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Durch das brennende Löwen

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Nun gibt’s heisse, stauberfüllte Marschtage. Zuerst geht’s nach Tirlemont. Hier stossen wir auf endlose Züge kriegsgefangener Belgier und Engländer. Wir hatten bisher keine Ahnung davon, dass die Khakileute wirklich über den Kanal herübergekommen und wirklich auf dem europäischen Festland gelandet sind. Und nun haben sie schon so kräftig Dresche bekommen!

Die Wut der Belgier über die deutschen Sieger ist durch die englische Schlappe stark gewachsen. Aus Löwen kommt eine alarmierende Nachricht. Gestern abend um neun Uhr, anscheinend auf ein verabredetes Zeichen, haben sich viele Fenster am Markt und in den Vorstadtstrassen geöffnet, durch die fast ununterbrochen unsre Landwehr, unsre Reserve-Munitionskolonnen dem rasch vorwärtsdrängenden Korps nachgeschoben werden, und es ist auf die in Löwen befindlichen Truppen ein wildes Feuer abgegeben worden.

Eine Kompagnie meines Bataillons hat den Bahnhof von Löwen besetzt. Wir hören das Gerücht, der Kompagnieführer sei mit mehreren seiner Leute ein Opfer des Handstreichs geworden. Das stimmt zum Glück nun nicht, wir sehen unsern „toten Hauptmann“ andern Tages wieder. Aber an dem Strafgericht, das in Löwen abgehalten werden musste, hat er sich mit betätigt. Und meine Kompagnie rückt mit den Resten des zur Sicherung der Bahnlinien weit verzettelten Bataillons nach Löwen ab.

Battice und Visé sind von der Landkarte verschwunden. Das ist ein Unglück für die ehemaligen Bewohner, es ist kein Verlust für die Welt. Löwen aber birgt architektonische Meisterwerke von hoher Bedeutung — das spätgotische Rathaus, die edle Peterskirche sind die Juwelen von Brabant —, und es dreht sich einem das Herz im Leibe herum, wenn man sich vorstellt, dass auch diese schönsten Kunstschöpfungen ein Raub der Flammen werden könnten.

Der Durchzug durch die Innenstadt ist jetzt nicht mehr möglich. Die Drähte der Starkstromleitungen liegen als wüstes Gewirr auf der Strasse. Links und rechts stürzen Balken, sinken Dächer ein, hoch schlagen die Flammen empor, ein unerträglicher Rauch, ein pestilenzialischer Gestank erfüllt die Strassen. Ein Pferdekadaver, halb verkohlt, liegt in der Gosse, am Bahnhof, in einem Landhausvorgarten liegt die Leiche eines Bürgers noch unbestattet. Ob er zu den Wahnsinnigen gehört hat, die da glaubten, durch das Niederknallen von ein paar Dutzend Deutschen die Vorwärtsbewegung unsres Millionenheeres aufzuhalten? Durch die im Halbkreis um die Stadt herumführenden Boulevards, die hübsche Villen, gepflegte Parkanlagen aufweisen, erreichen wir den Westausgang. Überall herrscht Totenstille. Die Fensterläden sind geschlossen. Kein Bürger lässt sich sehen. Die Mehrzahl ist entflohen. Doch da bewegt sich etwas: zwei Kinder sind’s, Mädchen von zwölf, dreizehn Jahren, die einen Suppentopf tragen. Die eine hält in der freien Hand einen Stock, an den ein weisses Tuch geknüpft ist. Angstvoll hasten sie vorwärts; das Fähnlein soll wohl bekunden, dass sie keine bösen Absichten im Schilde führen. Noch vor ein paar Stunden ist in Löwen wieder auf unsere Truppen geschossen worden — und beim Anblick der geängstigten Kinder mit der weissen Flagge regt sich doch schon das Mitleid.

In einem verlassenen, zum Teil zerschossenen Wirtshaus an der Landstrasse nach Brüssel komme ich mit meiner Kompagnie unter. Es ist eine öde Vorstadtkneipe mit einem grossen Tanzsaal für die Dienstmädchen von Löwen. Ich stelle an der Dorfgreuze meine Aussenwache aus und besichtige die Posten. In den erbärmlichen kleinen Katen hausen zwölf, fünfzehn Personen, eng zusammengedrängt in einem Raume. Flüchtlinge ans Löwen sind’s. Mit einem Päckchen Gelumpe und vielen schmutzigen kleinen Kindern sind sie in die benachbarten Dörfer gekommen. Sie werden für Belgien bald zur Landplage werden.

In langen Märschen, auf staubigen Strassen, geht’s durch das eroberte Land weiter. Die mobilen Truppen verlassen Belgien. Nur um Antwerpen lässt die Armee den eisernen Gürtel zurück. Das Land wird durch unsern Landsturm gesichert. Schon stossen wir da und dort auf die starken Bataillone der noch blau uniformierten, meist bärtigen Landsturmleute. Es ist eine helle Freude, diese entschlossenen Gesichter zu sehen. Wir können versichert sein, dass sie mit fester Hand halten werden, was ihre Söhne da vorn in der Front erobert haben.

In früher Morgenstunde marschiert die Brigade am Kongomuseum vorbei, das ich vor drei Jahren besucht habe. Ein wundervoller Sommertag war’s. Meine Frau trug ihr neues helles Kostüm, alle Damen waren in hübschen Toiletten, Autos und Equipagen fuhren durch den Buchenwald, der uns au Leistikows heilige Hallen erinnert, eine belgische Militärkapelle spielte flotte Weisen ... Aber heute, hurra, heute weht die schwarz-weiss-rote Flagge vom Turm des Museums, und unsere Brigade zieht über die Höhe, von der wir das in deutschen Besitz gelangte Brüssel übersehen können!

Südwestwärts erreichen wir das neue Quartier. Im Château kommen die Stäbe unter. Das Châtean hat sich der Besitzer der grossen Weberei von Drogenbosch geleistet. Ich bewundere die mit Millionen buntgemischter Petunien bepflanzte Terrasse, die dem mächtigen Bau vorgelagert ist. Mein Quartier enthält einen eleganten Salontisch, einen Stuhl mit der Waschschüssel, eine Matratze auf dem Boden und auf dem Kaminsims einen lieben alten Bekannten. Das ist ein Gipsabguss des Jungen mit dem Frosch, den eine verehrte künstlerische Freundin, Frau Lili Wislicenus-Finzelberg, als sechzehnjähriges Mädchen modelliert hat. Der kleine Bursche steht daheim auch auf dem Spielschrank meines jüngsten Töchterchens, und ich trage ihm Grüsse nach Westend auf, wo es am Sedantage ein Geburtstagskind gibt, von dem ich nicht weiss, ob es meinen Feldpostbrief erhalten hat.

In den letzten Tagen ist die Stimmung der Bevölkerung wie gewandelt. Man kommt in Quartiere, in denen diensteifrige Belgier den Wirt spielen. Hat das Strafgericht von Löwen endlich gewirkt? Oder finden die Schreckensnachrichten für das belgische Herz endlich Glauben? Lüttich gefallen—Namur gefallen—Brüssel in deutscher Hand — der König nach Antwerpen geflohen.

Stärker als alle Nachrichten müssen auf die Belgier wohl die Bilder wirken, die sie jetzt alle Tage zu sehen kriegen: auf den Landstrassen, die zu den Bahnhöfen führen, werden viele Tausende von Kriegsgefangenen durch deutsches Militär bewacht. Belgier, Franzosen — und unfassbar viele Engländer. Auch Schotten im kurzen Röckchen werden an uns vorbeigetrieben. Lehmann II nimmt einen recht krummen Hochländer aufs Korn und ruft ihm zu: „Mensch, drück’ die Knie durch — mit die Säbelbeene kannste dir doch nich in Berlin sehn lassen!“

An der Spitze meiner Kompagnie

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