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Das Königreich der Zwerge

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Zehn Tage hindurch ritt Sejarl in das Reich Kom hinein. Von Westen her kommend hatte er zuerst eine trostlose Ebene passiert, an die sich einige verstreute Weiler in einem waldigen Hügelland anschlossen, in welchen er zum ersten Mal mit dem Volk der Zwerge bekannt geworden war.

Inmitten von Rübenfeldern erhoben sich gedrungene, graugetünchte Häuschen kaum über den Erdboden hinaus. Aus Lehm und Feldsteinen waren sie errichtet, und für den Ritter viel zu niedrig. Ihre Anlage glich sonst jener von Orten in den Ordenslanden. Auch einen Eindruck echter Armut vermittelten sie ihm nicht. Trotzdem vermisste Sejarl das reiche, wogende Korn und die sich mit teuren, schweren Tuchen schmückenden Gestalten aus den Erzählungen, die er über dieses Land gehört hatte.

Wenn der Ritter an Zwergen vorüberkam, so waren dies einfache, in lederne Arbeitskleidung gehüllte Dorfbewohner, die ihn scheuten. Auch kam es vor, dass dem einen oder anderen von ihnen noch nichts zu Ohren gekommen war von der bleichen und totengleichen Haut der Ordensleute von jenseits der Berge. Dann erntete der Fremden Furcht.

So reiste Sejarl einige Zeit, ohne dass er auch nur ein ergiebiges Gespräch hätte führen können. Er wurde gemieden, ohne dass es jemand gewagt hätte, offen gegen ihn aufzufahren. Dazu gab er den einfachen Leuten auch keinen Grund. In Ställen und Scheunen fand er Aufnahme und Nachtlager, und Bauern und Gastwirte verkauften ihm zögernd eine Wegzehr, die schlechter hätte sein können.

Unterdessen folgte ihm der Windgeist, heischte mal hoch, mal ebenerdig, um ihn herum. Er nahm Blätter, Staub und Gezweig vom Boden auf, um es für eine Weile zum Teil seines Körpers zu machen, und dann hinter dem nächsten Dorfe wieder fahren zu lassen. Dafür nahm er dann etwas Neues auf. Gelegentlich gab er dabei zischende oder flüsternde Laute von sich, welche unartikuliert waren, und sich auf nichts Bestimmtes zu beziehen schienen.

Einmal beobachtete eine Gruppe Kinder dieses Treiben mit großem Vergnügen und lief unter lautem Gejohle und Gelächter hinter dem Geist her, ohne den Ritter weiter zu beachten. Eines der kleinen Zwergenkinder rief dabei ständig mit hoher, piepsiger Stimme: „Flisch, Flisch, Flisch!“.

Die anderen griffen diesen Ruf auf und versuchten, den lebenden Wind durch die ständige Anrufung mit dem Worte zu kleinen Kunststücken zu verleiten. Zu seinem eigenen Erstaunen stellte Sejarl fest, dass jener innerhalb gewisser Grenzen hierauf zu reagieren schien.

Als die Kinder sie schließlich wieder verlassen hatten, entschied der Ritter daher, dass der Geist nun einen Namen habe.

Weiter und tiefer gelangte Sejarl ins grüne, hügelige Land der Zwerge hinein. Je weiter er kam, desto größer wurden die Orte und Siedlungen, desto höher wuchs das Korn auf den Feldern und desto reicher waren die Leute gekleidet.

Den Orten selbst war eine Merkwürdigkeit zu eigen: Je größer sie waren, desto mehr waren sie in den Boden hinein gebaut. Die Dächer der Häuser lagen im Vergleich mit dem Umlande zu ebener Erde. Die belebten, breiten Straßen und schmalen Gassen waren in den Boden hinein gegraben. Die Gebäude zu ihren Seiten waren entweder aus Fels und Steinen herausgeschlagen, oder aber die Erde war mit Lehmziegeln soweit verstärkt worden, dass sich auch so über drei bis vier Stockwerke hinab stabile Wände bildeten. Zu den Rändern der Orte hin flachte das Gelände wieder ab, so dass ihre Mitte jeweils eine tiefe Kuhle bildete, in der die Nacht des Erdinneren herrschte.

Daher waren die Wege, über die der Ritter dort innerhalb der Orte kam, dunkle Schluchten, die mit ihrer von Öllampen beleuchteten Geschäftigkeit ein seltsames Bild von düsterer Großartigkeit vermittelten. Von außerhalb der Stadt konnte man nur eine schwarze, plane Fläche sehen, aus der hier und da die Rauchwolken von Herdfeuern aufstiegen.

Sejarl wunderte sich sehr über diese Bauweise und fragte sich, was sie wohl für einen Sinn oder Ursprung hatte.

Also hielt er, als er zum zweiten Male eine kleine Stadt dieser Art erreichte, vor einer Herberge in ihrem Zentrum an. Der Widerschein von hundert kleinen Feuern aus den Fensteröffnungen der umliegenden Gebäude erhellte eine mit Ornamenten versehene, viergeschossige Backsteinfassade. Er spiegelte sich in den halbedlen Schmucksteinen, welche in unregelmäßigen Abständen in ihr eingelassen waren.

Mit etwas Mühe zwängte er sich durch die Tür, deren Oberkante knapp über seiner Schulterhöhe lag. Der Schankraum dahinter war für Zwergenarchitektur ungewöhnlich hoch geraten und er konnte aufrecht darin stehen. So begab er sich, das Pferd und den Windgeist auf der Straße zurücklassend, zum Tresen, bestellte sich dort einen großen Humpen würzigen Bieres, der für ihn ein kleiner war, und fragte dann den Wirt nach der Ursache für die eigentümliche Anlage der Zwergensiedlungen.

Dieser erzählte Sejarl folgende Geschichte: „Einst gab es eine Zeit, so sagt man, da war unser Volk noch klein und schwach. Es hatte viele Feinde, die es verfolgten. Da waren Tiere, Menschen, Trolle und Riesen dabei. Vor denen mussten sich unsere Vorfahren verstecken. Darum bauten sie ihre Orte in die Erde hinein, damit sie von Außen nicht gesehen werden konnten. Später dann, als wir stärker wurden, hat man die Bauweise wegen der Tradition beibehalten. Tradition ist sehr wichtig für uns in Kom. Die Städte in der Erde sind ein Zeichen dafür, und wir sind sehr stolz darauf.“

„Das ist doch Blödsinn“, wurde der Wirt unterbrochen von einem älteren, ungewöhnlich kräftigen Zwerg mit angegrautem Bart und verhärmtem Gesicht, der von seinem nahen Platz aus alles mit angehört hatte.

„Die Wahrheit ist eine ganz andere“, erläuterte er, nun an Sejarl gewandt. „In früheren Zeiten war dieses Land nämlich reich und berühmt für seine großen Erzvorkommen. Wir Zwerge trieben Tunnel um Tunnel in den Boden und auch in die Hügel und Berge hinein. Wir stellten viel Schmuck und kostbare Waren her, die wir teuer verkauften. Unsere Armee wurde auch immer stärker und besser ausgerüstet, so dass wir bald sehr mächtig wurden und viele andere Länder erobern konnten. Mit der Zeit aber verbrauchte sich das Erz an der Oberfläche; und weil wir dafür immer tiefer graben mussten, bauten wir unsere Wohnungen immer näher an die Stolleneingänge heran. Dort stehen sie heute noch, obwohl die Metallvorkommen schon längst fast überall völlig erschöpft sind.“

„Auch die Geschichte ist totaler Unsinn“, mischte sich ein dritter Zwerg ein. Er war ein Mann in den mittleren Jahren mit einer abgeschabten Uniform und einer deutlichen Alkoholfahne, berichtete aber dennoch unbeirrt und laut auch seine Version: „Wir Zwerge wurden nämlich einmal alle von einem großen Magier erschaffen! Der hielt uns unter der Erde und wollte ein großes Heer aus uns formen. Damit wollte er die Welt erobern. Wie heute. Aber er versagte und starb irgendwie. Wir Zwerge blieben über. Wir – also die meisten von uns – haben uns dann nie richtig aus der Erde rausgetraut. Deshalb wohnen wir immer noch halb in ihr.“

Dann schloss er plötzlich und fuhr abrupt zusammen, setzte seinen Krug mit einem Wummen auf der Theke ab verließ hastig und leicht torkelnd den Raum.

„Armer Kerl“, meinte der Wirt leise. „Die vielen Einberufungen und Aushebungen setzen ihm wirklich zu. Wenn nur Einer wüsste, was dahinter steckt.“

„Aushebungen?“, fragte Sejarl.

„Ja. Der König zieht eine Menge Truppen zusammen. Aber die Offiziere wollen nicht erklären, warum und wieso.“

Sejarl ließ es vorerst bei dieser Antwort bewenden und entschloss sich, statt dessen von seiner Suche nach dem Sinn des Seins zu erzählen. Doch der Wirt konnte ihm auch nicht weiterhelfen und meinte nur, er solle sich besser nach Kom-Kabań, der Hauptstadt des Königreiches, begeben.

Eben diesen Rat hatte der fahrende Ritter im Zwergenland schon oft erhalten und er war unterwegs, ihn zu befolgen.

Daher trank er sein Bier aus, verabschiedete sich höflich, verließ die Wirtschaft, bestieg sein Ross und ritt wieder hinaus aus der Stadt. Die Sonne stand noch recht weit über dem Horizont und Schatten des späten Nachmittages wiesen ihm die Richtung des Weges.

Gute fünf Tage noch reiste Sejarl nach der Hauptstadt, bis er sie endlich erreichte. Nichts widerfuhr ihm noch bis zu seinem Eintreffen. Auch gab es nichts, was ihm selbst besonders aufgefallen wäre, außer einer Sache. Nun, wo er darauf achtete, bemerkte er das Fehlen eines Teiles an jungen Männern unter den Zwergen, welche zu den Truppen einberufen worden waren.

Als er schließlich während der Zeit der Abenddämmerung sein Ziel erreichte, staunte er sehr über die Größe und Pracht der Hauptstadt des Reiches. Zwar war sie, wie alle anderen Zwergenstädte auch, in den Boden hinein gegraben, welchen hier eine flache, bewachsene Felsebene bildete, jedoch fanden sich überall kleine Türmchen und Plattformen, die sich über diese hinaus erhoben.

Darum war Kom-Kabań bereits aus größerer Ferne zu sehen gewesen, denn auf den Spitzen dieser Türme war viel Glas und Gold und Kupfer, welches in der Sonne leuchtete und dem Reisenden schon von Weitem den Weg nach der Stadt hin wies.

Staunend passierte Sejarl die Grenzen der Stadt. Keine Mauer, kein Graben und keine sonstige Befestigung hielten ihn auf. Die schiere Größe und der Glanz der zahllosen Gebäude, die er passierte, als er dort auf einer hell ausgeleuchteten Prunkstraße dem Zentrum entgegen ritt, drohten ihn zu überwältigen. Nie zuvor war er in einer Siedlung gewesen, deren Dimensionen auch nur annähernd mit denen dieses Ruhmesplatzes der Zwerge hätten in einen Vergleich treten können. Überall leuchtete und glitzerte es von Glas und Edelsteinen.

Nirgendwo konnte man auch nur einen Hauch von Armut oder auch nur menschlicher Normalität entdecken, welche den Schein gestört hätten. Die Leute gingen in reichem Staat umher. Wann immer er anhielt, um diese oder jene sehenswerte Sache zu bestaunen, sei diese ein Gebäude, ein Brunnen oder ein Kleinod in der Auslage eines Händlers gewesen, so wurde er von jedermann freundlich gegrüßt. Niemand zeigte auch nur das kleinste Anzeichen von Überraschung wegen seiner Andersartigkeit.

Langsam ritt er so weiter, und es dauerte lange, bis er das Zentrum erreicht hatte. Dort liefen aus drei von vier Himmelsrichtungen die Straßen auf einem großen Platz zusammen. In der vierten erstreckte sich ein einziger, riesiger Gebäudekomplex, glänzend von seinen gläsernen Fassaden und seinen weißen Säulen, die sich entlang seiner sieben überhohen Stockwerke hinauf in den Himmel erhoben.

Ein einzelner Graben mit einem dünnen Zaun auf der Innenseite umgab die Anlage, nur an einer Stelle zur Seite des Platzes hin unterbrochen von einem mit unzähligen Ornamenten verzierten, schmiedeeisernen Torbogen. Dieser war groß genug, dass drei große Kutschen nebeneinander durch ihn hätten hindurch fahren können.

Dies muss der Palast des Königs sein, dachte Sejarl. Doch was nun? Wo kann ich hier jemanden finden, dem ich meine Fragen stellen kann? Suchend sah er sich um. Unschlüssig stieg er von seinem Pferd ab und überlegte, ob es in der Umgebung vielleicht eine Bibliothek gäbe, wo man ihm weiterhelfen könnte.

Indem er dort wartend auf dem Platz stand, umgeben nur von wenigen, vorbeigehenden Zwergen, war er gut zu sehen für jedermann.

„Da, seht nur! Ein Fradewiser!“, erklang plötzlich ein Ruf und hallte über den Platz hinweg.

Überrascht zuckte Sejarl zusammen. Niemand anderes als er hätte gemeint sein können.

Schon kamen aus der Richtung des Torbogens zwei Wachen auf ihn zugeeilt und hasteten dabei sehr auf ihren kurzen Beinen. Beide trugen rotes Ornat, und in ihren Händen hatten sie Hellebarden mit riesigen Axtköpfen.

„Bitte Herr, wir heißen Euch willkommen“, sprudelte einer der zwei los, kaum, dass er bei dem Ordensritter angekommen war. „Wenn Ihr uns folgen wollt; wir werden Euch in den Palast führen.“

Mehr als nur ein wenig verwundert wollte Sejarl etwas darauf erwidern, kam aber nicht dazu. Allzu sehr drängten ihn die Zwerge dazu, ihnen zu folgen. Allzu schnell war er durch die eisernen Flügel hindurch und samt Ross und Windgeist innerhalb der Mauern der hochherrlichen Residenz. Auch schwatzten die Wachen die ganze Zeit fröhlich miteinander und waren dabei stets nur mit sich selbst beschäftigt.

Sejarl konnte aus ihren Worten nichts entnehmen, als dass sie sich eine Belohnung von ihrem Vorgesetzten dafür versprachen, ihn entdeckt zu haben.

Anfangs führte ihr Weg durch einen riesigen Tunnel, der hinter dem Tor begann. Dann bogen sie ab in einen etwas schmaleren Flur und Sejarl musste sein Pferd zurücklassen, indem er es an einem Kupferring an der Wand festband. Danach begann eine endlose Irrfahrt für ihn, hindurch durch zahllose Gänge und Korridore, die bald mit wertvollen Teppichen ausgelegt waren.

Auch wechselten zweimal die Wachen, die ihn eskortierten, und beide Male waren die neuen in teurere Tuche gehüllt und mit prunkvolleren Waffen ausgestattet. Auch die jeweils neuen Wachen schienen zwar glücklich wegen seiner Anwesenheit, gaben aber keine wirkliche Auskunft.

So kam Sejarl schließlich an vor einem mehr als zweimannshohen Portal aus reinem, getriebenen Gold. Weit stießen die Wachen die Flügel auf und eröffneten den Blick hinein in einen von magischen Kristallen in der Decke bunt und taghell ausgeleuchteten Saal. Dieser war kostbarer eingerichtet, als es sich der fahrende Ritter jemals hätte ausmalen können.

Aus schwarzem Holz waren die Stühle, die an den Wänden standen, und beschlagen mit Weißgold. Über ihnen hingen Wandteppiche aus reinem Brokat bis in eine Höhe, die so Manchen schwindeln gemacht hätte. Die Läufer am Boden waren nicht minder prächtig und zeigten dabei, ebenso wie ihre Pendants an den Wänden, Landkarten aus den entferntesten Reichen. Überall über den riesigen Raum verstreut fanden sich Ständer aus Traumsilber, jenem Metall, von dem man sagt, es entstünde innerhalb von Steinen, die aus reiner Liebe geschenkt werden. Auf den Ständern angebracht waren faustgroße Kristalle und einige jener seltenen Kugeln, die eine wahre Antwort auf eine ihnen gestellte Frage spüren lassen, wenn man sie berührt. Leider fehlte es diesen Antworten meist allerdings an Konkretheit.

Am weit entfernten anderen Ende des Saales beeilte sich soeben eine Gestalt, auf einem übergroßen Thron platzzunehmen.

Und von irgendwoher erklang eine Stimme, die rief: „Leutlań von Kom-Kabań , König aller Zwerge. Es betritt den Saal: Der Gesandte des hohen, geistigen Ritterordens von Fradewis.“

Sejarl stand wie vom Donner gerührt. Was geht hier vor? Was will nur der König selbst von mir? Wie nur könnte er je von mir gehört haben, wo ich doch nichts bin als gewöhnlicher Ritter meines Ordens und auf einer Fahrt, die für uns nicht weniger üblich ist? Und wieso sagt er „Gesandter“?

Schon tönte die Stimme des Königs von seinem Platz aus zu ihm herüber: „Ah, ich freue mich, Euch zu sehen. Tretet näher! Kommt an meinen Stuhl heran!“

Es gab nichts, was Sejarl hätte tun können, als diesem Worte zu folgen. Flisch folgte ihm. Durch das Meer aus Sternenfarben hindurch bewegte er sich gemessenen Schrittes zum Thron hin, während sein Geist betäubt war sowohl von seinem eigenen, aufgewühlten Herzen wie auch vom äußeren Glanz. Nur der Windgeist schwirrte unbeirrt und ausgelassen um ihn herum, ohne dass ihn jemand weiter beachtet hätte.

So trat Sejarl vor den Thron, und sah dem König ins Angesicht. Dieser war ein Zwerg von mittlerem Alter, gekleidet in roten und weißen Samt. Sein Thron wirkte wuchtig und klobig und war aus einem einzigen, großen Block Kupfererz herausgeschnitten. Auf ihm eingraviert fanden sich zahllose Runen, deren schiere Macht sie leuchten ließ. Auch eine Krone aus Kupfer trug der König, bestehend aus elf rechteckigen Platten, die zu einem Ring zusammengeschweißt waren.

Auch auf jeder dieser Platten fanden sich Runen, doch nur drei von ihnen glühten. Das Gesicht des Königs wurde umrahmt von einem gut gestutzten, leuchtendroten Bart, und es zeigte die ruhigen, steten Augen gehüllt in Sorgenfalten.

Das ist das Gesicht eines Beamten, dachte Sejarl unwillkürlich. Nicht das eines Königs. Einen König hatte er sich sein Leben lang souveräner vorgestellt. Er hatte erwartet, um ihn herum eine Art Nimbus zu erkennen, der keiner äußeren Symbole bedurfte. Trotz aller zur Schau gestellten Macht und Größe fehlte dies dem Ritter an dem Zwergenherrscher.

Daher fiel es ihm auch leichter zu sprechen, als es dies noch wenige Augenblicke zuvor getan hätte. Er sagte: „Verzeiht, Majestät. Aber ich bin kein Abgesandter. Ich bin nur ein einfacher Ritter auf seiner Fahrt um seines persönlichen Zieles Willen. Ich suche den Sinn des Seins.“

Als er dies gesagt hatte, verdichtete sich die schwärende Düsternis im Gesicht des Königs zusehends. Ein Weile lang saß er schweigend auf seinem hohen Sitz. Schließlich seufzte er tief aus voller Seele und erklärte schleppend: „Das ist schade. Das ist so schade. Als man mir die Kunde von Eurem Kommen brachte, da hatte ich so gehofft, dass doch noch das Wunder eingetreten sei.“ Eine weitere Pause folgte, ehe er fortfuhr: „Ihr müsst nämlich wissen, Herr Ritter, dass ich Boten nach Eurem Lande ausgeschickt hatte, um dort um Hilfe und Beistand zu bitten.“

„Hilfe? Beistand? Ja aber, gegen wen oder was denn?“, entfuhr es Sejarl. „Schon auf dem Weg in diese Stadt hörte ich manchmal von Aushebungen in diesem Reich. Wofür diese allerdings gut seien, das sagte mir niemand.“

„Ja, ich hatte angeordnet, nichts zu sagen, um mein Volk nicht unnötig zu beunruhigen. Aber morgen wollen wir ziehen und darum kann ich es Euch jetzt auch ebenso gut sagen. Ach, wie gut wären doch jetzt die Krieger des Ordens gewesen.“

Abermals seufzend lehnte sich der König zurück, dachte nach und begann dann, leise zu erzählen: „Es ist nämlich so: Weit, weit im Osten von hier lebt ein großer und mächtiger Herrscher. Ich kenne seinen Namen nicht, aber allerorts nennt man ihn nur den Tyrannen. Die Priesterschaft des gütigen Lichtes weiß darüber hinaus zu berichten, dass er in einer riesenhaften Zitadelle in einem Gebirge voller Schatten haust. Ich selbst weiß nichts über diese Orte.

Was ich weiß, das ist, dass dieser Tyrann eine Anzahl von Kriegsherren unter sich hat, die in seinem Auftrag Land um Land und Reich um Reich erobern. Einer von diesen hatte nun schon seit einiger Zeit ein Gebiet im fernen Osten von Kom belagert: Das Fürstentum des steinernen Ringes. Lange sah es so aus, als ob er bei seinen Angriffen auf ewig zum Scheitern verurteilt wäre, denn die uralten Wälle des Ringes galten bei uns seit jeher als uneinnehmbar.

Womit wir jedoch nicht gerechnet hatten war, dass der Kriegsherr Verstärkungen erhielt und erstürmte, was seit Jahrtausenden uneingenommen war. Als er dies getan hatte, da wandte sich einer seiner Untergebenen mit großen Teilen seines Heeres weiter nach Westen, in Richtung auf mein Reich zu.

Ich kann nur von Glück reden, dass zwischen dem Ring und meiner Grenze noch die unzugänglichen Täler der Altisfjallar liegen. In diesen befinden sich eine Reihe kleiner, doch durch Magie und Kunst überaus fester Burgen.

Die Freiherren, die dort wohnen, und sich die Adelsreiter nennen, halten ihn seit nun fast schon einem Monat auf. So hatte ich etwas Zeit, meine Truppen zu sammeln. Auch habe ich in meine letzten beiden Provinzen um Hilfe geschickt, und nach allen angrenzenden Reichen Boten mit Schreiben geschickt, in denen ich um Unterstützung gebeten habe. Doch nur die Provinzen schickten bisher ihre Armeeaufgebote.“

Ein vielsagender, trauriger Blick traf den Ritter, der daraufhin beschämt zu Boden sah.

„Verzeiht, Majestät“, sagte er, „Ich wusste nichts von dieser Bedrohung Eures Landes. Ich bin mir sicher: Hätte man in unseren Burgen rechtzeitig davon gewusst, man hätte Euch tüchtige Kämpfer geschickt.“ Die Worte kamen Sejarl mit Ehrlichkeit über die Lippen, denn niemals hatte es Hader zwischen Kom und dem Orden gegeben.

„Und Ihr, Herr Ritter? Wollt wenigstens Ihr auf meiner Seite kämpfen?“, fragte der König.

Sejarl sah sich durch die Frage in die Enge gedrängt. Einerseits wollte er dem Mann vor sich durchaus gerne helfen, andererseits aber hatte sich auch einmal selbst geschworen, niemals im Ernst zu kämpfen, ohne die Lage nicht zuvor auf eine friedliche Lösung hin untersucht zu haben.

So traute er zwar dem Worte des Königs dahingehend, dass dieser die Wahrheit sprach, nicht jedoch soweit, dass dieser nicht vielleicht eine Lösungsmöglichkeit übersehen haben könnte.

Da Sejarl ein Ritter war, der die Wahrheit schätzte, antwortete er eben dies dem Herrscher in respektvollem, doch geradem Tone.

Der König verzog den Mund. „Ich kann verstehen, was Ihr da sagt“, sprach er. „Und ich kann und muss es auch gutheißen, denn es entspringt aus einer ehrenhaften und edlen Überzeugung heraus.

Lasst mich Euch folgenden Vorschlag machen: Ihr zieht mit uns zum Schlachtfeld mit und dort seht Ihr dann, wie die Dinge stehen. Führt gerne Verhandlungen, wenn Ihr eine Gelegenheit dazu findet, und kämpft auf meiner Seite, wenn Ihr nicht mehr anders könnt. Ist das ein Vorschlag, den Ihr annehmen könnt?”“

„Ja, das ist er“, sagte Sejarl und verneigte sich dabei leicht. Er würde eine Möglichkeit haben, zu vermitteln, wenn es eine gab. Beamter oder nicht, dieser Zwergenkönig ist jedenfalls ein kluger Mann, dachte er unterdessen. Ich werde an seiner Seite kämpfen, – wenn die Umstände mir keine andere Wahl lassen. Seine ritterliche Ehre gebot ihm, zu kämpfen, wenn er die Gerechtigkeit in Gefahr sah.

„Gut, in dem Fall werde ich Euch noch einen Beweis meiner Aufrichtigkeit geben“, sprach der König weiter, nun auch in gelösterem Tonfalle. „Ihr spracht davon, dass Ihr den Sinn des Seins sucht? Auch ich kenne keine Antwort auf Eure Frage, noch tun es meine Kugeln. Aber ich weiß vielleicht, wer eine Antwort hat. Die Priesterschaft des gütigen Lichtes kennt sich mit so etwas aus.

Zwar besitzt keiner der Prediger in meinem Lande Wissen und Weisheit, um Euch zu helfen; die Priesterschaft als Ganzes jedoch gibt es noch an anderen Orten. Ich rate Euch, geht nach Norden, hin zu der ewig leuchtenden Stadt mit Namen Timuro. Dort gibt es viele weise Männer, von denen einer Euch mit Sicherheit helfen kann.

Doch seid auch gewarnt, denn jenseits der ganzen Nordgrenze meines Landes liegt ein endloser Wald, in dem es vollkommen finster ist, und der bewohnt wird von riesigen, gefährlichen Katzen. Und selbst, wenn Ihr diesen wohlbehalten passiert habt, so lauert dahinter noch eine endlose Wüste, ehe Ihr die ewig leuchtende Stadt erreicht habt. Es ist ein langer und gefahrvoller Weg dorthin – jedoch auch eine Aufgabe, die eines Ritters würdig ist.“

„Ich danke Euch zutiefst“, erwiderte Sejarl. Er verbeugte sich abermals, diesesmal jedoch nicht aus purer Höflichkeit, sondern aus ehrlicher, tief empfundener Freude über das Geschenk dieses Wissens.

„Gut, gut. Und wenn das so ist, dann gibt es da auch noch eine andere Kleinigkeit“, sagte der König im Plauderton. „Da wir morgen losziehen wollen, wird heute Abend ein Ball gegeben. Betrachtet Euch als meinen Gast.“

Der König nickte huldvoll und bedeutete Sejarl, dass dieser sich nun entfernen dürfe.

Wie eigentümlich, dachte da der Ordensritter. Kaum habe ich dieses große Land betreten, schon habe ich eine Audienz beim König und kaum bin ich dort, so bin ich schon in einen Krieg verwickelt, von dem ich noch immer nicht weiß, ob mir eigentlich an ihm gelegen sein sollte. Und warum beachtet hier eigentlich niemand den Windgeist? Ist er etwa nicht auffällig genug?

In diese und ähnliche Gedanken versunken, verließ Sejarl den Thronsaal und wurde von einem Diener zu einem Gemach geführt, in dem er sich für den Ball später am Abend zurecht machen konnte.

Der fahle Ritter

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