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Balkanauftakt

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Gerade als ich einen in seinem Kombi kramenden Fahrer fragen will, ob er uns mitnehmen möchte, stutze ich.

Sein Auto ist völlig überladen. Der Angesprochene schüttelt sich frei und schaut mich irritiert an.

»Was gibt’s?«, antwortet er auf meinen abgebrochenen Halbsatz.

»Ach, ich wollte fragen, ob ihr uns beide Richtung Belgrad mitnehmen könnt. Dann hab ich gemerkt, dass euer Auto voll ist«, antworte ich und bin überzeugt, das Offensichtliche auszusprechen.

»Ach ja? Das wollen wir doch mal sehen!«, entgegnet der Fahrer energisch, als hätte ihn jemand herausgefordert.

Erdrückende Hilfe

Der Kombi-Fahrer stellt sich als Freiburg-Serbe heraus und bedient mit durchschlagendem Erfolg die Ökoklischees seiner deutschen Heimatstadt. Sein Auto ist bis zum Dach vollgestopft mit Bio-Basilikum, Olivenöl und sonstigen nachhaltigen Produkten, die er als Freiburger zum Überleben braucht und in Serbien nicht kaufen kann.

Der Freiburger packt um und uns schließlich ein. Wir beschließen, auf unsere Eigenschaft als inkompressible Körper zu verzichten, und passen schließlich ins Auto. Ein Blick in den Rückspiegel lässt erahnen, dass wir mehr wie ein abstraktes Kunstwerk als ein artgerechter Transport lebender Güter erscheinen. »Geht es euch gut dahinten?«, fragt der Fahrer leicht besorgt. Im Gegensatz zu mir zeigt Yuki sich sichtlich irritiert von der Frage. Er streckt zwischen mehreren Basilikum-Pflanzen seine Hand heraus und demonstriert seine volle Bewegungsfreiheit, indem er sowohl Finger als auch Handgelenk kraftvoll wie ein junger Gott in kleinen Kreisen dreht.

»Das ist mehr, als ich es aus der U-Bahn in Tokio gewohnt bin«, kommentiert er begeistert seine neue Freiheit.

Inspiriert von einem Bio-Artikel, der sich mir gentechnikfrei, dafür aber umso schmerzhafter ins Bein bohrt, gerate ich ins Philosophieren und stelle Sichergeglaubtes infrage.

Vor allem kommt mir eine Weisheit in den Sinn: ›Besser schlecht gefahren als gut gelaufen.‹

Nach einer Stunde Fahrzeit meine ich, alle Argumente abgewogen zu haben. Der Fahrkomfort ist bescheiden. Die Federung hat unter dem Gewicht des überladenen Autos schon nach einer halben Stunde einen Burn-out erlitten. Ihr Verlust ist bitter, denn die serbische Autobahn hat wenig Ähnlichkeit mit einer Straße, dafür aber umso mehr Gemeinsamkeiten mit einer Lochkarte für Drehorgeln, in die jemand einen besonders schnellen Balkan-Beat eingestochen hat. Dem Takt folgend sticht etwas sehr Nachhaltiges immer wieder auf die gleiche Stelle meines Beines ein und verpasst mir einen blauen Fleck von der Größe des Baikalsees.

Ja, definitiv: Die Weisheit ist widerlegt. Diese Fahrt hätte nicht schlechter laufen können.

Unsere Gastgeberin in Belgrad ist eine in Kroatien aufgewachsene bosnische Serbin. Ihre ungriffige Identitätsangabe ist typisch für das zerbröckelnde ehemalige Jugoslawien.

Ihre Stadt ist genauso im Wandel und bietet ihren Bewohnern viel Freiraum für Experimente. Dadurch hat Belgrad durchaus seinen Charme und ist das Gegenteil von dem auf Hochglanz restaurierten Budapest. Die ungarische Hauptstadt wirkt nicht zeitlos, sondern so, als wäre sie die Zeit los. In Belgrad sind die Spuren der Geschichte hingegen sichtbar. Lachfalten an den Fassaden wurden nicht mit Botox geliftet. Allerdings auch nicht die jüngsten Narben, wie etwa die Krater der NATO-Bomben im alten Verteidigungsministerium. Doch die Ruinen regen uns mehr zum Nachdenken an als alle restaurierten Fassaden Budapests zusammen.

Diebesgut – Diebe gut?

Nach Belgrad bleibt unsere Trampersprache vorerst Deutsch, denn nach kurzer Wartezeit lädt uns eine Gruppe Thüringer Anarcho-Punks in ihren überfüllten Kleinwagen – mit den Allmachtsfantasien eines Fünftonners – ein.

Der blaue Fleck von der Fahrt mit dem Freiburger erstrahlt mittlerweile in einem farbenfrohen, aber warnenden lila-gelben Batik-Look. Aufgrund dieses Mahnmals beschließen wir, uns nicht länger als nötig in einem beengten Auto foltern zu lassen, weshalb wir am erstbesten Rasthof hinter Belgrad aussteigen.

Die Sonne verschwindet. Noch 150 Kilometer bis Sofia. Normalerweise kein Grund, nervös zu werden, ich habe schließlich für solche Fälle ein Zelt. Es ist allerdings kalt in dieser Gegend, Yuki hat nicht mal einen Schlafsack, und für einen Brokeback-Mountain-Moment fehlen uns noch mindestens zwei Dates.

Schließlich treffen wir auf die ersten Bulgaren. Sie legen großen Wert darauf, unsere bisherigen Mitnehmer zu Hobby-Tetris-Spielern zu degradieren, und demonstrieren uns, wie richtig vollgepackte Autos auszusehen haben. Sie sind mit zwei Autos unterwegs, jedes ohne erkennbaren Beifahrersitz und mit mehr Zuladung als das schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis. Selbst wenn ich mich gedanklich von allen Gliedmaßen trenne, sehe ich keine Möglichkeit, wie wir in dieses Auto passen könnten. Nach 15 Minuten Umpacken, Komprimieren, Fluchen und dem Verteilen meines Rucksackinhalts in kleine Hohlräume des ansonsten hochverdichteten Autos passt es aber. Mit geöffnetem Fenster ist es sogar möglich, die Dinge auf meinem Schoß so zu platzieren, dass keine weiteren Tramperknutschflecke neben dem Regenbogen auf meinem Bein entstehen.

Unsere beiden Fahrer kommen gerade aus Dänemark. Dem Inhalt der beiden Ford-Kas und ihrem Aussehen nach zu urteilen würde man in jedem halbwegs realistischen Film erwarten, dass wir von den beiden erst eins auf die Glocke bekommen, um im nächsten Moment unsere Rucksäcke mit dem restlichen Diebesgut davonfahren zu sehen. Die beiden bemerken jedoch meinen irritierten Blick und beteuern, dass ihr Bruder umzieht. Um ihre Glaubwürdigkeit weiter zu untermauern, verprügeln sie uns dann nicht einmal. Es läuft. Zumindest temporär.

An der Grenze führen sie uns in osteuropäisches Brauchtum ein. Ein aus altem Holz geschnitzter Zöllner verlangt die lokal typischen zwei Stangen Zigaretten, um uns ohne das Entladen unseres Ikea-Jahressortiments passieren zu lassen.

Wenig später stoppt plötzlich Yukis Auto. Mein Fahrer fährt zunächst noch ein Stück weiter, bis auch er, von seinem Handy alarmiert, anhält. Ein kurzes Gespräch, viel Nicken, ernste Miene. Er legt das Handy auf die Seite und fängt an, wild gestikulierend auf mich einzureden.

Trampertipp

Wenn jemand wild gestikulierend auf dich einschreit, be deutet das nicht zwangsläufig etwas Negatives, sondern eventuell nur, dass du in einem anderen Land bist, in dem das so gemacht wird.

Meistens jedenfalls. Mein Fahrer zeigt mir allerdings sehr deutlich, was er will, indem er zum Abschluss seiner Rede kräftig mit der Faust in die Hand boxt. In Bulgarien, im Nirgendwo, in einem Auto voller Diebesgut, nebst einem kräftigen Fahrer.

Ich, unter so viel Kram begraben, dass selbst ein fünfjähriger Computer-Nerd mit Arthrose mich verprügeln könnte.

Ich bleibe jedoch bei meiner Strategie und lächle unbekümmert weiter.

Trampertipp

Sich dumm zu stellen kann Probleme lösen.

Wird man bedroht oder jemand verlangt unbegründet Geld, einfach unbeirrt weiter freundlich lächeln und mit den Schultern zucken. Denn auch bedroht zu werden setzt manchmal aktives Mitwirken voraus.

Mein Fahrer ist von der Reaktion sichtlich irritiert. Offenbar hat er sich eine andere Wirkung von seiner Rede versprochen. Doch nach kurzer Überlegung wendet er sich mir erneut zu, holt wieder zur Hand-in-die-Faust-Geste aus und verkündet: »Bruder, ka…, Bugs Bunny, …boom!«

Da liegt er also. Nicht speziell irgendwo, mehr überall. Ein Hase, der einen Abgang hingelegt hat wie das ehemalige Jugoslawien in territorialer Hinsicht. Zerfetzt in tausend Stücke – von seinem Kräftemessen mit der Stoßstange. Wir versuchen, den Heldenmut unseres felligen Begleiters über fünfzig Meter Bremsweg gebührend zu würdigen und trotzdem weiterzumachen. Es gibt schließlich kein Abenteuer ohne schmerzvolle Verluste. Ein Schmerz, den wir nur überwinden können mit dem beruhigenden Gedanken, dass wir das Thema mit den Verlusten dann schon mal abgehakt haben.

Schließlich gelangen wir ohne weiteren Zwischenfall ins Zentrum von Sofia. Dort verfrachten uns die Brüder in ein Taxi und bezahlen sogar für uns, und zwar viel schneller, als wir ›Stereotypen beeinflussen oft zu Unrecht die Bewertung unserer Mitmenschen und unser Verhalten ihnen gegenüber‹ sagen können. Mit einem Handschlag, einer herzlichen Umarmung und der Weigerung, das Taxigeld von uns zurückzunehmen, trennen sie sich von uns.

Gegen Mitternacht kommen wir endlich bei der verständnisvollsten Couchsurferin der Welt an, die uns auch nach fünf Stunden Verspätung trotzig mit Pasta und Bier begrüßt.

Per Anhalter durch den Nahen Osten

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