Читать книгу Das Engel-Prinzip - Paul Eichendorff - Страница 9
ОглавлениеKapitel 2
Die feine »eng-lische« Art
»Moment mal«, hört man schon die Skeptiker rufen, »sind diese Engel denn überhaupt wirklich qualifiziert, unsere Vorbilder zu sein?«
Und die Antwort könnte wohl nicht deutlicher sein: »Ja, aber natürlich sind sie das!«
»Na, dann beweisen Sie uns das aber mal!«
Das wiederum geht natürlich – im wissenschaftlichen Sinne – nicht. Und ist trotzdem ganz leicht zu machen. Der »Beweis« ist in unseren Herzen. Er schlummert in unserer Sehnsucht und bedarf schon deshalb absolut keiner wissenschaftlichen Untermauerung.
Es ist nämlich nicht nur praktisch und sinnvoll, sondern auch bereichernd und schön, an Engel zu glauben. Das könnte doch eigentlich schon »Beweis« genug sein, oder? Wir müssen ja auch nicht wissenschaftlich beweisen, dass es schön ist, von jemandem umarmt zu werden, der uns liebt. Und der Begriff »Engel« ist weltweit Synonym für solche liebevollen Umarmungen und Handlungen, für all das Gute, das uns widerfährt, sei es überraschende Hilfe in ausweglosen Situationen oder wirksam gespendeter Trost in tiefer Trauer.
Und noch ein Beweis: Wenn wir über jemanden sagen, er sei »ein Engel«, dann ist das wohl das schönste Kompliment, das ein Mensch einem anderen machen kann.
Engel haben einen unglaublich guten Ruf. Es ist das Heilige, das Wundervolle und Gottesnahe, das ihnen stets anhaftet. Immer wenn es in Filmen, Literatur, Kunst und Musik darum geht, etwas wirklich Reines, Tugendhaftes, »absolut« Gutes darzustellen, werden folgerichtig Engel als Protagonisten oder wenigstens als Metaphern eingesetzt: Wenn das Menschliche versagt, müssen die Engel aushelfen.
Die Vorstellung von Engeln rührt uns, wahrscheinlich auch, weil sie uns einen Windhauch der Verheißung auf »Erlösung« in unser Leben weht. Engel stehen in unserem Leben für: »Alles kann doch irgendwie gut werden.«
Der Gedanke an sie bringt uns Hoffnung, Stärke und Trost. Die Gewissheit, dass sie »da irgendwo sind«, ermutigt und hilft uns über so manches unüberwindbar scheinende Hindernis hinweg.
Engel sind uns dabei auf geheimnisvolle Weise nah, obwohl sie doch gleichzeitig so fern scheinen. Sie wohnen irgendwo in unseren Herzen und zeigen sich immer dann, wenn wir bereit sind, unsere rationale Weltsicht für einen Moment an der Garderobe abzugeben. Natürlich, das sei hier gern noch zugegeben, gibt es auch Menschen, die solche Gedanken ganz abwegig finden und die behaupten, dass nur »trostsuchende Schwächlinge und überspannte Hippies an so etwas glauben«. (ein ehemaliger Kollege von mir hat das vor Jahren mal bei einem Betriebsausflug exakt so formuliert).
Aber das würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass Milliarden von Menschen auf der Welt »Schwächlinge und überspannte Hippies« wären. Unser Bundespräsident zum Beispiel. Oder Gandhi. Oder der Dalai Lama. Oder Yogananda. Oder der Papst. Oder Martin Luther King. Oder Jesus Christus.
Sie alle sind oder waren engelgläubig.
Fahren wir also fort in unserer Herzens-Beweisführung. Was qualifiziert die Engel also noch, uns als Vorbilder dienen zu können? Halten wir fest, dass sie unseren Seelen auf besondere Weise allgegenwärtig sind und dass sie schon immer Gegenstand unserer Sehnsüchte und Fantasien waren:
Immer wieder haben große Künstler herrliche Engelmotive und -geschichten erfunden, die unsere Herzen wohlig höherschlagen lassen. Ihre Engel begleiten uns durch die gesamte Kunst- und Kulturgeschichte der Welt wie wunderbare Freunde.
Genies wie Michelangelo und Chagall haben sie in herrlichen Farben gemalt, Dichter wie Dante und Milton sie in wunderbarer, poetischer Lyrik beschrieben und unzählige Regisseure von Frank Capra bis Wim Wenders haben ihnen in bewegenden Filmen Denkmäler gesetzt. Und wie so oft ist die Kunst nur Ausdruck dessen, was den Geist des Menschen durch alle Zeitalter und Generationen sehnsüchtig bewegt. Engel haben definitiv etwas, das wir sehr intensiv ersehnen: Sie sind für uns da, wenn unser Verstand nicht mehr reicht. Sie wissen Dinge, die wir nicht wissen. Sie kennen Lösungen, wo wir alleine nur im Dunkeln tappen. Faszinierend ist auch, dass sich nicht nur Kunst und Kultur einig darin sind, den Engeln einen Platz der äußersten Bewunderung einzuräumen. Sogar die Religionen der Welt sind sich, wie eingangs schon erwähnt, erstaunlich nah, was den Engelglauben angeht. Wir werden es an dieser Stelle natürlich (!) unterlassen, uns auf das riesige Schlachtfeld zu begeben, auf dem um die Vorzüge oder die grundsätzliche »Richtigkeit« der einzelnen Religionen gestritten wird. Betrachten wir doch stattdessen etwas ausführlicher die bemerkenswerte Tatsache, dass die drei großen monotheistischen Weltreligionen, also das Judentum, das Christentum und der Islam, allesamt an die Existenz und die Kraft von Engeln glauben. Und auch im Buddhismus, Hinduismus und den Religionen der Naturvölker finden sich zahllose Hinweise auf himmlische Engelwesen.
Der Koran z. B. spricht an zahlreichen Stellen von Engeln, Sure 35 führt »Die Engel« sogar im Titel. Zwei der Engel, die im Koran genannt sind, Michael (arab. Mîka’il oder Mîkal) und Gabriel (arab. Djibrîl), sind interessanterweise auch in der Bibel namentlich als Erzengel erwähnt und haben auch im Glauben von Juden und Christen einen festen Platz. Die islamische Überlieferung nennt außerdem viele weitere Engel. Darunter solche, die das Paradies bewachen und solche, die den Thron Gottes tragen. Die vielen Engel im Koran haben dabei alle eines gemeinsam: Sie dienen ihrem Schöpfer, Gott, mit ihrem ganzen Wesen, sie bringen seine Botschaft folgsam und demütig zu den Menschen.
Der frühe Buddhismus übernahm etliche Engelwesen aus dem Hinduismus (was auch insofern interessant ist, als dass beide Religionen ja nicht ausdrücklich an einen Schöpfergott glauben, dem diese Engel »zuarbeiten« könnten). Aber auch hier tummeln sich unzählige freundliche Schutz- und Dienstgeister, die dem Menschen Botschaften bringen, um ihm auf den richtigen Weg zu helfen. Die sogenannten Dakinis kommen dabei unseren »westlichen« Vorstellungen von Engeln am nächsten.
Im jüdischen Glauben und im Christentum haben Engel natürlich ebenfalls einen festen Platz. Eine Bibelkonkordanz formuliert das Wesen und Wirken der biblischen Engel folgendermaßen: »Engel sind Wesen, die bei Gott leben und ihm dienen. Sie sind seine Boten und begleiten Menschen in Schwierigkeiten, sie kündigen Ereignisse an und richten Verheißungen Gottes aus. Der Ausdruck ›Engel des Herrn‹ kann entweder einen Boten Gottes bezeichnen oder an einigen Stellen sogar Gott selbst, der sich in menschlicher Art und Weise offenbart.«
Auch in der Bibel sind also die Engel Diener und Boten Gottes. So steht etwa im Hebräerbrief: Alle Engel sind Wesen, die Gott dienen. Er sendet sie aus, damit sie allen helfen (…)
Welchen hohen Stellenwert die Engel für Juden und Christen außerdem gemeinsam haben, wird in einem Abschnitt der Apostelgeschichte deutlich, in dem auf eine der bedeutendsten Passagen des Alten Testaments Bezug genommen wird, nämlich der Übermittlung der Zehn Gebote. Dort heißt es:
»Mose wurde zum Vermittler zwischen unserem Volk und dem Engel, der ihm auf dem Berg Sinai das Gesetz Gottes gab. Mose sollte uns Gottes Gebote übermitteln, die allen das Leben bringen.«
Das bedeutet, dass Gott selbst also einen Engel benutzt, um seine fürsorgliche Weisheit – Synonym für das Leben! – zu uns, den Menschen, zu tragen, die diese wiederum an andere weitergeben sollen. Das ist ein sehr interessanter Aspekt, der später in diesem Buch noch überaus wichtig werden soll. Halten wir aber zunächst fest, worin sich die Überlieferungen einig sind:
Engel sind also Diener Gottes, sie sind offensichtlich dazu da, eine Verbindung zwischen der großen Schöpfungsordnung und uns Menschen zu schaffen. Sie sind Boten einer wundervollen und herrlichen Wahrheit und Weisheit, die sich uns aus eigener Kraft kaum erschließen würde, sie sind »Vermittler des Lebens«.
Und dabei ist ihre spezielle Aufgabe offensichtlich, uns beizustehen, zu helfen und uns immer wieder Orientierung und Wegweisung zu schenken.
Mal ehrlich, wenn wir das ernst nehmen, lässt das eigentlich nur den Schluss zu, dass wir ohne die Hilfe der Engel auf unserer Lebensreise wahrscheinlich ganz schön »verloren« und »verirrt« wären. Diese misslichen Umstände kennen ja nur allzu viele Menschen – zu denen ich mich auch selbst zähle – aus ihrem eigenen Leben ganz gut.
Eine weitere Bibelstelle aus dem Alten Testament illustriert das Ausmaß engelhafter Wegweisung ebenfalls sehr schön. Gott selbst kommt hier zu Wort und verspricht seinen Leuten ganz offen:
»Ich werde einen Engel vor euch her senden, der euch auf dem Weg bewahrt und in das versprochene Land bringt« (2. Mose, 23, 20).
Die Engel umgeben uns. Sie gehen vor uns her. Sie bewahren uns und führen uns ans Ziel. Und sie tauchen immer wieder auf, wenn es wirklich ungemütlich wird. Unsichtbar, aber doch spürbar.
Und sie wollen uns tatsächlich nur Gutes!
Wie könnten wir diese himmlischen Wesen unter diesen Voraussetzungen wohl nicht als persönliche Hoffnungsträger ins Herz schließen? Wie könnten wir sie nicht akzeptieren? Wie könnten wir es ablehnen, ihnen den Platz einzuräumen, den sie verdienen? Und wo, um Himmels Willen, außer in der Person Jesus Christus, sollten wir wohl bessere »Helden« finden, als in ihren geflügelten Reihen?
Wer könnte denn ein besseres Vorbild sein, als ein selbstloser, wohlmeinender, hilfsbereiter, von Gott persönlich eingesetzter und autorisierter Engel?
Mir fällt niemand ein.
Aber was hat das denn nun eigentlich mit der Frage zu tun, die dieses Buch stellt? Die lautet ja: Wie können wir eigentlich das Leben lieben?
Wir nähern uns der Antwort mit sorgfältigen und kleinen Schritten. Und stoßen bei der Suche nach jemandem, der uns die Lebensliebe vorlebt, wieder und wieder auf die Spezies der Engel. Sie eine Weile zu studieren und ihr Lebensprinzip zu verstehen, wird uns auf den Weg bringen, an dessen Ende die Antwort auf uns wartet.
Wir stellen also fest: Mal abgesehen von einigen abgefallenen und rebellischen Engeln, die ja interessanterweise ebenfalls in allen heiligen Schriften Erwähnung finden und sicher das genaue Gegenteil von geeigneten Vorbildern abgeben (weil sie laut Überlieferung unsere eigenen, zutiefst menschlichen Dummheiten ja eher noch auf die Spitze treiben), gibt es auf der ganzen Welt wohl keine besseren Vorbilder als jene guten Engel, um die es uns hier im Folgenden ausschließlich gehen soll: Sie tun und bewirken Gutes. Sie begegnen den Menschen in einer Haltung aus Demut und Liebe. Sie dienen, ohne etwas dafür zu erwarten. Sie ruhen in sich selbst, weil sie ihre Bestimmung kennen.
Sind sie damit nicht das genaue Gegenteil von dem, was wir in Kapitel 1 als negatives »Leistungsprinzip der Welt« erkannt haben?
Engel müssen scheinbar niemandem etwas beweisen und sie müssen nichts für sich haben, weil sie einfach »sind« und dabei schon »sie selbst sind«. Sie müssen auch keinem Schönheitsideal entsprechen, weil ihre Schönheit sich schon in ihrem Wesen findet. Engel wissen einfach, wer sie sind. Und sie lieben das Leben offensichtlich so sehr, dass sie ihr ganzes Streben darauf ausrichten, andere am Glanz ihrer himmlischen Erkenntnisse teilhaben zu lassen. Man könnte es auch so sagen: Engel gehen völlig in ihrem Job auf! Und der Job eines Engels ist ganz einfach, er selbst zu sein. Wie das geht? Erfahren wir etwas später. Akzeptieren wir diese wunderbaren Wesen für den Moment einfach als die besten Vorbilder, die wir uns vorstellen können.
* * *