Читать книгу RETROGRAD - Paul Datura - Страница 8

Under pressure

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P. betrat das Café und blieb am Eingang stehen. Am Türrahmen waren einige Glöckchen befestigt, die melodisch klingelten und seinen Besuch wem auch immer ankündigten. Er war hier noch nicht so oft gewesen. Deshalb musste er sich erst mal orientieren. Außerdem konnte er seit kurzem sowieso nirgends mehr hineingehen, ohne sich mit einem Rundumblick zu überzeugen, dass keine Gefahren vorlagen. Irgendwelche Typen, die einem an den Kragen wollten oder ihre scharfen Dinge an ihm ausprobieren wollten. Das Café war ein ehemaliges Freak Café. Oder eher ein Frauen Café. Er war hier schon einmal einfach hineingegangen und hatte sich an einen Tisch gesetzt. Als er etwas bestellen wollte, sagte die Bedienung nur schnippisch: »Heute ist Frauentag. Männer werden heute nicht bedient« Das war jetzt zwar ewig her, aber seitdem war er nicht wieder hier reingegangen. Aber heute wollte er es wieder versuchen. In diesem Laden konnte er sich keinen Killer mit Lederjacke und Bundfaltenhose vorstellen. Hier würde er sich sicher fühlen können. Und vor allem würde hier jeder einigermaßen gewaltbereite Mann wie ein bunter Hund auffallen. Zufrieden fand er einen freien Tisch am Fenster. Dicke Vorhänge verhinderten den Blick nach draußen auf die Straße. Auf dem Tisch lag die Taz, eine Zeitung, die er gerne ab und zu las. Das war genau das, was er jetzt brauchte. Seine Ruhe hinter einer Zeitung. Die Bedienung war eine junge Frau mit Rastalocken und einem Sweatshirt mit abgerissenen Ärmeln und einem sehr großen Ausschnitt. Dadurch konnte er den Hals, die Schulter und den Oberarm mit der kleinen Tätowierung besser sehen. Er hatte aber kein Interesse. Er warf ihr nur einen kurzen Blick in die Augen und bestellte einen doppelten Espresso und ein großes Bier. Die Mischung würde ihn gleichzeitig aufmuntern und beruhigen. Er hatte in letzter Zeit zu wenig Schlaf. Eindeutig zu wenig. Er hatte sich gestern Abend, vermutlich im Schockzustand, mit mehreren Umwegen und Zwischenstopps nach Hause geschlichen. Einmal hatte er sich sogar in einer dunklen Tiefgarageneinfahrt versteckt und gewartet, ob ihm jemand folgte. Voll die Paranoia! Wenn er LSD oder so etwas genommen hätte, würde er vermuten er hätte einen Horrortrip. Bis auf den schönen Zwischenteil mit Bea war dieser Abend total beängstigend gewesen. Wobei er keine Angst empfand, sondern nichts. Einfach nichts. Er war nur vorsichtig. Deshalb würde trotzdem jeder Unbeteiligte, der ihn gestern Nacht heimgehen sah, ganz sicher behaupten, er habe einen total paranoiden Drogenheini mit Horrortrip gesehen. Er hatte sich immer wieder nach allen Richtungen umgesehen und war praktisch von Schatten zu Schatten gehuscht. Daheim angekommen hatte er erst einmal einen großen Cognac gekippt und danach noch einen großen Cognac. Und das ging dann so weiter bis seine Zigaretten aus waren und er versuchte zu schlafen. An Zigaretten holen war wegen der Paranoia nicht zu denken. Er zermarterte sich den Kopf, was die beste Strategie wäre, mit dieser Sache umzugehen. Kam aber auf keinen grünen Zweig. Und so fing er wieder von vorne an. Wer war Bea? Hatte der Typ, der umgebracht wurde, Bea gekannt? Und was wollten die Killer von ihm? Und was von Bea? Und was hatte es mit diesem Lederbuch auf sich und was mit dem Schlüssel? Er würde warten müssen. Und Bea treffen. Im Vogue. Und er hätte dann echt viel zu fragen. Und Bea hoffentlich viel zu erzählen. Um sechs Uhr morgens war er in seinem Sessel eingenickt. Da die Vögel schon entnervend laut zwitscherten, wachte er später wieder auf und schleppte sich ins Bett. Viel später hatte dann das Telefon geklingelt. Er war aber nicht dran gegangen, obwohl er sich ein Telefon in Form einer grüne Gurke auf seinen Nachtisch installiert hatte. Diese Gurke hatte er auf einem Flohmarkt erstanden. Und dieses Telefon leuchtete auch, wenn es klingelte. Da die Post so ein Telefon niemals installieren würde, hatte er selber die Kabel gelegt und die der Post total heilige Anschlussdose einfach überbrückt. Aber er nahm nicht ab. Er war zu kaputt. Und er wusste ja auch nicht wer da dran war. Und wollte es verdammt nochmal auch nicht wissen. Als er später ein wenig geschlafen hatte und wieder nüchterner war, spulte er seinen Anrufbeantworter zurück. Es war die Stimme von Toni zu hören.

»Hallo P.! Ich habe deine Nummer von Christoph bekommen. Komm in nächster Zeit nicht in unseren Laden! Erst waren so komische Typen in Lederjacken und Bundfaltenhosen da und haben nett nach ihrem besten Kumpel gefragt. Zu viert. Nach dir. Und einer sah aus, als ob er auch von einem Auto überfahren worden wäre. Da ist nämlich gestern einer vor unserer Haustür überfahren worden. Vorne auf dem einsamen Parkplatz an der Bundesstraße. Und das war echt kein Unfall! Das haben uns die Polizisten erzählt. Die haben uns nämlich auch besucht. Wer denn alles bei uns gewesen war gestern und ob es Auseinandersetzungen gegeben hätte usw... Wir haben weder dich noch die Kleine erwähnt – ich hoffe du hast keinen Scheiß gebaut?! Ne, du bist doch kein Killer? Egale - komm mal eine Weile nicht mehr zu mir. Und sieh dich vor! Sowohl die Bullen als auch die Lederjacken wollen sich mit dir unterhalten. Molto pericoloso! Aber irgendwann kommst du wieder und bezahlst deinen Deckel. Den bewahre ich für dich auf. Ciaoe Bello!«

Diese Vorwarnung war Gold wert und er verließ sofort seine Wohnung. Die Paranoia war also nicht übertrieben. Er wurde gesucht. Deshalb war er jetzt in diesem Lokal, in dem ihn niemand suchen und finden würde. Er nahm einen Schluck Bier und griff sich die Zeitung.

Die Glöckchen klingelten protestierend, als die Tür kraftvoll geöffnet wurde. Herein kam ein Mann mit schwarzen, glänzend gelockten Haaren. Er trug eine Lederjacke und eine Bundfaltenhose mit ausgebeulten Taschen. Er ging direkt auf P. zu, griff sich einen Stuhl und setzte sich an seinen Tisch. Er drückte seine Zigarette stürmisch in dem Aschenbecher aus, wobei er P.s Zigarette, die dort abgelegt war, gleich mit in dem Aschenbecher zerdrückte. Er hatte lange Fingernägel und trug einen schweren Silberring am Daumen.

Naja, seine Theorie von der Ruhe konnte er vergessen, dachte sich P. Jetzt hieß es Nerven bewahren. Solange er nicht gleich hier hingerichtet werden würde.

Der Mann sah ihn lange und nachdenklich an und lächelte schließlich. »Ich mag dich eigentlich. Du hast ja im Prinzip nichts mit der Sache zu tun, mein Freund.«

P. hasste es »mein Freund« genannt zu werden. Das sagten Psychiater, Sozialarbeiter oder Bettler, wenn sie etwas von einem wollten. Er sagte nichts.

»Ah, du hast auch noch die Nerven gemütlich Zeitung zu lesen?«

Das war der Typ von dem Abend auf dem Parkplatz. Er hatte da eine Stoffmütze getragen. Jetzt erkannte er ihn wieder. Dieser Typ konnte ohne nachzudenken brutal und effizient zuschlagen und vermutlich auch töten. Wo er sein Riesenmesser hatte, wollte P. gar nicht wissen. Auf jeden Fall hatte er es griffbereit dabei. Sein Magen verwandelte sich in einen verkrampften sauren Tennisball.

»Was wollen sie von mir, ich kenne sie nicht einmal«.

»Oh, du kennst mich. Ich habe deine Augen genau gesehen, wie sie aufgerissen zugeschaut haben. Du kannst dich sicher an den kleinen bedauerlichen Unfall neulich erinnern? Das hätte alles nicht passieren müssen. Und so etwas sollte dir doch nicht passieren, oder?«

Er schaute ihn wieder so freundlich und besorgt an.

»Weist du, ich habe gleich erkannt, dass du ein intelligenter Typ bist. Damals im Knast, da habe ich auch immer die guten von den schlechten unterscheiden müssen. Das ist wichtig im Leben – für das Überleben, weißt du«

›Oh Mann, wenn das so weitergeht, steht mein Bier ab‹, stellte P. fest und nahm deshalb einen großen Schluck.

Dann wischte er sich mit dem Handrücken über die Lippen und sagte nochmal: »Ich kenne sie nicht.«

»Ich sage ja, du bist intelligent«, lächelte der Mann. »Ich heiße Martin. Und jetzt kennst du mich ja. Also können wir ganz gemütlich was trinken und uns unterhalten, nicht wahr?«

Und er hob seine beringten Finger. Mit der anderen Hand zeigte er auf den Espresso, um der Bedienung zu signalisieren, er möchte das Gleiche.

»Weist du, eigentlich ist der Job doch nichts für mich. Ich bin für was ganz anderes gemacht. Mir gefällt die Kneipe hier. Alles gebildete Leute hier. Soll ich dir was sagen?«

Bedeutungsvoll nestelte er an der Innentasche seiner Jacke herum. P. wurde nervös. Aber Martin zog nur ein Bündel beschriebenes Papier aus der Tasche und hielt es ihm hin.

»Da schau dir das an. Hab ich geschrieben. Im Knast hat man ja Zeit. Ich kann Gedichte schreiben. Ist alles in meinem Kopf. Und da ich dich gut leiden kann, möchte ich, dass du die Gedichte schön aufmerksam liest und mir sagst, was du davon hältst«.

Die Bedienung brachte den Espresso. Er nahm einen winzigen Schluck, wobei er den kleinen Finger mit dem langen Fingernagel weit abspreizte. Einen Moment später nickte er P. auffordernd zu: »Das ist besser als deine Zeitung, glaub's mir«.

Also las P. die Gedichte. Oder er versuchte es zumindest. Irgendwas von grünem Gras mit Amseln darauf. Vielleicht ja sogar gut. Nur hatte er im Moment keinen Nerv, sich mit Gedichten zu befassen. Also tat er überrascht und sagte: »Das ist echt gut«.

»Ah, du sollst mich nicht anlügen. Da werde ich sonst richtig ärgerlich. Lese in Ruhe und sage mir dann, ob sie dir gefallen«

›Also, was solls.‹ P. bestellte sich noch ein Bier und las ernsthaft und langsam, wenn auch leicht oberflächlich mit gerunzelter Stirn ein schmutziges Blatt nach dem anderen durch. Als die Bedienung das Bier brachte, schaute sie sehr interessiert. Sowohl interessiert auf Martin als auch auf die speckigen Blätter, die P. in der Hand hielt. Martin schaute sehr gütig und auch sehr interessiert zurück.

»Mein Freund hier rezitiert gerade meine Gedichte«, sagte er huldvoll.

»Redigieren, meinst du wohl«, sagte die Bedienung wie aus der Pistole geschossen und schmolz trotzdem ein wenig.

»Oh, Mann! Dieser Typ ist nicht nur ein effizienter Schläger, sondern auch ein verdammt guter Charmeur«, musste P. anerkennend feststellen. Wenn dieser Typ nicht so gefährlich wäre, fände er Martin sogar ein wenig sympathisch und könnte sich vorstellen mit ihm ein paar Bierchen zu trinken. Nur leider lag die Sache anders. Dieser Typ war ein eiskalter Irrer.

»Also, ich finde die Gedichte gut – vor allem das mit der Amsel«, log er.

Martin schaute ihn verträumt an. »Fast schon ein großes Talent, mmh?«, sagte er leise, nahm sich die Blätter wieder und steckte sie gefaltet in seine Innentasche. Dabei ließ er P. den Griff des großen Messers sehen, das ebenfalls in der Jacke in einem Lederhalfter steckte.

»Eigentlich mag ich dich wirklich. Und deshalb will ich ehrlich zu dir sein. Mein Chef ist der Meinung, ich soll dich solange prügeln, bis du uns das Buch gibst. Und dann soll ich dich im Wald vergraben.«

»Welches Buch?«, stöhnte P., der von gar nichts eine Ahnung hatte.

»Oh, mach dich doch nicht dümmer, als du bist. Wenn du nichts von einem Buch weißt, muss ich dich doch gleich im Wald vergraben«, sagte Martin lächelnd. »Solange du das Buch noch hast, darf ich dich nur prügeln, was mir ehrlich keinen Spaß machen würde.«

›Wie komme ich nur aus dieser Scheiße raus!‹, dachte P. »Wie komme ich verdammt noch mal aus dieser Scheiße raus!«, brüllte er Martin an.

Der ganze Laden schaute pikiert in ihre Richtung. »Erst das Buch«, sagte Martin.

P. hatte zwei Bier und einen Espresso intus und seine Blase drückte. Wirklich jetzt.

»Ich muss jetzt erst mal aufs WC. Und dann sagst du mir, wie ich aus diesem Scheiß raus komme«, presste er zwischen den Zähnen hindurch.

»Enttäusche mich nicht und komm wieder«, sagte Martin mit einem drohenden Blick.

P. ging zu den im hinteren Bereich liegenden Toiletten durch eine Tür in einen Flur. Links war eine Tür mit der Aufschrift »Privat«, rechts waren Herren und Damen WC. Er öffnete die Tür zu der Treppe nach oben, ließ sie offen und rannte mit schnellen Schritten ins Damen WC. Er musste wirklich dringend und schloss sich in einer Kabine ein. Jetzt war aber keine Zeit zum Pinkeln. Er hörte, wie draußen die Tür zur Herrentoilette aufgerissen wurde. Dann hörte er Martin leise fluchen. Martin lief rumpelnd die Treppen zu dem privaten Bereich hoch. Dann ertönte ein wütender Schrei.

Was jetzt? Warten (und pinkeln) oder fliehen? Martin entschied die Sache für ihn. Fluchend kam er die Treppe wieder runter. P. hörte kurzes Stimmengewirr im Café und dann ein heftiges Geklingel der Tür.

›Pinkeln kann ich später‹, entschied er und ging vorsichtig in die Gaststätte zurück. Alle Gäste schauten schweigend in seine Richtung.

»Dein Freund hatte es aber ziemlich eilig. Er hat deine Rechnung übernommen. Er hat, bevor er hier raus gestürmt ist, einfach einen Zwanziger auf den Tresen geschmissen und gerufen die Rechnung gehe auf ihn. Du müsstest das später bei ihm begleichen«, sagte die Bedienung mit einem vorwurfsvollen Blick.

»Ist er weg?«

»Ja, er dachte – warum auch immer – du wärst oben zur Balkontür raus gegangen. Übrigens ist das für Gäste verboten nach oben zu gehen. Das ist Privat!«.

»Ich war ja gar nicht oben, also ciao«, sagte P. und verließ den Laden so schnell als möglich. Schon wieder »rechts oder links?« Er lief schnell geradeaus über die Straße und in eine kleine Gasse in Richtung Innenstadt davon. Nachdem er sieben Querstraßen weiter war und einige Haken geschlagen hatte, verdrückte er sich in seiner Not in die Büsche eines verwahrlosten Spielplatzes und ließ der Sache ihren Lauf. Zum Glück dämmerte es schon und niemand konnte ihn sehen

Welches Buch? Er zermarterte sich den Schädel. Was wollten die von ihm. Wäre er nur zur Polizei gegangen! Plötzlich fiel ihm ein, dass an dem Abend des Mordes Bea etwas Braunes in der Hand gehabt hatte. War das ein Buch gewesen? Ein Rollbuch? So etwas hatte er schon mal gesehen. Aus Leder. Ziemlich schickes Notizbuch für ein Reisetagebuch. Zum Rollen. Hatte damals eine Freundin von ihm im Urlaub dabei gehabt. Nach ein oder zwei beschrieben Seiten hatte sie das gute Stück leider am Strand liegen lassen und sie hatten es trotz langer Suche nicht mehr gefunden. Hatte Bea so ein Rollbuch aus Leder in der Hand gehabt? Und das suchten die Mörder jetzt? Er bemerkte, dass er schon lange fertig war und kein gutes Bild abgab, wie er so dastand hinter dem Busch mit der Hose offen. Er musste Bea finden und die Sache mit ihr besprechen. Was steckte hinter dem Mord? Und warum sollte man wegen eines Buches jemand brutal überfahren?

Und um Gottes willen! Was passierte, wenn der gütige Martin merkte, dass er nichts von dem Buch wusste? Martin durfte ihn nicht wieder so leicht in die Finger bekommen. Woher hatte Martin überhaupt wissen können, dass er in dem Café war? Nach Hause durfte er auf keinen Fall gehen. Da warteten im schlimmsten Fall diese Bundfaltenhosen tragenden Büchernarren auf ihn. Wohin dann? Als erstes ging er zu seiner Bank und holte sich mit seiner Servicekarte soviel Geld wie möglich aus dem Automat.

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