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Vorwort von Patty

Wie Kinder ticken, wusste ich schon mit dreizehn Jahren. Als Älteste von sechs hatte ich schon jahrelang jüngere Geschwister sowie die Kinder von Verwandten und Nachbarn betreut. Und wenn in der Schule die Mittagspause bei Regen drinnen stattfand, schickten mich die Nonnen in die Klasse mit den meisten Raufbolden. Ich konnte nämlich alle zweiundfünfzig Schüler zur Räson bringen.

Als Jugendliche und während der Collegezeit arbeitete ich jeden Sommer mit Kindern. Dann heiratete ich im Alter von einundzwanzig, und weil ich mich noch immer zu Kindern hingezogen fühlte, wurde ich Lehrerin. Deshalb zweifelte ich während meiner ersten Schwangerschaft nicht an meinen zukünftigen mütterlichen Fähigkeiten. Ich war ja ein alter Hase. Und motiviert.

Doch kurz nach der Geburt meines zweiten Sohnes änderte sich etwas. Ich reagierte gereizt und verlor zunehmend die Beherrschung. Eines Tages stürzte ich mich auf meinen Zweijährigen, als er dem Baby wehtun wollte. Dabei hätte ich ihn um ein Haar vor rasender Wut gegen die Wand geknallt. Ich sah die Angst in seinen Augen und war entsetzt, wozu ich anscheinend fähig war.

Eine Mutter, zwei Wirklichkeiten. Ich war eine gute Mutter - außer ich war es eben nicht. Zwar fiel mir die Aufgabe von Natur aus leicht, aber manchmal verlor ich die Kontrolle. Bereits in jungen Jahren hatte ich mir geschworen, Kinder niemals grob zu behandeln. Und bis zu meinem zweiten Kind hatte das auch geklappt. Was war mit mir los? Wie konnte ich mir helfen? Und meinen Kindern? Ich sprach mit niemandem darüber.

Auf einem Samstagsspaziergang im Jahre 1973 wollte meine Bekannte Jennie Cushnie etwas über das Muttersein wissen. Da brach ich in Tränen aus und gestand ihr, dass mir meine eigenen Reaktionen Angst eingejagt hätten. Ich erzählte auch von meinem groben und jähzornigen Vater, der während unserer Kindheit ständig unter schrecklichem Druck gestanden hatte. Und ich schlug ihm nun offenbar nach! Völlig enthemmt schluchzte ich vor dieser beinah fremden Person. Sie hörte mir einfach wohlwollend zu. Nachdem ich die Fassung wiedererlangt hatte, entschuldigte ich mich, doch sie reagierte gelassen und versicherte, dass sie mir gern zugehört hatte.

An diesem Nachmittag erlebte ich beim Spielen mit meinen Kindern Geduld und Freude. Ich fühlte mich sogar körperlich befreiter und freute mich wieder an meiner Elternrolle. Noch Wochen später blieben die Wutanfälle aus. Was die Bekannte auch immer getan hatte, das war genau das Richtige für mich!

Jennie erzählte mir von Kursen, in denen die Teilnehmer abwechselnd ihre Hoffnungen und Sorgen erzählten und einander zuhörten. In dem Maß, wie das gegenseitige Vertrauen wuchs, lachten und weinten sie immer öfter miteinander. Gerade das Freisetzen von Gefühlen galt als besonders hilfreich. Das erklärte, weshalb mir die Viertelstunde Weinen so gut getan hatte und weshalb ich gerade vor Jennie geweint hatte. Irgendwie hatte ich wohl gespürt, dass sie im Zuhören geübt war. Dieses Zuhören hatte mir geholfen, wieder geduldiger mit meinen Kindern umzugehen, und genau danach hatte ich mich gesehnt. Ich schloss mich also dem Kurs an.

Mein erster Partner bei diesem einfühlsamen gegenseitigen Zuhören war ein etwas melancholischer Ingenieur gleichen Alters, den gerade seine Frau verlassen hatte. Sie hatte ihn mit der gemeinsamen halbjährigen Tochter, ein Baby mit Down-Syndrom, zurückgelassen. Ihm fehlte Erfahrung mit Säuglingen. Auch hatte er wenige Freunde, eine anstrengende Arbeit und keinerlei Unterstützung. Wir hörten uns pro Woche gegenseitig jeweils eine Stunde zu, und das zwölf Jahre lang. Daraufhin wurde mein Familienleben sehr schnell herzlicher und entspannter. Mein einfühlsamer Zuhörer profitierte erst allmählich davon, aber dann ebenso greifbar.

Dann erlebte ich etwas Atemberaubendes. Meinem zweijährigen Sohn Jakob wurden wegen einer Bindehautentzündung Augentropfen verschrieben. Deren Verabreichung würde ihm natürlich Angst einjagen.

Ich stellte mir den Versuch vor, meinem zappelnden Kind die Medizin ins Auge zu träufeln, während ich ihm irgendwie mit meinen Knien die Arme festhalten würde. So eine Behandlung dreimal täglich über mehrere Tage und das Vertrauen meines Kindes wäre dahin.

Als unser Baby sein Schläfchen hielt, hatte ich die Idee, Jakob dabei zuzuhören, welche Gefühle diese Prozedur bei ihm auslösen würde. Vielleicht half uns das. Zumindest mir hatte es geholfen, dass man mir einfühlsam zuhörte. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Aber was hatte ich schon zu verlieren?

Also zeigte ich ihm das Medizinfläschchen und erklärte, dass ich ihm etwas von der Flüssigkeit in beide Augen einträufeln müsse. Da warf er sich aufs Bett und weinte heftig. Ich hörte dicht neben ihm aufmerksam zu. Ich sagte, die Tropfen würden die Augen heilen. Er weinte weiter.

Bei jedem leichten Nachlassen, setzte ich ihn behutsam auf, zeigte ihm das Fläschchen und sagte: „Ich muss dir das in die Augen träufeln. Das wird dir helfen.“ Und jedes Mal weinte er heftig. Nachdem dieses Hin und Her eine halbe Stunde gedauert hatte, fragte ich, ob ich ihm zeigen sollte, wie man die Flüssigkeit herausdrückte. Er wollte. Ich füllte die Pipette, hielt sie hoch und presste einige Tropfen zurück in die Flasche.

Er schaute zu und warf sich erneut weinend aufs Bett. So ging es weiter: vorführen, weinen, vorführen, weinen.

Dann bat Jakob, die Pipette selbst ausdrücken zu dürfen. Nach einigen Versuchen fragte ich, ob ich ihm jetzt die Medizin einträufeln könnte.

Wieder heulte er, und ich blieb nah bei ihm, hielt Augenkontakt und murmelte, wie leid es mir tat, dass das gerade so schwer war.

Kurz darauf hellte sich seine Miene auf. Er setzte sich und fragte: „Kann ich sie mir selbst reintun?“

Bestimmt wäre mir nie im Leben eingefallen, dass sich ein Zweijähriger selbst Augentropfen verabreicht! Ich antwortete: „Klar, versuch’s mal. Wenn es daneben geht, werde ich dir aber helfen müssen.“ Ich bat ihn, sich hinzulegen und füllte die Pipette. Dann führte ich ihm die Hand an die richtige Stelle über dem Auge. Und ich schaute zu, wie er zwei Tropfen in das offene Auge träufelte. Dasselbe tat er beim anderen Auge, setzte sich auf, grinste mich an und huschte zum Spielen davon.

War ich vielleicht überrascht! An den folgenden Tagen war das Einträufeln der Medizin für ihn so selbstverständlich geworden wie das Anziehen von Socken. Die Angst war weg.

An jenem Tag hatte ich einige wichtige Erkenntnisse gewonnen. Mir wurde klar, dass sehr viel Stress im Leben mit Kindern vermeidbar war.

Ich war bei guten Eltern aufgewachsen, die jedoch unter ungeheurem Stress standen. Welch unsägliche Verletzungen gute Eltern unter Stress anrichten konnten, hatte ich am eigenen Leib erfahren. Eltern benötigen dringend selbst ein Gefühlsventil! Und sie müssen ihre Kinder nicht beherrschen. Kinder können störrisches Verhalten zugunsten von Kooperation aufgeben, wenn nur die Eltern ihnen zuhören. Dann gäbe es in den Familien mehr Herzlichkeit und Nähe, wie es inzwischen bei uns der Fall war. Eltern könnten ihren Kindern vertrauen, notwendige Erwartungen an sie herantragen, zuhören und sich mit ihnen verbinden. Dann würden die Kinder gedeihen.

Ich verstand, dass das Zuhören eine kraftvolle und respektvolle Möglichkeit war, um Liebe auszudrücken. Und am Ende erreichte man damit seine Ziele. Auf diese Art und Weise mit Kindern umzugehen fühlte sich gut an – ein Arbeiten mit den Gefühlen der Kinder, anstatt gegen sie. Jetzt hatte ich meine Lebensaufgabe gefunden.

Seither habe ich die meiste Zeit damit verbracht, meine beiden Söhne ins Leben zu begleiten und mir zu erarbeiten, wie sich Eltern hilfreiche Unterstützung aufbauen können. Ich hatte das Vorrecht, mehr als vier Jahrzehnte mit Tausenden von Eltern und Kindern zu arbeiten und dabei zu erfahren, wie Eltern die unterschiedlichsten Schwierigkeiten ihrer Kinder bewältigen, indem sie sich mit ihnen verbinden und ihren Gefühlen zuhören. Der Erfolg kann sich schnell einstellen, wie damals bei meinem Sohn, oder man muss sich auf einen längeren Prozess einlassen. Jedenfalls bin ich sicher, dass es als Eltern in unserer Macht steht, unsere Kinder bei der Überwindung von allerlei Hürden zu unterstützen. Und indem wir Eltern uns gegenseitig zuhören, können auch wir wachsen.

Nachdem ich wiederholt erlebt hatte, welch große Wohltat das Zuhören für Eltern und Kinder sein kann, wollte ich meine Ideen anderen Eltern verfügbar machen. Also gründete ich 1989 mit Hilfe von Freunden und weiteren Fürsprechern das heutige „Hand in Hand Parenting“ – eine von Eltern geleitete, gemeinnützige Organisation. Solange wir die Arbeit in unseren eigenen praktischen Erfahrungen verankerten, wuchs sie langsam. Heute aber unterstützen wir Eltern in großem Stil.

Tosha Schore stieß 2005 zu einer meiner fortlaufenden Elterngruppen. Mit dem „Hand in Hand Parenting“ hatte sie meisterhaft viele familiären Herausforderungen bewältigt, darunter Krankheit, Trauma und Schulschwierigkeiten. Inzwischen Mutter von drei Söhnen, ist sie Ausbilderin bei „Hand in Hand“ und arbeitet international als Elternberaterin, Fürsprecherin für Jungen und Bloggerin.

Ich mag ihren Sinn fürs Wesentliche, ihren Sachverstand, Mut und die Fähigkeit, in ihrer Arbeit guten Beziehungen weiterhin Priorität zu verleihen. Mir war Toshas Stimme in diesem Projekt wichtig.

„Hand in Hand“ beruht auf all unseren Lernerfahrungen. Wir sind stolz darauf, dass wir Sie an unserer Erfahrung teilhaben lassen können, sowie an den Geschichten von über siebzig Eltern aus fünf Kontinenten. „Hand in Hand“ ist ein auf „Hand in Hand“ basierendes Gemeinschaftswerk, das Ihnen hervorragende Strategien vermittelt, damit Ihre Liebe zu Ihren Kindern auch wirklich durchdringt. Ich hoffe, Sie werden davon profitieren.

Patty Wipfler

Gründerin und Programmleiterin von „Hand in Hand Parenting“

Hand in Hand

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