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Worum geht es?
ОглавлениеDer weiße Spieler
Der Bote von der Sternen war weiß. Das Wesen sah aus wie ein Dachs, der ein wenig kleiner als ein Mensch war. Er trug einen weißen Anzug zu weißem Fell. Er feilte sich bedächtig und aufmerksam die Klauen, was seine menschlichen Gesprächspartner leicht irritierte. Die Feile schimmerte von kleinen Diamanten.
Der Präsident ihm gegenüber leckte sich unbehaglich über die Lippen. Der Erdbeergeschmack seines Lippenstiftes beruhigte ihn nur wenig. Weitere Mitglieder der Expertenkommission des nationalen Sicherheitsausschusses ruckten, tranken große Mengen Tee, oder griffen sich gegenseitig bei den Händen. Der Konferenzraum erschien den Politikprofis plötzlich heller, als je zuvor. Der Präsident fragte sich, ob das Holz der Möbel nicht eigentlich hätte dunkel sein sollen. Stattdessen schienen ihm selbst die Holzaugen zu funkeln. Er wurde nervös, und davon wieder aggressiv.
Nun blitzten auch noch die starken Unterkieferzähne des Weltraumwesens, als dieses aufsah und nachfragte: „Ich hoffe, wir verstehen uns, Präsident Whitey?“
„Nein. Das tun wir nicht. Sie haben bisher, verdammt nochmal, kaum etwas gesagt. Was wollen Sie denn auf meinem Planeten?“
„Ich will Ihnen das Angebot Ihres Lebens machen, Sie Narr. Das habe ich sehr wohl bereits gesagt.“ Der Dachs blieb ruhig. Er schaute kurz auf die in seinem Handgelenk integrierte Uhr.
„Dann machen Sie endlich mehr als nebulöse Andeutungen!“ Donald Whitey fuhr sich mit der Hand durch seinen enganliegenden, blonden Haarschopf. Das Wesen hatte ihn in den zurückliegenden Stunden immer nervöser gemacht.
Erst vor wenigen Tagen waren große Teile seiner Raumflotte vernichtet worden. Die Reste sicherten die weiße Welt nur notdürftig. Vor ihm saß ein Gesandter der Wall-Union, der offenbar mehr wusste als er selbst. Das gefiel ihm nicht.
„Es geht um dieses fremde Sternenschiff, das vor einigen Monaten bei Ihnen war“, erklärte der Dachs, der seine galaktische Macht repräsentierte. „Sein Auftauchen war für Vorkommnisse in Ihrer und unserer Heimatwelt gleichermaßen verantwortlich.“
„Wieso das?“ Donald Whitey zog die Augenbrauen zusammen. Unwillkürlich zog er die Mokume-gane-Münze aus seiner Tasche, um mit ihr herumzuspielen, während er resümierte. Er hätte das Kunstwerk längst ausgegeben, wären nicht seine PR-Berater dagegen gewesen. „Dieses Schiff hat doch lediglich die schwarzen Idioten auf ihrem Sandplaneten geärgert.“
„Es hat weit mehr als das getan.“ Der Dachs streifte sich mit den Krallen über die eigene Nase. Präsident Whitey wusste, dass das in seiner Kultur bedeutete, sein Gegenüber zu verlachen. „Die Kämpfe zwischen den zahlreichen bewohnten Welten Ihres Systems sind Ihnen überhaupt nicht aufgefallen? Haben Sie nicht gesehen, dass das in einem zeitlichen Zusammenhang stand? Haben Sie nicht überlegt, ob sich das Problem ausweiten könnte?“
„Natürlich sind mir die Kämpfe aufgefallen. Mir sind hier ja gerade noch 16 Schiffe verblieben.“
„16.“ Der Dachs erhob zwei Finger und kreuzte sie. Durch das Dualzahlensystem seiner Heimat hatte er einen runden Wert gehört. „16 Raumschiffe werden wir Ihnen leicht entsetzen können, von mir aus auch 32. Aber es ist wesentlich, dass es Ihre Schiffe sind, die losfliegen.“
„Wovon reden Sie?“
„Wie gesagt, geht es um das fremde Sternenschiff.“ Der Dachs wurde leiser. „Es kam zuerst zu Ihrem Sonnensystem, und danach zu uns. Wir haben nach den Beobachtungen eine grobe Vorstellung, aus welcher Richtung es kam. Dorthin müssen wir uns jetzt orientieren. Das Sternenschiff hat erhebliche Verwerfungen in den Wirklichkeiten erzeugt, bei uns wie bei Ihnen. All die Kriege und Kämpfe um uns herum gehen auf dieses eine Raumschiff zurück. Wollen Sie denn nicht auch, dass wir in einer friedlicheren Welt leben?“
„Natürlich. Frieden und Freiheit sind es, die wir Alle wollen. Um ihren ewigen Ruf geht es.“ Präsident Donald Whitey erhob leicht die Stimme, und setzte einen professionellen Gesichtsausdruck auf. Die Formel selbst ratterte er herunter. Er sagte sie in jedem Wahlkampf täglich etliche Male auf.
„Dann müssen wir für Frieden und Freiheit kämpfen“, zischte der weiße Dachs zurück. Das fahle Neonlicht des Raumes gab seinem nun gesträubten Fell einen leicht bläulichen Schimmer. „Genau das ist es ja. Das Sternenschiff hat nur eine Menge Unfrieden gebracht, zu Ihnen wie zu uns.“
„Dann ist es unsere Pflicht, uns zu wehren. Oder etwa nicht?“
„So ist es.“ Der Dachs legte eine rhetorische Pause ein. Er hatte gelernt, dass so etwas bei Menschen gut wirkte. „Dennoch müssen Sie wissen, gegen was und warum wir kämpfen sollen.“
„Es geht um die Freiheit. Das hatten wir doch gerade.“ Donald Whitey war ehrlich verwirrt. Auch seine beiden Geheimdienst-Leibwachen fummelten nervös an ihren Jackets, unter denen sie ihre vierschüssigen Revolver wussten.
„Ja, das stimmt.“ Wieder kratzte sich der Dachs an der Nase. „Und es ist ein entscheidender Punkt. Nach allen wesentlichen Beobachtungen glauben wir nämlich, dass dieses Schiff aus einer Welt kam, in der es keine echte Freiheit gibt.“
„Die schwarzen Spinner haben uns nicht viel verraten.“ Präsident Whitey trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte, bis ein angeklebter Fingernagel abbrach. „Ich denke, Sie werden genauer erklären müssen, was Sie beobachtet haben.“
Wiederum wartete der Dachs, bis er sagte: „Wir glauben, das fremde Sternenschiff kam aus einer monarchistischen Welt. Wir glauben, dort gibt es keine Demokratie.“
„Verdammte Unterdrücker!“, entfuhr es Donald Whitey. Dann fügte er hinzu: „Was geht das mich an?“
„Sehr viel.“ Der Dachs nahm sich eine Handvoll der bunten Pillen, die auf einer Servierplatte lagen. Er stopfte sie sich genüsslich in den Mund, während viele der Menschen ihm ungläubig zusahen. Sie hätten bereits zwei oder drei davon in seltsame Rauschzustände versetzt. Das Wesen fauchte nur: „Ihr politisches System auf dieser weißen Welt scheint das ziemlich exakte Gegenteil zu der Heimat des Sternenschiffs zu sein. Wir haben auch die anderen Planeten Ihres roten Riesensterns durchgerechnet. Dabei ergab sich keine so starke Übereinstimmung. Es ist alles eine Frage von Richtungen. Sie sind genau die Art Konterkarierung, die wir brauchen. Sie sind das Leuchtfeuer, das gegen die finstere Bedrohung steht.“
„Wofür brauchen Sie mich?“, fragte Donald Whitey lauernd.
„Keine Sorge! Ich spreche durchaus in Ihrem eigenen Interesse“, beschwichtigte der Dachs, und spuckte dabei eine Plastikhülle wieder aus. „Das hier wird für uns eine Win-win-Situation ergeben. Sie setzen Ihr System auf einer oder mehreren weiteren Welten durch, und für uns sind Sie ein verlässlicher Handelspartner, im Gegensatz zu den Fremden.“
„Wieso? Das ist sehr wenig Information.“ Donald Whitey nahm für sich selbst ein Stück Kautabak aus einer kleinen Dose, die er immer dabeihatte. „Sie haben mir noch immer nicht gesagt, worin genau die Unterschiede zwischen unseren Systemen bestehen, wenn Sie etwas daran bei meinem Planeten lieber mögen. Was ist Ihre finstere Bedrohung? Ich habe zwar nichts dagegen, der Gute zu sein, aber es macht mich misstrauisch. Seit wann beschäftigen Sie sich überhaupt mit diesen Dingen?“
„Wir beschäftigen uns immer dann mit etwas, wenn es nötig wird.“ Der Dachs bleckte die Zähne. „Wenige unserer Wissenschaftler kümmern sich um so einen abgehobenen Unsinn wie soziale Dimensionen. Aber einige tun es eben doch. An so einer Stelle erweist es sich oft als günstig, noch eine Speise mehr vorbereitet zu haben.“
„Zur Sache!“
„Zur Sache.“ Der Dachs pfiff durch die Zähne. „In der Sache sind Sie hier auf einer konservativen Welt. Das gibt uns Vertragssicherheit. Auf der anderen Seite sind Sie liberal. Das gibt uns Handlungsmöglichkeiten. Der liberale Konservatismus ist das perfekte System für unsere Art von Freihandel. Ob Sie darüber hinaus einen weißen Eisblock verehren oder einen blauen Himmel, kann uns völlig egal sein. Entscheidend ist, dass Sie letztlich an dem Erhalt um des Erhalts Willen arbeiten. Die Fremden werden das ändern wollen.“
Donald Whitey wusste, dass manche seiner Priester hier der Philosophie der Wall-Union widersprochen hätten. Er selbst widersprach nicht. Als Realist versuchte er stets, das Beste für sich selbst aus einer Situation herauszuholen. Dazu waren konservative Strukturen und Ansichten sehr hilfreich.
Was er noch nicht verstand, war aber die Idee eines Gegenteils dazu. „Ja, das stimmt ja alles“, meinte er darum. Seine Hand wanderte an die Geschlechtsteile seines Nebenmannes und drückte zu, so dass dieser aufjaulte. „Aber andere als konservative Strukturen müssten doch irgendwann in sich zusammenfallen. Sonst sind sie nicht stabil. Andernfalls kommt es nur zu unnötigen Kämpfen und Revolutionen. Davon unabhängig ist innere Freiheit. Die betrifft jeden Einzelnen. Der kann sich innerhalb des Systems aussuchen, was er will. Dadurch entstehen Ideen und Gedanken. Durch die wird jede Entwicklung überhaupt erst möglich. Wie sollen diese Fremden denn bitte Sternenschiffe bauen können, wenn sie nicht auch selbst liberal innerhalb eines konservativen Systems arbeiten?“
„Das ist genau die Gefahr!“ Der Dachs sprang auf, zunehmend erregt. Hierin war seine Gestik menschlich. Während er sich an der Tischkante festkrallte, stieß er hervor: „Jene fremde Welt ist fast spiegelbildlich gegenteilig zu der Ihren hier, aber versetzt. Sie ist nicht einfach irgendwie chaotisch anders.“
„Aber das Gegenteil zum Konservatismus...“, setzte Donald Whitey an.
„Nein!“, rief der Dachs. „Das Gegenteil ist eben nicht einfach Anarchismus oder Infantilismus. Das Gegenteil zum Konservatismus ist der Feudalismus.“
„So einen Blödsinn verstehe ich nicht. Monarchien sind doch extrem konservativ.“ Präsident Whitey schnaubte.
Der Dachs spuckte sich auf die Fellhände, und fuhr mit ihnen über sein Revers. Dadurch tanzten seine Körperhaare förmlich. „Monarchien sind oft konservativ, ja. Aber echte Feudalherrschaften sind keine echten Monarchien. Sie haben nur meist einen monarchistischen Überbau, ebenso wie ihr Konservatismus hier einen demokratischen Überbau hat. Aber bei Ihnen hier reagiert ja auch nicht der einzelne Mann auf der Straße, egal, was Sie ihm erzählen mögen. In Feudalstaaten herrscht die adelige Gesinnung, nicht der König als Person.“
„Haben wir hier nicht auch eine Art Adel des Geldes?“
„Ja, das ist der Punkt!“, brüllte der Gesandte der Wall-Union. Alles an ihm sträubte sich und spannte sich an. Seine Stimme fiel in Tonlagen, welche die Menschen nicht hören konnten. „Geldadel entwickelt sich aus dem Individuum. Er braucht Liberalismus, um zur Macht zu kommen. Dabei nutzt er vorhandene Strukturen in einem konservativen System. Dieses ist ausgelegt auf die Möglichkeiten des Einzelnen, innerhalb von Vorgaben aufzusteigen. Es erhält sich selbst. Der Bürger darin folgt Notwendigkeiten und Vorgaben.
Aristokratischer Adel funktioniert genau anders herum. Zwar kann beides auf seine Art erblich sein. Aber die Vorgaben der Adelsstruktur bestimmen die Persönlichkeit. Jene folgt einem fiktiven Wertemuster, das sich ausbreitet, anstatt den eigenen Bedürfnissen.“
„Theoretiker wie Sie lasse ich normalerweile aufknüpfen“, meinte Donald Whitey trocken. „Seien Sie froh, dass Sie aus einem anderen Sonnensystem kommen.“
Wiederum schob der Dachs die unteren Zähne vor. „Sie wissen nun also, warum wir über Ihr exaktes Gegenteil reden?“
„In kleinen Teilen“, murrte der Präsident unzufrieden. „Ich verstehe immer noch nicht, wie Ihr kruder Feudalstaat Sternenschiffe bauen kann. Dazu braucht es doch Liberalismus, um die Leute zum Handeln zu bewegen. Sie handeln doch gar nicht wirklich für sich selbst ansonsten.“
„Darüber haben wir lange nachgedacht.“ Der Dachs zitterte mit den Ohren. „Wir glauben mittlerweile, dass dieses fremde Gesellschaftssystem aus sich selbst heraus sehr kreativ sein muss. Das könnte sich gegen Sie und uns wenden. Wie das geht, wüssten wir selbst gerne. Deshalb sind wir unsicher. Trotzdem ist Ihre weiße Welt hier die gegensätzlichste, die wir finden konnten.“
„Sie wollen also, dass wir einen Kampf für Sie führen? Und als Grund führen Sie wüste Theorien an.“ Donald Whitey spuckte Tabaksaft in einen bereitstehenden Napf neben sich. „Wir sind angeschlagen. Alles, was Sie bieten, sind vage Phrasen von künftigem Handel.“
„Nein!“ Die Zähne des Dachses blitzten abermals hell, und nun wurden Verzierungen darin erkennbar. Kleine Strasssteine waren zwischen sie eingelassen worden. „Ich biete Ihnen das Leben. Ich biete Ihnen Ihre eigene Existenz. Bei zwei so gegensätzlichen Kulturen wie hier wird sich letztlich immer eine der beiden durchsetzen. Und ich würde es gerne sehen, wenn das Ihre wäre.“
Der Dachs blickte der Reihe nach zu jedem der anwesenden Menschen. Einige waren bleich, andere zögerten, weitere folgten seiner Logik.
„Was soll der Grund sein, dass wir gerade jetzt für Sie kämpfen sollen?“, meldete sich Admiral Alexander Game schließlich zu Wort. Gleichzeitig warf er einen Würfel. „Warum hat das Ganze nicht noch Zeit?“
„Das ist ein weiterer Punkt, diese Zeit“, meinte der Gesandte der Wall-Union wieder ruhiger. „Wir haben scheinbar endlos viel davon. Die Dinge entwickeln sich ja sonst nur in der Geschwindigkeit, die dem Geschäft zuträglich ist, also praktisch gar keiner. Echte Entwicklungen werden beschränkt, und den Leuten nur vorgetäuscht. Sonst würde ja die Verlässlichkeit der konservativen Berechnungen abnehmen. Bei den Fremden ist das anscheinend anders. Entwicklung scheint bei ihnen wegen der Kreativität ein Selbstzweck zu sein.“
„Dann besteht die Gefahr, dass sie uns technisch überholen könnten?“ Miss Bunnydollar war aufgesprungen und präsentierte den anwesenden Herren ihren überbetonten Ausschnitt. Ihre seitlich abstehenden, aufgesetzten Hasenohren wackelten.
„Diese Gefahr besteht seit dem ersten Tag, an dem die Fremden keinen Kontakt mehr zu uns hatten“, keifte der Dachs zurück. „So, jetzt merken Sie also auch einmal etwas?! Die soziale und logische Entwicklung hat die Fremden Sonnensysteme ansteuern lassen, die den gleichen Stand hatten, wie sie selbst. Aber ihre Heimat entwickelt sich mit einer deutlich höheren Geschwindigkeit als unsere. Wenn wir nicht Alles verlieren wollen, dann müssen wir also sofort alle Geheimtechnologien anwenden, die wir haben. Hier und jetzt müssen wir kämpfen. Nur dann haben wir eine Chance gegen sie.“
„Dieser Teil leuchtet mir leider ein.“ Donald Whitey ließ sich demonstrativ von einer seiner Leibwachen dessen Revolver aushändigen. Er zielte willkürlich in verschiedene Richtungen im Raum. Dann knallte es. Der Globus einer grünen Erde zersprang in seine Einzelteile. „Also wir hier auf der weißen Welt? Weil unser System besser ist als das ihre, und die anderen Welten in der Nähe weniger weit entwickelt sind? Warum sollen wir uns eigentlich keine Unterstützung holen? Hier stehen immerhin etliche große Planeten gegen einen einzelnen kleinen.“
„Das würde keinen Unterschied machen.“ Der Dachs der Wall-Union senkte seine beiden Klauen in die Oberschenkel seiner menschlichen Nachbarn. Diese stöhnten schmerzvoll auf. „Hier muss ich aufgrund meiner überlegenen Logik einfach die Anordnung treffen, dass Sie zu kämpfen haben. Auch, wenn in diesem Kampf mehrere Planeten gegen einen einzelnen stehen, sind ihre Chancen recht genau eins zu eins. Ich werde Ihnen nicht sagen, warum. Geheimnisse müssen gewahrt bleiben, will man nicht seinen Vorteil zu bloßem Allgemeinwissen verkommen lassen. Finden Sie es selbst heraus, oder lassen Sie es bleiben. Was wir brauchen, sind jedenfalls Ihre 16 Raumschiffe, Ihre Flotte. Wir werden sie mit ein paar Extras ausstatten, und dafür bei den Besatzungen mitreden.“
Nun trommelten seine Klauen einen leisen Takt aus seiner Heimat auf der Tischplatte: Gib mir mehr! / Gib mir mehr! / Gib mir mehr! / Gib mir mehr! / Nur der Sieg / bringt das Geld / und die Welt.
Der schwarze Spieler
Der Bote von den Sternen war schwarz gewesen. Stille hatte bei seinem Erscheinen geherrscht. Genauer betrachtet hatte er in einem dunklen schwarz-rot geschimmert. Seine Schuppen hatten in langen, schlängelnden Windungen dunkel geglänzt. Die Enden seiner sechs Flügel hatten strahlendrot irisiert. Die sechs Augen an allen Seiten des Kopfes des Wesens hatten in lidschlaglosem Violett gestarrt. Dadurch hatten sie mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als der auf zwanzig Mannslängen peitschende Echsenkörper.
Seinetwegen tagte nun die geheime Reichskammer für Strategie und Waffengang. Durch die Umstände war heute noch ein besonderer Gast anwesend. Kaiser Asmund I. beäugte ihn misstrauisch über den Tisch hinweg.
„Wir fragen Uns eigentlich, warum Wir Euch trauen sollten, auch, wenn Uns scheinbar keine Wahl bleibt“, sagte er. Er strich sich die schwarzen Locken aus dem feinen, gebräunten Gesicht, dessen tiefe Tönung er von seiner Mutter geerbt hatte. Durch dieses Erbe hatte er sehr mit seinem zeremoniellen Bartschmuck zu kämpfen. Die alten Spangen waren für glatteres und elastischeres Haar ausgelegt. Nur die Wangenperlen hielten gut.
„Habe ich je mein Wort gebrochen? Seit hundert Jahren herrscht Friede zwischen unseren Reichen“, kam die sardonische Erwiderung vom anderen Ende der langen Tafel. Der Antwortende hatte mit dem Kaiser die schlanke Körperspannung und den lauernden Blick gemein. Sein Antlitz jedoch war bleich.
„Von Freundschaft würden Wir trotzdem nicht eben sprechen“, meinte der Kaiser langgezogen. Er strich sich mit einem Finger über die Krone, die er bei dieser offiziellen Gelegenheit trug. Er suchte ihr Alter und die Ruhe, die sie auf ihn ausübte. Die Krone des Reiches der höchsten Quelle war ein Reif aus steinern kühlem Eis. Es drehte sich und floss langsam in winzigen Splittern im Kreis. Es schimmerte und blitzte bau und grün. Ohne je zu schmelzen passte sich der Gletscherreif der Kopfform seines Trägers an. „Trotzdem müssen Wir sicherstellen, dass weder Ihr noch sonst jemand Unsere Lande überfallt, solange Unsere Flotte sie nicht schützen kann. Also erklärt Euch, Tyrann!“
„Macht Euch wegen mir mal keine Sorgen, mein lieber Kaiser! Für mich gilt das Abkommen vom verlöschenden Regenbogen.“ Der Tyrann lächelte sein breitestes Lächeln. Es lag dunkel zwischen einigen locker gebundenen Haarsträhnen. Einzig seine mattschwarze Magierrobe war türkis abgesetzt. Dadurch leuchtete sie heraus aus den schwarzen Raumwaffenuniformen der kaiserlichen Offiziere am Tisch.
„Was hat Euch Eure Weltraumschlange denn jetzt überhaupt gesagt?“, fragte er. „Warum habt Ihr mich gerufen? Warum wünscht Ihr ausgerechnet meinen Beistand?“
„Er nannte sich selbst einen Drachen.“ Asmund I. legte die Fingerspitzen zusammen. „Er sagte, er hieße König Ghermezschah, und überbrachte Uns Nachrichten von Unserem weiland abgeflogenen Sternenschiff Komet.“
„Aha. Das sagt gar nichts aus. Was kümmern mich Eure weiland abgeflogenen Sternenschiffe? Unsere Flotten haben nichts miteinander zu tun.“
„Das müssen sie aber nach den Worten des Drachen.“ Der Kaiser nahm sich ein kleines Küchlein von einer Servierplatte. Vorsichtig biss er hinein. Das Hefegebäck hatte ein nussiges Aroma von Bucheckern. Dann sprach er weiter: „Wir müssen Absprachen treffen, denn Wir müssen nun Unsere gesamte Flotte entsenden.“
„Wegen den Worten eines großen Weltraum-Olms?“
„Wegen seiner überlegenen Logik.“ Der Kaiser schluckte. „Leider waren seine Berichte und Einschätzungen ziemlich genau. Unsere Realitäts-Topologen haben alles durchgerechnet, wieder und wieder. Lokale Wirklichkeiten ändern kann jeder. Die universale Wirklichkeit für den gesamten anmessbaren Bereich zu ändern, ist etwas völlig Anderes. Genau das passiert hier in extremer Geschwindigkeit. Wir sehen uns dabei Alle akut einer überstarken, interrealen Fallströmung gegenüber. Der Komet hat sie ausgelöst. Er muss mehrere Teilkopien unserer eigenen Welt relativ nahe passiert haben. Dabei hat er offensichtlich eine Strömungsrichtung in einer Stärke eingeschlagen, die zwangsläufig zu Wellen mit erheblichen transsozialen Metawirbeln geführt haben muss. Es wird vielerorts effektive Interaktionen in der einen oder anderen Richtung geben.“
Der Tyrann griff auch zum Gebäck. Er nahm sich ein Puddingteilchen, dessen Füllung eher eine Honig-Quark-Creme war. Gedankenvoll biss er auf den in den Rand eingebackenen Kümmel. Schließlich meinte er: „Es ist doch schön, wenn ein Kaiser auch ein Wissenschaftler ist. Dann drückt er sich wenigstens verständlich aus. Ich muss Euch aber trotzdem daran erinnern, dass ich selbst 218 Jahre alt bin. Euer eigener Stab könnte also eher die Verständnisprobleme bekommen.“
Der Blick des Kaisers ruckte zu General Aleksander von Scheidmann hinüber. Dieser zuckte mit den Schultern und meinte: „Auch als Spieletheoretiker habe ich verstanden, worum es geht, Majestät. Soviel Allgemeinbildung sollte man besitzen.“
„Das ist einer der Punkte“, erklärte Kaiser Asmund. „Allgemeinbildung sollte immer so groß wie möglich sein, damit die Fachbildung es auch sein kann. Geheimnisse dürfen nicht länger bestehen, als irgend nötig. Sonst leidet auch die Fachbildung darunter, und die Kreativität der Person kann nie richtig greifen. Kenntnisse müssen im Gemeinsinn verbreitet werden. Das mögen auch Eure Leuchtende Dunkelheit sich merken.“
„Wieso denn jetzt Kreativität?“ Der Tyrann war nur leicht irritiert. „Haben wir nicht eben über Raumflotten und ihren Verbleib gesprochen? Die höchste Quelle scheint mir gerade etwas quirlig zu sein.“
„Nein. Wir sprachen über den Grund für die An- oder Abwesenheit der Schiffe.“ Kaiser Asmund Neiogan Lilienrich von der höchsten Quelle seufzte. „Es gibt noch ein paar Kleinflotten und Raumschiffe hier und da. Aber Ihr habt neben Uns die einzige andere starke Weltraumflotte, die Wir hier kennen.“
„Verzeiht, Majestäten, wenn ich mich einmische“, erhob Generalin Tamara Hübschendame steif ihre Stimme. „Allerdings war ich es, die mit dem Drachen gesprochen hat. Darf ich seine Argumente zu diesem Punkt auslegen?“
Der Kaiser nickte knapp, und die Generalin fuhr in überkorrektem Ton fort: „Es ist unsere Flotte, die dem Feind entgegentreten muss, weil es unser Expeditionsschiff war, das ihn überhaupt erst losgetreten hat. Gleichzeitig müssen innerhalb unserer Welt die Dinge richtig geordnet werden. Dafür braucht es konzertierte Abkommen. Sonst schwächt sich unsere Sicht der Dinge als Ganzes. Es geht um die Einordnung in die größeren Zusammenhänge. Der Drache Ghermezschah hat sich übrigens herzlich amüsiert, als er es mir erklärt hat. Er meinte, wir könnten von Glück reden, dass wir ihm sympathischer wären als diese Wall-Union.“
„Gehen Sie denn von einer diametralen Kollision der Realitäten aus?“ Der Tyrann griff nach einer geblümten Kaffeetasse und stürzte ihren Inhalt herunter, ohne hinzusehen. „Das kann ich kaum glauben. Solche Entwicklungsströme sollten nach allen Betrachtungsansätzen windschief aneinander vorbei laufen.“
„Ja und nein. Sie tun es zwar langfristig, aber hier und jetzt genau nicht“, trumpfte die Generalin auf. „Laut König Ghermezschah ziehen sie einander durch ihren gegensätzlichen Driftimpuls an. Dabei gilt eine umgekehrte Logik im Bereich großer, paralleler Entwicklungsvektoren. Bei diesen ziehen sich einzelne Gegensätze scheinbar an, weil gleiche Elemente zu einem Austausch von weiteren Teilen führen. Deshalb haben wir nun einen Zusammenstoß von Realitäten, den vieles an uns nicht überleben kann oder wird.“
„Das klingt übel.“ Der Tyrann gab einer beistehenden Ordonanz ein verabredetes Zeichen. „Wenn unsere Realitäten kollidieren, wird im Kern nur eine überleben. Von der anderen bleiben bloß Fragmente.“
„Ich weiß nicht, ob es so krass ausfallen muss“, meinte der Kaiser. Seine dunkle Gesichtshaut bildete Schatten durch ihre stete Bewegung. „Vielleicht gibt es auch einen anteiligen Wechsel. Umliegende Wirklichkeiten werden ohnehin nur stark abgeschwächt betroffen. Aber diesen Kampf hat genau Unsere Flotte zu bestreiten gegen genau eine Flotte von diesen Fremden. Sie sind Uns entgegengesetzt. Dieses ist ein Kampf der Systeme, und wegen der kontradiktorischen Setzung der Realvektoren werden Wir ihn gegen eine Flotte eines liberal-konservativen Systems führen müssen. Wir befinden uns in einem klimatischen Kulminations- und Kreuzungspunkt der Entwicklungen. Nur deshalb hat dieses System überhaupt eine Chance gegen das unsere. Also müssen wir hier und jetzt kämpfen. Das ist das, was der Drache beschrieben hat.“
„Ja“, presste Tamara Hübschendame hervor. „Eine liberal-konservative Demokratie, das exakte Gegenteil zu einer kreativ-feudalen Monarchie. Ich frage mich, wie eine solche Regierungsform je die Raumfahrt entwickeln konnte. Wie könnte der einfache Bürger einer Demokratie auch nur die Worte verstehen, die Majestät gerade eben gesagt haben?“
„Als Inhaber eines maximierten Prinzipalstaates kann ich über diese Frage natürlich nur lachen“, meinte der Tyrann. Dann wandte er sich um. Das bestellte Glas, das die kaiserliche Ordonanz ihm brachte, schäumte von Bier. Es enthielt vermischt zur Hälfte Schwarzbier und zur Hälfte Malz. „Viele Wege führen zur Nordstadt. Auch ich habe schließlich eine Raumflotte meiner ganz eigenen Art. Irre ich mich, oder hatten Sie mich deswegen rufen lassen?“
„Eigentlich geht es für Sie nur darum, dass Sie auf Unsere Welt aufpassen, während Wir die Arbeit machen. Später werden Sie vielleicht auf jener Welt mit Schemen arbeiten können, ohne je etwas dafür getan zu haben“, knirschte der Kaiser.
Der Tyrann zückte seine silberne Taschenuhr, und warf einen Blick darauf. „Dazu bin ich seit Langem vertraglich verpflichtet. Wollen Sie es in Stunden nachgerechnet haben? Es ist aber nett, dass Sie mich persönlich informieren. Wahrscheinlich wird auf der Gegenseite ein ähnlicher Vorgang ablaufen, nur umgekehrt. Bei uns ist er eigentlich überflüssig. Ich habe mein Wort gegeben, und Sie wissen, dass ich es halten werde. Feudalismus funktioniert nicht ohne Ehrlichkeit, genauso wie Konservatismus auf Scheuklappendenken basiert. Machen Sie da mal nicht einen Schritt in die falsche Richtung, mein lieber Kaiser! Auch mein Prinzipalstaat hat viele feudale Strukturen. Sie sind nur zentralistischer, als bei Ihnen.“
„Das heißt jedenfalls, Sie werden grundsätzlich nichts oder wenig machen?“ Der Kaiser spielte mit einem Armreif, den er von seinem Großvater geerbt hatte. Dann fiel ihm auf, dass sein Druck dabei zu groß war. Sofort ging er dazu über, halb bewusst die Streifen zu tätscheln, die geflochten einen Ring von Büchern aus Kupfer und Messing darstellten.
„Meine Schiffe werden patroullieren. Vielleicht kann ich Ihnen auch irgendwelche Kleinigkeiten zukommen lassen.“ Der Tyrann griff nach dem nächsten Gebäckteilchen. Es war ein Obsttörtchen mit mehreren Fruchtlagen in Pfirsich, Mirabelle und Zitrone, getränkt von einem Walderdbeerbrand. „Aber auf mehr als hundert Prozent werde ich Ihre Flotte nicht verstärken können. Ich kann nur dafür sorgen, dass niemand Ihr Reich schwächt, während Sie weg sind. Das ist übrigens auch noch so eine Sache. Wir haben eine interreale Fokusbildung. Dadurch steht Ihr Reich gegen jenes von den Sternen. Nach Schrotkorns Bindungsgesetz haben wir ein grob ausgeglichenes Aufeinandertreffen. Realitätsentwicklungen breiten sich in Wellen aus. Wenn zwei gegensätzliche kollodieren, so bildet sich ein Kamm. Dieser hat seine Maxima, die sich weitgehend gleichmäßig widersprechen. Das sind dann je zwei Seiten mit ihren Höhen und Tiefen. Durch den Kollisionsansturm schaukeln sie sich insgesamt auf ähnliche Höhen hoch. Deshalb sind sie nominell gleichstark. Erst durch kleinere Bewegungen wird eine Entscheidung herbeigeführt, durch die sich dann der gesamte Wellenkamm in eine entsprechende Richtung des galaktischen Umfeldes in Bewegung setzt. Wahrscheinlich läuft also Ihr ganzer Streit auf einen Zweikampf zwischen Ihnen und dem Anführer der Gegenseite hinaus, mein lieber Kaiser.“
Asmund I. schnitt eine Grimasse. „Ich fürchte, da könnte etwas dran sein. Letztlich muss man seine Kämpfe selber führen. Da entscheidet dann die eigene Fähigkeit. Ich kann gerne dem Feind einen Anführerkampf anbieten, sollte es soweit kommen. Ich weiß nur nicht, ob das etwas bringt.“ Eine Weile schien er in Gedanken versunken. Dann entschied er sich, dass weitere Diskussionen im Moment fruchtlos waren. Daher rief er: „Meine edlen Damen und Herren!“ Es wartete kurz, und gab dann die Losungsworte für das Sitzungsende aus: „Wir schreiten zur Ewigkeit!“
Ein Stimmenchor antwortete ihm: „Geht mit uns, Majestät, zu den Sternen!“