Читать книгу Die Rose Feuerzauber - Paul Oskar Höcker - Страница 8
ОглавлениеMinna kam am Abend nicht, kam auch weder am Mittwoch noch am Donnerstag. Ein Depeschenwechsel mit Tante Trude folgte. Endlich traf die telegraphische Nachricht aus Pyrmont ein, dass Minna Freitag abend zu Tisch zurück sein würde.
Der Kommerzienrat suchte seine Verärgerung zu verbergen. Aber auch in den verschiedenen geschäftlichen Auseinandersetzungen, die es in der Fabrik gab, zeigte er sich wenig zugänglich. Die Buchhalter und Ingenieure, die Werkführer und Lagerinspektoren wussten jede Muskelbewegung in seinem Gesicht zu deuten. Wer ihm heute ausweichen konnte, der tat es.
In den Tagen, in denen der Geschäftsbesuch aus Schottland ihn sehr in Anspruch nahm, hatte Fritz keine Gelegenheit gefunden, sich zu einer eingehenden Besprechung zu melden. Heute liess E. F. W. ihn rufen.
Er war überrascht, dass Fritz den Auftrag, der mit zahlreichen Besuchen in ganz Berlin verknüpft gewesen war, bereits prompt erledigt hatte. Für die feine Kritik, die Fritz an verschiedenen Konkurrenten, Vettern und Namensvettern übte, hatte E. F. W. ein ebenso feines Lächeln. Es freute ihn, dass sämtliche Nidders auf seinen Vorschlag eingingen. Die Garantiesumme hatte sich noch erhöht. Einstimmig wurde ihm der ehrenvolle Auftrag, die Vertretung der Firmen Nidders zu übernehmen, d. h. seinen Notar mit dem Entwurf eines Vertrages zu betrauen. „Nun gebe nur das gütige Geschick“, sagte E. F. W. trocken, „dass der Garantiefonds niemals auch nur mit einem halben Prozent in Anspruch genommen werden muss. Sonst setzen die sich alle wieder auf die Hinterfüsse und strengen Prozesse an.“
„Es wird gewiss in der ganzen Geschäftswelt einen glänzenden Eindruck machen“, meinte Fritz, „dass von den Nidders allein über eine Viertelmillion garantiert wird. Und zeichnet Rolf Nidders wirklich seine achtzigtausend, worüber er sich morgen nach der Börse entscheiden will — —“
„Er ist zweifellos an der Geländespekulation in Witzleben beteiligt“, warf der Kommerzienrat ein.
„— — dann sind es im ganzen sogar zweihundertneunzigtausend Mark.“
E. F. W. strich sich den kurzen Graubart. „Füllen wir es zu dreihunderttausend auf! Das ist eine runde Zahl. Und es ist dieselbe Summe, die von der Stadt Berlin aufgebracht wird. Das heisst: nicht etwa für den Garantiefonds, sondern als richtiger barer Zuschuss. Stadtrat Mensing hat mich eigens deswegen aufgesucht. Dachte, ich würde ebenso erschrocken sein wie er. Die politischen Drahtzieher sind schon wieder in allen Lagern an der Arbeit. Es kann einem beinahe den Geschmack verderben ... Übrigens habe ich für heute abend nach dem Essen Kegeln angesetzt. Bisschen Bewegung tut einem not. Quandtner, Höllisch und Fresenius kommen mit ihren Damen. Die können ganz lustig sein. Höllisch versteht etwas von der Kunst, Bowlen zu brauen. Wenn er dich bittet, ihm behilflich zu sein, dann lasse ihn schalten und walten. Nur falls er die Bowle im letzten Augenblick wieder mit Kognak totschlagen will, wie schon im Winter einmal, dann greife rücksichtslos ein. — Dora hat mir versprochen, zu Minna nett zu sein. Hoffentlich seid ihr heute abend also, wenn Minna zum erstenmal wieder dabei ist, alle recht vergnügt.“
... Die Arbeit für Fritz war in der letzten Woche stark angestiegen. E. F. W. hatte ihm, da eine schlimme Regenzeit für Berlin gekommen war, das kleine Coupé zur Verfügung gestellt. Es folgte eine Fahrt, eine Besprechung der andern. Die Grosszügigkeit der ersten Anwandlung hielt bei den Zeichnungen nicht an. Als die Summe, die die Firmen Nidders für den Garantiefonds zu zeichnen bereit waren, in den Tageszeitungen genannt wurde, meldeten sich bei ihnen allen entsetzte oder doch besorgte Geschäftsfreunde, die über die Aussichten einer Berliner Ausstellung die erschütterndsten Nachrichten verbreiteten.
Zufällig erfuhr Frau Jenny Nidders davon, dass Geheimrat Fresenius von E. F. W. zu einem Kegelabend eingeladen war. Sie meinte: Da wäre nun doch endlich eine gute Gelegenheit gewesen, einen freundschaftlichen Verkehr mit ihnen aufzunehmen; grosses Diner mit Frack und Claque verlange sie ja gar nicht ... Fritz hatte also Mühe, die Unterschrift von Heinrich Nidders unter die Zeichnungsurkunde schliesslich doch noch durchzusetzen.
„Sie dürfen mich nicht missverstehen, lieber Herr Vetter!“ sagte Heinrich Nidders, indem er breit das seidene Futter seines Gehrocks umschlug und die neumodische Bügelfalte seiner Hose sehen liess. „Es ist kein Misstrauen, kein Ärger, keine Verstimmung, ich bin auch durchaus nicht ängstlich, im Gegenteil, wir fangen hier endlich ja auch schon an, uns als königliche Kaufleute zu fühlen, aber das Vertrauen zueinander könnte doch gerade bei persönlichen Begegnungen erstarken. Nun ja: My home is my castle ... Wenn Sie übrigens einmal ein besseres Geschäft anzubieten haben, vertraulich, lieber Herr Vetter, etwa eine Beteiligung irgendwo, dann geben Sie mir ruhig einen Wink! Haben Sie gehört, dass Witzleben nun doch mit Macht von den verschiedensten Seiten gestützt wird? Grosse Banken sollen dahinterstehen. Ich höre, es wird da draussen schon wieder lebhaft spekuliert. Quandtner müsste Positives wissen. Vielleicht lässt er so beim Kegeln ein paar Bemerkungen fallen?“
Dieser Heinrich Nidders war für Fritz der lästigste Zuwachs, den ihm seine Bemühungen um die Garantiefondszeichner bisher eingebracht hatten. Die anderen Grosskaufleute und Grossindustriellen Nidders waren zwar auch Grossverdiener, dabei aber Köpfe von Format. Fritz hatte in England keine Ahnung von der geschäftlichen Riesenentwicklung gehabt, in die jetzt diese fast noch kleine preussische Residenz hineinwuchs.
Die freudigste Überraschung seiner Werbefahrten durch Gross-Berlin war und blieb die Bekanntschaft mit Fränze Daus. Er hätte sich darüber gern einmal einem gutgesinnten Menschen anvertraut. Freunde, Kameraden besass er nicht; und im Hause E. F. W. durfte er aus seinem Innenleben ja schon gar keine Silbe verraten.
Minnas Ankunft sah er fast mit Bedrückung entgegen. Ihre Schwestern schienen ebenso wie ihr Vater damit zu rechnen, dass er sich mit Minna ausspräche: da es nun schon für erforderlich angesehen wurde, dass er — als heimlich Verlobter — nicht mehr Tür an Tür mit ihr wohnte! Er befand sich in einer ganz seltsamen Verfassung. Minna war früher die einzige der drei Nidderstöchter gewesen, die ihm in den paar Ferienwochen nicht geradezu feindlich entgegengetreten war. Aber seit ein paar Tagen, je näher das Wiedersehen mit ihr rückte, steigerte sich in ihm der Trotz. Seine Heirat sollte für ihn kein Geschäft sein, keine Spekulation. Vielleicht hätte er den Widerstand in sich gar nicht so stark gefühlt, wenn er nicht da draussen an der Köpenicker Landstrasse diesem prächtigen jungen Geschöpf begegnet wäre. Seelisch gesund, unverbildet war sie, die Fränze Daus, von einer sauberen und doch bezwingenden Leidenschaftlichkeit. Und hübsch und jung und tapfer war sie. Die zwang das Leben, die befahl ihrem Schicksal. Geld hatte sie nicht, aber Unternehmungsmut besass sie. Keine der reichen Nidderstöchter konnte ihr das Wasser reichen.
Etwas Draufgängerisches stieg nun in ihm auf. Zum erstenmal fühlte und sah er das goldene Gitter, das ihm seine Freiheit nahm. Gerade die wichtigste Frage in seinem Dasein sollte nicht sein Gefühl entscheiden, lediglich die Dankbarkeit gegen seinen Gönner E. F. W.? Er sollte eine Frau nehmen, die ihm innerlich fremd war? Nein, nein, nein!
Auch der Hochmut dieser Schwägerinnen reizte und peinigte ihn jetzt. Was war denn diese bequeme, immer fülliger werdende Dora, wenn etwa ein Bankkrach sie ihres Reichtums beraubte? Was war sie innerlich und äusserlich? Er hatte sie gestern früh gesehen, als sie verschlafen ins Badezimmer ging, noch nicht geschminkt, das weissblonde Haar noch nicht frisiert. In dem kostbaren Schlafrock sah sie fast grotesk aus; stark gepolstert war sie, auffallend klein, weil ihr die hohen Absätze der Tagesschuhe noch fehlten. Ihm gegenüber brachte sie nicht einmal ein bisschen Eitelkeit auf, weil er für sie nicht mitzählte. Martha wieder versuchte, ihn durch törichtes Gehabe in Unruhe zu versetzen. Ich hasse sie, alle beide! sagte er zu sich. Und Minna — würde er hassen lernen, wenn sie erst verlobt, verheiratet wären ...
Als er sie am Abend zwischen den Gästen traf, war sie ganz kameradschaftlich zu ihm, scheinbar unbefangen. Es machte ihr Spass, mit ihm englisch zu sprechen. Vielleicht gerade deswegen, weil man das im Hause Nidders nicht liebte. „Sei doch kein Frosch, alter Boy!“ sagte sie und gab ihm einen heimlichen kleinen Rippenstoss, als er immer wieder deutsch antwortete.
Mit ihrer ältesten Schwester sprach Minna kein Wort. Dora spielte heute abend die Überempfindliche. Sie konnte den Lärm auf der Kegelbahn nicht vertragen. In dem mit Butzenscheiben versehenen Kneipraum sass sie in einem der neuen amerikanischen Schaukelstühle und wippte mit kurzen Stössen auf und nieder. Niemand kümmerte sich schliesslich um sie, weil die boshafte Kritik, die sie an allem übte, die Stimmung zu verderben drohte.
Minna gab sich forsch, neckte sich mit allen Herren, bewies wieder ihr Kegelspieltalent, brachte es zweimal auf „Alle neune“ und hatte unbedingt die Absicht, die Heldin des Abends zu sein.
E. F. W. hatte an solchen zwang- und harmlosen Empfängen meist die grösste Freude. Er sprach dann auch der Bowle tüchtig zu. Aber als die Gäste aufgebrochen waren, wurde es wieder fröstlig um ihn. Mit ein paar kurzen Bemerkungen kanzelte er Dora wegen ihres läppischen Benehmens ab.
Dora weinte. Sie liess sich von Martha ein Schlafpulver bringen, da sie sonst in ihrem leidenden Zustand kein Auge würde zutun können.
Minna gähnte übertrieben, rieb sich die Augen mit beiden Handrücken und erklärte, sie sei so todmüde, dass sie erst am andern Morgen auspacken werde. Flüchtig wünschte sie gute Nacht und zog sich zurück.
Als Fritz in sein Zimmer kam, war er entschlossen, das Haus noch vor Monatsschluss zu verlassen; die Atmosphäre hier war ihm heute unerträglich geworden.
Unbehagen strömte auch der Raum aus, in dem er hier einquartiert war. Aus dem Schlafzimmer des Ehepaares waren nach dem Tode der Frau Nidders die dicken, schweren Tür- und Fensterportieren, die E. F. W. niemals hatte leiden können, entfernt worden; man hatte sie vorläufig in der „Jungenstube“ untergebracht, auch alle Teppiche, die niemand mehr mochte. Ein mächtiger Perserteppich hing über der Doppeltür, die zu Minnas Zimmer führte. Der schrankartige Zwischenraum dort war vor vielen Jahren einmal ausgepolstert worden, weil Minna sich über den Lärm ihrer Brüder beklagte. Das Zimmer sei jetzt wie eine Gummizelle, hatte Martha einmal bemerkt.
Fritz setzte sich an den Schreibtisch. Auf einem Block Zeichenpapier hatte er die Masse des Raumes, den er ausgemessen, niedergeschrieben. Ein paar architektonische Zeichnungen waren dabei skizziert. Er wollte die Vorschläge für den Umbau möglichst bald dem Kommerzienrat vorlegen. Als er sich umwandte, um den Abstand der Verbindungstür von der Ecke des Zimmers zu überprüfen, erschrak er; denn der grosse Perserteppich bewegte sich plötzlich.
Lautlos öffnete sich jetzt die Tür vom Nebenzimmer. Minna trat rasch und leise ein. Sie winkte ihm zu, keinen Laut zu geben. Dann liess sie den Teppich wieder vorsichtig über die Tür fallen.
Er war aufgestanden. „Minna —?“
Sie lauschte. Im ganzen Hause war es totenstill. Hier hätte man aber auch Schritte oder Stimmen von draussen kaum gehört. „Ich muss dich sprechen, Fritz. Schliess nach der Diele ab! Leise! Den Riegel! Niemand braucht zu wissen —“
Er zögerte, war noch ganz betroffen.
„Mein Gott!“ sagte sie ärgerlich und riegelte selbst die Aussentür zu. Lauschend hielt sie dabei das Ohr eine Weile zwischen Tür und Türvorhang. Sie hatte dasselbe weissblonde Haar wie Dora und Martha, aber nicht deren wasserblaue Augen. Mit „Vergissmeinnicht, in Milch gekocht“ hatte sie als Backfisch die Augenfarbe ihrer Schwestern bezeichnet. Minnas Nase war schlank und gab ihrem Gesicht etwas Aristokratisches. Sie hatte auch sichtbare, etwas dunklere Wimpern, während die Augen beider Schwestern fast wimpernlos wirkten. In ihren Bewegungen lagen Schwung und Sicherheit. Man merkte ihr die gute Reiterin, auch die flotte Tänzerin an.
„Brauchst keine Angst zu haben, Fritz! Die schlafen schon alle im Hause. Hat Pa mit dir geredet? Nicht? Mir hat er einen grossen Speech versetzt. Also er denkt noch immer, wir sollen heiraten, du und ich. Aber das ist doch Unsinn. Du magst mich hoffentlich ebensowenig als Frau wie ich dich als Mann. Gib dir gar keine Mühe, Fritz, etwa aus Höflichkeit zu widersprechen! In fünf Minuten muss volle Klarheit zwischen uns sein. Ich bin dir gut, Fritz. Hab’ dich immer gerngehabt. Aber eine Ehe zwischen uns? Unmöglich! Das hat für mich noch seine besonderen Gründe. Du erfährst alles. Bloss deine Hand musst du mir jetzt geben und mir heilig versprechen — — Ach, ‚heilig‘ ist Quasselei! Anständiger Kerl bist du immer gewesen ... Wir müssen einen Pakt schliessen, Fritz. Willst du? Oder willst du nicht?“ Sie hatte ihn auf seinen Stuhl niedergedrückt und sich auf den Rand des Schreibtischs gesetzt. Da ihr kalt geworden war, zog sie den Morgenrock mit beiden Händen eng am Hals zusammen. „Rede doch einen Ton, Fritz!“
„Was soll ich dir versprechen? Dass ich dir keinen Heiratsantrag machen werde, davor bist du vollkommen sicher. Jetzt sicherer als je.“
„Hab’ ich dich gekränkt? Dann verzeih mir, Fritz! Ich bin in einer verteufelten Lage. Pa ist ja kaum mehr ernst zu nehmen. Er hat sich’s nun einmal in den Kopf gesetzt, dass sein Schwiegersohn hier sein Nachfolger werden wird. Ist ja trostlos. Doras Mann ist nach Südamerika ausgerückt. Und der kleine Pinneke ist eben Pinneke. Goldene Mittelmässigkeit. Nun sollen wir zwei alles retten ... Fritz, du denkst vielleicht, ich wär’ geradeso ein kühles und berechnendes Frauenzimmer wie etwa Dora oder auch Martha? Darin täuschst du dich. Ich bin anders, ganz anders. Jawohl, du! Und ich liebe! Und für den Mann, den ich liebe, würde ich durchs Feuer gehen. Aber der ist ganz und gar kein Kaufmann. Passt nicht hierherein. Und Pa ist natürlich darüber entsetzt. Ich hoffe, dass er dir jetzt nicht weiter zusetzen wird, wo ich ihm die ganze Wahrheit gesagt habe. Bedenkzeit und so, das ist alles vergebens. Ich will Bert zum Manne haben. Wir sind füreinander geschaffen. Ja, er hat Schulden und allerlei andere kleine Schönheitsfehler. Er war bisher sehr leichtsinnig, glaub’ ich. Vielleicht auch flatterhaft. Weil er mich noch nicht gekannt hat. Jetzt flammt es in ihm. Er ist ein neuer Mensch geworden. Ich werde ihm helfen, Pa mag sich auf den Kopf stellen. Aber alles wird leichter, wenn ich mit dir einig bin.“
„Ich habe dir doch keinen Zweifel mehr gelassen, Minna. Meine Person kannst du aus deinem Schicksal also völlig ausschalten.“
„Auch, wenn Pa dir grosse Versprechungen macht —? Ja, sei mir nicht gleich bitterböse, Fritz! Hier im Hause wird das Wort ‚Geld‘ mit vier grossen Buchstaben geschrieben. Ich dachte lange Zeit, du machtest keine Ausnahme von den Nidders. Wärst wohl auch die erste.“
„Doch nicht. Mein Vater zum Beispiel hat ein ganz armes Ding geheiratet und dafür den Zorn seiner ganzen Familie in Kauf genommen.“
„Richtig. Das Münchner Kindl. Und du?“ Sie nahm seine Hand und presste sie auf ihr Knie. „Weisst du, ein paarmal in den letzten Wochen hab’ ich mir ausgedacht: Am Ende hat mein Schicksal sich die Pointe vorbehalten, dass der gute Fritz sich auch schon anderweit verliebt und heimlich verlobt hat. Du: Stimmt das? Sag doch! Du bist doch ein hübscher Bengel, Fritz. Eine grundehrliche Haut obendrein. Sollst zu allem auch noch ein fabelhaft geschickter und moderner Geschäftsmann sein. Reiten kannst du, kutschieren, schwimmen. Bloss im Tennis bist du schwach. Tausend nette Mädel gibt’s in Berlin W, die glücklich werden könnten mit dir. Und du mit einer von ihnen. Es braucht ja nicht mal ein Münchner Kindl zu sein. Hast du Lotte von Briest eigentlich wiedergesehn? Die schwärmt noch immer für dich. Riesenvermögen steht dahinter. Und liebes, forsches Ding ist sie. Nee, mein Junge, brauchst mir kein Geständnis zu machen, wenn du nicht magst! Ich will dich nicht quälen. Also ehrlich, Fritz: Ich wünsche dir aus ganzem Herzen, dass dich die Liebe geradeso anpackt wie mich. Denn dann weiss ich: Alles, was Pa sagt, ist in den Wind geredet.“ Nun standen die Tränen in ihren Augen, aber sie lachte ihn an. Für ein paar Sekunden presste sie seine Hand an ihre Wange. „Hilfst du mir, Fritz?“
„Wenn Pa mich fragen sollte, wie ich über eine Ehe mit dir dächte, dann — dann würde ich schlechter und härter über dich urteilen, als ich jetzt in Wirklichkeit von dir denke.“
Sie schob ihren Mund auf seine Hand und küsste sie.
Er zuckte zusammen. „Das sollst du doch nicht, Minna!“
„Ach, egal. Ich bin dir dankbar, Fritz. Du musst mir aber auch zu Geld verhelfen, Fritz. Irgendwie. Ich muss Bert retten. Und es muss rasch sein.“ Aus ihrer Ärmeltasche im Morgenrock zog sie einige Papiere. „Ich habe mein Bankkonto bei Breuer. Das Erbe von Ma ist doch unter uns dreien geteilt worden. Dora hat wohl schon alles verputzt. Ich war auch nicht eben sparsam. Aber wieviel ich noch habe, bring’ ich nicht heraus. Da sind doch auch noch Aktien. Sieh einmal den letzten Kontoauszug nach! Morgen brauch’ ich das Geld. Spätestens übermorgen.“
„Wenn ich dir helfen soll, Minna, dann muss ich auch Gelegenheit haben, dir zu raten.“
„Du würdest mir ja doch nur abraten. Zuraten gewiss nicht. So viel Geschäftsmann ist jetzt wohl selbst der Junge vom Münchner Kindl.“
„Minna, du weisst, dass du mich da vor eine schwere Verantwortung stellst ...“
„Verantwortung? Trage ich selbst. Es handelt sich nicht um Geld von Pa, sondern um das meinige. Seitdem ich mündig bin, kümmert er sich nicht mehr darum. Es ist für ihn wohl nur eine Lappalie.“
„Er erfährt aber schliesslich doch einmal, dass ich meine Hand im Spiel gehabt hab’, und ich empfinde es ihm gegenüber als nicht ganz fair.“
„Ach, fair! Wenn er uns zusammenkuppeln will, uns beide, die wir gar nicht zueinander passen und die wir uns aufs heftigste dagegen sträuben — ist das etwa fair? Für ihn ist Geschäft eben Geschäft. Mach mir doch keine Umstände! Sprech’ ich mit Breuer, dann bringt der seine Witzchen an, trifft Pa in irgendeiner Sitzung und klatscht ihm sofort alles unterm Siegel der Verschwiegenheit ... Nein, Fritz, du brauchst mir zunächst mal bloss auszurechnen, was das Zeug da alles zusammen noch wert ist.“
„Willst du denn alles abheben?“
„Darüber entscheide ich mich, wenn ich weiss — —“ Sie wurde plötzlich von einem Schüttelfrost gepackt. „Du, Fritz, mir ist hundeschlecht. Ich muss ins Bett. Die Tür bleibt auf. Sieh dir hier alles an, rechne zusammen, und dann kommst du zu mir, Fritz! Sei doch mein guter — alter — Kamerad!“ Die Zähne klapperten ihr hörbar aufeinander. Ganz hilflos war sie jetzt.
Er legte die Papiere auf den Schreibtisch, half ihr beim Sichaufrichten und Gehen und führte sie zur Verbindungstür. Der enge Schacht innerhalb der Doppeltür war zur Hälfte mit Hutschachteln und Kartons ausgefüllt. Wie ein Häuflein Unglück schlich sie dazwischen durch, nun doch wohl voller Angst, dass es Lärm geben und dass eine der Schwestern oder jemand von den Hausangestellten es hören könnte ...
Als Fritz eine halbe Stunde später ebenso vorsichtig ins Balkonzimmer eintrat, lag Minna im Bett. Sie schien sich mitsamt dem Kleid und dem Morgenrock hingelegt zu haben. Ihre Backen waren rot, ihre Augen fieberglänzend. „Du bist krank, du hast Fieber. Hat es Sinn, jetzt noch über diese Geschäftssachen zu verhandeln?“
„Wieviel hab’ ich noch?“
„Die Aufstellung reicht nur bis zum ersten April. Hast du seitdem abgehoben?“
„Paar hundert. Es müssen aber doch noch Wertpapiere auf der Bank liegen?“
„Ist alles beliehen. Du hast ohne Zinsen etwa siebenunddreissigeinhalb Mille bei Breuer.“
„Mehr nicht?“ Sie drehte den Kopf rechts und links herum, immer wieder, ganz verzweifelt. „Ich brauche fünfundachtzigtausend Mark.“
„Du selbst? Woher hast du solche Schulden?“
„Bert ist gerettet, wenn er seine Grundstücke sofort freibekommt. Rest vom Gut. Dort bei Witzleben. Wo die Ausstellung sein wird. Er hat bis jetzt nur die Wechsel unterschrieben. Fällig am dreissigsten April. Hypothek kommt auf Grund und Boden, wenn bis ersten Mai mittags nicht gezahlt ist. Lankrit sitzt in Ostpreussen, braucht das Geld dringend und kann die drei Wochen nicht mehr warten, bis die Landstücke ums Doppelte, ums Dreifache loszuschlagen wären.“
„Wer ist Bert, Minna?“ fragte er unruhig.
„Bert ist Bert.“ Sie richtete sich auf, klammerte sich an ihn; ihr Körper war heiss, auf ihrer Stirn standen Schweisstropfen. „Überling. Bert von Überling. Er ist jetzt Direktor vom Tattersall. Um seinen Vater steht es schlecht — ich weiss, ich weiss. Bert hat durch ihn auch schwer gelitten. Aber jetzt könnte reiner Tisch gemacht werden. Morgen ist eine wichtige Sitzung vom Arbeitsausschuss der Ausstellung. Da entscheidet sich viel, wenn nicht alles. In den verschiedenen Lagern arbeitet man jetzt mit allen möglichen Mitteln. Aber Witzleben setzt sich durch. Mit einem Schlag schnellt dann der Preis für das Land in die Höhe. Denk bloss an, Fritz, was das bedeutet! Statt fünfundachtzigtausend eine Viertelmillion. Einmal im Leben wird ihm eine solche Chance geboten. Warum soll statt seiner der Lankrit den Gewinn einstreichen? Der hat ihn noch bei jedem Pferdeverkauf übers Ohr gehauen. Für Bert bedeutet es den Aufstieg. Gesundung. Trennung von aller Misere. Vor allem von seinem Vater. Und für Bert und mich ist es das Glück. Denn dann ist er schuldenfrei. Und Pa kann nichts mehr gegen ihn einwenden.“
„Und warum sprichst du nicht ganz ruhig mit Pa darüber?“
Wie irre sah sie ihn an. Aufschluchzend warf sie sich dann gegen seine Schulter. „Ich bin — so entsetzlich allein! Pa sollte mich anhören, Pa mir helfen, Pa etwas tun aus Liebe? Ein Rechenexempel ist ihm das ganze Leben! Eine Nummer bin ich für ihn, eine Zahl. Und du hilfst mir auch nicht? Ach, Fritz —!“
Sie war so aufgeregt, dass er Mühe hatte, sie zu beruhigen. Einmal hielt er ihr den Mund zu, weil er glaubte, draussen auf der Diele ein Geräusch vernommen zu haben.
Sie umklammerte seine Hand, presste ihre Zähne gegen seine Finger, warf sich hin und her. „Hilf mir. Fritz! Ach, hilf mir doch!“
„Ich werde nachdenken, was sich tun lässt. Bleib jetzt ruhig liegen! Versuch zu schlafen!“
„Morgen bist du früh schon wieder im Geschäft. Wann hör’ ich von dir? Komm um zehn Uhr in den Tattersall. Nein, später, um zwölf. Punkt zwölf. Bis dahin ist Bert von der Reise zurück. Dann kannst du ihn selbst hören. Er wird dir alles sagen, alles zeigen ... Fritz: Jedes Wort, das Dora über ihn gesagt hat, ist Lüge und Verleumdung. Du wirst dich über ihn freuen, sag ich dir. Wenn ich seine Hand in die deine legen kann, Fritz, dann — —“
„Wenn du morgen Fieber hast, musst du doch im Bett bleiben, Minna.“
„Fieber? Mich kann morgen nichts hier festhalten. Nein, nichts. Jetzt, wo ich weiss, du hilfst mir ... Ach, Fritz — lieber, lieber Fritz!“ Sie umschlang ihn; da er das Gesicht abwandte, küsste sie den Stoff seiner Schulter, des Ärmels.
Er hatte Mühe, sich von ihr zu lösen. Vorsichtig kehrte er in sein Zimmer zurück.
Als die Tür leise wieder geschlossen und der dicke Teppich glattgestrichen war, atmete er wie befreit auf. Mitleid hatte er mit Minna. Aber auch Angst um sie. Und in ihm bohrte ein Vorwurf. Er fragte sich: Durfte er ihr helfen?