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Prolog
ОглавлениеDie dürre Gestalt lag wie eine gebrochene Strohgarbe auf dem alten, dunklen Eichenparkett des kreisrunden Zimmers. Der vollkommen fensterlose Raum durchmaß vielleicht zwanzig Quadratmeter, die Deckenhöhe betrug mindestens fünf Meter.
Eine breite Holzplatte war in Hüfthöhe rundherum an der Wand angebracht, lediglich unterbrochen durch eine Stahltür, die durch zwei breite Querriegel zusätzlich zu einem elektronischen Verriegelungsmechanismus verschlossen wurde.
Die kuppelförmige Decke war mit verschnörkelten Stuckornamenten verziert, dazwischen befand sich ein Fresko mit zwei gigantisch vergrößerten Händen, die sich mit ihren Zeigefingern ganz nahe kamen, ohne einander zu berühren; die Nachbildung eines Ausschnittes von Michelangelos Erschaffung Adams aus der Sixtinischen Kapelle.
Auf der Holzplatte reihten sich zahllose Computermonitore und Tastaturen nebeneinander, ebenso einige Drucker. Unter der Holzplatte standen mehr als ein Dutzend Rechner.
Die dürre Gestalt bewegte sich langsam, drehte sich wie im Zeitlupentempo auf den Rücken und breitete die Arme nach beiden Seiten aus. Die Füße schlug sie übereinander. Jetzt war zu erkennen, dass es sich um einen Mann handelte. Nein … um einen Jungen. Fast noch ein Kind. Sein Kopf war nach rechts gewandt, das Kinn berührte beinahe die Schulter. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Erschöpfung. Er weinte, leises Schluchzen war zu hören. Tränen liefen ihm die Wangen herab. Der Junge hatte kurze, rostrot gefärbte Haare, trug verwaschene Jeans und ein schmutziges, braunes T-Shirt. Auffällig war ein blaugrünes Medaillon, das daran steckte.
Die vielen Monitore in dem kreisrunden Raum waren ausgeschaltet. Nur auf einem Siebzehn-Zoll-Flatscreen, der sich über dem Kopf des am Boden Liegenden befand, war ein Bild zu sehen: Zwei Gestalten, beide offensichtlich tot, lagen hingestreckt auf dem Boden einer trostlosen Hügellandschaft. Es war Nacht, doch im fahlen, gespenstisch leuchtenden Dunst erkannte man im Hintergrund auf einer Erhebung drei Galgenbäume, an denen abgemagerte und in Lumpen gekleidete Kreaturen mit auf den Rücken gebundenen Armen und gefesselten Füßen hingen. Die Körper schaukelten sacht hin und her. Auf der Schulter eines Erhängten saß ein Rabe und pickte vorsichtig ein Auge aus dem Schädel des Leichnams. Wie ein dunkler Schatten flog er mit seiner Beute davon.
Die beiden Gestalten am Boden sahen ganz anders aus als die unglücklichen Galgenvögel. Offensichtlich hatte es sich bei ihnen noch vor Kurzem um stolze und mächtige Kämpfer gehandelt. Der eine – ein vornehmer Ritter aus dem Mittelalter – trug eine prächtige Rüstung. Das Helmvisier war heruntergeklappt. Ein Messer steckte in seinem Hals. Neben ihm lag ein riesiges, prachtvoll verziertes Schwert. Um den Körper des Ritters hatte sich eine dunkle Blutlache ausgebreitet.
Bei näherem Hinsehen wurde erkennbar, dass es gar keine zweite Gestalt gab. Es handelte sich vielmehr nur um einen Haufen nasser Kleider in einer Wasserpfütze. Neben einem langen, schwarzen Samtumhang lagen der breite Hut eines Magiers und ein silberner Ring in Form einer zusammengerollten Schlange.
Der rothaarige Junge auf dem Eichenparkett hatte aufgehört zu weinen. Vielleicht war er zu erschöpft. Er hielt die Augen geschlossen. »Frank, warum hast du das nur getan?«, flüsterte er. Dann schlief er ein.