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Kapitel 1

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ROTER STERN

Ein Crime-Thriller von

PATRICK S. NARRA

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Amazon.de Patrick S. Narra

Buchcover: Hygin-graphix.de

Korrektorat: Svenja Zwirner

Copyright © 2019 Patrick Savioz

Gluckstr. 14, 53115 Bonn

Alle Rechte vorbehalten

Das Telefon klingelte schrill. Lukas schaute schlaftrunken auf die digitale Anzeige des Funkweckers. 03:30 Uhr stand da in rot leuchtenden Ziffern. Er lag gerade mal seit einer Stunde im Bett. Genervt drehte er sich um und vergrub das Gesicht unter dem Kissen, bis der Anrufbeantworter ihn erlöste.

Sein Schädel pochte. Die Geburtstagsfeier vom letzten Abend war zu einem hemmungslosen Besäufnis ausgeufert. Unglücklicherweise musste er bereits um acht Uhr auf der Arbeit erscheinen. Ihm blieben also nur noch wenige Stunden Schlaf. Er drehte sich auf den Bauch, dann auf die linke Seite, auf den Rücken. Nichts zu machen. Er war hellwach und konnte nicht mehr einschlafen. Sein Mund fühlte sich pelzig an. Er brauchte dringend Wasser und eine Aspirin, um den kommenden Tag zu überleben. In der Nachttischschublade fand er, wonach er suchte, drückte eine Tablette aus der Verpackung und schluckte sie mit ein wenig Flüssigkeit hinunter. Dann stand er auf und ging ins Bad.

Das Gefühl der sich langsam entleerenden Blase war ein Segen. Er betätigte die Spülung und wusch sich die Hände. Im Spiegel erblickte er ein müdes Gesicht mit blutunterlaufenen Augen. Selbst der braune Teint und der Dreitagebart konnten die Anstrengungen der letzten Wochen nicht verbergen. Er hatte viel Zeit in die Organisation der Fachkonferenz gesteckt. Monate der Vorbereitung, der Überstunden, und jetzt war alles vorbei. Einfach so.

Vielleicht hatte er sich auch deshalb gestern so betrunken, an einem Sonntagabend. Jedes Glas Gin Tonic spülte ein weiteres Stück Last weg, bis er einen Zustand absoluter Entspannung erreicht hatte. Wann hatte er sich das letzte Mal so amüsiert? Benjamin hatte es gut mit ihm gemeint und gleich mehrere attraktive Frauen eingeladen, die um Lukas Aufmerksamkeit buhlten. Wahrscheinlich hatte er sie vorher darauf gebrieft, dass der gutaussehende Mann im Anzug single war und sich über weibliche Gesellschaft freute. Am Ende hatten sich zwei der Damen einen erbitterten Kampf um seine Gunst geliefert. Es gewann die Rechtsanwältin mit den dunkelbraunen Augen und dem blonden Haar. Sie flirteten den Rest des Abends und kurz, bevor er den Heimweg antrat, steckte sie ihm ihre Telefonnummer zu.

Unter seinen Freunden besaß er den Ruf des ewigen Junggesellens. Er war ein gutaussehender Mittdreißiger. Bisher hatte er noch niemanden kennengelernt, für den er seine Unabhängigkeit aufgegeben hätte. Die meisten Frauen hielten seine Launen ohnehin nur wenige Wochen aus. Obendrein galt er nicht wirklich als sehr ordentlich. Unglücklich war er darüber nicht. Stattdessen genoss er sein Leben in vollen Zügen.

Mit immer noch pochenden Kopfschmerzen schlenderte er zurück ins Bett. Kurz nachdem er sich hingelegt hatte, ertönte erneut das Telefon. Mit einem gezielten Kissenwurf versuchte er es zum Schweigen zu bringen, verfehlte es jedoch um einige Meter und stieß dabei eine Vase um. Das Blumenwasser breitete sich auf dem Parkettboden aus, aber er war zu faul, um es aufzuwischen.

Wer rief denn um so eine Uhrzeit an? Entweder es handelte sich um etwas wirklich Ernstes oder jemand erlaubte sich einen Spaß auf seine Kosten. Vielleicht war seinen Eltern etwas zugestoßen? Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, klingelte sein Handy.

Resigniert tastete er den Nachttisch ab. Dabei stieß er den Wecker und die Nachttischlampe um, die beide mit einem lauten Knall zu Boden fielen.

»Mist!«, fluchte Lukas. Endlich bekam er das Handy zu fassen und nahm das Gespräch mit einem genervten »Hallo?« entgegen.

Doch der Anrufer hatte bereits aufgelegt.

Beim zweiten Mal war er schneller.

»Hallo?«

»Lukas?«, erklang eine aufgeregte Männerstimme.

»Ja?«

»Hier ist Frank! Wo bist du?«

Frank! Den hatte er ja ewig nicht mehr gehört. Was wollte der bloß zu so einer unmenschlichen Uhrzeit?

»Ich liege im Bett«, erwiderte Lukas müde.

»In einer halben Stunde holt dich einer meiner Mitarbeiter ab!«

»Was?« Mit einem Mal war Lukas hellwach.

»Ich brauche dich als wissenschaftlichen Berater im Ministerium«, erklärte Frank.

»Es ist mitten in der Nacht!«, protestierte Lukas. Das Pochen in seinen Schläfen wurde wieder stärker.

»Ich weiß!«

»Kann das nicht bis morgen warten?«, fragte Lukas hoffnungsvoll.

»Ich habe schon mit deinem Chef gesprochen.«

»Mit Professor Sunner? Um diese Uhrzeit?«

»Du bist die ganze Woche von deiner Arbeit freigestellt.«

»Ja, aber …«, stammelte Lukas. »Warum?«

»Ein Beamter holt dich in genau dreißig Minuten ab.«

»Was ist denn los?«

»Nicht am Telefon.«

»Ein Stichwort!«

»Terroranschlag.«

Das war ein mieses Stichwort!

»Wo?«

»Zieh dir etwas Ordentliches an. Die Bundeskanzlerin wird auch anwesend sein!«

»Die Bundeskanzlerin?«

»Spreche ich undeutlich?«, bellte es durch das Telefon.

»Frank, erklär mir das!«

»Zieh dich an. Der Fahrer ist pünktlich!«

Lukas zwickte sich in den Oberschenkel, was jedoch lediglich einen höllischen Schmerz und einen hässlichen roten Abdruck zur Folge hatte. Er träumte nicht.

»Bist du betrunken?«, fragte Frank stutzig.

»Wieso?«, entgegnete ihm Lukas beschämt. Wie ein kleiner Junge, der gerade beim Klauen erwischt worden war.

»Du lallst!«

»Ich war gestern auf einer Geburtstagsfeier«, verteidigte sich Lukas.

»Sieh zu, dass du nüchtern wirst. Du blamierst mich nicht vor der Kanzlerin!«

»Wie soll ich das in einer halben Stunde schaffen?«

Ein Klicken, dann ein Tuten.

Frank hatte aufgelegt.

***

Die schwarze Limousine fuhr mit quietschenden Reifen von der Autobahn ab. Lukas Magen kämpfte immer noch mit den Nachwirkungen der Party. In der langgezogenen Kurve überkam ihn eine unangenehme Übelkeit. Er öffnete das Fenster und atmete tief ein und aus, um einen peinlichen Zwischenfall zu verhindern.

Nach einer schnellen Dusche und einem Spurt zum Kleiderschrank hatte er sich nach dem Telefonat mit Frank für ein graues Hemd mit blauem Sakko und eine Jeans entschieden. Das Outfit vom Vortag stank nach Zigaretten und Gin und die übrigen Anzüge befanden sich nach der Konferenzwoche alle in der Reinigung. Beinahe hätte er seinen Smoking angezogen, aber als er im Spiegel die billige Imitation von James Bond erkannte, hielt er ein dezenteres Auftreten für angemessen.

Der Mann am Steuer war Ende zwanzig, glattrasiert. Er trug einen dunklen Anzug und eine hellblaue Krawatte. Die Dringlichkeit seines Auftrags betonte er nicht nur mit der rasanten Fahrt. Er hatte exakt dreißig Minuten nach Franks Anruf an der Haustür geschellt.

Lukas versuchte mehr über den nächtlichen Ausflug herauszubekommen, aber der Fahrer war nicht sehr auskunftsfreudig, sodass er aufgab und für einen kurzen Moment die Augen schloss.

Nach zehn Minuten erreichten sie das eiserne Tor des Verteidigungsministeriums in Bonn. Ein goldenes Schild mit dem schwarzen Bundesadler markierte den Eingang.

Der Fahrer zeigte dem Wachposten seinen Ausweis und erklärte, wer auf dem Beifahrersitz sitze. Das Tor öffnete sich und sie fuhren auf das weitläufige Gelände, auf dem sich unzählige Wohnblöcke und Bürokomplexe befanden. An einer Ecke stand ein Kiosk, an dem Brötchen und Kaffee verkauft wurden. Lukas hätte alles für einen kurzen Halt gegeben.

Sie hielten vor dem Bürogebäude 438. Frank wartete bereits vor der Tür und rauchte eine Zigarette. Währenddessen trat er hektisch von einem Fuß auf den anderen. Seine Haare waren zerzaust, Schweißflecken zeichneten sich unter den Achseln ab.

»Ihr seid spät dran!«, raunte er.

»Sei froh, dass ich lebend hier angekommen bin. Dein Fahrer dachte wohl, er bestreite ein Formel 1 Rennen«, erwiderte Lukas genervt.

Die beiden Männer schauten sich kurz an. Dann umarmten sie sich.

»Wie lange ist es her?«

»Zwei Jahre bestimmt!«

»Du stinkst nach Alkohol!«

»Ich hatte gestern nicht damit gerechnet, dass du mich heute Nacht ins Verteidigungsministerium zitierst!«

»Ich habe denen einen Profi versprochen und nicht einen Professor in der Midlife-Crisis, der an einem Montagmorgen nach Kneipe riecht!«, fluchte Frank.

»Soll ich wieder gehen?«, entgegnete Lukas beleidigt.

»Auf keinen Fall!«

»Ein Freund hatte Geburtstag.«

»Macht die Sache nicht besser!«

»Willst du mir jetzt sagen, was los ist?«

»Nicht hier.« Frank drückte die Zigarette aus. »Wir gehen in mein Büro!«

Hastig führte er ihn in den zweiten Stock. Sein Büro glich mehr einer Müllhalde als einem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch lag unter einem Papierberg begraben. Auf den Stühlen türmten sich die Akten bis zur Decke und vom eigentlichen Fußboden war nichts mehr zu sehen. Die Unordnung passte genauso wenig zu Frank wie das unrasierte Gesicht. Er hatte sonst immer Wert auf ein gepflegtes Aussehen gelegt.

»Jetzt schieß los!«, forderte Lukas ihn hektisch auf, ihm endlich zu erzählen, warum er hier war.

»Ich darf dir nicht viel sagen. Die Sache ist streng geheim. Ich brauche einen Vortrag über den Roten Stern«, erklärte Frank-

»Warum?«

»Wirst du später erfahren!«

»Du willst mir den Grund nicht nennen?«, wunderte sich Lukas.

»Du hast eine Stunde Zeit!«

»Ich mach gar nichts, bevor du mich nicht aufgeklärt hast!«

Mit einer ausschweifenden Armbewegung räumte Frank seinen Stuhl frei. Die Akten flogen durch das Zimmer. Lukas zuckte zusammen.

»Du machst mich fertig!«

»Du lässt mich mitten in der Nacht hier antanzen. Meinst du nicht, du bist mir eine Erklärung schuldig?«

»Die Bundeskanzlerin sitzt gleich in der Besprechung.«

»Das war also kein Scherz!«

»Sehe ich aus, als ob ich Witze mache?«

»Du siehst eher so aus, als ob dir ein wenig Schlaf und eine Dusche guttun würden!«

Frank schaute ihn böse an.

»Eine Stunde. Enttäusch mich nicht!«

»Ich bin immer noch genauso schlau wie vorher!«

Frank verdrehte die Augen.

»Uns droht ein Terroranschlag.«

»Islamisten?«

»Nein. Eine Gruppe namens Roter Stern!«, erklärte Frank.

Lukas schaute ihn verwundert an.

»Die haben sich doch vor 20 Jahren aufgelöst!«

»Scheinbar haben sie sich wieder zusammengerottet.«

»Was fordern sie?«

»Sie kämpfen für eine russische Vormachtstellung in Europa und wollen, dass wir uns aus dem Ukrainekonflikt raushalten.«

»Anlässlich der Friedenskonferenz, die diese Woche in Zürich stattfinden wird?«, ergänzte Lukas.

Frank nickte.

»Was haben die vor?«

»Sie drohen mit Bombenattentaten in deutschen Innenstädten. Wir haben eine Sonderkommission gegründet, um diese Leute auszuschalten, bevor sie größeren Schaden anrichten können.«

»Ich soll also etwas zum geschichtlichen Hintergrund erzählen?«

»Du bist der führende Experte für diese Terrorgruppe«, erklärte Frank. »Da liegt das auf der Hand.«

Lukas nickte. Er hatte in seiner Laufbahn sehr viel über den Roten Stern geforscht und galt nicht ohne Grund als einer der renommiertesten Experten auf diesem Gebiet.

»Die Sache unterliegt strengster Geheimhaltung. Du darfst mit niemandem außerhalb dieser Mauern darüber reden. Du wirst nur für deinen Vortrag zur Konferenz zugelassen. Danach wirst du von meinem Angestellten nach Hause gefahren. Er wird am Ausgang auf dich warten«, belehrte Frank seinen ehemaligen Studienfreund.

Lukas nickte.

»Welche Städte?«

»Mach dich an die Arbeit! Dir bleibt eine Stunde«, antwortete Frank, ohne auf die Frage einzugehen. Er stand auf und ging zur Tür. Kurz vor Verlassen des Raumes hielt er inne.

»Bonn ist auch betroffen!«, sagte er schließlich.

Ohne sich umzudrehen, verließ er das Zimmer.

Lukas verschlug es die Sprache. Regungslos saß er auf dem Stuhl und versuchte, Franks Worte zu verarbeiten. Nach einigen Minuten klopfte es an der Tür. Die Sekretärin brachte Kaffee, aber Lukas war jegliches Bedürfnis danach vergangen. In der Ferne hörte er das dumpfe Geräusch eines Hubschraubers.

Roter Stern

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