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Budapest: Drei Menschen, drei Versionen

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Via Couchsurfing hat mich ein ›Opse‹ eingeladen. Also eines jener mystischen Fabelwesen, denen jeder Tramper hin und wieder begegnet. Der Ursprung des Wortes ›Opse‹ entstammt den Beobachtungen einer Freundin, die einem älteren, ständig betrunken gegen Regale laufenden Campingplatzbesitzer eine positive Note verpassen wollte. Opses und ihre weiblichen Pendants, die Omses, sind weder böse noch gefährlich. Allerdings sind sie eine unheilvolle Versuchung, die Backpacker entweder zur Verzweiflung bringt oder – je nach persönlicher Belastbarkeit – einfach unglaublich erheitert. Opses sind meist etwas verwirrte und unverständlich vor sich hin nuschelnde Kauze. Sie sind immer auf der Suche nach unschuldigen Fremden, offen für alles und grinsen fast permanent vor sich hin. Manchmal aus Freundlichkeit, meist aber da sie glauben, etwas Witziges gesagt zu haben. Also kurz: Menschen wie ich, nur betagter. Das Alter macht sie aber irgendwie putzig.

Mystische Wesen: Opse und Omse

Für Reisende ist das Essen einer Omse, das meist irgendwo zwischen verkocht und traditionell angesiedelt ist, immer ein kulinarisches Erlebnis. Ebenso schön ist es, die anschließende Nacht in einem museumsartigen Eigenheim zu verbringen und dabei viele Geschichten aus vergangenen Zeiten zu hören; gesetzt den Fall, eine Kommunikation ist möglich. Omse und Opse zeigen gerne alte private Bilder, erzählen vom Krieg, von Wackelpudding und den schönsten Orten des Landes, die seit dreißig Jahren nicht mehr existieren. Mit etwas Glück versteht man ihre Lebensgeschichte und fragt sich inmitten der vor sechzig Jahren mal fesch und hightech gewesenen Gegenstände, ob man im greisen Alter den Mut aufbringen wird, Wildfremde in sein Heim einzuladen. Um den Besuch bei Omses und Opses genießen zu können, braucht der Reisende aber etwas Wichtiges: Zeit. Denn während viel davon vergeht, passiert bei Omses und Opses wenig. Bei einem Kurzbesuch einer der schönsten Städte Europas fällt es mir deshalb etwas schwer, Euphorie für die Entdeckung der Langsamkeit zu empfinden. Insbesondere mit meinem Freund vom anderen Ende der Welt.

Damit stecke ich in der Bredouille. Einerseits habe ich schon zugesagt und empfinde es als unhöflich, einem Couchsurfer abzusagen, weil er plötzlich meinem Zeitbudget und meinen gehobenen Ansprüchen nicht mehr genügt. Andererseits will ich Yuki nicht drei Tage purer Langeweile aussetzen.

Opses sind selten für ihre zentral gelegenen Appartements und ihre Feierwütigkeit bekannt. Genauso wenig stechen sie durch actiongeladene Alltagsaktivitäten hervor. Also mache ich, was ich immer in so einer Situation mache: Ich entscheide mich für die Variante, die keinen wirklich zufriedenstellt. Ich schreibe Opse, dass wir leider nur zwei Tage bei ihm übernachten können. Das ist weniger, als er erwartet, und mehr, als ich möchte. Aber immerhin können wir so die erste Nacht in einer studentischen Couchsurfer-Wohnung verbringen. Ein Abend Zeit, auf eine WG-Party zu gelangen und an einem Ort zu wohnen, wo mehr Autos als Trecker fahren.

Das Resultat dieses Vorhabens ist der Mexikaner, der uns seine Version von Budapest zeigt, indem er vergisst, uns seine Adresse zu verraten, und sich dann nicht mehr meldet.

Couchsurfing: Trampen, nur mit Häusern statt Autos

In diesem Zusammenhang lohnt es sich, kurz zu erwähnen, was Couchsurfing ist. Es ist ein soziales Netzwerk. Im Unterschied zu allen anderen ist es das einzige, welches das Label ›sozial‹ verdient, da es nicht vornehmlich ein Ort ist, um Bilder von sich selbst zu posten und den Rest der Welt mit aggressiven Kommentaren zu überziehen. Couchsurfing ist schlicht dazu da, kostenlos bei Fremden zu schlafen. Dazu muss der Benutzer nur die gewünschte Stadt eingeben und sich aus einer Liste von lokalen Profilen ein paar Menschen raussuchen, die er interessant findet. Per Textnachricht gilt es dann, eine kreative, witzige oder verzweifelte Anfrage mit dem Wann und Warum an die Anbieter zu schreiben. Wenn der Angeschriebene Zeit hat und dem Text oder den Profilbildern des Suchenden etwas abgewinnen kann, lädt er zu sich nach Hause ein. Normalerweise wird dieser Vorgang im Anschluss auch so in der Realität ausgeführt.

Unser mexikanischer Gastgeber ist leider noch nicht so lange dabei, weshalb er den letzten Teil des Vorgangs irgendwie vergessen zu haben scheint. Da aber die Couchsurfing-Community zu einem nicht zu vernachlässigbaren Teil aus absoluten Verpeilern besteht und Reisepläne häufig nur eine recht idealisierte Prognose der Zukunft darstellen, gibt es Notfall-Anfrage-Gruppen. Falls ein Couchsurfer gestrandet ist, kann er in diesen Gruppen darauf hoffen, einen spontanen Gastgeber für sofort zu bekommen.

Neben der Möglichkeit der Unkostenersparnis gibt Couchsurfing Reisenden die Möglichkeit, Städte auf viel persönlichere Art kennenzulernen. Er muss nicht in künstlichen Hotel-Biotopen hausen, sondern erlebt, wie die Einheimischen wohnen. Man kocht zusammen, geht feiern oder auch zur Arbeit des Gastgebers. Es ist eine Möglichkeit, den Alltag fremder Menschen zu erleben und so Kultur und Mentalität des besuchten Landes aus erster Hand kennenzulernen.

Gut, Übernachtungen bei Mexikanern in Budapest sind an kultureller Authentizität ausbaufähig, aber irgendwas ist ja immer … Unsere Notfallanfrage beschert uns hingegen ein paar authentische Brasilianer. Wir werden herzlich begrüßt, mit Bohnen und Reis bemuttert, brechen südamerikanischen Traditionen folgend viel zu spät zu Verabredungen auf und landen auf einer WG-Party. Blöderweise ist uns nur eine Nacht mit ihnen vergönnt, denn für den nächsten Abend sind wir mit Opse verabredet.

Wir verabschieden uns geknickt, als trennten wir uns gerade von unseren Schulfreunden, bevor wir ins Internat geschickt werden. Aber zugesagt ist zugesagt. Es bleibt der tröstende Gedanke, dass der Aufenthalt bei Opse ja trotzdem lustig werden könnte. Und wenn schon nicht das, dann wenigstens erholsam.

Ein bisschen freuen wir uns sogar auf einen ruhigen Abend, denn wir haben unsere Muskelkater, Affen und die ganzen anderen Tiere vom vergangenen Abend immer noch nicht vollständig abgeschüttelt. Der Traum vom entspannten Abend platzt jedoch schnell. Opse trifft sich mit uns am Bahnhof, und nachdem er uns klargemacht hat, dass wir keine Sprache oder nonverbale Art der Verständigung teilen, führt er uns schnurstracks zurück ins Zentrum der Stadt. Dabei erfahren wir nicht wirklich viel. Lediglich, dass Opse von jedem Punkt der Stadt aus Richtung Parlament zeigen kann. Zudem weiß er, dass Budapest aus den beiden Städten Buda und Pest besteht, die irgendwann zusammengewachsen sind. Genau wie im Falle des Parlaments kann er auch diese Fakten geografisch zuordnen und macht uns im Fünfminutentakt darauf aufmerksam, in welchem Stadtteil wir uns gerade befinden.

Zunächst sind wir etwas genervt, doch als ich unser Spiegelbild in einem Schaufenster erblicke, dämmert es mir. In unserem verkaterten Zustand haben wir die intellektuelle Aura von fünfzig Zentimeter Toastbrot. Vermutlich ist all das ›Buda‹ und ›Pest‹ einfach nur ein didaktischer Kniff. Er möchte schlicht einfachste Informationen so vermitteln, dass auch Gestalten sie verstehen, bei denen Wissen scheinbar so sauber abperlt wie Wasser an einem Lotusblatt.

Doch plötzlich ist es vorbei mit der Ruhe. Panik macht sich breit, Opse wedelt wild mit den Händen. Wir rennen gemeinsam in die nächste Metrostation. Opse fängt hektisch an, Geld in einen Automaten zu werfen. Damit endet der Vorgang dann aber auch. Der Automat ist anscheinend zufrieden, Opse nicht, denn er fängt an, andere Dinge als ›Buda‹ und ›Pest‹ zu sagen. Erfahren im Umgang mit osteuropäischen öffentlichen Nahverkehrsmitteln, haben wir bereits eine Tageskarte erworben und können dem Vorgang distanziert mit anthropologischem Interesse folgen. Der Automat distanziert sich allerdings ebenfalls recht schnell und zeigt nichts mehr an. Das Schauspiel des schweigsamen Automaten und nicht so schweigsamen Opses ruft einen Metromitarbeiter auf den Plan. Dieser demonstriert sofort die berühmte ungarische Hilfsbereitschaft. Dass nur die wenigsten von ihr wissen, liegt daran, dass sie nur schwer und indirekt bemerkbar ist. Der Mitarbeiter unterbricht Opses Dialog mit dem Automaten, indem er einen Außer-Betrieb-Aufkleber anbringt. Aus reiner Nettigkeit, versteht sich. Um präventiv weitere Probleme zu verhindern, bringt er an dem nebenstehenden funktionstüchtigen Automaten gleich ein weiteres Defekt-Schild an. Dann entschwindet er; auf zu neuen Servicetaten. Zum Glück gibt es jedoch einen Automaten, den der freundliche Mitarbeiter in seinem Eifer übersehen haben muss. Ein Ticket später stehen wir am Hauptbahnhof.

Als wir der Fahrtzeit nach zu urteilen in St. Petersburg ankommen, steht ein längerer Fußmarsch an, denn schließlich gilt es, nach Ungarn zurückzulaufen.

Zivildienstverweigerer

Erschrocken von der Distanz versuchen wir, bei Hausmannskost zu vermitteln, dass wir die nächste Nacht wieder in Budapest verbringen müssen. Natürlich nur, um am nächsten Tag rechtzeitig lostrampen zu können. Die Begründung ist vorgeschoben, aber nichtsdestotrotz realistisch. Es ist zeitlich fast unmöglich, bis nach Belgrad zu trampen, wenn wir vorher erneut nach St. Petersburg zurücklaufen und wieder eine Stunde mit dem Zug nach Budapest fahren müssen. Allen Ausreden zum Trotz will uns Opse am nächsten Morgen in die Stadt begleiten.

Zurück in der Stadt konzentriert sich Opse wieder auf seine Buda-, Pest- und Parlamentsausführungen. Wir sind uns zwar des Risikos bewusst, vielleicht wichtige Infos über die Stadt zu verpassen, trotzdem hören wir nicht richtig zu, denn uns bewegt eine ethische Frage weitaus mehr. Da wir völlig entnervt sind, fragen wir uns, wie fair es ist, Opse einfach abzuschütteln. Er hat immerhin Spaß, und wir sind selbst schuld.

Hinzu kommt, dass wir uns schon die ganze Zeit durch die Welt schmarotzen und es deshalb durchaus vertretbar ist, wenn wir einen Sonntag Zivildienst leisten und einen alten Herren beglücken.

Unsere Diskussion wird jedoch abrupt beendet, als wir einen Schrei von Opse hören. Er fängt an zu humpeln. Sein Gesichtsausdruck wechselt im Sekundentakt von freudestrahlend beim ›Buda‹- und ›Pest‹-Sagen zu schmerzverzerrt wimmernd beim nächsten Schritt nach vorn. Er humpelt gequält, Treppensteigen ist selbst mit ›Buda‹-Lauten nicht mehr möglich. Da der Ausflug von nun an für beide Parteien zur Bürde geworden ist, entschließen wir uns zum Rückzug. Wir bringen ihn noch zur Bushaltestelle und deuten an, dass wir gegenüber in die Markthalle wollen und uns nun trennen sollten. Schließlich führen dort nur Treppen hinauf, während er von hier bequem den Bus nach Hause nehmen könne. Unsere Pantomime scheint ihn nicht zu überzeugen. Trotz unzähliger ›Bus‹-Sagens, luftiger Lenkradbewegungen und pantomimisch dargestellten Treppenhochlaufens reagiert er weiter mit Kopfschütteln. Doch wir bleiben ebenfalls hart, verabschieden uns und stürmen in Richtung Freiheit davon.

Immer noch in Sichtweite erreichen wir die Markthalle und finden den vermeintlichen Grund seines Widerstandes. Sonntags geschlossen. Schmerz und Qual sind noch frisch, weshalb ein Umkehren ausgeschlossen ist und wir lieber im Schutz der Eingangssäulen verschwinden. Geschafft. Allerdings hält die Freude nur 15 Sekunden.

»Mein Beutel«, fährt es mir durch den Kopf. Er hatte ihn kommentarlos in seinen Rucksack gestopft. Als ich zurück zur Bushaltestelle renne, ist Opse schon verschwunden. Zusammen mit dem Beutel besitzt er nun auch mein ausgeschaltetes Handy. Ich realisiere, dass ich nun zu hundert Prozent auf die ungarische Hilfsbereitschaft angewiesen bin. Also am Arsch. In einem Restaurant WLAN schmarotzen, um mit Yukis Handy Opses Nummer herauszubekommen, ist noch möglich, indem wir eine Cola erwerben. Anrufen lassen will uns jedoch niemand, trotz eines weiteren Bestechungsgetränkes. Yukis japanisches Handy verweigert dazu im Ausland seinen Dienst. Also suchen wir nach einem antiken Gerät, mit welchem wir angeblich für Münzen durch eine Art Schlauch mit weit entfernten Menschen reden können. Nachdem wir eine Telefonzelle gefunden haben, schaffen wir es, Opse zu erreichen. Ich versuche, ihn dazu zu bewegen zurückzukommen, was ohne Pantomime einer Kontaktaufnahme mit Außerirdischen gleichkommt. Als mein Vorrat an Münzen beschließt, ich hätte genug erklärt, gehe ich hoffend zurück zu dem Platz, an dem wir vor wenigen Minuten unsere Freiheit gewonnen haben. Yuki versteckt sich allerdings lieber in der nächsten dunklen Gasse. Seine Angst, erneut eine Stadtführung zu bekommen, ist derart groß, dass alle Appelle an seine Verantwortung für das Ansehen Japans in der Welt einfach verhallen. Statt sich aufrichtig zu stellen, zieht er es vor, wie ein Ninja gut versteckt im Schatten zu verharren. Doch die Vorsicht ist übertrieben.

Das Treffen verläuft reibungslos und ohne weitere City-Tour. Warten, Übergabe, Dank, Trennung. Beschämt, aber erleichtert.

Per Anhalter durch den Nahen Osten

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