Augen an, während zunächst nur sein Arm unkontrolliert zuckte. Doch der Krampf erfasste schnell den ganzen Körper. Speichel rann Lukas aus dem Mund, und er gab beängstigende Geräusche von sich. Nina erschrak so sehr, dass sie das Buch fallen ließ und vom Stuhl aufsprang.

»Lukas! Um Gottes willen! Lukas! Was ist mit dir?« Sie beugte sich über ihren krampfenden Sohn, wagte es aber nicht, ihn anzufassen aus Angst, ihm weh zu tun oder etwas falsch zu machen. »Hilfe! Jemand muss uns helfen!« Der Schock saß ihr in den Gliedern, und mechanisch drückte sie auf den Notknopf am Krankenbett.

Kurze Zeit später eilte Schwester Elena herein. Mit einem Blick erfasste die erfahrene Schwester, selbst Mutter zweier Kinder, die Situation.

»Frau Dr. Norden kommt sofort!«, beeilte sie sich zu versichern, als der Anfall endlich abebbte. »Ich habe sie schon informiert. Sie war im Aufenthaltsraum der Ärzte nur ein paar Zimmer weiter.«

Elena hatte noch nicht ausgesprochen, als Fee ins Zimmer stürzte. Lukas‘ Zustand hatte sich inzwischen fast normalisiert.

»Sieht ganz nach einem epileptischen Anfall aus«, berichtete Schwester Elena von ihren Eindrücken.

»Wie kann das sein?«, dachte Fee laut nach, während sie Lukas untersuchte und abhörte. »Ein epileptischer Anfall wird immer durch Probleme im Gehirn ausgelöst. Aber Lukas wurde wegen einer Lungenentzündung eingeliefert und hatte zudem Empyeme in der Lunge …« Schnell wurde ihr der Zusammenhang klar. »So einen Fall hatte Daniel schon mal. Betroffen war ein älterer Herr, der nach einer schweren Lungenentzündung unter einem Hirnabszess litt«, erinnerte sie sich an den dramatischen Vorfall vor etwas mehr als einem Jahr. »Damals hat Daniel viel recherchiert und herausgefunden, dass Hirnabszesse häufiger nach einer Lungenentzündung entstehen.«

Schwester Elenas Augen wurden schmal.

»Das klingt aber gar nicht gut.«

Das musste Fee leider bestätigen.

»Stimmt. Bitte informieren Sie die Radiologie. Wir brauchen sofort ein CT vom Schädel. Außerdem brauche ich Mario«, verlangte sie die Unterstützung ihres Bruders Dr. Mario Cornelius, dem Chef der Pädiatrie.

»Der Termin ist kein Problem. Aber mit Dr. Cornelius kann ich im Augenblick nicht dienen. Er ist im OP.«

Nur mit Mühe konnte Felicitas Norden ein Seufzen unterdrücken.

»Na gut, dann schicken Sie eben Lammers«, fügte sie sich notgedrungen in ihr Schicksal, ehe sie zur Eile mahnte und Lukas‘ Bett höchstpersönlich in die Radiologie schob, während sich Elena um die aufgelöste Mutter kümmerte.

*

Pascal Lüders eilte den Klinikflur hinunter, als er aus dem Aufenthaltsraum, in dem er tags zuvor Kaffee geholt hatte, leises Schluchzen hörte. Er war auf dem Weg durch die Kinderstation zur Gynäkologie und in Eile. Trotzdem hielt er inne und warf einen Blick in den Raum. Eine Frau saß auf einem der Sessel und weinte vor sich hin.

Um sie nicht zu erschrecken, räusperte sich der Galerist, und Nina Claas blickte auf.

»Entschuldigen Sie die Störung, aber kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte er.

»Beten Sie für mein Kind!«, ließ die Antwort nicht lange auf sich warten.

Pascal erschrak. Mit dieser drastischen Bitte hatte er nicht gerechnet. Er warf einen Blick auf die Uhr und beschloss, kurz bei der Unbekannten zu bleiben.

»Darf ich mich setzen?«

Nina nickte, und er nahm im Sessel neben ihr Platz. Vorher hatte er eine Packung Taschentücher auf der Jacke gezogen und reicht ihr eines davon.

»Danke, Sie sind sehr nett.«

Doch der Galerist winkte ab.

»Wir alle haben einen Grund, warum wir in diesem Krankenhaus sind. Schon deshalb sollten wir zusammenhalten und uns gegenseitig stützen.« Voller Dankbarkeit dachte er daran, wie viel Glück er und seine Freundin gehabt hatten. Schon bald würde Marla entlassen werden, und in ein paar Monaten konnte er sein Kind in den Armen wiegen. Wenn das nicht Grund genug war, anderen, mit denen es das Schicksal nicht so gut meinte, Trost zu spenden. »Was fehlt Ihrem Kind?«, erkundigte er sich.

Nina betrachtete den Fremden mit sichtlicher Verwunderung. Seine Worte hatten tatsächlich vermocht, sie wenigstens ein bisschen zu trösten.

»Lukas hatte vorhin einen epileptischen Anfall. Den ersten seines Lebens«, beantwortete sie seine Frage. »Nun vermuten die Ärzte, dass er Eiterherde im Hirn haben könnte. Er ist gerade im CT. Ich warte schon so lange. Das kann doch kein gutes Zeichen sein.« Die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Nachdem Schwester Elena schweren Herzens zu ihrer Arbeit zurückgekehrt war, wartete sie allein auf die Diagnose.

»Das klingt wirklich erschreckend.«

»Ist es auch. Wenn sich diese Prognose bewahrheitet, muss Lukas sofort operiert werden«, wiederholte die Mutter das, was ihr Dr. Lammers vor der Untersuchung erklärt hatte. »Die Abszesse brauchen Platz und können Teile des Gehirns einklemmen. Das würde bedeuten, dass Lukas behindert werden könnte.« Es tat Nina gut, mit Pascal zu sprechen, und als er ihre Hand nahm, empfand sie die Wärme wie einen stummen Trost.

»Das wäre wirklich furchtbar. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass diese Klinik eine der besten des Landes ist. Die Ärzte hier sind hervorragend ausgebildet und werden alles tun, um Lukas vor diesem Schicksal zu beschützen.« Es wurde Zeit, die verzweifelte Mutter zu verlassen und Marla zu besuchen. Schweren Herzens stand Pascal auf und nickte Nina zu. »Sie müssen nur daran glauben und stark sein für Lukas! Dann wird alles gut werden.«

Als er ihr die Hand reichte, bedankte sich Nina Claas für seinen Trost und sah ihm nach, wie er das Zimmer nachdenklich und in sich gekehrt verließ. Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie ihn gar nicht nach seinem Schicksal gefragt hatte. Doch dazu war es nun zu spät.

*

Nur ein paar Minuten später betrat der Galerist das Zimmer seiner Freundin.

»Hallo, meine Prinzessin«, begrüßte er sie. Eigentlich hatte er ihr erzählen wollen, wie einsam die Nacht ohne sie gewesen war. Doch seine Gedanken weilten immer noch bei Nina Claas und ihrem Sohn Lukas. »Stell dir vor, was ich gerade erlebt habe.« Er setzte sich zu seiner Freundin ans Bett und berichtete über diese Begegnung. Derart berührt von Ninas Geschichte bemerkte er nicht, wie blass Marla war. Erst als er geendet hatte, seine Freundin aber beharrlich schwieg, nahm er endlich Notiz von ihrem Zustand. »Du sagst ja gar nichts. Geht’s dir nicht gut?«

»Bitte nimm mich in den Arm«, verlangte sie mit Grabesstimme.

»Aber was ist denn?« Sofort kam er ihrer Bitte nach und schloss sie in die Arme. Es dauerte nicht lange und er spürte, wie sein Hemd feucht wurde. »Was hast du, Prinzessin?«

»Unserem Baby geht es auch nicht gut. Es hat einen Herzfehler und muss gleich nach der Geburt operiert werden.«

Es dauerte einen Moment, bis die Bedeutung dieser Nachricht in Pascals Bewusstsein ankam. Alles Blut wich aus seinem Gesicht, und sofort waren Nina Claas und ihr Sohn vergessen.

»Was sagst du da?« Er schob Marla ein Stück von sich, damit er ihr ins Gesicht sehen konnte.

»Frau Dr. Norden meint, dass das gar nicht so selten vorkommt«, fuhr sie stockend fort. »Und dass so ein Herzfehler bei der Mehrheit der Kinder korrigiert werden kann.« Es war offensichtlich, dass sie sich selbst und Pascal Mut machen wollte.

Doch der Schock über diese Offenbarung saß zu tief.

»Mein Gott.« Abrupt stand Pascal von der Bettkante auf und begann, im Zimmer auf und ab zu wandern. »Was sagt das schon aus? Die Mehrheit? Wie viele sind das?«

»Ich habe nicht nach Prozentzahlen gefragt«, funkelte Marla ihren Freund an, der seinen Fehler sofort einsah.

»Natürlich nicht. Es tut mir leid.« Pascal kehrte zurück und setzte sich wieder auf die Bettkante. Er fuhr sich mit der Hand durch’s Haar. »Das trifft mich jetzt völlig überraschend. Ich war mir so sicher, dass unser Kind gesund ist.«

»Ich doch auch«, beteuerte Marla.

Wie ein Häuflein Elend saß sie im Bett.

Dieser Anblick war es schließlich, der den Ausschlag gab. Dass sein Sohn krank war, war die eine Sache, Marlas Unglück eine andere. Wenn Pascal etwas dazu beitragen konnte, dass es seiner Freundin wenigstens ein bisschen besser ging, wollte er es tun.

»Wir dürfen jetzt die Flinte nicht ins Korn werfen, Prinzessin. Vielleicht ist der Herzfehler gar nicht so schlimm.« Er griff nach ihren Händen und presste sie an sein Herz. »Wir drei schaffen das. Wozu sind wir denn sonst eine Familie?«

Diese Worte waren es, auf die Marla Brandt so sehr gehofft hatte. Sie entzog Pascal ihre Hände und schlang die Arme um seinen Hals. Seine Nähe und Wärme taten ihr gut und machten ihr Mut, auch diese Hürde zu überwinden, um endlich die glückliche kleine Familie zu werden, von der sie beide träumten.

*

Pascal Lüders blieb so lange bei seiner Freundin, bis sie eingeschlafen war. Dann machte er sich auf den Weg in die Pädiatrie in der Hoffnung, Fee Norden zu finden.

»Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sich ein Arzt, der ihm auf dem Flur entgegenkam.

Offenbar hatte er den suchenden Blick des Besuchers bemerkt.

»Mein Name ist Pascal Lüders. Ich bin der Lebensgefährte von Marla Brandt und auf der Suche nach Frau Dr. Norden«, erwiderte Pascal in seiner Unwissenheit. »Wissen Sie, wo sie ist?«

Blitzschnell zog Volker Lammers die richtigen Schlüsse aus diesen Informationen und legte den Arm um Pascals Schultern.

»Wenn das so ist, bin ich der richtige Mann für Sie.« Sein Tonfall war vertraulich. »Und wir Männer sollten schließlich zusammen halten, finden Sie nicht?«

Über diese Worte konnte sich Pascal nur wundern.

»Ehrlich gesagt finde ich nicht, dass Frauen unsere Gegner sind«, gab der Galerist zurück. »Schon gar nicht in einer Klinik, in der doch jeder Arzt nur das Beste für seine Patienten will.«

»Schon richtig«, ließ sich Dr. Lammers nicht verdrießen. »Aber manche Ärzte sind eben besser als andere. Deshalb haben Sie Glück, an mich geraten zu sein. Kommen Sie, ich erkläre Ihnen, was es mit der Erkrankung Ihres Sohnes auf sich hat.« Noch immer lag sein Arm um Pascals Schultern, und er führte den Galeristen den Flur hinunter in Richtung seines Büros.

»Ich bekomme einen Sohn?«, schnappte Pascal unterwegs nach Luft.

»Ach, das hat Ihnen noch niemand gesagt?« Lammers schüttelte den Kopf. »Na, hätte ich mir ja denken können. Aber im Grunde ist es ja egal. Es geht um die Gesundheit Ihres Kindes. Sehen Sie selbst.« Er schloss die Tür hinter seinem Besucher und ging an den Schreibtisch. Dort setzte er sich an den Computer und rief die Bilder auf, die zur Diagnose geführt hatten. Pascal folgte seiner Aufforderung und setzte sich auf den Hocker, den der Kinderarzt für ihn an den Tisch gestellt hatte. »Hier können Sie erkennen, dass die linke Herzkammer sehr klein ausgebildet ist.« Mit dem Zeigefinger umriss Lammers die entsprechende Stelle auf dem Bildschirm. »Gleichzeitig ist der Herzmuskel hier deutlich verdickt. Das ist die Folge davon, dass er ständig gegen einen Widerstand anpumpen muss.«

»Marla hat gesagt, dass man das operieren kann«, erwiderte Pascal mit Reibeisenstimme.

»Das ist richtig. Sowie das Kind zur Welt gekommen ist, wird das verwachsene Herzklappensegel mittels einer Ballondilatation gesprengt.«

»Eine Ballondilatation?« Davon hatte Pascal noch nie etwas gehört.

»Bei diesem Eingriff wird über eine Einstichstelle ein sehr dünner Draht an die verengte Stelle des Herzens geführt«, erläuterte Dr. Lammers das Vorgehen. »Über diesen Führungsdraht wird ein Ballonkatheder zur Engstelle geführt und dort platziert. Der Ballon ist zu diesem Zeitpunkt noch zusammengefaltet und wird aufgeblasen, wenn er an der richtigen Stelle liegt.«

»Klingt gar nicht so schwierig.« Vor Aufregung waren Pascals Hände feucht geworden, und er rieb sie an der Jeans. »Und damit ist das Problem dann behoben?« In seiner Stimme schwang all die Hoffnung mit, die er hegte.

Zu seinem Schrecken schüttelte Dr. Lammers den Kopf.

»Wie immer und überall können auch hier Komplikationen auftreten. Nach der Geburt kann es bei dem Kind zu einem Lungenödem oder einem Schock kommen. Es ist allerdings auch möglich, dass …« Mitten im Satz hielt Lammers inne. Seine Augenbrauen schoben sich noch weiter zusammen, dass Pascal wenn möglich noch mehr Angst bekam.

»Dass was?«, fragte er atemlos.

»Durch die schlechte Durchblutung während der Schwangerschaft besteht allerdings auch die Gefahr, dass das Kind zerebrale Schäden zurückbehält und …«

»Moment, Moment«, fiel Pascal dem Kinderarzt ins Wort. »Soll das heißen, dass mein Sohn unter Umständen geistig behindert ist?« Unwillkürlich stand wieder das Bild von Nina vor seinem geistigen Auge. Die Verzweiflung der Mutter hatte sich tief in Pascals Gedächtnis eingebrannt.

Volker Lammers sah ihn aus schmalen Augen an.

»Das wäre die ungünstigste Prognose. Aber das muss nicht unbedingt passieren.«

»Kann aber?«, blieb Pascal hart.

Er musste die Wahrheit wissen.

»Ja, das ist möglich. Aber ich muss mich über Ihre Aufregung wundern. Hat Frau Dr. Norden Sie nicht wenigstens darauf vorbereitet?«, versuchte Lammers wieder einmal, seine Kollegin in ein schlechtes Licht zu rücken.

Doch seine Rechnung ging nicht auf.

»Nein. Aber ist ja kein Wunder. Ich hatte noch keine Gelegenheit, überhaupt mit ihr zu sprechen. Das haben Sie ja erfolgreich verhindert.« Pascal sprang vom Hocker auf und war im Begriff, aus dem Zimmer zu stürmen.

Der Kinderarzt saß an seinem Schreibtisch und sah ihm nach. Er ärgerte sich und machte gar nicht erst den Versuch, seinen Besucher aufzuhalten.

»Frau Dr. Norden hätte Ihnen auch nichts anderes erzählt«, rief er dem werdenden Vater nur nach. »Sie können nur hoffen, dass Ihr Sohn kräftig genug ist, um das alles überhaupt zu überstehen. Er scheint schon sehr geschwächt zu sein.«

Am liebsten hätte sich Pascal die Ohren zugehalten, als er aus dem Büro und über den Flur davon stürzte. Doch es nützte nichts. Die Stimme von Volker Lammers echote in seinem Kopf und begleitete ihn durch den Rest des Tages wie ein schlechtes Omen.

*

Auch für die Familie Claas sollte der Tag nicht positiv enden.

»Leider haben sich die Befürchtungen bestätigt«, musste Fee den Eltern die traurige Botschaft überbringen. »Lukas hat Hirnabszesse, die das umliegende Hirngewebe verdrängen und anschwellen lassen.« Sie saßen sich in der Besucherecke in ihrem Büro gegenüber, und Dr. Felicitas Norden hatte ihre Besucher gut versorgt. Doch niemand wollte von Tatjanas Köstlichkeiten naschen, die zwischen den Kaffeetassen auf dem Tisch standen. »Auch der Schädelknochen ist bereits an mehreren Stellen betroffen.«

Helmut saß neben seiner Frau und drückte Ninas Hand. Beide waren zwar ernst, aber tapfer. Das waren sie ihrem Sohn schuldig.

»Und wie geht es jetzt weiter?«, stellte der Vater die alles entscheidende Frage.

Felicitas Nordens Herz war schwer. Sie liebte ihren Beruf, doch an die Aufgabe, schlimme Diagnosen zu überbringen, würde sie sich niemals gewöhnen.

»Lukas ist ein absoluter Notfall. Sein Zustand ist lebensbedrohlich. Wir haben keine Wahl und werden sofort operieren. Er ist schon auf dem Weg in den OP.«

»O mein Gott!« Ninas Selbstbeherrschung wurde einer harten Probe unterzogen, doch sie bestand sie mit knapper Not. »Hat er denn überhaupt eine Chance?«

Fee war dankbar für diese Frage.

»Wo Leben ist, ist Hoffnung. Wir haben das beste Operationsteam zusammengestellt, das wir im Haus haben.« Zumindest das konnte sie den Eltern mit auf den Weg geben.

»Gehört dieser Lammers auch dazu?«, konnte sich Helmut Claas eine Frage nicht sparen.

Trotz des Ernstes der Lage amüsierte sich Fee.

»Keine Sorge! Diese Nummer ist selbst für unseren Starkinderarzt ein bisschen zu groß«, erlaubte sie sich einen kleinen Seitenhieb in Richtung des Kollegen. »Unser bester Neurochirurg leitet die Operation und der Chef der Pädiatrie, Dr. Mario Cornelius, assistiert ihm. Ich bin optimistisch, dass alles gut gehen wird.«

Helmut schickte seiner Frau einen innigen Blick. Die Worte der Ärztin hatten ihm Mut gemacht, und in seinen Augen stand eine vage Hoffnung, als er sich wieder an Fee wandte.

»Wenn Sie optimistisch sind, dann sind wir es auch. Sie haben unser Vertrauen. Egal, was passiert.«

Diese Worte rührten Fee so sehr, dass sie sich unvermittelt mit ihrer eigenen Selbstbeherrschung konfrontiert sah. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückdrängen, aber ihre Stimme war rau, als sie ein einziges Wort sagte.

»Danke.« Mehr brauchte es nicht. Alles andere war in diesem Augenblick nicht wichtig.

*

Der Wind zerrte an Pascal Lüders‘ Haar, und Regen schlug ihm ins Gesicht, als er die Klinik verließ. Der Wetterumschwung kam ihm gerade recht. Er passte perfekt zu seiner Weltuntergangsstimmung, und er machte gar nicht erst den Versuch, sich vor dem Wolkenbruch zu schützen. Mit gesenktem Kopf und den Händen in den Jackentaschen marschierte er gegen den Sturm an durch die dunklen Straßen. Der Galerist achtete nicht darauf, wohin seine Schritte ihn führten, und war überrascht, als er sich vor dem Haus wiederfand, in dem Marlas und auch Danny Nordens Wohnung lag. Einen Moment stand er davor und wusste nicht, was er tun sollte. Dann folgte er einer Eingebung und zog den Schlüssel aus der Tasche, den Marla ihm feierlich überreicht hatte. Er schloss die Haustür auf, dachte kurz daran, den Aufzug zu rufen, entschied sich dann aber dafür, die Stufen hinauf in den dritten Stock zu steigen. Als er aufgesperrt hatte, schlug ihm der Geruch nach Farbe entgegen, doch Pascal nahm ihn kaum wahr, so sehr war er in Gedanken versunken. Er machte Licht, zog die Tür hinter sich zu und wanderte durch die Räume. Die Schritte hallten von den Wänden wider, und er betrat er das Kinderzimmer. Sein Blick blieb an den stilisierten Figuren hängen, die Anneka Norden mithilfe von Marlas Schablonen in bunten Farben an die Wände gepinselt hatte.

»Wird Fynn sie jemals sehen können? Wird er je selbst einen Luftballon halten? Seifenblasen in die Luft pusten? Einem Ball hinterherjagen?«, fragte er sich, und mit einem Mal brach all der Schmerz aus ihm heraus, der sich in den vergangenen Stunden in seinem Inneren angesammelt hatte. Er setzte sich einfach auf den Parkettboden und ließ seinen Gefühlen freien Lauf, weinte, schimpfte und flehte einen unsichtbaren Gott um Hilfe an.

Derart gefangen in seinem Schmerz, überhörte er zunächst das Klingeln. Und als er es wahrnahm, konnte er es nicht einordnen. Er hatte Marlas Türklingel vorher noch nicht gehört.

»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte er sich und wischte sich mit dem Ärmel über das tränennasse Gesicht. Als es noch einmal klingelte, stand er endlich auf und ging zur Tür. »Ach, du bist es, Danny!«

»Pascal! Also doch!« Der junge Arzt lächelte. »Ich hatte mit Tatjana eine Wette abgeschlossen und hab doch glatt gewonnen.«

»Was meinte sie denn, wer hier ist?«, fragte Pascal und spürte, wie froh er war, den Arzt zu sehen. Seine positive Ausstrahlung ließ die Welt gleich heller erscheinen.

»Von Handwerkern bis zu einem Einbrecher hatte sie alles im Repertoire. Sie hat eine blühende Fantasie, musst du wissen.« Als er an Tatjanas Vermutungen dachte, wurde das Lächeln auf seinem Gesicht tiefer. Aber nur kurz. Pascals Verzweiflung war ihm nicht entgangen und auch die Spuren nicht, die die Tränen auf seinem Gesicht hinterlassen hatten. »Hast du Lust, ein bisschen zu uns zu kommen?«

Fee hatte tagsüber in der Praxis angerufen und ihrem Mann von Marla und dem Baby erzählt. Deshalb wusste auch Danny Bescheid. Da er aber nicht mit der Tür ins Haus fallen wollte, wählte er den Weg über die Gastfreundschaft. »Tatjana hat mal wieder ein neues Rezept ausprobiert. Mit dieser Menge Rucolastrudel werden wir allein unmöglich fertig.«

In diesem Moment fiel Pascal ein, dass er seit dem Frühstücknichts mehr gegessen hatte.

»Sehr gern. Gut möglich, dass meine schlechte Laune vom Hunger kommt«, gestand er, während er Seite an Seite mit Danny die Treppe hinaufstieg. »Über der ganzen Aufregung habe ich heute völlig vergessen, was zu essen.« Er dankte seinem Gastgeber, der ihm den Vortritt ließ, und trat in die Wohnung, die Tatjana mit der ihr eigenen Stilsicherheit eingerichtet hatte. »Wunderschön habt ihr es hier.« Staunend blieb Pascal im Flur stehen und sah sich in den offenen Räumen um. »Und es riecht wirklich sensationell gut.«

»Hoffentlich schmeckt es auch so.« Lächelnd kam Tatjana auf ihren Besucher zu. Sie trug Backhandschuhe und streckte die Hände links und rechts vom Körper weg, als sie Pascal auf die Wangen küsste.

»Schicke Handschuhe!«, wollte der Gast nicht griesgrämig sein.

Skeptisch musterte Tatjana ihre unförmigen Hände.

»Findest du? Sie sind ein Geschenk von Danny. Er wollte nicht, dass ich mir ständig die Finger im Ofen verbrenne.«

»Wie fürsorglich von ihm«, lobte Pascal, doch Tatjana war anderer Meinung.

»Ich glaube eher, dass er keine Lust mehr hatte, mir in seiner Freizeit ständig die Finger und Arme zu verbinden.« Ehe Danny widersprechen konnte, zwinkerte sie ihm schelmisch zu. »Aber jetzt solltet ihr euch hinsetzen. Sonst ist der Strudel kalt und schmeckt so gut, wie diese Handschuhe attraktiv sind.« Das ließen sich Danny und Pascal nicht zwei Mal sagen, und die nächsten zehn Minuten herrschte genussvolles Schweigen.

»Ich kann mich nicht erinnern, je so was Gutes gegessen zu haben«, seufzte Pascal schließlich und legte das Besteck zur Seite.

»Dann hast du noch nicht Marlas gefülltes Brot probiert. Dagegen ist der Strudel hier richtig langweilig«, lobte Tatjana ihre Mitarbeiterin.

»Komm schon, du willst doch nur hören, dass deine neueste Kreation der absolute Renner beim Mittagstisch wird«, meinte Danny, die wahre Absicht seiner Freundin durchschaut zu haben.

Tatjana lachte.

»Mist. Ich muss mir eine neue Strategie ausdenken. Du kennst mich inzwischen viel zu gut.« Sie stand auf, küsste Danny auf die Wange und stellte die Teller zusammen.

Als sie in die Küche ging, sah Patrick ihr nach.

»Ihr beiden seid schon ein tolles Paar«, schwärmte er.

»Marla und du, ihr seid aber auch nicht ohne«, gab Danny dieses Kompliment postwendend zurück. »Und ihr bekommt auch noch ein Kind. Meiner Ansicht nach ist das die Krönung einer Liebe«, versuchte er, die Sprache auf das Thema zu bringen, das Pascal so sehr bewegte.

Seine kleine List hatte Erfolg, und der Galerist ging sofort auf diese Bemerkung ein.

»Ich bin ganz deiner Meinung. Kinder sind das schönste Geschenk, das das Leben uns machen kann.« Pascals Blick hing an dem Glas, das er zwischen den Händen drehte. »Aber auch die größte Aufgabe. Vor allen Dingen dann, wenn man sich nicht sicher sein kann, ob dieses Kind jemals laufen, sprechen oder spielen können wird«, ließ er Danny an seinen Gedanken teilhaben.

Tatjana war mit drei Tassen Espresso und einer hausgemachten Joghurtcreme an den Tisch zurückgekehrt.

»Wir haben von der Diagnose gehört«, gestand sie und löffelte Zucker in ihre Tasse. »Glaubst du denn nicht daran, dass euer Sohn gesund werden wird?«

»Dazu müsste ich schon sehr naiv sein, findest du nicht? Im Gegensatz zu Marla verschließe ich nicht die Augen vor der Tatsache, dass Fynn behindert zur Welt kommen wird. Dr. Lammers hat mir die Risiken deutlich vor Augen geführt.«

Als Danny diesen Namen hörte, verdrehte er die Augen, sagte aber nichts.

Ganz im Gegensatz zu seiner Freundin. Sie saß Pascal gegenüber. Eine steile Falte stand auf ihrer Stirn.

»Und du glaubst, dass ein behinderter Mensch nicht glücklich sein kann?«, funkelte sie ihren Gast an.

Pascal erschrak. Tatjana ging so selbstverständlich mit ihrer Einschränkung um, dass er ihre Sehbehinderung völlig vergessen hatte.

»Oh, Tatjana, natürlich. Es tut mir leid, so meinte ich das nicht«, stammelte er eine Entschuldigung. »Aber wir sprechen hier ja auch nicht von einer körperlichen, sondern möglicherweise auch geistigen Einschränkung«, warb er um ihr Verständnis. »Marla und ich wissen einfach nicht, was da auf uns zukommt. Vielleicht wird unser Sohn nie sprechen. Vielleicht wird er nie allein essen können. Es kann auch passieren, dass er ein Leben lang im Rollstuhl sitzen muss. Ich weiß nicht, ob ich damit umgehen könnte.«

Während er sprach, legte Danny die Hand auf die seiner Freundin.

»Wir verstehen, was du meinst. Tatjana leidet an einer Erbkrankheit. Deshalb will sie keine eigenen Kinder bekommen. Im Grunde genommen handelt es sich um ein und dieselbe Angst. Keiner von uns will einen geliebten Menschen leiden sehen. Und doch muss jeder so eine Entscheidung für sich allein treffen. Die kann einem keiner abnehmen.«

Pascal presste die Lippen aufeinander und nickte.

»Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich mir immer eine eigene Familie gewünscht habe«, gestand er nach einer Weile heiser. »Aber jetzt kommt mir plötzlich alles so sinnlos vor.«

»Soweit ich Dad verstanden habe, gibt es aber doch durchaus noch Hoffnung für euer Kind, oder?« Danny war weit davon entfernt, die Flinte ins Korn zu werfen.

Doch Pascal Lüders war anderer Meinung.

»Nach allem, was ich von Dr. Lammers gehört habe, ist mir der Mut abhandengekommen«, gestand er und senkte den Kopf. »Es tut mir leid.«

*

Im Gegensatz zu Pascal Lüders hatten Lukas‘ Eltern den Mut nicht verloren. Angespannt warteten sie auf das Ende der Operation. Sie waren nicht allein mit ihrer Nervosität. Auch die Klinikchefin Jenny Behnisch interessierte sich für diesen schwierigen Fall und ließ sich von einer Schwester über die Fortschritte im OP informieren. Als das Ende des Eingriffs abzusehen war, eilte sie an den Ort des Geschehens. Unterwegs traf sie auf Volker Lammers.

»Ach, sieh mal einer an, die Chefin!«, begrüßte er sie freundlich wie immer. Sein Verhalten ihr gegenüber war stets einwandfrei, sodass sie die Beschwerden der Kollegen nur bedingt nachvollziehen konnte. Natürlich nahm sie die Meinungen ernst, doch noch überwogen die Erfolge, die der Arzt für sich verbuchen konnte. »Wohin des Wegs?«, fragte er.

»In OP 2 wird gerade der kleine Claas operiert«, gab Dr. Behnisch bereitwillig Auskunft. »Ich will von Mario selbst hören, wie der Eingriff verlaufen ist und welche Prognose er abgibt.«

»Ach, die Hirnabszesse!«, gab Dr. Lammers zu verstehen, dass er wusste, wovon Jenny sprach. »Der arme Junge. Wenn er früher in die Klinik gekommen wäre, hätten wir ihm viel ersparen können.«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als er merkte, dass dieser Satz einer zu viel gewesen war. Sensibilisiert durch die Berichte ihrer Mitarbeiterin durchschaute die Klinikchefin seine Absicht sofort.

»Sie wissen so gut wie ich, dass das eine reine Hypothese ist«, machte sie gar nicht erst den Versuch, ihren Unwillen zu verbergen. »Nachdem nicht jede Lungenentzündung einen Hirnabszess nach sich zieht, hätten wir Lukas stationär genauso behandelt, wie der Kollege Norden es ambulant getan hat. Und wer kann schon wissen, ob sich nicht die fremde Umgebung zusätzlich negativ auf Lukas‘ Gesundheitszustand ausgewirkt hätte?«

»Schon gut, schon gut.« Abwehrend hob Lammers die Hände. »Ich wollte ja nur anmerken …«

Sie waren vor dem Operationssaal angekommen. Jenny blieb vor ihrem Mitarbeiter stehen und nahm ihn ins Visier.

»Sie wissen, dass ich große Stücke auf Ihre Fähigkeiten als Arzt halte«, erklärte sie. »Was Ihre Loyalität den Kollegen gegenüber angeht, bin ich mir allerdings noch nicht so sicher. Deshalb möchte ich Ihnen nochmal ans Herz legen, dass mir Teamwork außerordentlich wichtig ist. Einzelkämpfer kann ich nicht brauchen. Was ich brauche, sind Ärzte, die sich mit Leib und Seele für ihre Patienten einsetzen und auch in der Lage sind, andere Meinungen und Behandlungsmethoden zu akzeptieren. Denn hier geht es nicht um Recht und Unrecht, um Karriere und Hierarchien. Hier geht es ganz allein um das Wohl unserer Patienten. Deshalb sind Ihre unterschwelligen Angriffe völlig unangebracht. Haben wir uns verstanden?«

Volker Lammers lag nicht nur ein Widerwort auf der Zunge. Da er es sich aber mit der Chefin nicht wegen eines unbedachten Ausspruchs verderben wollte, presste er die Lippen aufeinander und nickte stumm.

Jenny Behnisch dachte, dass die Sache damit vom Tisch wäre. Sie legte die Hand auf seinen Arm und lächelte.

»Es freut mich wirklich, dass ich Sie für uns gewinnen konnte. Sie haben beachtliche Erfolge erzielt«, sprach sie dem Kinderarzt noch einmal ihre Anerkennung aus, ehe sie sich verabschiedete und den Vorraum des Operationssaals betrat. Dr. Mario Cornelius und der Chef der Neurochirurgie standen nebeneinander am Waschbecken und unterhielten sich über den Eingriff.

»Faszinierend, wie es Ihnen gelungen ist, auch die Abszesswände zu entfernen«, bemerkte Mario eben, als die Chefin zu den beiden trat.

»Ehrlich gesagt hatte ich nicht zu hoffen gewagt, dass dieser Eingriff ganz ohne Komplikationen abgeht«, überging Professor Schultheiß das Lob des Kollegen. »Das ganze Team hat saubere Arbeit geleistet.«

»Das heißt, dass Lukas Claas wieder ganz gesund wird?«, mischte sich Jenny Behnisch in die Unterhaltung der beiden ein.

Die Gesichter, die sich ihr zuwandten, wirkten zufrieden.

»Mit letzter Sicherheit können wir das erst in ein paar Monaten sagen. Aber ich bin mehr als optimistisch.« Es war der Neurochirurg, der ihre Frage beantwortete.

Mario trocknete sich die Hände ab und legte den Arm um Jennys Schultern. Die Erleichterung über den guten Ausgang der Geschichte ließ ihn übermütig werden.

»Und das ganz ohne deine Unterstützung. Wenn das so weitergeht, bist du bald arbeitslos«, zwinkerte er ihr zu.

»Solange ich Mitarbeiter wie Volker Lammers habe, mache ich mir darüber keine Sorgen«, gab Jenny Behnisch schlagfertig zurück und ließ sich dann einen genauen Bericht über die gelungene Operation erstatten, damit sie den Eltern, die in einem der Aufenthaltsräume warteten, endlich die frohe Botschaft überbringen konnte.

*

Bevor Fee Norden die Klinik an diesem Abend verließ, sah sie noch einmal nach Marla. Um sich zu vergewissern, dass es Mutter und Baby gut ging, brachte sie wieder das fahrbare Ultraschallgerät mit.

»Hallo, Marla«, begrüßte sie die werdende Mutter, die im Bett lag und Löcher in die Decke starrte. »Bevor ich nach Hause gehe, wollte ich nochmal nach dir und Fynn schauen.«

Marla drehte den Kopf. Ihr gelang ein schmales Lächeln.

»Das ist nett von dir.« Sie griff nach dem Haltegriff über ihrem Bett und legte sich für die Untersuchung zurecht. »Stell dir vor, Pascal hat wunderbar reagiert. Er hat mir Mut gemacht, dass wir das alles schon schaffen werden.«

»Na, siehst du!«, freute sich Fee über diese Nachricht. Weder sie noch Marla hatten eine Ahnung von dem Gespräch, das zwischen Dr. Lammers und dem werdenden Vater stattgefunden hatte. »Das macht bestimmt auch eurem Baby Mut«, versprach die Ärztin und schob Marlas Nachthemd hoch.

»Ich verstehe nur nicht, wo er so lange bleibt. Eigentlich wollte er nochmal in die Klinik kommen.«

»Wahrscheinlich braucht auch Pascal ein bisschen Zeit für sich. Es ist ja nicht gerade wenig, was da in den letzten Tagen auf euch einstürmt«, gab Fee zu bedenken und ließ den Schallkopf über Marlas Bauch gleiten.

»Stimmt schon. Ich war ja am Anfang auch ganz schön erschrocken, als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin. Als ich Fynn dann aber zum ersten Mal im Ultraschall gesehen und zum ersten Mal seine Bewegungen gespürt habe …« An dieser Stelle biss sich Marla auf die Unterlippe und schickte Felicitas einen Blick, in dem all ihr Sehnen und Hoffen lag. »Es zerreißt mir das Herz, wenn ich mir vorstelle, dass das schon bald wieder vorbei sein könnte.«

»Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um euch zu helfen«, versprach Fee und konzentrierte sich dann auf das Bild auf dem Monitor.

»Ich glaube, Fynn schläft. Gestern hab ich ihn noch ab und zu gespürt. Aber seit heute scheint er kaum mehr wach zu sein.«

Diesen Eindruck konnte Felicitas nicht bestätigen.

»Er bewegt sich schon, aber nur sehr schwach«, musste sie gestehen. Und da war noch etwas anderes, was sie beunruhigte. »Ich fürchte, es beginnt sich Wasser im Herzbeutel einzulagern.«

»Was kann da passieren?«, fragte Marla nach. Sie machte sich ohnehin schon so viele Sorgen um ihr Kind, dass es fast nicht schlimmer kommen konnte.

Fee seufzte.

»Dein Kind wird immer schwächer.«

»Wird … wird er sterben?« Marla wagte es kaum, diese Frage zu stellen.

Doch noch war Fee nicht bereit, sich geschlagen zu geben.

»Eine Chance haben wir noch.« Das Gespräch der Kollegen im Aufenthaltsraum der Ärzte klang ihr noch in den Ohren. Sie hatten sich über Eingriffe bei Föten im Mutterleib unterhalten. »Aber darüber muss ich mich erst noch informieren.« Sie beendete die Ultraschalluntersuchung und hatte es plötzlich eilig, die Klinik zu verlassen.

Diese Möglichkeit musste sie unbedingt mit ihrem Mann und am besten auch mit ihrem Sohn Danny diskutieren. Diese beiden Menschen waren ihre wichtigsten Ratgeber, und sie verabschiedete sich schnell von Marla mit dem Versprechen, sich noch am selben Abend wieder bei ihr zu melden.

*

»Ich komme jetzt langsam in das Alter, in dem man ab acht Uhr keinen Film mehr anschaut, weil man Angst hat, bei der Hälfte einzuschlafen.« Gegen neun Uhr hatte sich Pascal Lüders verabschiedet, und nachdem Tatjana gemeinsam mit Danny die Küche aufgeräumt hatte, stand sie im Wohnzimmer und gähnte herzhaft. »Kommst du mit ins Bett?«

Danny saß auf der Couch. Es sah so aus, als ob er seine Freundin musterte. Doch sein Blick ging durch Tatjana hindurch.

»Bist du sauer, wenn ich noch aufbleibe? Ich bin noch gar nicht müde.«

»Kein Wunder«, konterte die Bäckerin. »Das Böse schläft nie.«

»Wie bitte? Du findest mich böse?« Trotz der Sorgen, die er sich um Marla und das Baby machte, konzentrierte sich Dannys Aufmerksamkeit auf seine Freundin. »Na warte! Das wirst du mir büßen!« Er sprang von der Couch auf und wollte sich auf sie stürzen, als das Telefon klingelte.

Tatjana, die sich schon auf den Kampf gefreut hatte, ließ die Hände sinken.

»Och, immer wenn es spannend wird, ruft jemand an«, seufzte sie. »Musst du drangehen?«

»Es könnte wichtig sein«, gab Danny zu bedenken und machte sich auf die Suche nach dem Apparat. Er fand ihn schließlich zwischen zwei Decken auf dem Sofa und nahm das Gespräch an.

»Hallo, hier Dr. Norden«, meldete er sich im Bewusstsein, dass es sich jederzeit um einen Patienten handeln konnte, der seine Hilfe brauchte.

»Danny, ein Glück, dass du noch wach bist.« Die aufgeregte Stimme seiner Mutter klang an sein Ohr.

»Ich bitte dich. Es ist gerade mal viertel nach neun«, beschwerte er sich. »Mal abgesehen davon, dass ich als Böser sowieso keinen Schlaf brauche.« Er zwinkerte Tatjana zu, die noch immer im Wohnzimmer stand und dem Gespräch zuhörte. Zur Bestätigung reckte sie grinsend den Daumen der rechten Hand hoch.

»Wer sagt denn so … Ach warte. Ich weiß. Das kann nur Tatjana gewesen sein. Solche Sprüche darf nur sie sich erlauben«, lachte Fee auf und ließ sich einen Moment lang von ihren drängenden Sorgen ablenken. Doch schnell dachte sie wieder an ihr Anliegen. »Ich hoffe wirklich, dass ich eure traute Zweisamkeit nicht zu sehr störe, aber darf ich euch bitten, jetzt noch zu uns zu kommen? Es geht um Marlas Baby.«

»Ich schätze mal, mit dieser Frage tust du Tatjana einen Riesengefallen. Sie kommt nämlich langsam in ein Alter, in dem sie viel Schlaf braucht.«

»Und gleich nach diesem Stadium folgt die senile Bettflucht«, ließ eine schlagfertige Antwort nicht lange auf sich warten. »Dann schaust du schnell allein vorbei? Es dauert auch nicht lange. Ich brauche nur deine geschätzte Meinung.«

»Es ist mir eine Ehre.« Obwohl seine Mutter ihn nicht sehen konnte, deutete Danny eine Verbeugung an. »Ich bringe nur noch schnell meine Seniorin ins Bett und bin gleich bei euch.«

»Du bist ein Schatz, danke!« Fee legte auf, und auch Danny wollte den Hörer zur Seite legen, als ihn ein Schlag auf den Rücken ins Wanken brachte. Das Gewicht, das sich gleich darauf auf seine Schultern senkte, ließ ihn in die Knie gehen.

»Uff!« Sofort wusste er, dass sich Tatjana von hinten auf ihn gestürzt hatte und nun wie ein Rucksack auf seinem Rücken hing. »Ich dachte, du bist müde!«, keuchte er, darum bemüht, nicht umzufallen.

»Ich bin eine Frau, schon vergessen?«, lachte Tatjana. »Ich bin multitaskingfähig und kann auch im Schlaf einen Bären besiegen. Oder wahlweise einen frechen Arzt.«

»Ich bin nicht frech. Das nenne ich verbale Überlegenheit.« Mit einem gezielten Ruck gelang es Danny, seine süße Fracht abzuschütteln. Bevor Tatjana reagieren konnte, fuhr er zu ihr herum, schlang die Arme um sie und küsste sie, bis ihr Widerstand erschlaffte. Dann hob er sie hoch und brachte sie hinüber ins Schlafzimmer. Dort legte er sie ins Bett und deckte sie zu.

»Eins muss man dir lassen: Du hast schon schlagfertige Argumente«, murmelte sie und rollte sich auf die Seite. »Über den Rest reden wir, wenn du zurück bist.« Sie gähnte und war schon im nächsten Moment eingeschlafen.

Lächelnd blickte Danny auf seine unglaubliche Freundin hinab.

»Schon erstaunlich, was für eine Wirkung so ein Bett haben kann«, wunderte er sich noch, ehe er in die Jacke schlüpfte, um sein Versprechen wahr zu machen und zu seinen Eltern zu fahren.

*

Als sich Danny Norden zu seinen Eltern gesellte, war der ganze Tisch im Esszimmer mit Unterlagen übersät. Bücher und Fachzeitschriften lagen neben dem Laptop, in dem das Ehepaar abwechselnd nach neuesten Erkenntnissen aus der Medizin suchte. Außerdem hatten sie Kontakt mit einem Spezialisten, dem die Unterlagen des Falls bereits vorlagen. Schon bald waren die Ärzte in eine Diskussion vertieft, die mit dem Beschluss endete, Marla zu einer Operation ihres Kindes im Mutterleib zu raten.

Nachdem Fee Norden ihre Pläne gleich am nächsten Morgen mit ihrem Bruder Mario Cornelius besprochen hatte, wurde die Klinikchefin Jenny Behnisch informiert. Die setzte sofort eine Konferenz an, und nur eine halbe Stunde später hatten sich Mario, Dr. Lammers und Fee in ihrem Büro eingefunden.

Volker Lammers machte keinen Hehl aus seiner Meinung.

»Ehrlich gesagt stehe ich einer Ballondilatation im Mutterleib skeptisch gegenüber. Die Gefahr für Mutter und Kind ist eindeutig zu groß.« Seine Handbewegung sah so aus, als ob er das Thema vom Tisch wischen wollte, worüber sich Mario schon wieder ärgerte.

»Und was würden Sie machen? Das Kind einfach so sterben lassen?«

»Worüber regen Sie sich auf? Manchmal müssen wir eben einsehen, dass auch uns Grenzen gesetzt sind«, gab Lammers zurück und wandte sich an Jenny. »Oder wie sehen Sie das?«

»Dazu weiß ich zu wenig über diese Methode«, erwiderte die Klinikchefin. »Können Sie mir Genaueres darüber sagen und Ihre Meinung begründen?«

Mit dieser Frage erwischte sie Lammers auf dem falschen Fuß.

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und spielte mit dem Kugelschreiber, der vor ihm auf dem Tisch lag. Er war sich der Blicke bewusst, die auf ihm ruhten, und wusste auch, dass er Gefahr lief, das Gesicht zu verlieren. Für gewöhnlich nie um eine Ausrede verlegen, fiel ihm ausgerechnet in diesem Moment keine passende Antwort ein.

»Das weiß doch jedes Kind, dass Eingriffe im Mutterleib ein hohes Risiko bedeuten. Das wird bei Frau Brandt nicht anders sein. Außerdem hatte ich keine Zeit für genauere Recherchen. Ich musste mich um den Hirnabszess kümmern«, versuchte er, sich herauszureden.

»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich mich auch mit Lukas Claas beschäftigt.« Fees Stimme war schnippisch. »Trotzdem habe ich mir die Zeit genommen, mich über diese Art der Operation zu informieren.« Sie schickte ihrem Kollegen ein scheinheiliges Lächeln und wandte sich dann an Jenny. »Vor ein paar Jahren stellten diese Operationen im Mutterleib tatsächlich noch ein großes Risiko für Mutter und Kind dar. Inzwischen wurde die Technik aber erheblich verfeinert. Und Professor Engelmann aus dem Herzzentrum hat einige beachtliche Erfolge vorzuweisen.«

»Hast du persönlich mit dem Kollegen gesprochen?«, wollte Jenny wissen.

Felicitas bejahte und berichtete von der Besprechung, die sie am Abend zuvor mit Mann, Sohn und dem Professor abgehalten hatte, der sich per Internet zugeschaltet hatte.

»Ich habe ihm sämtliche Untersuchungsergebnisse zukommen lassen, und wir haben ausführlich darüber gesprochen. Auch er befürwortet diesen Eingriff.«

»Das widerspricht meinen Erfahrungen«, war Volker Lammers nicht gewillt, klein beizugeben. »Meines Wissens sind die Ergebnisse nach wie vor unbefriedigend.«

Händeringend suchte Felicitas nach einem Argument, um diesen Skeptiker zu überzeugen.

»Die Gefahr, dass Fynn in Marlas Bauch stirbt, nimmt von Tag zu Tag zu. Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie sie ihr Kind verliert.«

Ihre emotionale Reaktion entlockte Volker Lammers ein spöttisches Lächeln.

»Emotionen waren noch nie ein guter Ratgeber. Finden Sie nicht?«

Fees Augen wurden schmal vor Ärger.

»Es ist mir schon klar, dass Sie von Gefühlsdingen wenig bis keine Ahnung haben. Aber lassen Sie sich gesagt sein: Es gibt nichts Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren.« Die beiden saßen sich am Tisch gegenüber und funkelten sich an, während Jenny und Mario abwägten.

»Warum müssen Sie immer persönlich werden, liebe Kollegin?«, fragte Lammers zuckersüß und erkennbar von sich überzeugt. »Eine unserer Aufgaben ist es, professionelle Distanz zu wahren. Mal abgesehen davon, dass mit so einem Eingriff nicht schlagartig alle Probleme gelöst sind.« Diesen Moment hielt er für gut gewählt, um sich aus der Runde zu verabschieden. Er hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. »Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen? Ich muss mich noch über einen schwierigen Fall informieren«, betonte er sehr zu Marios Missfallen. Der Chef der Pädiatrie sah dem Kollegen nach, wie er zur Tür ging. Ehe er sie erreicht hatte, wandte sich Mario Cornelius demonstrativ an Fee.

»Wenn Jenny einverstanden ist, bin ich dafür, dass du die Eltern über die Risiken aufklärst«, teilte er ihr das Ergebnis seiner Überlegungen mit. »Es bleibt ihre Entscheidung, ob sie das Risiko für Mutter und Kind eingehen wollen.«

Fee lächelte Mario zu, Dankbarkeit im Blick.

»Falls sie sich dafür entscheiden, hat sich Professor Engelmann bereit erklärt, hier in der Klinik zu operieren.«

»Sehr gut«, erwiderte Jenny Behnisch und schielte auf Volker Lammers, den die Neugier an der Tür festgehalten hatte. Als sich die Chefin gegen ihn stellte, hielt ihn nichts mehr auf. Er polterte aus dem Zimmer und warf die Tür hinter sich ins Schloss, dass es nur so krachte.

Die drei verbliebenen Ärzte schickten sich vielsagende Blicke, ehe auch sie an ihre Arbeit zurückkehrten und Fee sich auf den Weg zu Marla machte, um ihr diesen Vorschlag zu unterbreiten.

*

»Hier, ich hab dir Gebäck mitgebracht. Mit den besten Grüßen von Tatjana. Sie schaut heute Nachmittag mal bei dir vorbei.« Nichtahnend, welche Gespräche andernorts in der Klinik geführt wurden, trat Pascal Lüders ans Bett seiner Freundin und beugte sich über sie, um ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn zu geben.

»Danke«, erwiderte Marla sichtlich irritiert. Die offensichtliche Zurückhaltung ihres Freundes alarmierte sie. »Wo warst du denn gestern Nachmittag? Ich dachte, du kommst mich nochmal besuchen. Auf dem Handy warst du auch nicht erreichbar.«

»Oh, ich hatte noch ein Gespräch mit Dr. Lammers und war dann bei Danny und Tatjana eingeladen«, redete sich Pascal heraus. »Wie geht es dir heute?«

Marla wollte eben nachfragen, was Volker Lammers gesagt hatte, das ihn so verstörte, als es klopfte und Dr. Felicitas Norden hereinkam.

»Hallo, ihr beiden«, begrüßte sie das Paar lächelnd. »Entschuldigt die Störung, aber ich muss mit euch reden. Gut, dass du hier bist«, nickte sie Pascal zu und trat ans Bett.

Als sie die Ärztin sah, schluckte Marla. Wie versprochen hatte sich Fee am Abend zuvor noch bei ihr gemeldet, sie aber auf den nächsten Morgen vertröstet. Vor Aufregung begann ihr Herz schneller zu schlagen.

»Fee! Kannst du mir jetzt sagen, was ihr vorhabt?« Wie um ihr Kind zu beschützen, legte Marla die Hände auf den Bauch und sah die Ärztin mit großen Augen an.

Diesen Wunsch konnte Felicitas erfüllen, und sie berichtete ausführlich über Chancen und Risiken des geplanten Eingriffs.

»Ich muss dazusagen, dass wir die Ballondilatation nur anwenden, weil es eurem Kind sehr schlecht geht. Und dass ihr euch gut überlegen müsst, welche Entscheidung ihr trefft. Seht her.« Sie zog einen Stift aus der Kitteltasche und nahm das Klemmbrett zur Hand, das sie mitgebracht hatte. Auf ein leeres Blatt Papier skizzierte sie einen Fötus samt Herzen im Leib der Mutter. »Professor Engelmann wird einen Katheter durch die Bauchdecke in die Gebärmutter führen …« Weiter kam sie nicht, denn Pascal schnappte hörbar nach Luft.

»Durch den Bauch?«, fragte er. »Ist das nicht extrem gefährlich für Marla?«

Mit dieser Frage hatte Fee gerechnet. Trotzdem fiel ihr die Antwort schwer. Ihr Blick wanderte hinüber zu der werdenden Mutter.

»So ein Eingriff ist immer mit einem Risiko für Mutter UND Kind verbunden«, gestand sie. Entgegen ihrer Erwartung erschrak Marla nicht. Ganz im Gegenteil schien sie erleichtert, dass es überhaupt eine Möglichkeit gab, Fynn zu helfen.

»Wenn wir unserem Kind eine Chance geben wollen, müssen wir das Risiko eingehen«, erwiderte sie ohne Zögern.

»Aber du hast es doch gehört!«, fuhr Pascal dazwischen. »Es ist noch nicht mal sicher, ob der Eingriff Erfolg hat. Das ist unverantwortlich, seine eigene Gesundheit, vielleicht sogar das ganze Leben aufs Spiel zu setzen.« Seine Wangen glühten vor Empörung und Sorge.

Doch auch davon ließ sich Marla nicht beeindrucken.

»Ich bin verantwortlich für Fynns Schicksal. Und ich will, dass er ein glückliches, gesundes Leben führen kann.« Ihre Stimme war voller Entschiedenheit.

Pascal griff nach ihren Händen und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.

»Und ich bin froh, dass ich dich gefunden habe. Marla, ich liebe dich über alles und ich ertrage den Gedanken nicht, dass ich dich wieder verlieren könnte.« Er zog ihre Hände an seine Lippen und übersäte sie mit Küssen.

»Vielleicht gelingt es ja!«, versuchte sie, ihrem Freund Mut zu machen.

»Vielleicht, vielleicht«, brauste Pascal auf. »Ich will, dass du am Leben bleibst. Das ist das Wichtigste für mich. Nicht umsonst steht in der Medizin das Leben der Mutter über dem des Kindes. Wir können doch wieder ein Kind bekommen!«, versuchte er, Marla mit all der Leidenschaft zu überzeugen, derer er fähig war.

Doch er hatte die falschen Worte gewählt. Marlas Augen wurden groß vor Entsetzen.

»Ist es dir egal, wenn wir unseren Fynn verlieren?«, fragte sie unter Tränen. »Ich dachte, wir empfinden dasselbe für unser Kind.«

»So habe ich das doch nicht gemeint.« Verzweifelt versuchte Pascal, sich zu rechtfertigen.

Doch Marla wollte nichts mehr hören.

»Bitte geh!« Sie wandte sich ab und sah Felicitas an, die neben dem Bett stand und die Diskussion schweigend verfolgt hatte. Sie verstand Marla. Aber sie verstand auch Pascal, und das Herz tat ihr weh, wenn sie die beiden so sah.

Der Galerist stand am Bett seiner Freundin und starrte sie einen Moment schweigend an.

»Gut, wie du willst«, traf er schließlich seine Entscheidung und wandte sich ab. Mit schleppenden Schritten ging er zur Tür, als hoffte er, dass Marla es sich noch einmal anders überlegen und ihn zurückrufen würde. Er hoffte vergeblich.

»Und jetzt?«, fragte Fee, als sie allein mit Marla war.

»Jetzt werde ich die Entscheidung allein treffen müssen«, gab die werdende Mutter zurück und brach in Tränen aus.

*

An diesem Tag war es ruhig in der Praxis Dr. Norden, und Daniel konnte sich eine kleine Pause erlauben, die er bei seinen beiden Assistentinnen am Tresen verbrachte. Vor ihm stand eine Tasse Kaffee, die ihm Wendy serviert hatte, und ein Teller mit Leckereien aus Tatjanas Backstube. »Ich sollte mal versuchen, die Teilchen im Dunkeln zu essen«, bemerkte er mit einem Blick auf seinen flachen Bauch, der ihn harte Arbeit kostete. »Dann finden mich die Kalorien vielleicht nicht so schnell.«

Janine brach in Gelächter aus, doch Wendy schüttelte nur den Kopf.

»Das ist ein klarer Fall von Jammern auf hohem Niveau!«, erklärte sie und vermied es, ihren Bauch anzusehen, der sich unter ihrer Bluse wölbte. »Seit Jahren versage ich mir fast jedes Vergnügen und sehe euch dabei zu, wie ihr munter eine Köstlichkeit nach der anderen in euch stopft, ohne ein Gramm dabei zuzunehmen. Und ich werde schon vom Zuschauen dick.«

»Du bist weit davon entfernt, dick zu sein. Ich finde dich genau richtig so, wie du bist«, versichert Janine und schloss ihre geliebte Kollegin, die zu ihrer besten Freundin avanciert war, in die Arme. »Mal abgesehen davon, dass ich jedes Gramm an dir liebe.«

»Da bist du auch die Einzige«, lamentierte Wendy und tröstete sich mit einem Quarkbällchen vom Teller.

»Deine Tochter bestimmt auch«, versuchte Janine weiter hartnäckig, ihrer Freundin gute Laune ins Gemüt zu zaubern. Diesmal gelang der Versuch.

»Das stimmt. Auch wenn wir schwere Zeiten hinter uns haben, kann ich mich immer auf Sabine verlassen. Sie ist ein wahres Goldstück. Auch wenn wir uns nicht so oft sehen, kann ich mir nicht vorstellen, wie ein Leben ohne sie wäre.«

Diese Liebeserklärung an ihre Tochter erinnerte Daniel Norden an den Anruf seiner Frau und an das, was sie erzählt hatte.

»Das ahnt wahrscheinlich auch Marla. Deshalb ist sie bereit, alles dafür zu tun, dass ihr Kind leben darf.« Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich um und sah Danny an, der im Begriff war, sich zu ihnen zu gesellen.

»Dann stimmt sie dem Eingriff im Mutterleib zu?« Er hatte die letzten Worte seines Vaters aufgeschnappt, konzentrierte sich aber kurz auf die verführerische Auswahl vor seiner Nase. »Das ist wirklich mutig von ihr«, lobte er mit vollem Mund.

»Das sehe ich genauso. Leider hat ihr Freund ihr die Unterstützung versagt.« Daniel Norden griff nach seinem Kaffee und nahm einen Schluck. Über den Rand der Tasse sah er seinen Sohn an, der sich prompt an dem Kirschplunder verschluckte.

»Wie bitte? Pascal ist raus aus der Nummer?« Er hustete, bis ihm die Tränen kamen, und nahm das Taschentuch, das Wendy ihm reichte. »Aber es ist doch auch sein Sohn? Er kann stolz sein wie Oskar, dass Marla das alles auf sich nimmt.«

»Das sehe ich ähnlich. Andererseits verstehe ich auch seine Angst, Marla zu verlieren. Das Risiko ist zwar nicht so hoch, aber passieren kann immer was«, gab Daniel zu bedenken und ging in die Küche, um seine leere Tasse in die Spülmaschine zu stellen.

»Das ist schon richtig. Aber wenn Marla die Entscheidung getroffen hat, dann sollte Pascal ihr verdammt nochmal beistehen.«

Als Daniel Norden Senior aus der Küche zurückkam, zog er tadelnd eine Augenbraue hoch.

»Danny! Ich muss schon sehr bitten. Diese Wortwahl passt nicht zu einem Arzt.«

»Es hört mich ja keiner«, verteidigte sich der junge Mann, und erregte damit Wendys Widerspruch.

»Sind wir niemand?« In ihrer Stimme lag ein deutlicher Vorwurf, den Danny mit dem charmantesten Lächeln, das er auf Lager hatte, entkräftete.

»Ihr gehört doch quasi zur Familie. Und in der Familie darf man sich so geben, wie einem gerade zumute ist«, blinzelte er in die Runde.

Janine und Wendy tauschten verdutzte Blicke.

»Komplimente machen kann er, das muss man ihm lassen«, bemerkte die langjährige Assistentin von Dr. Norden.

Janine hatte keine Gelegenheit zu einer Antwort, denn in diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein riesiger Geschenkekorb schob sich herein.

»Nanu, was ist denn das?«, wunderte sich Daniel Norden, als zwischen dem Cellophan ein weiblicher Kopf auftauchte.

»Das soll ein kleines Dankeschön dafür sein, dass Sie unserem Sohn geholfen haben«, erklärte Nina Claas und strahlte von einem Ohr zum anderen, nachdem sie ihre beeindruckende Fracht auf dem Boden neben dem Tresen abgestellt hatte. »Natürlich wiegen all diese Sachen noch nicht einmal annähernd auf, was Sie für Lukas getan haben. Aber vielleicht bescheren sie Ihnen und Ihrer Familie einen schönen Abend in gemütlicher Runde.«

»Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Sichtlich überwältigt von dieser Geste suchte Dr. Norden nach Worten. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«

»O doch. Lukas hat nicht eher Ruhe gegeben, bis wir ihm versprochen haben, den größten Geschenkkorb zu kaufen, den wir in der Stadt finden können. Et voilá, hier ist er!«

Um das verlegene Schweigen nicht zu lang werden zu lassen, übernahm Danny das Wort.

»Dann geht es Ihrem Sohn besser?«

»Besser ist gar kein Ausdruck«, beantwortete Nina die Frage des Juniors. »Erst jetzt erkennen wir, wie sehr er sich durch die Krankheit verändert hatte. Seine Genesung ist das größte Geschenk, das wir uns vorstellen können. Aber jetzt muss ich los in die Klinik, bevor das Schokoladeneis im Auto schmilzt. Er wartet schon sehnsüchtig darauf.« Lachend verabschiedete sich Nina Claas und wirbelte aus der Praxis hinaus.

Die ganze Mannschaft der Praxis Dr. Norden sah ihr nach. Nur die Aufmerksamkeit einer Person richtete sich auf den Geschenkkorb auf dem Boden.

»Nicht übel. Ich finde, du könntest dich öfter mal um Eltern verdient machen. Die denken wenigstens daran, nicht nur dich zu belohnen, sondern auch deinen Nachwuchs. Sehr anständig, ich muss schon sagen.«

Im Normalfall wären Dannys Worte eine Steilvorlage für Daniel gewesen, und es hätte einige anzügliche Bemerkungen gegeben. Doch in diesem Augenblick überwog die Rührung, die den Arzt überkommen hatte.

»Das sehe ich genauso«, gab er innig zurück und legte den Arm um Dannys Schultern. »Kinder brauchen zwar viel Kraft. Aber sie geben mindestens genauso viel zurück. Sie machen bessere Menschen aus den Erwachsenen. Deshalb teile ich gern mit euch. Und mit euch natürlich auch«, wandte er sich dann an Janine und Wendy. »Ohne euch wäre das alles nicht möglich.«

Dem war nichts hinzuzufügen, und gerührt wischte sich Janine heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel. Während sie tapfer lächelte, nahm sie sich vor, ihr kinderloses Dasein noch einmal einer gründlichen Prüfung zu unterziehen, bevor es dafür zu spät war.

*

Die Worte seines Vaters spornten Danny dagegen an, das Vorhaben in die Tat umzusetzen, über das er sich schon Gedanken gemacht hatte, bevor Nina Claas hereingekommen war. Ungeduldig wartete er auf die Mittagspause und machte sich auf den Weg in die Galerie von Pascal Lüders. Der verhandelte gerade mit einem Kunden, und Dannys Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.

»Na, endlich! Ich dachte schon, der Kerl kauft die ganze Galerie auf«, stöhnte er, als die Tür hinter dem älteren Herrn ins Schloss gefallen war.

»Schön wär’s.« Pascal rang sich ein Lächeln ab. »Dann könnte ich die nächsten drei Jahre auf Reisen gehen.«

»Oder dich um deinen Sohn kümmern«, entfuhr es dem jungen Arzt.

Augenblicklich verschwand das Lächeln von Pascals Lippen.

»Hat Marla dich geschickt?«

Danny lachte auf. Aber es war kein fröhliches Lachen.

»Da kennst du sie aber schlecht«, gab er zurück und setzte sich auf einen der modernen Schwingsessel, die in Pascals Büro standen. »Dazu ist sie viel zu stolz. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass sie morgen operiert wird.«

Pascals Beine hielten ihn nicht länger. Er setzte sich Danny gegenüber. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, als er ihn ansah.

»Was sagst du da?« Seine Stimme war brüchig.

»Sie lässt den Eingriff durchführen. Für euer Kind. Das übrigens auch dein Sohn ist.«

Doch Pascal schien die eindringlichen Worte des jungen Arztes nicht zu hören.

»Dann muss ich mich wohl damit abfinden, sie endgültig verloren zu haben.«

Wie von der Tarantel gestochen sprang Danny wieder auf.

»Warum bist du nur so ein Schwarzmaler?« Er machte keinen Hehl aus seinem Ärger. »Diese Methode ist bereits vielfach sehr erfolgreich angewendet worden …«

»Das meine ich nicht«, unterbrach Pascal ihn müde. »Ich habe mich gegen unser Kind und für Marla entschieden. Das wird sie mir nie verzeihen.« Er blickte hinab auf seine Hände, die verschränkt in seinem Schoß lagen.

Danny dachte kurz über die richtige Strategie nach. Dann ging er vor Pascal auf die Knie und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen.

»Was auch immer passiert ist, Pascal, Marla braucht dich. Jetzt mehr als je zuvor.«

Zu seinem großen Entsetzen schüttelte Pascal den Kopf.

»Warum willst du nicht einsehen, dass ich ihr nicht helfen kann, Danny? Ich glaube nicht, dass sie mich wiedersehen will. Nicht nach allem, was passiert ist.« Er seufzte tief. »Sag ihr bitte, dass ich ihr von ganzem Herzen alles Gute für den Eingriff wünsche. Und dass ich ihren Mut zutiefst bewundere. Ich bin ihrer einfach nicht würdig. Ich fühle mich wie ein Schwächling.«

Diesem Eindruck konnte Danny nicht widersprechen. Doch er bot ihm eine gute Grundlage, um zu argumentieren.

»Noch ist es nicht zu spät, dieses Gefühl zu ändern. Diesen Fehler wieder gut zu machen. Es ist nicht zu spät für dich. Du kannst immer noch ein Sieger werden. Einer, auf den seine Frau stolz sein kann. Und sein Sohn!«, fügte er leidenschaftlich hinzu. »Es ist deine Entscheidung, wer du in Zukunft sein willst.«

Pascal hatte seinen Worten schweigend zugehört. Eine gefühlte Ewigkeit passierte gar nichts, und Danny meinte schon, unverrichteter Dinge wieder in die Praxis zurückkehren zu müssen, als endlich Leben in Pascal kam.

»Du hast recht. Ich bin ein verdammter Schwächling.«

»Nana, was für eine Wortwahl«, schmunzelte Danny, aber der Galerist winkte nur ab.

»Na und? Ich habe mich lange genug an die Regeln gehalten, habe mich angepasst und das Spiel mitgespielt. Ein Mensch, dem alles zuwider ist, was nicht ins Schema passt. Aber ist es das, was ich will?« Entschieden schüttelte er den Kopf. »Nein, das will ich nicht. Ich will ein Mann sein, auf den eine Frau stolz sein kann. Ich will der Mann sein, auf den Marla stolz sein kann. Und mein Sohn. Und wenn Fynn behindert sein wird, dann werde ich eben noch stärker sein. Für ihn. Für Marla. Und für mich.«

Überwältigt von dem Erfolg seiner Mission erhob sich Danny vom Boden und gratulierte Pascal zu seiner Entscheidung. Seite an Seite verließen sie die Galerie, ehe sich ihre Wege trennten. Hochzufrieden kehrte Dr. Norden junior in die Praxis zurück, nicht ohne noch einen Abstecher in die Bäckerei ›Schöne Aussichten‹ zu machen und Tatjana von seinem Erfolg zu erzählen. Pascal indes eilte in die Klinik in der Hoffnung, die richtigen Worte zu finden, um seinen Fehler wiedergutzumachen.

*

Als ihr Freund das Krankenzimmer betrat, wandte Marla den Kopf zur Seite und starrte demonstrativ in die andere Richtung. Sofort wollte Pascals Mut wieder sinken, als er sich an Danny Nordens Worte erinnerte. Er straffte die Schultern, holte tief Luft und trat ein.

»Hallo, Marla.«

»Was willst du hier?«, fragte sie statt einer Begrüßung.

Auf dem Weg in die Klinik hatte sich der Galerist jedes Wort, das er zu ihr sagen wollte, sorgfältig zurecht gelegt. Als sie aber so vor ihm lag, war sein Gedächtnis wie ausgelöscht. Er sank auf die Bettkante und folgte nur seinem Instinkt.

»Marla, ich hab schon begriffen, wie sehr ich dich enttäuscht und verletzt habe. Es tut mir so leid. Aber in diesem Moment hatte ich solche Angst, das Liebste, das ich auf der Welt habe, zu verlieren.« Er zögerte, hob dann aber doch die Hand und strich ihr eine Strähne ihres Burgunderhaares aus dem Gesicht. »Ist das etwa ein Verbrechen?«

Marla wehrte sich nicht, und er nahm es als gutes Zeichen. Es machte ihm Mut fortzufahren.

»Danny hat mir gesagt, dass du dich zu diesem Eingriff entschieden hast. Ich bewundere dich so sehr für deinen Mut. Er erinnert mich daran, wie ich früher einmal war. Unerschrocken und kühn. Das will ich jetzt wieder sein. Für dich. Und für unsren Sohn.«

Als er Fynn erwähnte, löste sich Marlas Versteinerung. Sie drehte den Kopf und sah Pascal direkt in die Augen.

»Glaub nur ja nicht, dass ich keine Angst hätte.«

»Das weiß ich und umso mehr bewundere ich dich. Das wollte ich dir unbedingt noch sagen. Und keine Sorge. Ich werde dich nicht bedrängen. Ich kann verstehen, wenn du mich nicht mehr haben willst.« Ein letztes Mal berührte Pascal ihr Haar. Dann stand er zögernd auf und ging zur Tür.

Und das Wunder geschah. Diesmal ließ Marla ihn nicht einfach gehen.

»Ich staune immer wieder darüber, wie wenig du mich kennst. Und das, obwohl wir das vergangene halbe Jahr, so oft es ging, zusammen waren.«

Ermutigt von ihren Worten drehte sich Pascal um.

»Das beweist doch nur, dass wir noch viel aneinander zu entdecken haben.«

Marla lächelte, und Pascal kehrte an ihr Bett zurück.

»Stimmt. Ehrlich gesagt dachte ich nicht, dass du noch einmal hier auftauchst. Und dass du früher mal ein mutiger Revoluzzer warst, davon hatte ich auch keine Ahnung. Dann gibt es ja noch Hoffnung für Fynn …«

»Dafür, dass du so eine große Sache vor dir hast, bist du ganz schön frech«, lächelte Pascal und nahm ihre Hand.

Marla entzog sie ihm nicht, sondern schenkte ihm ein Lächeln, das ihm verriet, dass sie ihm verziehen hatte.

»Es ist ja nicht so, dass ich nicht manchmal gern weglaufen würde. Aber leider geht das in diesem Fall nicht«, gestand sie leise und drückte seine Hand an ihre Wange. »Übrigens ist es bald so weit.«

»Morgen, ich weiß.«

Zu Pascals großer Verwunderung schüttelte Marla den Kopf.

»Fynn geht es so schlecht, dass die Ärzte den Operationsplan geändert haben. In einer halben Stunde bin ich dran.«

Diesmal widerstand Pascal seinem Fluchtinstinkt tapfer. Obwohl er wirklich erschrocken war, ließ er sich nichts anmerken.

»Na schön, dann eben heute Nachmittag. Es spielt keine Rolle. Ich werde so oder so bei dir sein.« Er sah sie an. »Wenn du das willst.«

Statt einer Antwort entzog Marla ihm ihre Hand und legte sie in seinen Nacken. Sie zog ihn zu sich und küsste ihn innig. Eine bessere Antwort hätte sie nicht geben können, und als sie sich voneinander lösten, wusste Pascal nicht mehr, woran er überhaupt je gezweifelt hatte.

*

Pascal Lüders hielt sein Versprechen und blieb bei seiner Freundin, bis die Ärzte ihn nach draußen schickten. Felicitas Norden, die bei der Operation dabei war, hatte Mitleid mit ihm und versprach ihm, ihn sofort zu rufen, wenn alles vorbei war. An dieses Versprechen dachte sie während der Operation mehr als einmal. Dem Spezialisten wollte es nicht gelingen, den Ballon richtig zu platzieren. Doch endlich war es geschafft, und die Ballondilatation wurde ein voller Erfolg. Die Ärzte lachten und scherzten, während sie sich nach dem Eingriff die Hände wuschen, und bevor Fee ihr Versprechen wahr machte, wollte sie sich selbst von Marlas Zustand ein Bild machen.

Die werdende Mutter lag im Bett im Wachraum und blinzelte ihre Ärztin aus verschlafenen Augen an.

»Willkommen zurück, Mutter und Kind!«, sagte Felicitas weich, als sie an Marlas Seite trat.

Die Augen der werdenden Mutter weiteten sich.

»Hat er es geschafft?«

Selten zuvor war Fee glücklicher darüber, eine gute Nachricht überbringen zu können.

»Nicht nur das. Es geht im besser denn je.«

Es war Marla anzusehen, dass ihr ein ganzes Gebirge vom Herzen fiel.

»Es ist ein Wunder!«

»Ein kleines schon«, gab sich Felicitas bescheiden.

»Aber das ist kein kleines Wunder. Es ist ein ganz, ganz großes«, erklärte Marla aus tiefstem Herzen und mit glänzenden Augen.

Ihr guter Zustand gab Anlass zur Zuversicht, und so beschloss Felicitas, endlich ihr Versprechen einzulösen und Pascal zu holen.

»Das ganz, ganz große Wunder steht draußen vor der Tür und kann es kaum erwarten, wieder bei dir … bei euch zu sein.« Sie lächelte und ging zur Tür, um den werdenden Vater hereinzuholen. Sagen musste sie nichts.

Ihre strahlende Miene verriet alles, und Pascal legte kurz den Arm und sie und drückte sie an sich. Erst dann trat er an Marlas Bett.

»Ich hab gewusst, dass ihr es schafft!«, erklärte er heiser, nachdem er seine Freundin geküsst hatte. »Was für ein ausgesprochenes Glück, dass du dich gegen mich entschieden hast.«

Marla sah ihn an und verzog tadelnd das Gesicht.

»Das ist ja mal wieder typisch Mann. Entweder an erster Stelle oder gar nicht. Das kann ja heiter werden, wenn ich zwei von eurer Sorte am Hals hab.«

»Ganz so schlimm ist es nicht. Ich hab vier davon und lebe ganz gut damit«, lächelte Fee. »Wollt ihr euren Sohn sehen?«

»Ja!«, schallte es wie aus einem Mund, und die Ärztin zog das Ultraschallgerät heran. Sie war selbst neugierig, wie es Fynn nach dem Eingriff ging.

»Ganz schön munter, der junge Mann«, staunte sie, als sie die Bilder auf dem Monitor betrachtete. »In den nächsten Wochen wirst du immer mehr von ihm mitbekommen.«

»Ich kann’s kaum erwarten«, lächelte Marla mit Tränen in den Augen und drückte fest Pascals Hand.

Der konnte sich gar nicht satt sehen an den Bildern seines ungeborenen Sohnes.

»Aber was hat er denn jetzt?« Als Fynns Brust plötzlich zu zucken begann, erschrak er.

Felicitas dagegen lachte belustigt auf.

»Immer mit der Ruhe. Das ist nur Schluckauf. Ich erinnere mich gut an meine Schwangerschaften. Einmal hatte Felix auch Schluckauf. Stundenlang. Und ich konnte nichts dagegen tun. Am Ende hatte ich selbst Schluckauf, und Daniel hat sich köstlich amüsiert.«

»Das würde ich nie tun«, behauptete Pascal.

»Tu doch nicht so scheinheilig«, widersprach Marla. »Natürlich würdest du.«

»Nein.«

»Doch. Hicks.«

»Haha, jetzt hast du auch Schluckauf.«

»Und du lachst mich aus.«

»Niemals. Das würde ich nie tun. Ich lache dich an.«

Eine Weile stand Fee neben dem Paar, das sich scherzhaft kabbelte und neckte. Dann zog sie sich heimlich zurück. Wenn sie ihre eigene Familie und ihr persönliches, großes Glück an diesem Abend noch ein bisschen genießen wollte, wurde es höchste Zeit, nach Hause zu fahren. Es gab viel zu erzählen.

Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman

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