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Irrfahrt zu Zweit

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Als ich endlich das Lüftungsgitter abstoße und dem Schacht entsteige hält der Räuber noch immer seine Waffe auf mich – von zwölf Schuss seines Magazins sind leider noch immer zehn übrig und das Verhältnis bleibt angespannt. Ich darf bei all dem Umgang nicht vergessen, das er wohl ein Psychopath ist und damit leben muss. Und obwohl ich in den letzten Jahren nicht wirklich viel von meinem Leben hatte will ich es dennoch behalten, wenn es irgendwie möglich ist.

Den Wagen zu holen, den der Gangster vor der Bank geparkt hat ist nicht möglich und er zeigt sich einverstanden einige Haltestellen mit dem Bus zu fahren. Da allerdings packt er mich am Ärmel und verschleppt mich zu einem geparkten Auto, dessen Scheibe er einschlägt, mich auf den Hintersitz verfrachtet und den Motor startet. Mit einer etwas holprigen Anfahrt geht es in zügigem Tempo auf das Gemenge an Polizei zu, die noch immer vor der Bank auf- und abläuft. Ich sehe gar nicht recht durch, aber irgendwie scheinen alle Besorgter zu sein, als wie ich es bin. Eigentlich begrüße ich diese Art von Abwechslung von meinem tristen Alltag und nehme mir vor, keinerlei Anstand zu machen und jeden nur erdenklichen Schritt mit dem Mann zu tun, der mich so rüde zum Ausflug eingeladen hat.

Während er sich auf die Straße konzentriert und versucht die Verfolger abzuschütteln suche ich nach einem Gespräch: »Wieso? Ich meine wieso tun Sie das hier?«

»Sagte ich nicht wegen des Geldes?«

»Dem Geld? Aber Sie denken doch wohl wirklich nicht, dass Sie das Geld so einfach ausgeben können, oder? Ich meine, die Scheine sind doch alle registriert.« Kurz dreht er sich zu mir um aber achtet dann gleich wieder auf den Gegenverkehr, dem wir auf der falschen Spur geradewegs entgegenfahren.

»Dafür habe ich doch Sie.«

»Mich?«

»Wenn ich Ihnen die Knarre an den Kopf halte wird man mir schon geben, was ich will.«

»Ja, vielleicht auf Zeit … aber ich bin doch nicht Ihre Kreditkarte.«

Wieder dreht er sich um: »Mein Ticket in die Freiheit sind Sie, aber ich kann Sie auch jetzt und hier sofort erledigen.« Seine Stimme klingt recht verklemmt, irgendwie, als wäre er nicht davon überzeugt, wie er seine Sätze hervorbringt. Und ehrlich gesagt ist es auch nicht die Art Bankräuber, die man fürchten muss: der Mann ist schreckhaft, verwirrt und geistig nicht recht auf dem Damm.

»Sie werden mich leben lassen. Überhaupt werden Sie jeden leben lassen, oder?«

»Schnauze.«

»Gehe ich recht in der Annahme, Sie hatten vor dem heutigen Tag weder schon einmal eine Bank überfallen noch mit Ihrer Waffe auf etwas gezielt, das sich bewegt?«

Kleinlaut gibt er bei, obgleich ich seine Worte schlecht verstehe, noch immer heult der Motor und die penetranten Sirenen dringen bis hier rein: »Sie haben recht, Mann, oft mache ich so etwas nicht.«

Vier Stunden mag die irrwitzige Fahrt wohl gedauert haben und zwischenzeitlich hat sich auch schon die dunkle Nacht über London und natürlich ganz England gelegt. Etwas auswärts hält der Mann an, ich für meinen Teil sitze noch immer gemütlich im Polster und hatte die gesamte Zeit die Tasche mit dem Geld auf dem Schoß. Wir haben nicht viele Worte gewechselt, aber ganz so wie im Film scheint unser Verhältnis nicht zu sein. Das Stockholm-Syndrom scheint für mich richtiggehend zu passen, obgleich ich diese Situation eher als für mich bereichernd empfinde.

»Raus aus dem Wagen«, schnauzt mich mein Entführer an.

»Gut, gut.«

»Wir wechseln den Wagen! Los, her mit der Tasche und vorangehen.«

»Einen Moment« wage ich ihm zu widersetzen »ich werde zu dieser Tageszeit nicht mehr umsteigen. Ob Sie nun mein Vormund in dieser Sache sein wollen oder etwa mit vorgehaltener Waffe für Angst und Respekt sorgen wollen, muss ich eben auch auf meine Gesundheit achten.«

»Was?«, blinzelt er drein, weil ihn das grelle Licht der Straßenbeleuchtung in den Augen schmerzt.

»Zuerst einmal wünsche ich ihren Namen zu kennen.«

»Hm?«

»Miles. George Miles ist der meine und ich stehe auch dazu. Denn wenn ich nun schon gegen meinen Willen gezwungen bin, in Ihrem kleinen nächtlichen Ausflug den Hampelmann zu spielen, können Sie doch wenigstens auch mir ein Stück entgegen kommen.«

»Stone. Mehr als diesen Namen gibt es nicht und nun lauf’ zu, Miles.«

Ich gehe einige Meter und drehe mich dann nochmals um: »Meine Unfallversicherung wird das hier nicht decken, oder?«

»Sehe ich aus wie ein Vertreter?«

»Entschuldigen Sie, aber ich sorge mich eben darum, wenn ich jetzt hier über Stock und Stein gehen muss und stolpere. Möglicherweise verstauche ich mir ein Bein und werde Ihnen dann auch nicht mehr von großem Nutzen sein …«

Während ich ihm von meinen Leiden kundtue, geht er die paar Schritte auf mich zu und hält den Lauf seiner Walther ganz nah an meine Wange, ganz so, dass ich die Kälte des Materials spüren und den unverkennbaren Geruch von Schießpulver riechen kann. Doch, jetzt kocht auch in meinen Adern das Blut hoch und mein Innerstes fängt zu beben an. Äußerlich zeige ich davon keinerlei Anzeichen, bleibe nur recht starr, regungslos und wortkarg stehen – er wird mich doch nicht meiner Besorgnis wegen umbringen wollen. Dabei sorge ich mich doch auch um seine Kosten, die ihm entstehen werden, wenn ich mir etwas breche und in der Arbeit ausfalle.

»Es geht jetzt noch ein Stück weiter, guter Mann. Und wenn Sie x-Mal stürzen, ist mir das egal. Sie sind hier die Geisel.«

Endlich tritt er von mir weg und meine alten Lebensgeister kehren zurück. »Nun ja, wenn Sie mir …«

Er unterbricht mich: »Ruhe jetzt!«

»… Wenn Sie mir sagen würden, wie eine Geisel in meiner Lage reagiert, dann könnte ich vielleicht dementsprechend eine überzeugendere Darstellung bieten. Aber Sie müssen wohl entschuldigen, Stone, den Lehrgang habe ich verpasst, in dem uns Reaktionen in Situationen wie dieser beigebracht werden sollten.«

»Scheiße!«, schreit Stone in die kalte Nacht. »Warum, warum?« Er geht einige Stücke zu einem Zaun, auf den er seine Hände aufstützt und seinen Kopf gegen seine Brust drückt. Irgendwie wirkt er hilflos, als wüsste er ebenfalls nichts mit mir, mit sich und dem ganzen verkorksten Abend anzufangen. Dann aber berappt er sich und packt mich beim Arm – wir laufen die paar Meter zum Wagen zurück und setzten uns hinein, dann sichert er seine Waffe, steckt Sie ins Handschuhfach und wendet sich an mich …

»Ich meine wirklich« ihm steigen Tränen in die Augen »noch nie in meinem Leben habe ich einen derartigen Plan in die Tat gesetzt, habe mich jahrelang immer wieder nur mit Bagatellen zufriedengegeben, gehörte nie zu den wirklich Guten im Geschäft. Und jetzt, nach dem ich zwei beschissene Millionen geklaut habe die nicht einmal was Wert sein sollen, gerate ich auch noch an so einen eiskalten Typen, der mir nicht den kleinsten Funken an Respekt zukommen lässt. Ich habe doch …« Er ist der depressivsten aller tränenreichen Verfassungen nahe »Ich habe doch wirklich gedacht, diesmal den großen Reibach zu machen. Sie mögen verstehen, so mit Geiseldrama und dem Bild ganz groß auf der Titelseite. Was für ein Reinfall.«

»Oh, bitte entschuldigen Sie, ich hatte wirklich nicht die Absicht, Ihnen Probleme zu bereiten. Das nicht«, versuche ich zu erklären, aber er winkt nur ab.

»Gehen Sie, ich werde Sie nicht und auch die Polizei nicht aufhalten, die Sie bald verständigen werden. Nein, nicht einmal von der Stelle hier werde ich weichen, weil ich einfach scheiße im Klauen bin. Den ganzen Berufszweig muss ich an den Nagel hängen.« Er nimmt seine Pistole wieder aus dem Handschuhfach heraus und wirft Sie durch das offene Fenster auf den Rasen neben dem Wagen.

Für einen Moment nur habe ich gedacht, nun endlich Herr der Situation geworden zu sein und das Auto auf schnellstem Wege verlassen zu können. Womöglich, wenn ich nur einmal in die Zukunft zu blicken wage, wenn ich eben diese Eventualität beim Schopfe gepackt hätte, ließ sich mit einigem Glück auch die Waffe bergen und im nahen Gasthof, den wir kurz vor dem abgelegenen Seitenarm einer Umgehungsstraße passiert hatten die Polizei verständigen. Ich wäre wohl der Held auf den Boulevardblättern dieser Stadt und möglicherweise auch ganz Englands geworden, aber ich entscheide mich zu bleiben: »Stone, ich werde jetzt nicht gehen. Ich bleibe hier ganz bei Ihnen und werde auch sicherlich einiges für Sie zu tun wissen.« Er blickt auf und jetzt wie versteinert einerseits und fragend anderer Hand in mein Gesicht, dass ich zwischen die Lehnen der vorderen Sitze gepresst habe. »Der erste Umgang mit Ihnen erwies sich als Flop, nun wollen wir einen zweiten Anlauf wagen, nicht?« Ich strecke ihm meine Hand hin: »George Miles.«

Erst noch etwas unbeholfen mit seinen Gesichtszügen, entspannt sich sein Antlitz zusehend und auch er reicht mir seine Hand: »Jim Stone. Wirklich.«

»So, und nun holen Sie die Waffe wieder rein. Ich möchte die hier wirklich ungern liegen lassen.«

»Ja, ja, ist recht.«

Im hohen Gras ist Nachts wirklich schlecht zu suchen, aber glücklicherweise hatte ich nicht wie geplant den grauenhaften Schlüsselanhänger, den mir ein Warenhaus als persönliches Geschenk zukommen ließ, abgenommen, sondern stets das kleine unförmige Ding mit mir geführt – unter anderem mit einer winzig kleinen Lampe drin. Hell genug für das Gras hier macht Sie jedenfalls.

»Ich will, das Sie die Waffe an sich nehmen George. Ihnen vertraue ich Sie an, so weiß ich, wie ernst Sie all das hier meinen.«

»Ich wusste nicht, dass wir bereits zum Du übergegangen sind …«

»Nicht?«

»Doch, jetzt Jim.«

»Dann nimm Sie jetzt.«

»Herrgott so ein Ding, woher weiß ich’ s denn, ob Sie nicht einfach losgeht.«

»Da ist der kleine Bolzen«, deutet er mir darauf tippend an.

»Die Sicherung, nicht?«

»Hm.«

Weiß Gott eine irrwitzige Situation bahnt sich an, in der ich mich einer Waffe befähige und langsam die Bekanntschaft Jim Stones mache, eben mit meinem Entführer und dem Bankräuber, über den die morgigen Zeitungen titeln werden. Vielleicht aber sollte genau dieser Umstand eintreten, damit ich mein Leben wieder in die Reihe bekomme, als heute Morgen der Bus vor mir abfuhr, das Taxi Schaden nahm und mich der Chef zu erneuten Überstunden drang. All das führte letztendlich dazu, dass der Räuber genau mich zur Geisel nahm … hätte ich meinen Wecker nicht überhört, säße ich derzeit wieder am Küchentisch, hätte mein Brot gegessen, wäre dann zu Bett gegangen und an nächsten Morgen wieder demselben Trott gefolgt, als wie am Vortag und wiederum dem davor.

Auffällig nervös sitzt Jim am Steuer vor mir und zuckelt hin und her, immer in die tiefe Nacht starrend. Dann endlich traue ich mich wieder, ihm einen Vorschlag zu unterbreiten: »In der Herberge …«, wende ich mich an ihn.

»Hm?«

»Da, an der wir vorbeifuhren, dort wird sicherlich keine Streife nach uns suchen, oder Jim.«

»Ein Bett käme recht.«

»Dann wollen wir’ s einmal versuchen. Ganz unauffällig meine ich. Als Reisende eben.«

Jim startet den Motor und lässt ihn aufheulen. Der Rückwärtsgang scheint ein wenig zu klemmen und viel scheint auch nicht mehr im Tank zu sein – Regel Nummer eins: stehle immer einen Wagen, dessen Tank gut gefüllt ist. Trotzdem sollten die paar hundert Meter noch zu schaffen sein. Gekonnt manövriert Jim das Auto aus dem Gebüsch zurück auf die kleine Landstraße, der wir dann folgen. Das gleißende Scheinwerferlicht wirft kreisrunde Lichtkegel in die Dunkelheit und weist uns den Weg – Londons Lichter erhellen das ganze Firmament. Ein wunderbares Schauspiel, dem ich noch nie gewollt war zu begegnen; so spät hatte ich London das letzte Mal vor langer Zeit verlassen, man ist eben doch eher gewöhnlich.

Links und rechts huschen die Barken an uns vorbei und dann und wann ein weiterer einsamer Fahrer hier, die Autokolonnen ihrerseits nutzen viel lieber die Autobahn, die wir aber nach Jims außergesetzlicher Handlung meiden müssen, Sperrungen im Umkreis von mehreren Kilometern sind allemal üblich. Der Beschluss, im stadtnahen Raum zu nächtigen und nicht noch weiter ins Land zu fahren hat damit eben auch seine Vorteile … Kurz vor Mitternacht gelangen wir schließlich am einsamen Gasthaus an, die Rezeption scheint noch erleuchtet.

»Das Geld?!«, ruft Jim mir zu, als wir schnellen Schrittes das geparkte Auto Richtung Herberge verlassen.

»Lassen wir es dort drin. Da wird es schon keiner vermuten. Und wenn schon, ich sagte bereits, das es markierte Scheine sind.«

»Abend, die Herren«, meint der Mann hinter der Rezeption etwas verhalten. Er wirkt auch nicht recht vertraut in diesen Dingen, ist vielleicht nur als Aushilfe angestellt. Nachtbetrieb ist eben nicht die Hochzeit ankommender und gehender Gäste.

»Abend. Wir brauchen zwei Zimmer bitte.«

»Zwei?«

»Dachten Sie …«

»Oh bitte, entschuldigen Sie den peinlichen Zwischenfall. Aber zwei Einzelzimmer habe ich dennoch nicht frei«, erklärt er im Computer nachsehend.

»Keine?«

»Nun, ein Zweibett- und ein Dreibettzimmer sind noch im Angebot, die restlichen sind leider ausgebucht.«

Ich rede Jim gut zu: »Dann wollen wir uns damit begnügen, in zwei einzelnen Betten zu schlafen. Ich meine, ist doch nur für eine Nacht.«

»Ja, es lässt sich da bestimmt etwas arrangieren.«

»Sicher«, schaltet sich der Portier dazwischen: »Alle Doppelbetten lassen sich auseinander rücken, Sie müssen nicht Mann an Mann schlafen.« Er grinst drein.

»Wir nehmen es«, sage ich spontan und reiche meinen Ausweis hin.

»Auf Ihren Namen, Herr Miles?«

»Hm.«

Stone konnte wohl schlecht die Bezahlung übernehmen und damit das ganze Unterfangen zum Scheitern bringen. Zwar war es noch immer riskant, aber ich ging einfach davon aus, das Fernsehen hätte meinen Namen nicht genannt. In jeder Hinsicht ist doch der Schutz der Geisel zu wahren. »Muss man in Vorkasse gehen?«

»Können Sie. Oder lassen Sie’ s sich auf die Rechnung setzen, dann können Sie uns das Geld auch innerhalb der nächsten zehn Tage nach Ihrem Aufenthalt hier überweisen«, weist der Portier mich darauf hin.

»Fein.«

Ich nehme den Schlüssel an mich und wir steigen die Stufen in den zweiten Stock, in dem unser Zimmer liegen soll. Allen Anscheins nach ist es eines derer mit Sicht auf die Straße, da wir aber aus rein praktischen Gründen hier nächtigen wollen, sollte uns die Lage des Zimmers nicht weiter stören. Viel eher könnte man daraus einen Vorteil erachten und immerzu ein Auge auf die Vorgänge vor der Pension haben.

Das Zimmer ist geräumig und hat für zwei Mann genügend Platz. Das Bad ist reinlich, obgleich nicht mit dem eigenen Daheim vergleichbar, da fehlen eben so die normalsten Dinge, an die wir in aller Eile natürlich nicht gedacht haben. Ich meine, wer hätte schon damit gerechnet entführt zu werden. Aber was soll es, dann ist man halt auf den nächsten Überfall vorbereitet und hat an der Arbeitsstätte stets einen Koffer mit frischer Wäsche, Schlafzeug und Kulturbeutel parat. Meinen Chef würde das zwar leicht bis mittel, vielleicht schwer aufstoßen, doch sicher ist sicher. Ich ziehe mein Jackett aus und lege es über die Stuhllehne, den Kragen meines Hemdes lockere ich und die Krawatte lege ich zum Jackett, dann setze ich mich auf die Bettkante und stütze mich auf die Knie. Auch Jim macht sich frei und legt seine Jacke ab, die er heute getragen hatte und setzt sich anschließend auf die andere Seite des Bettes. Mit dem Gedanke, einen Bankräuber mit sich im Zimmer zu wissen sollte man doch eigentlich zur blinden Panik finden, aber ich will den Mann besser kennen lernen und will auch versuchen, mich in sein Leben zu versetzen.

»Wegen des Geldes, ja. Aber von allein bist du doch nicht zum Klauen gekommen, oder?«, spreche ich ihn offen darauf an.

»Nicht wirklich, nein.«

»Und?«

»Wie?«, er blickt ungläubig in mein auf seine Geschichte gespanntes Gesicht: »Das willst du jetzt allen Ernstes wissen.«

»Nein, natürlich nicht. Ich meine, ich verbringe hier doch nur meine Ferien und gehe brav zehn nach zwölf zu Bett. Morgen früh dann laufe ich, nein, laufen wir mit den anderen Gästen zum Frühstück und tätigen dann eine kleine Sightseeingtour … aber sicher will ich’ s wissen, weil man nicht einfach so zum Bankräuber mutiert und ich in meinen Leben noch nie die Chance hatte, mit einem zu sprechen.«

»George, die Welt ist eine Schlechte.«

»Weiß ich.«

»Und wenn man darin etwas Gutes vollbringen will, ist das so gut wie nutzlos. Ich meine, wer interessiert sich schon für die abertausend arbeitenden Menschen, die Tat für Tag im Büro, auf dem Bau oder dem Gewerbe Ihr Brot mit harter Arbeit verdienen müssen?« Jim lässt eine kleine Pause, um seinen Worten Wirkung zu erteilen und selbst erst einmal Luft holen zu können. »Ich selbst habe dem schon vor vielen Jahren abgeschworen.«

»Was warst du vorher?«

»Elektroniker.«

»Wo?«

»Mal hier und mal dort, hatte nie eine richtige Anstellung. Auf Zeit habe ich immer wieder kleine Arbeiten angenommen und bei Firmen meist nur ein Projekt bearbeitet.«

Ich gehe in mich und frage mich, weshalb es immer das Falsche sein muss. Da geht man zur Arbeit, Jahr für Jahr und weiß sich darüber zu beklagen, wie eintönig doch die Welt ist. »Und nach dieser Zeit, Jim?«

»Wenn man mit Arbeiten aufhört, und so …« Er steht auf und läuft zum Fenster. Dort zieht er den linken Vorhang etwas zur Seite um sich einen freien Blick auf die Straße zu ermöglichen. »Ja, dann lässt man eben auch andere Dinge an sich rann, denn Geld muss her.«

»Ja, verstehe. Erst ein kleiner Diebstahl hier, dann ein Überfall dort und schon sieht man sich als Bankräuber auf der Titelseite einer Bunten wieder«, werfe ich ein, weil ich glaube, seine Geschichte verstanden zu haben.

»Nein, nein.« Er schüttelt mit dem Kopf. »Die Stütze vom Staat hätte da schon erst einmal gereicht. Immerhin ist man ja bescheiden, aber …«

»Aber?«, betone ich.

»Aber da gibt es noch so andere Sachen, die dich mächtige Summen kosten.« Er setzt sich wieder auf seine Bettkante und reibt sich sein rechtes Auge.

»Andere Sachen?«, wiederhole ich ungläubig.

»Stoffe.«

»Andere Stoffe?«

»So Sachen, die einen schnell abhängig machen und schon ist man der Außenseiter unter den Außenseitern. Das Verhält sich ganz so, als wenn du unter den Gemobbten bist, die sich nicht ausheulen sondern schön weiter auf sich eindreschen lassen. Immer und immer wieder.«

»Drogen?«

»Mit Alkohol fängt es langsam an, aber schon bald greift man zu härteren Dingen. Die Spirale dreht sich unaufhaltsam und mahlt Mensch für Mensch zur Saat des Bösen, einmal philosophisch ausgedrückt.« Er lässt sich nach hinten fallen. »Hilfe wird nicht geboten. Selbst im Knast bekommt man kaum die Möglichkeit, seine Sucht hinter sich zu lassen. Zwar helfen Behandlungen und Therapien fürs Erste aber bald schon fällt man zurück ins Muster.«

»Gefängnis?«

»Fünf Jahre wegen mehreren Einbrüchen und Beschaffungskriminalität.«

Tief legt sich die Nacht über das ganze Land, als die Uhr eins zeigt und das Licht in unserem Zimmer noch brennt. Einige belegte Brote ließen sich an der Rezeption auftreiben und dienen als spätes Mitternachtsmahl – das letzte Mal hatte ich noch in der Bank gegessen, Jim am Morgen des Tages. Er wirkt nicht wie der Typ Bankräuber aus dem Film, ist meist verängstigt und lässt sich auf mich ein; ich merke wie ihn ein Umstand quält, nach dem er nicht aufhören aber auch nicht wirklich leben kann. Man liest oft vom Vorgehen anderer Räuber und Kidnapper in den Tageszeitungen, den Magazinen und den Illustrierten. Jim aber ist ganz anders, ist zutraulich und gleichermaßen beunruhigt von der Situation, als ich es bin – irgendwie lässt sich das sogenannte Stockholm-Syndrom, bei dem die Geisel mit ihrem Geiselnehmer kooperiert und sympathisiert in unserem Verhältnis umkehren. Hätte ich in der Bank nicht eingegriffen, wäre es jetzt schon vorbei, doch irgendwie will eben auch ich meinen Teil aus der Gleichung ziehen und neuen Mut fassen, mein Leben auf die Reihe zu bekommen … Ein gänzlich anderes Problem sollte aber wichtiger sein und Jim Stone betreffen.

»Jim, bist du es noch?«

»Abhängig?«

»Nun ja, es ist nicht so …«

»In gewisser Weise schon, aber eben jetzt anders. Vor drei Jahren hatte ich meinen letzten Entzug und habe dem Scheiß abgeschworen, das Verlangen nach ungesetzlichem ist mein neues Laster.«

»Wegen des Verlangens war der Überfall inszeniert?«

Jim setzt sich jetzt wieder auf: »Ach, das scheiß Geld ist doch nur notwendiges Übel. Ich bin dem nicht mehr mächtig abzusagen, kann mich vom Klauen und Rauben nicht mehr lösen und werde irgendwann daran kaputt gehen.« Er muss aussetzen. »Ich kann nicht mehr.«

Ich lösche das Licht und lege mich auf das Bett, meine Hose fein säuberlich auf die Kommode neben dem Wecker abgelegt und ziehe die Decke bis zur Brust. Die Nacht ist kalt, überhaupt alle Nächte der letzten Woche waren unglaublich eisig, dass ich nicht einmal ein einziges Fenster auflassen konnte und dennoch fror. Irgendwie muss das mit der kalten Strömung zusammenhängen, die weit vom Meer draußen auf die Insel drückt. Zum Schlafen ist bei mir die Luft raus oder besser gesagt zu viel an Gefühlen da – meine Augen reise ich kaum das ich sie geschlossen habe wieder auf, nein, an Schlaf wird wohl heute nicht zu denken sein; auch Jim liegt wach und dessen Stirn ist schweißgebadet. Krampfhaft versucht er sich zu beruhigen aber hat keine Chance, es muss ihn wohl wieder übermannen und mitreisen. Schon in der Bank hatte ich das Gefühl, dass dieser Mann nicht recht weiß was er will; da war zwar zum einen das Geld, auf das er es abgesehen hatte, aber eben auch seine große Angst vor einem Leben im Gefängnis, oder einem Leben überhaupt dem gleich, das er führt.

»George, hast du nicht auch manchmal das Gefühl, einfach fortgehen zu wollen – fortzugehen und nimmer wieder zu kehren?«, wendet er sich mit zaghafter Stimme an mich, ich stelle das Licht der kleinen Nachttischlampe wieder an.

»Schon so einige Tage sind nicht verheißungsvoll und ganz oft eigentlich nehme ich mir die Kündigung vor. Was soll’ s, ich werde es doch nicht tun.«

»Warum nicht?«

»Na ja, wenn ich einfach Mal genügend Selbstvertrauen in mich setzen würde, hätte ich meinem Chef schon vor langer Zeit die Meinung gegeben, die ich von ihm habe.«

»Wo lebst du?«, weicht er ab.

»Dover Street in London.«

»South Trailroad. Und das war heute ein gutes Stück mit dem Wagen.«

»Und wieso gerade die Harrow Bank?«, dränge ich, von ihm zu erfahren und sehe ihn geradewegs ins Gesicht, das seitlich von der Lampe beschienen wird.

»Weiß nicht, habe eben von ihr in der Zeitung gelesen. So als Umschlagplatz von großen Geldsummen aus anderen Filialen.«

»Wohl wahr.«

Das die Harrow Bank eines Tages in das Wesir eines Bankräubers geraten würde hatte ich immer ausgeschlossen und auch auf die Bedenken meiner Eltern bezüglich meiner Arbeitsplatzwahl mitten in London erklärt, dass es einige Hundert von ihnen gibt und sich die Überfälle noch auf ein angenehmes Maß beschränken. Natürlich war man stets in Sorge, als man von erneuten Überfällen hörte und auch davon, dass die Polizei wieder vor dem Rätsel einer Geiselnahme stand. All das aber schien bis gestern für mich noch als absolut realitätsfern, als ein Ding der Unmöglichkeit. Man hatte eher einen Scherz sich erlaubt und Freunden und Verwandten einen Witz über die Untergrundaktivitäten erzählt. In Wirklichkeit aber müssen Gangster genau von solchen Leuten die Bankgeheimnisse studieren: wie viel Geld wohl so im Durchschnitt der Tresor birgt, welche Sicherheiten auftreten und, und, und. Vor allem aber musste die Runde gemacht haben, dass der kleine fiese Chef die Alarmanlage wegen enormer Stromkosten abstellen ließ. Prompt läuft eben auch uns einer dieser Bankräuber ins Haus.

»Ich bin nicht dazu geboren, George.«

»Nein, gewiss nicht.«

»Verdammt! Mir fallen noch nicht einmal die dämlichen Sprüche ein, mit denen Kriminelle so um sich schmeißen: ‘Hände hoch und alle auf den Boden’ sind bei mir keine Spontanität sondern bestenfalls nachgeredet von dem, was man so aus Filmen kennt.«

»Authentisch war’ s.«

»Ja?«

»Ja.« Ich lege mich zurück auf den Rücken und versuche erneut meine Lieder zusammenzupressen. Wieder gelingt es nicht.

»Ich werde heute Nacht kein Auge zu tun.«

»Ich ebenfalls nicht«, bemerke ich flugs, bevor er mir nochmals unmissverständlich klarzumachen versucht, was er mit mir und mit sich und der ganzen Sache vorhat.

»Ich werde dir nichts tun, George, und du kannst gehen. Gehen, wann immer du willst und wohin du willst. Anfangs dachte ich vielleicht, dass ich mit einer Geisel aus der Geschichte herauskommen und mit dem Geld abhauen könnte, aber du zeigst mir einen besseren Weg. Denn ich möchte nur eines, wenn du gehst: rufe die Polizei und nehme die Waffe an dich, weit fort, dass ich meiner gerechten Strafe zugeführt werden kann. Ich wäre dir deswegen dankbar, wenn Morgen früh die Polizei hier die Hütte stürmen und mich festnehmen würde.«

»Jim, ich werde nicht gehen.« Ich setze aus und lasse ihm einen Moment, in dem er sich klar über das werden kann. »Ich für meinen Teil bin endlich dem tristen Alltag entflohen, habe auch endlich keine Angst mehr vor dem, was wir in unserem Verbund zu tun gedenken und werde unter keinen Umständen schon jetzt in mein altes Leben zurückkehren, nur um in wenigen Tagen wieder der Depp in der Bank zu sein, zu dem alle sein dürfen, wie sie nur wollen.«

»Hm.«

»Ein irrwitziger Zufall hat uns zusammengeführt und ich stehe kurz davor, vielleicht für mein Leben wichtige und außergewöhnliche Bekanntschaften zu schließen, wie mit dir. Also warum bitte sollte ich unsere Hatz jetzt schon beenden wollen?« Jim legt sich wieder und dreht sich auf die Seite zu mir; am Nachthimmel steht noch immer die Dunstwolke der Lichtverschmutzung der abertausend Lichter Londons und versperrt den Blick auf unser Sternenzelt. Es ist eben das Los, wenn man in der Stadt lebt und kaum raus kommt. »Tief im Inneren, Jim, liegt auch dein Wille, jetzt noch nicht gefasst zu werden, sondern durchzukommen.«

»Ach, unmöglich.«

»Ich habe mich entschieden und wenn du willst, dass ich zur Polizei gehe, dann sei einfach Morgen früh nicht mehr hier. Dann will ich es auch genauso machen, wie du verlangst.«

»Meine Entscheidung?«

»Deine, Jim.«

»Ich werde nicht gehen können.«

»Wieso nicht?«

»Die Angst mich von hier weg zu bewegen ist einfach zu stark, als dass sich mein Wille gegen diese durchsetzen könnte. Ich bin nicht der Typ Mensch …«

»Aber bringt es fertig, eine Bank zu überfallen. Ich verstehe nicht ganz.«

»George, es ist wie eine Droge. Wenn ich auf Entzug bin verlangt mein Geist nach Befriedigung und nach dem, dass ich stehle. Nur so kann ich mich von den Drogen fernhalten und nur so kann ich überhaupt noch mit meinem Leben klar werden. Sollte das Wegbrechen, würde ich wohl an meiner eigenen Angst zu Grunde gehen.« Er hält kurz inne. »Es ist nicht so, dass ich nur auf den richtigen Moment vor der Bank gewartet habe, sondern mich nicht traute. Schon früh wollte ich, entschied mich dann aber wieder zu fahren … So ging das, bis ich den Entschluss gefasst hatte und eben tat, um mich zu befriedigen.«

Wir blicken beide schnurgerade zur Decke, obgleich sich nicht wirklich etwas Besonderes dort abzeichnet, scheint es ein guter Punkt für unser Gespräch zu sein, an dem sich die Diskussion vereint und auf uns zurück prasselt. Ich zumindest hatte nicht damit gerechnet, einmal eine Ausfahrt mit einem Bankräuber zu machen.

»Die Pistole? Wo hast du sie?«, fragt mich Jim.

»Im Jackett dort, aber ich habe nicht vor, sie nochmals anzufassen.«

»Hole sie hier zum Bett.«

»Nein. Dort ist sie mir sicherer aufgehoben.«

»Unser Spiel«, er scheint eben und durch mich neuen Mut zu fassen, »ist noch nicht vorüber und nun wollen wir auch für unsere Sicherheit sorgen, oder.«

»Ja schon, aber dort im Jackett ist mir die Waffe am liebsten.«

Ich weiß das er nur darauf aus ist, dass ich ihm die Waffe zurückgebe – so ganz offiziell eben. Das aber habe ich nicht vor, weil ich ihn sehen möchte, wie er sie sich einfach zurücknimmt. Immerhin ist es doch seine und mich tangiert nicht wirklich, ob sie nun im Jackett steckt oder bei ihm auf dem Nachttisch liegt. Fakt ist, dass derzeit diese Pistole mit zehn Schuss die einzige Verteidigung ist aber weder ich noch Jim vorhaben, sie abzufeuern.

»Das Geld hätten wir wenigstens mit hier herauf nehmen können. Dort unten im Wagen ist es vor nichts und niemand sicher«, bemerkt er beiläufig.

»Wenn es am morgigen Tag weg wäre, hätten wir zumindest ein Problem weniger, findest du nicht.«

»Nein, irgendwie nicht wirklich.«

»Wir müssen uns des Geldes entledigen. Die markierten Scheine würden sonst sofort die Aufmerksamkeit auf uns lenken. Ich weiß selbst gut genug wie schwer es ist, sich von Geld und dann auch noch dieser Menge zu trennen, erachte aber Freiheit als das wichtigere Gut.«

»Trotzdem. Erstmal könnte man doch …«, sinniert er, aber ich schreite ein: »Nein. Nicht einen der Scheine werden wir ausgeben.«

Endlich gibt Jim Ruhe und lässt auch mich ein wenig Kraft tanken. Ob einer von uns beiden am nächsten Tag nicht mehr aufwachen oder weg sein wird, oder vielleicht doch dem Portier unsere eigenartige Weise einzuchecken aufgefallen ist und er die Polizei verständigt hat, oder eventuell auch von ganz allein eine Streife auf das Geld gestoßen ist, wird sich zeigen, doch für das erste lässt man es dabei bewenden. Nur noch einmal stehe ich auf und banne die Straße mit ihren Laternen und den Motorengeräuschen vereinzelter Wagen und Londons Lichtglocke aus dem Zimmer – die Jalousien muss man zugeben sind nicht schlecht und man müsste ernsthaft darüber nachdenken, solche auch zu Hause anzubringen. Dort stören mich die Nachbarn wirklich täglich mit ihren nächtlichen Fernsehorgien. Im übrigen hatten wir das Doppelbett nicht auseinander gezogen und liegen nun dicht an dicht. Wieso auch nicht, es ist immerhin nur für eine Nacht. Morgen früh schon müssen wir weiter, wie auch immer wir von hier entkommen wollen, denn der Tank ist bis auf den letzten Tropfen leer geworden.

Irgendwie gelingt es dann doch und man findet unter den eigenartigen Umständen gegen halb zwei ein wenig Schlaf, wenn auch jedes kleinste Geräusch Angst durch die Glieder jagt. Ich denke wirklich, an einen der besten Bankräuber geraden zu sein und ihn, sollte ich das Inferno – dass uns noch bevorstehen sollte – überleben, immer als Menschen ansehen werde, ganz gleich wie ihn die Welt und das Gesetz bestrafen wird. Meinetwegen bleibe ich der einzige Besucher Jims im Gefängnis, das für ihn unausweichlich erscheint.

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