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ОглавлениеLuzern Porträt einer Stadt
Natürlich gibt es manche schöne Stadt auf dieser Welt; vom Glück derart begünstigte wie Luzern wird man aber nicht häufig finden. Doch wenn es stimmt, was die Redensart besagt – dass Glück nichts anderes sei als Talent für das Schicksal –, dann hat Luzern sich ganz einfach geschickt mit seinem Schicksal arrangiert.
Sein Schicksal aber war seine Lage. Eine zauberhafte Lage, gewiss, aber zunächst vor allem eine äusserst günstige. Dass hier, wo die Reuss den See auf ein paar hundert Metern noch als ruhig gleitender Fluss verlässt, ein geeigneter Ort für Übergänge sein würde, lag auf der Hand; so wurde Luzern zur Brückenstadt. Und ebenso klar scheint, dass diese Schnittstelle zwischen Mittelland und Alpen zum Handelsplatz prädestiniert war; so wurde Luzern zur Markt- und Messestadt. Da der See, an dessen nördlichem Ende Luzern liegt, weit in die Alpen hineinreicht, bestand überdies eine günstige Voraussetzung für eine rasche Verbindung mit dem Süden. Mit der Begehbarkeit des Gotthardpasses nach 1200 wurde diese Verbindung zu Italien Wirklichkeit, und Luzern zum wichtigen Umschlagplatz zwischen Nord und Süd. Mit den köstlichen Gütern aus dem Süden wuchs auch der geistige, kirchliche und kulturelle Einfluss des Südens, und so wurde Luzern zur «italienischsten» Stadt nördlich der Alpen.
Auch später war Luzern wiederholt vom Glück begünstigt. Dass der bald nach 1400 vollendete Schutzring, zu dem nicht nur die Museggmauer auf den Hügeln über der Stadt, sondern auch die vielen hundert Meter Holzmauern der Hof-, der Kapell- und der Spreuerbrücke gehörten, nie ernsthaft erprobt werden musste, verrät eine friedliche Stadtentwicklung. Als Glück ist auch zu werten, dass die industrielle und die Verkehrsrevolution der letzten beiden Jahrhunderte die Stadt zwar tangierten, aber in ihre alte Substanz keine allzu verheerenden Lücken rissen. Und Glück hatte die Stadt schliesslich, dass vor rund zweihundert Jahren in immer weiteren Kreisen der Gesellschaft Europas der Sinn für landschaftliche Reize erwachte. Nun schwoll der Strom der Reisenden an, die zwar auch die Stadt mit ihren Mauern und Türmen, Kirchen und Brücken sehen, vor allem aber die unvergleichliche Sicht auf See und Berge geniessen oder gar die lockenden Gipfel von Rigi und Pilatus erklimmen wollten. In der Folge entstand all das, was diesen Gästen den Aufenthalt angenehmer machen konnte: Hotels und Gaststätten, Bergbahnen und Dampferlinien, Ladengeschäfte und kulturelle Attraktionen.
Die Reussbrücke eignet sich bestens als Startpunkt für Stadtentdeckungen.
Es kann fast nicht anders sein, als dass etwas vom Glück dieser derart begünstigten Stadt auch auf jene übergeht, die sie besuchen. Wir wünschen dies von Herzen und hoffen, mit diesem Führer durch die Stadt auch dazu beizutragen.
Was Luzern prägte
Fünf Faktoren haben Luzern hauptsächlich geprägt:
• die Lage an See und Fluss und am Übergang von den Alpen zum Mittelland, die den Ort zum Handelsplatz prädestinierte;
• das mit dem regen Handel und Verkehr einhergehende Einströmen fremder Einflüsse;
• die Dominanz des Südens, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in geistiger und kultureller Hinsicht;
• die katholische Kirche als besonders prägende Kraft vom 16. bis 18. Jahrhundert;
• die neue Rolle als Fremdenstadt, als um 1800 das Reisen zu Bildungsund Vergnügungszwecken aufkam.
Luzerns Aufstieg als Markt- und Umschlagplatz begann im 12. Jahrhundert. 1168 hört man erstmals von der Reussbrücke als Verbindung von Gross- und Kleinstadt an der schmalsten Stelle des Flusses. Weil sie erst die Zufuhr frischen Wassers vom Fuss des Pilatus her auf die rechte Seite der Reuss – und damit das Wachstum der Grossstadt – ermöglichte, darf sie zu Recht als Herz der Stadt bezeichnet werden. Der entstehende Markt hatte zunächst lokalen Charakter. Doch als Anfang des 13. Jahrhunderts am Gotthard das Hindernis der Schöllenenschlucht überwunden wurde, stieg der Verkehr mit Italien über Alpen und Vierwaldstättersee rasch an. Am nördlichen Ende dieses Sees kontrollierte Luzern den Übergang zum Land- und Flussverkehr. Hier wurden die Güter, die von Süden kamen, von den Nauen (Lastschiffen) auf Fuhrwerke oder auf die Kähne der Niederwässerer umgeladen, die sie flussabwärts bis Basel brachten. Dieser Umschlag erfolgte bis 1545 bei den Arkaden am «Platz», etwa dort, wo sich heute der Jesuitenvorplatz (Nr. 12) befindet; dann wurde er auf die rechte Reuss-Seite verlegt, wo die Stadt auf dem Kapellplatz (Nr. 2) die Sust als Lagerhaus für alle Transitgüter errichtete.
Luzern um 1830: Das «Storchennest» vor der Öffnung durch den Tourismus. Blick vom Gütsch auf die Sentivorstadt im Vordergrund und die Grossstadt in der Bildmitte.
Luzern war vom 13. Jahrhundert bis 1882, als die neue Gotthardbahn die Stadt umfahren konnte, ein wichtiger Handelsplatz im Nord-Süd-Verkehr. Es entstanden Märkte und Messen, und auch die wichtigsten Zölle wurden hier erhoben. Von Norden kamen vor allem Getreide, Salz und aus dem Elsass Wein auf den Markt; der Süden belieferte Luzern mit all den Köstlichkeiten, die Italien und der Orient anboten, darunter schöne Stoffe und natürlich die begehrten Gewürze. Aber nicht nur der Fernhandel spielte eine Rolle: Luzern wurde vor allem auch zum zentralen Markt am Scharnier zwischen dem «Getreideland» im schweizerischen Mittelland und dem «Weideland» in den Alpen und Voralpen. Je mehr dort nämlich ab dem Spätmittelalter die Viehzucht vorherrschte, umso stärker waren die Bauern auf den Getreide- und Salzeinkauf auf dem Luzerner Markt angewiesen, wo sie umgekehrt ihre Produkte, vor allem Butter, Käse und Vieh aller Arten – Rinder, Pferde, Schafe und Schweine – anboten.
So wurde Luzern zu einem Durchgangsort. Mit dem wachsenden Verkehr kamen Fremde – Kaufleute, Pilger und Handwerksgesellen – in die Stadt, und mit ihnen oft auch neue Ideen. Doch von Luzern aus ging man auch in die Fremde; als ab 1400 im Ausland die Nachfrage nach Schweizer Söldnern stieg, griffen mehr und mehr Luzerner nach dieser neuen Erwerbsmöglichkeit. Rund 50 000 von ihnen sollen zwischen 1400 und 1800 in Mailand, Rom, Neapel und am spanischen und französischen Königshof Dienst geleistet haben. Allerdings stammte nur ein kleiner Teil – vor allem die Offiziere – aus der Stadt; die meisten Soldaten stellte die von der Stadt beherrschte «Landschaft», also das Untertanengebiet. Aber gerade die Offiziere brachten von ihrem oft langen Dienst im Ausland einen neuen Geschmack, etwa in der Mode, im Baustil oder im Kulinarischen, zurück nach Hause. Als nach 1800 mit dem Tourismus fremde Einflüsse erneut zunahmen, trafen sie Luzern daher nicht unvorbereitet: Man wechselte einfach vom Dienst in der Fremde zum Dienst an den Fremden.
Die Einflüsse aus dem Süden aber dominierten. Zwar schuf sich die Stadt zwischen 1380 und 1415 mit der «Landschaft» ein Untertanengebiet, das weit nach Norden reichte, was aber nicht besagte, dass sie sich nun etwa nach Norden ausrichtete; vielmehr hatte sich die «Landschaft» ihrerseits ganz auf die Stadt an ihrem südlichen Rand einzustellen. Für die Stadt war sie das Hinterland, das diese zu versorgen und nötigenfalls mit Steuergeldern und Soldaten zu beliefern hatte. Jahrzehnte zuvor aber – 1332 nämlich – war Luzern schon mit den drei Waldstätten im Süden und Südosten, mit den Bauernorten Uri, Schwyz sowie Unterwalden, jenes Bündnis eingegangen, das durch alle Höhen und Tiefen im Grunde genommen bis heute gehalten hat; noch immer umrahmt Luzern mit diesen drei Ständen den See, der darum Vierwaldstättersee heisst, und noch heute bilden diese vier Kantone – zusammen mit Zug – die Zentralschweiz, eine der am klarsten profilierten schweizerischen Regionen. Die Gotthardpassroute verkürzte den Weg nach Süden beträchtlich; fortan waren die rund 280 Kilometer von Luzern bis Mailand in sechs bis sieben Tagen zu bewältigen. Von dieser Nähe zu Italien berichtet auch eine alte Sage, der zufolge einst ein Falke eine Wildente von Mailand bis nach Luzern verfolgte. Aus dem Süden – aus Italien, dem Tessin und Graubünden – stammten auch manche jener Bauleute, die aus Luzern im 16. Jahrhundert mit ihren Renaissance-Palazzi so etwas wie ein Florenz des Nordens machten. Im Grunde genommen blickt Luzern von Natur aus nach Süden und steht mit dem Rücken zum Mittelland, von wo im 16. Jahrhundert die neuen kirchlichen und im 19. Jahrhundert die neuen politischen Ideen herkamen. Dies ist in Luzern deutlich zu erkennen.
Nach Norden reicht der Blick nicht weit – er geht kaum über die Anhöhen des Gütsch, der Musegg und des Dietischibergs hinaus; und auf die Musegg stellten die Luzerner um 1400 erst noch die trutzige Mauer mit ihren zehn Türmen. Nach Süden aber reicht der Blick über den See bis zu den in der Ferne blau und weiss schimmernden Bergen; und die Hof- und Kapellbrücke, die hier als hölzerne Stadtmauern errichtet wurden, wurden bald mehr Aussichtsterrassen als Schutzwall.
Eine südliche Macht war auch die katholische Kirche, zu der die Bande noch enger wurden, als Luzern in der Reformation dem alten Glauben treu blieb. 1574 errichteten die Jesuiten in der Kleinstadt ihr Kollegium und übten dann 200 Jahre – und nochmals für kurze Zeit im 19. Jahrhundert – einen starken Einfluss auf das geistige und politische Leben aus. Ein geradezu triumphales Zeugnis ihres Wirkens stellt ihre um 1670 am linken Reussufer erbaute imposante Kirche (Nr. 12) dar. Seit 1579 residierte auch der päpstliche Nuntius in der Stadt, die nun bis Anfang des 18. Jahrhunderts nicht nur unbestrittener Vorort der katholischen Schweiz, sondern zeitweise der ganzen Eidgenossenschaft war.
Als ab etwa 1800 der Tourismus aufkam, erhielt Luzern ein derart neues Gesicht, dass man schon von «einer touristischen Neugründung des 19. Jahrhunderts» gesprochen hat. Nun wandelte sich die Stadt am Fluss zur Stadt am See, mit ihren Hotels – diesen «Schlössern des Grossbürgertums» – und ihren Quais, die nicht nur Aussichtsterrassen auf See und Berge, sondern auch Bühne für den Auftritt der vornehmen Gäste bildeten. Dieser Entwicklung, die Luzern bis heute prägt, lag als wesentliche Ursache die durch Dichter wie Albrecht von Haller und Jean-Jacques Rousseau angefachte neue Naturbegeisterung zu Grunde, die auch Goethe nicht fremd war, der 1775 die Rigi bestieg. Hinzu kam die Verkehrsrevolution, die es mehr Leuten ermöglichte, in kürzerer Zeit grössere Distanzen zu bewältigen. In Luzern begann sie 1837, als das erste Dampfschiff den Vierwaldstättersee befuhr.
Luzern im Spiegel früherer Gäste
Es war die prachtvolle Lage, dieses wunderbare Zusammenspiel von See und Bergen, das Luzern nach 1750 allmählich zu einem Wallfahrtsort für Reisende machte. An der Stadt selber fanden die meisten damals wenig Bemerkenswertes. «Lucern ist ein kleines schlechtgebautes menschenleeres Städtchen», schrieb 1804 der zu dem Zeitpunkt allerdings erst 17-jährige Arthur Schopenhauer, und ein Besucher aus Sachsen bemerkte 1778 kühl: «Von Gebäuden giebt es hier wenig zu sehen.» Der eine oder die andere lobte zwar das Rathaus oder die Jesuitenkirche; im Wesentlichen aber waren es nur vier oder fünf Attraktionen, die in der Stadt Interesse fanden. Dazu zählten die Hofkirche, und zwar vor allem ihre Orgel, von der einer voll Bewunderung schrieb, in ihre grössten Pfeifen hätten problemlos drei oder vier Mann kriechen können, sowie General Pfyffers (1716 – 1802) Relief der Zentralschweiz, das dieser in 20-jährigem Durchforschen dieser Landschaft erstellt hatte (heute im Gletschergarten, Nr. 54).
Das Luzerner Rathaus (Nr. 4), erbaut 1602 – 1604; «Stein gewordener Ausdruck des hiesigen Menschenschlags – halb Italien, halb Entlebuch».
Nach 1821 kam als neue Sensation das Löwendenkmal dazu (Nr. 52). Höchstes Erstaunen riefen aber die drei Holzbrücken hervor, zu denen damals auch noch die 385 Meter lange Hofbrücke gehörte. Aufsehen erregten sie vor allem wegen ihrer aussergewöhnlichen Länge, aber auch als viel frequentierte Flanierstätten, die mit ihren insgesamt 462 Bildtafeln in den Giebelfeldern auch eine – wie ein Besucher schrieb – «ungeheure Bildergalerie» darstellten.
Manchen Gästen entging aber nicht, dass Luzern wirtschaftlich zurückgeblieben war. Der französische Geograf François Robert meinte 1791: «Luzern liegt angenehm …, und doch ist mir nie eine Stadt trauriger vorgekommen. Ihr aristokratisches Regiment und ihre fast abergläubische Religion hemmen Fleiss, Leben, selbst Bevölkerung. Die meisten Läden sind verschlossen, der Handel todt.» Auch der deutsche Dichter Friedrich Leopold Graf zu Stolberg stellte fest, Luzern fehle es, «wie überhaupt den katholischen Kantonen, an Industrie», und dies, obwohl seiner Lage nach doch «Lucern die erste Handelsstadt in der Schweiz sein» müsste.
Aus Reiseberichten
«Die Gegend um Zürich ist angenehm, die um Lucern gross und majestätisch, ich möchte sagen schauerhaft. Der ungeheure Pilatus ist in einiger Ferne von der Stadt, und man rechnet sechs Stunden von Lucern bis auf seine Spitze; aber es ist eine so ungeheure, überwältigende Masse, dass er dicht an der Stadt zu stehen scheint. An manchen Orten, wo man ihn etwa hinter den Häusern einer Gasse hervorragen sieht, erscheint er so nahe und so perpendikular, dass man glauben möchte, er werde einmal über die Häuser herabstürzen.»
Karl Gottlieb Küttner, Reiseschriftsteller, 1778
«Hier sieht man mannigfaltige Aussichten von der grössten Schönheit. Keine Stadt in der Schweiz hat, meiner Empfindung nach, eine so schöne Lage wie Lucern. Liebliche Hügel, mit vermischter Waldung von Laubholz und von Tannen, kränzen diese Stadt und die nahen Ufer des Sees der vier Waldstädte; hinter den Hügeln erheben sich Alpen, hinter diesen starren in weiter Ferne Hohe Gebürge gen Himmel empor …»
Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, deutscher Dichter, 1791
«Von den beyden ersten Brücken hat man die unbeschreiblich schöne Aussicht, welche Lucern für Reisende so merckwürdig macht. Man übersieht ein herrliches nicht gar zu grosses Bassin, welches den See hier bildet, u. welches so von Bergen eingeschlossen ist, dass man den Ausgang nicht bemerckt. Von hier aus sieht man die majestätischen Alpen in ihrer ganzen Grösse, von dem angebauten untern Theil derselben an, bis zu ihren Schneebedeckten Gipfeln: denn nur eine kurze Strecke mit fruchtbaren Aeckern u. Wäldern bedeckt, trennt sie vom See …»
Der spätere Philosoph Arthur Schopenhauer, 1804
«Luzern ist ganz reizend. Es beginnt mit einem Saum von Hotels unten am Wasser und krabbelt dichtgedrängt und ohne Ordnung, aber malerisch über drei steil ansteigende Hügel, so dass sich dem Auge ein aufgetürmter Wirrwarr von roten Dächern, wunderlich altmodischen Giebeln, Dachfenstern und zahnstocherähnlichen Spitztürmen bietet … Wir besuchten die beiden langen überdeckten Holzbrücken, die die leuchtend grüne Reuss knapp unterhalb der Stelle überspannen, an der sie sich mit lautem Hurra aus dem See stürzt.»
Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller, 1880
Fehlte es indessen mit Blick auf die Stadt, ihre Wirtschaft und Kunstdenkmäler nicht an kritischen Stimmen, so waren sich doch alle einig im Lob auf ihre grandiose Lage. Immer wieder ist die Rede vom prächtigen Amphitheater der Natur, das erst recht beeindruckt haben muss, wenn man aus den verwinkelten Gassen der Stadt mit ihren damals noch rund dreissig Türmen – die kirchlichen nicht mitgezählt – und an die zwanzig oft engen und dunkeln Toren heraustrat.
Über die luzernische Wesensart
Jenen, die von Norden her, von bienenfleissigen und wohlhabenden protestantischen Städten wie Basel oder Zürich, anreisten, mögen in Luzern vor allem vier Dinge aufgefallen sein: dass sie nun rustikalere und katholisch geprägte Lande betraten, in denen schon südliche Einflüsse zu spüren waren und wo man es offensichtlich etwas gemütlicher angehen liess als im betriebsameren Norden. Italianità und Rustikalität sind in Luzern in der Tat eine einzigartige Verbindung eingegangen. Deshalb ist ja auch das Luzerner Rathaus (Nr. 4) an der Reuss, bei dem auf drei klassischen Renaissancegeschossen das weit ausladende Dach eines Luzerner Bauernhauses ruht, ein so einzigartiges Werk – geradezu der Stein gewordene Ausdruck des Menschenschlags, der hier wohnt: halb Italien, halb Entlebuch …
In unzähligen Berichten über die Jahrhunderte erscheint die Luzerner Bevölkerung immer wieder als Menschenschlag, der nicht lebt, um zu produzieren, sondern produziert, um zu leben. Luzernerinnen und Luzerner scheint es – vornehm ausgedrückt – eher zur Vita contemplativa als zur Vita activa gedrängt zu haben. Innerweltliche Askese und Puritanismus, Disziplin und Arbeitsdrill hingegen waren ihnen eher fremd. Näher lag da eine robuste Sinnenfreude, die sich bisweilen in wahrhaft gigantischen Festen äusserte. Der Grundton mancher Berichte geht dahin, in Luzern sei ein wenig ehrgeiziges, biederes und gutgeartetes Völkchen ansässig, das einem eher lässigen Lebensstil zuneige. So hiess es in einem Bericht des französischen Gesandten um 1700, die Menschen in Luzern seien «nicht sehr reich, aber sie leben dennoch bequem trotz der ansehnlichen Summen, die sie alljährlich ausgeben müssen, um im Elsass und in Italien Wein zu kaufen».
Luzern ist beliebt für Polterabende …, ob diese weiblichen Schlümpfe der «kernhaften Schönheit» des Johann Georg Müller ebenfalls entsprechen?
An der Oberschicht bemerkte er, «dass die Herren von Luzern in ihrer Mehrheit ohne jeden Ehrgeiz sind und sich begnügen mit dem, was ihnen nötig scheint, um ruhig fortzukommen». Es fiel ihm also auf, dass die Luzerner Patrizier die beträchtlichen Einkünfte aus den Solddiensten nicht in lukrative Handelsgeschäfte ummünzten; lieber investierten sie in Land- und Grundbesitz. Auch der Schaffhauser Pfarrherr Johann Georg Müller sah in Luzern 1789 wenig industrielle Betriebsamkeit. «Es kam mir vor», schreibt er, «als wenn die Einwohner nicht bloss produzieren, sondern auch sich hinsetzen und das Produzierte geniessen …» Von Armut aber habe er wenig gespürt: «Die Leuthe alle sahen so ziemlich aus wie Leuthe, die gegessen haben.» Selbst Einheimischen fiel der Hang ihrer Landsleute zur Behaglichkeit auf. So ist bei den beiden der Aufklärung zuneigenden Pfarrherren Franz Josef Stalder und Bernhard Ludwig Göldlin von einer «angeborenen fröhlichen Trägheit» die Rede und von einem «Hang zur Faulheit oder zum Müssiggang…, der uns Lucernern von Jugend auf anhangt und uns mehr oder weniger in unser hohes Alter begleitet».
Besonders angenehm zeigte sich luzernische Wesensart bei den Frauen; Die Luzernerinnen werden durchweg als gesund und wohlgestalt, artig und anmutig beschrieben. Der bereits erwähnte Johann Georg Müller preist ihre «kernhafte Schönheit» und nennt sie «… gesund von Aussehn, weiss und roth von Farbe, volleibig, mit einem freyen und heitern Blick, und ungekünstelten Annehmlichkeiten…». Er meint, es sei ein «ungemeines Vergnügen, wenn man aus gewissen schleichenden Gegenden kömmt, zu sehen wie vest sie auf ihren zwey Beinen stehn; wie gerade sie wandeln, wie leicht sie sich bewegen …»
Konstanten der Kunst
Nach dem bisher Gesagten erstaunt es nicht, wenn zu den Merkmalen der Luzerner Kunst wie der Innerschweizer Kunst überhaupt eine – wie es einmal hiess – «Neigung zum Einfachen und Lapidaren», eine «betont realistische Gestaltungsweise» und eine «lebhafte Bilderfreude» gehören. Die Lust am Visionären und Fantastischen hingegen war ihre Sache weniger. Der Drang zur Visualisierung zeigt sich in den einzigartigen Gemäldezyklen auf den Luzerner Holzbrücken, aber zum Beispiel auch in Diebold Schillings ungemein erzählfreudiger Bilderchronik von 1513 oder in der langen Tradition der Osterspiele auf dem Weinmarkt, die jeweils die ganze Stadt in ihren Bann zogen. Diese Liebe zur Tradition bildet einen weiteren Grundzug des hiesigen Kunstschaffens. Zwar stand Luzern als Durchgangsland auch fremden Einflüssen offen, die im 16. Jahrhundert vor allem aus Italien und Süddeutschland und vom 17. bis 19. Jahrhundert aus Österreich, Frankreich und England kamen. Einige Male stand Luzern sogar an der Spitze neuer Entwicklungen. Der 1633 begonnene Neubau der Hofkirche (Nr. 50) war für sakrale Renaissancebauten nördlich der Alpen bahnbrechend, und die kaum 35 Jahre später begonnene Jesuitenkirche (Nr. 12) war der erste grosse Barockbau in der Schweiz. Aber daneben dominierte eine Stilkonstanz, die gotischen Formen zum Teil bis ins 17., barocken bis ins 19. Jahrhundert die Treue hielt.
Das Haus zur Sonne am Weinmarkt mit dem Fresko der Hochzeit zu Kana erinnert an die Tradition der Oster- und Fasnachtsspiele auf diesem Platz.
Die Epochen, die die Luzerner Kunst am meisten prägten, sind Renaissance und Barock; sie gehören ja auch der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts an, als Luzerns Einfluss in der Eidgenossenschaft besonders gross war. Vielleicht müsste man auch die Gotik vom 13. bis 15. Jahrhundert noch mitzählen; aber von ihr sind wenig Spuren geblieben. Immerhin hat sich in der zwischen 1270 und 1280 erbauten Franziskanerkirche (Nr. 15) ein bedeutender gotischer Kirchenbau erhalten, und an den Türmen der Hofkirche (1506–1516) kann man zumindest sehen, dass die Luzerner Gotik eigenständige, robuste Züge trug. Gotische Spuren zeigen sich auch am äusseren Befestigungsring sowie an diesem und jenem Bürgerhaus, unter anderem am Rothenburgerhaus neben der Hofkirche, das als ältestes ganz erhaltenes städtisches Holzhaus in der Schweiz gilt.
Ein Hauch südländischer Atmosphäre liegt über den toskanischen Säulengängen der Gräberhallen bei der Hofkirche (Nr. 50).
Von den intensiven Beziehungen zu Italien zeugen die Bauten der Renaissance, von denen sich in Luzern auf engem Raum einige der schönsten Beispiele in der Schweiz konzentrieren. Dazu zählen das Rathaus (1602–1604, Nr. 4) mit herrlichen Renaissancegemächern, sowie der Rittersche Palast (um 1560, Nr. 13), dessen arkadenumsäumter, dreistöckiger Innenhof das Vorbild für das Am-Rhyn-Haus (1616–1618, Nr. 5) und für das Privathaus Göldlin von Tiefenau am Hirschenplatz (um 1600) abgab. Eine geradezu südländische Atmosphäre liegt auch über den toskanischen Säulengängen der Gräberhallen bei der Hofkirche (um 1640).
Keine Stilrichtung aber hat Luzern derart geprägt wie der Barock. Seine sinnenhafte und von Erzählfreude überquellende Welt, aber auch die im Barock sich äussernde Verbundenheit von Volk und Kirche entsprachen dem Luzerner Kunstgemüt ganz besonders. Der Barock hat nicht nur in der Stadt selbst bedeutende Akzente wie die Jesuitenkirche oder am Musegghang das formidable Kornmagazin (1685, Nr. 37) geschaffen, sondern namentlich auch auf dem Land eine grosse Zahl reizvoller Juwelen hinterlassen, darunter Klosteranlagen wie Werthenstein, Beromünster und St. Urban, Wallfahrtskirchen wie Blatten und Hergiswald sowie Landkirchen wie in Ettiswil, Hochdorf oder Ruswil mit seiner wohl schönsten Dorfkirche im ganzen Kanton. In der Stadt trägt zudem manches Patrizierhaus, etwa die beiden Sonnenberghäuser links und rechts der Reuss, barocke Züge, in die sich mehr und mehr auch anmutig-heitere Züge des Rokoko mischen. Erst recht gilt dies für manchen Herrensitz, den sich vornehme Familien an schöner Lage draussen vor den Stadttoren errichteten, etwa für den Landsitz Himmelrich von 1772 (Nr. 97) an der Obergrundstrasse, den ehemaligen Jesuitenhof Seeburg von 1729 oder den Landsitz Tribschen (um 1800), das heutige Richard-Wagner-Museum (Nr. 80). Mit den Familien Singer und Purtschert entstanden Baumeisterdynastien, die den spätbarocken Stil von 1750 bis weit ins 19. Jahrhundert und in über fünfzig Landkirchen fortsetzten.
Nun von der Pädagogischen Hochschule genutzt, diente das mächtige Museggmagazin von 1686 (Nr. 37) fürs Korn- und Salzlagern. Zuletzt war es Zeughaus.
Im 19. Jahrhundert stellten sich der Architektur mit dem Bau öffentlicher Gebäude für Bahn, Post, Verwaltung und Schule, aber auch mit Fabriken, Geschäftshäusern, neuen Wohnvierteln und in Luzern namentlich mit Hotelbauten ganz neue Aufgaben. Zur Anwendung kamen von etwa 1770 bis Anfang des 20. Jahrhunderts, der Zeit von Klassizismus, Neurenaissance, Neugotik und Neubarock, vor allem historische Formen. Es lohnt sich, einmal aufmerksam durch damals neu entstandene Viertel wie Hirschmatt (S. 168 ff.) oder Bruchmatt und Säli zu schlendern, an deren Mehrfamilien- und Geschäftshäusern man die ganze Stilgeschichte Europas ablesen kann. Auch finden sich da und dort interessante Einflüsse des Jugendstils aus der Zeit zwischen 1890 und 1914. Im Hotelbau ging es oft darum, höfisch-adligen Prunk für die bürgerlichen Gäste zu demokratisieren. So erstaunt es nicht, dass bei den in nur sechzig Jahren zwischen 1845 und etwa 1905 entstandenen Monumentalbauten der Hotels Schweizerhof (Nr. 57), National (Nr. 62), Kursaal (Nr. 64) und Palace (Nr. 65) die repräsentativen Formen von Neurenaissance und Neubarock dominieren. Das 1884 über der Stadt errichtete Hotel Gütsch (Nr. 114) nannte ein Kenner einmal «halb Gralsburg, halb Hochzeitstorte».
Das 20. Jahrhundert wandte sich mit neuen Baumaterialien wie Beton, Stahl, Glas und Kunststoffen von den historischen Formen entschieden ab und einer funktionalen oder oft einfach auch nur einer ökonomisch zweckmässigen Bauweise zu. Luzern weist aus dieser Zeit zahlreiche interessante Werke von einheimischen wie auch international tätigen Architekten auf. Zu den bedeutendsten Werken dürften bei den Sakralbauten die 1933/34 entstandene Kirche St. Karl (Nr. 115) und die St. Johannes-Kirche (Nr. 69) im Würzenbach von 1970 zählen, bei den Wohnbauten das Hochhaus Alvar Aaltos (Nr. 85) im Schönbühl, und bei den öffentlichen Bauten das im Jahr 2000 eingeweihte Kultur- und Kongresszentrum (Nr. 76) des französischen Architekten Jean Nouvel, das sein Schöpfer selbst von seiner Ausstrahlung her mit einer mittelalterlichen Kathedrale verglich.
Grosser Speisesaal des Architekten Leonhard Zeugheer (1865) im Hotel Schweizerhof (Nr. 57) – höfischer Prunk für bürgerliche Reisende demokratisiert.
Kleine Luzerner Geografie
Der Siedlungsraum der späteren Stadt war durch die Natur weitgehend vorgegeben, nämlich durch das flache Felsplateau, das sich am rechten Ufer der Reuss unweit der Stelle erhebt, wo sie den See verlässt, sowie ihm gegenüber am linken Ufer durch das flache Schwemmland des Krienbachs. Während dieses aber nur wenig über dem Flussniveau liegt, steigt die Felsplatte rechts einige Meter über das Flussufer an, bevor sie sich wieder zu einer Art Rinne – heute Löwengraben und Grabenstrasse – senkt. Von dort geht es bergan zum Höhenzug der Musegg, der knapp vierzig Meter höher liegt als das Flussufer. Den ältesten Siedlungskern bildete jedoch das Kloster im Hof etwa 450 Meter östlich dieser Felsplatte. Da das Seeniveau bis ins 16. Jahrhundert – vermutlich wegen der Mühlen- und Brückenbauten in der Reuss – um ein bis zwei Meter anstieg, ergab sich durch den vorrückenden See eine deutlichere Trennung des Klosters von der neu entstehenden Stadt. Andererseits wurde das erwähnte Felsplateau dadurch erst recht zum idealen Siedlungsraum, da es nun auf drei Seiten von Wasser umgeben war. Der Fluss verengt sich von seinem heutigen Seeaustritt bei der Seebrücke bis zur Stelle des ältesten Übergangs bei der Reussbrücke von rund 165 auf etwa 50 Meter. Er teilt Luzern in die Grossstadt auf dem rechten und die Kleinstadt auf dem linken Ufer, oder in «meren stat» und «minre stat», wie es im Mittelalter hiess.
Die Hauser im Zöpfli (Nr. 28) aus dem 17. und 18. Jahrhundert am nördlichen Brückenkopf der Reussbrücke stehen zum Teil auf Mauern und Säulen direkt über dem Wasser.
Ein älterer oder innerer Befestigungsring, der vermutlich zwischen etwa 1230 und 1280 errichtet wurde, bestand auf beiden Seiten der Reuss aus kompakten Häuserzeilen. Er folgte in der Grossstadt auf einer Länge von rund 550 Metern der bereits erwähnten Rinne vom heutigen Mühlenplatz (Nr. 11) bis zum Hoftor am Kapellplatz. Dieser Ring zählte acht Türme oder Tore, von denen heute nur noch das Mühlentor (Nr. 34) steht. Sowohl in der Kleinstadt wie in der Grossstadt waren auch die Gassen und Treppen, die zur Reuss führten, mit Toren geschlossen. Der Graben vor dem Mauerring war mit Wasser gefüllt, und der Grendel vom Seeufer bis zum inneren Weggistor bildete eine Art schmalen Seearm. Über dem seichten Uferwasser stellte die Hofbrücke die Verbindung vom Hof in die Grossstadt her.
Nach der Schlacht bei Sempach (1386) machte sich die Stadt Luzern in einem ausserordentlichen Kraftakt an den Bau des äusseren Befestigungsrings. Dazu zählte im Norden auf einer Länge von über 900 Metern die Museggmauer (Nr. 38) mit ihren zehn Türmen, von denen sich zwei – Schirmerturm und Äusserer Weggisturm – über Toren erhoben; der Äussere Weggisturm wurde als einziger von diesen zehn im 19. Jahrhundert wieder abgetragen. Am linken Reussufer entstanden die heute verschwundene Sentimauer und die Litzimauer, während die Stadt wasserseits durch Wasserturm und Kapellbrücke (Nr. 23 u. 22) und reussabwärts durch die Spreuerbrücke (Nr. 32) gesichert wurde. Der äussere Ring machte nun den inneren weitgehend überflüssig. Die Tore zur Reuss hin verschwanden, während der Löwengraben zwischen 1520 und 1580 zugeschüttet wurde. Sein Name erinnert daran, dass jene, die bei dieser Arbeit den Frondienst nicht leisteten, einen «Löwenplappart», eine Entschädigung in Form einer Geldabgabe, zu bezahlen hatten.
Der Wasserarm am Grendel mit dem Lederturm aus der Serie der Bilder von Alt-Luzern von 1897 von Xaver Schwegler (1832–1902).
Das alte Strassennetz war geprägt durch drei hauptsächlich in ostwestlicher Richtung verlaufende Längsachsen. Von den beiden Achsen auf der Grossstadtseite verband die nördliche den Hof über die heutige Hertensteinstrasse, Weggis- und Rössligasse mit den Mühlen, während die südliche von der Reussbrücke über Kramgasse, Weinmarkt und Kapellgasse zum Hoftor führte. Mit der Verlegung von Hafen und Gotthardverkehr ab 1545 auf die Grossstadtseite zwängte sich der ganze internationale Transitverkehr mit all seinen Saumpferden und Karren durch diese engen Gassen, und dann über die Reussbrücke und durch die Pfistergasse zum Basler- oder Niedertor. Hier wie auch am «Platz» und auf dem Kapellplatz musste Umschlagraum für Güter und Gefährte geschaffen werden. Andere Plätze, zum Beispiel der Hirschenplatz (Nr. 6), der Franziskanerplatz (Nr. 16) oder der Mühlenplatz (Nr. 11), entstanden – teilweise jedoch erst im 15. und 16. Jahrhundert – durch das Abreissen von Häusern oder ganzer Häuserzeilen, während der Weinmarkt (Nr. 8) 1481 gebäudefrei wurde, als man die Schaal, den überdeckten täglichen Markt für Brot, Fleisch, Lederprodukte und den Tuchhandel, abriss.
An ständigen Märkten gab es – alle auf der Grossstadtseite – den Rinder-, den Pferde- und den Schweinemarkt, die aber vor 1585 vor die Mauern verlegt wurden, da man ihre Gerüche als lästig zu empfinden begann. Es blieben Kornmarkt, Fischmarkt und Lebensmittelmarkt, die beiden Letztgenannten nahe am Reussufer, damit Fischer und Bauern, die teilweise über den See kamen, direkt am Markt anlegen konnten. Der Uferstreifen, auf dem heute noch der Fisch-, Obst- und Gemüsemarkt stattfindet, hiess früher An der Egg; seit dem 16. Jahrhundert, als die Bauten bis ans Wasser vorgezogen wurden und der Markt unter die schönen Arkaden zu stehen kam, lautet sein Name Unter der Egg (Nr. 26).
Die so genannten Quais, diese heute so beliebten Promenaden am Wasser, sind Werke des 19. Jahrhunderts. Der Schweizerhofquai (Nr. 59), dem die Hofbrücke weichen musste, entstand zwischen 1844 und 1860, der Rathausquai (Nr. 25) 1897/98 – mit dem Rathaussteg –, und der St. Karliquai von der Spreuerbrücke (Nr. 32) hinunter zum Nölliturm (Nr. 39) im Jahr 1901.
Die bebaute Stadtfläche betrug seit dem Spätmittelalter, als die Stadt rund 4000 Einwohner zählte, gut 25 Hektaren. Erst im 19. Jahrhundert, als Luzern rasch wuchs, vergrösserte sich diese Fläche auf rund 950 Hektaren, und beträgt heute – nach der Fusion mit der Gemeinde Littau 2010–1281 Hektaren. Von etwa 1400–1850, als der äussere Befestigungsring den Lebensraum der Stadt umriss, betrug die Distanz von einem Ende der Stadt zum andern, etwa vom Kloster im Hof zum Kriensertor, rund einen Kilometer; Luzern war also in einer Viertelstunde gemütlich zu durchqueren. Rund 600 Meter der Strecke konnte man bei Regenwetter erst noch trockenen Fusses unter den Dächern der gedeckten Holzbrücken zurücklegen.
Was die Bodennutzung betrifft, so entfallen von der gesamten Stadtfläche von rund 2’900 Hektaren rund 22 % auf Wald, 28 % auf Landwirtschaftsflächen, 29% auf Siedlungs- und Industrieareale, 12% auf Verkehrsflächen und 7% auf Erholungs- und Grünanlagen. Eine territoriale Eigentümlichkeit besteht darin, dass rund 150 Hektaren des städtischen Areals auf der anderen Seeseite am Nordabhang des Bürgenstocks liegen. Diese Luzerner Exklave ist praktisch nur auf dem Seeweg zu erreichen.
Das berüchtigte Luzerner Klima
Man spottet gern, Luzern sei mit seinen häufigen Niederschlägen das Regenloch der Schweiz. Ein Kenner des Landes bemerkte aber einmal klug, in Zürich oder Bern sehe man bei Regen oder Sonnenschein etwa gleich viel, während man Luzern mit seinen prächtigen Ausblicken bei schönem Wetter erleben müsse, sonst kenne man es nicht. Die Statistik zeigt jedenfalls, dass Luzern, was Niederschlagsmenge oder Durchschnittstemperaturen angeht, nicht schlechter dasteht als andere Schweizer Städte. Nur die Sonne – das stimmt – scheint hier etwas weniger als andernorts, woraus kluge Reisende folgern, dass hier eben etwas mehr Geduld nötig ist, wenn man die Stadt richtig sehen will. Der wärmste Monat 2014 war der Juli mit einer mittleren Tagestemperatur von 18,2°C, während es Tagesmaxima von 25°C im Juni an 11 und im Juli an 10 Tagen gab. Am meisten Sonnenstunden wiesen 2014 März mit 197 und Juni mit 235 Stunden auf, während Juli und August – die 2013zusammen mit Dezember die trockensten Monate gewesen waren – mit je 22 am meisten Regentage zählten. Unberechenbarkeit gehört also auch zum Luzerner Klima!
Luzern heute: Bevölkerung, Arbeit, Wirtschaft
Die Bevölkerung Luzerns, die von 1800 bis 1970 von rund 4300 auf fast 70 000 gestiegen war, nahm in den folgenden 35 Jahren um rund 18% ab. Die Familien wurden kleiner und zogen zum Teil in Gemeinden der Agglomeration, wo Wohnungen oft günstiger zu haben waren. Mit der Eingemeindung von Littau 2010 stieg die Bevölkerungszahl aber wieder auf über 77000. Dazu zeigt sich auch in Luzern, wie in anderen Schweizer Städten, die Vorliebe junger Leute für das Wohnen in der Stadt. Luzern ist in den letzten Jahren jünger geworden. Während von 1950 bis 2006 der Anteil der unter 19-Jährigen an seiner Bevölkerung von 26,7 auf 14,5% gesunken war, stieg er bis Ende 2017 wieder auf 15,8%. 2017 kamen in Luzern 916 Kinder zur Welt – die höchste Zahl seit 1981.
Zwei ältere Trends setzen sich aber fort. Dazu gehört die Wohnungsbelegung, die stark abgenommen hat. 2016 lebten in 78,2% der städtischen Wohnungen nur eine oder zwei Personen, was 1970 erst in 52,6% der Wohnungen der Fall gewesen war. Auch der Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung nahm zu und lag 2017 mit 24,3 % knapp einen Drittel höher als vor 25 Jahren. Er verteilt sich allerdings ungleich auf die einzelnen Quartiere: Im Gebiet Wesemlin/Dreilinden beträgt er nur 13,8%, im traditionellen Unterschichtenquartier Basel- und Bernstrasse aber 55,7 %.
Quelle: www.lustat.ch
Arbeit finden weitaus die meisten Luzernerinnen und Luzerner im Dienstleistungssektor, in dem heute über 90% beschäftigt sind. In der Industrie waren 2015 nur noch 8,8% tätig, gegenüber 47% im Jahre 1955. Die Zahl der Arbeitsplätze hat von 2005 bis 2015 um über 10 000 auf 81 094 zugenommen; davon fallen 18 225 oder 22,5% auf den öffentlichen Sektor. Etwa 50% der Arbeitsplätze wurden 2016 von Zupendlern besetzt; das heisst, dass jeden Morgen 40 800 Erwerbstätige – also halb so viele Menschen wie in der Stadt insgesamt wohnen – zur Arbeit nach Luzern strömen, während andererseits 20400 die Stadt verlassen, um auswärts zur Arbeit zu gehen.
Luzerns Tourismus blüht. Mit 1 343 229 Logiernächten 2017 steht es wie schon seit längerem hinter Zürich und Genf an dritter Stelle der Schweizer Städte; und diese Zahl liegt gut 10% über jener vor 5 Jahren. Zu dieser Entwicklung trugen aber nicht alle Weltregionen gleich stark bei. Am meisten Logiernächte buchten 2017 Gäste aus der Schweiz selbst; als wichtigste Auslandmärkte folgten dann die USA, China, Deutschland und Indien. Die Tendenz ist eindeutig: Während die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus Asien im Fünfjahresvergleich um 26,3% und jene von Gästen aus Amerika um 22,1 % wuchs, nahm jene von Gästen aus Europa nur um 1,9% zu. Allerdings ist die durchschnittliche Aufenthaltsdauer, die 2006 noch bei 1,7 Tagen lag, bei den jährlich über 9 Millionen Besuchern Luzerns auf wenige Stunden zurückgegangen – viel zu wenig für diese schöne Stadt. Wenn künftig Individualtouristen, die das Reisen behaglich geniessen, neben den oft eilig durchs Land hastenden Gruppenreisenden wieder zunehmen würden, wäre das ein Gewinn für die Stadt und ihre Gäste.
Touristen am Mühlenplatz vor der Kulisse des Schlosshotels Gütsch.