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3. Beinarbeit

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Das Jahr schritt voran. Der Sommer brach an, und Graf Adolf griff nach weiteren Rechten. Es hatte einiges Gerangel um die Vogtei von Cappenberg gegeben. Zwar stand das Kloster als Ganzes klar auf seiner Seite, eine kleine Gruppe steinalter Mönche jedoch war gegen ihn. Sie wollten alles so beibehalten, wie es war. Also wollten sie lieber Dietrich vom Isenberg als ihren neuen Vogt, nicht Adolf. Am Ende setzte sich der Märker durch, weil er sich in Köln beim Bischof beschwerte.

Gleichzeitig festigte Adolf seine Positionen, wo es nur ging. Er errichtete an vielen Stellen neue Burgen. Die Festungen Mark, Wetter und Blankenstein schossen nur so in die Höhe. Die Wehren in Kamen, Lünen und Unna wurden verstärkt. Viele weitere Orte wurden mit wenigstens einigen Zäunen befestigt. Adolf wusste, dass die alten Familien im Land großenteils gegen ihn standen, und bereitete sich auf mögliche Angriffe vor. Dadurch weckte er zusätzlichen Unmut.

In der Hitze des Sommers wurden viele alte und neue Streitereien deswegen laut. Die Spannung steigerte sich auf ein kaum erträgliches Maß. Jeder fragte sich, wann sie Hamme, Dreer, Bochum, oder eines der umliegenden Häuser erreichen würde.

Schließlich war es soweit. Eickel fing an, herumzueiern. Graf Adolf machte den Herren große Versprechungen, und sie knickten ein. Nosthausen und Leithe beschlossen, dem starken Nachbarn zu folgen, und wechselten ebenfalls ins Lager der Mark.

Wir aus den anderen Familien sahen uns gespannt um, ob sich noch jemand anschlösse. Die Stimmung im Land zwischen Ruhr und Lippe war restlos vergiftet, als eines Tages mein Knappe einen Besucher ankündigte.

„Wer ist es? Wie sieht er aus?“, fragte ich misstrauisch.

„Ich kenne ihn nicht. Es ist so ein dünner Mann mit einem großen Hut. Er reitet auf einem alten Klepper.“

„Mit anderen Worten: Heiner, sonst keiner!“, schallte es über den Hof. „Dein Knappe trompetet, als ginge es um die Eroberung von Jericho!“

So laut war Gerhard wirklich nicht gewesen. Ich entspannte mich. Heiner hatte gute Ohren. Er war ein alter Freund, der nur gerade seltener bei mir vorbeischaute. Heiner von Horst konnte man kaum mit jemandem verwechseln. Er war eben Heiner von Horst, aus dem Horst, das kurz vor Steele bei Essen liegt.

Heiner drückte einem herbeigeeilten Knecht seine Zügel in die Hand und sprang mit raschen Schritten dem Wohnturm zu, aus dem er gerade unsere Stimmen gehört hatte. Das unterste Geschoss dieses Turmes ist in Friedenszeiten eher ein Abstellraum. In jenem Augenblick lagen dort vor allem meine Waffen.

Er betrachtete sie und schüttelte den Kopf mit den wirren, blonden Haaren.

„Wer braucht denn so viele Schwerter? Und deine einzelne Lanze kannst du eigentlich gleich an der Wand festnageln. Sonst würde sie Rost ansetzen, wenn sie nicht aus Holz wäre.“

„Sturmreiten ist nicht meine Art“, verteidigte ich mich. „Zur Not kämpfe ich auch vom Pferderücken aus, aber ich habe lieber festen Boden unter den Füßen.“

„Ich weiß.“ Heiner wandte sich Gerhard zu und meinte in weinerlichem Tonfall: „Dieser Mann kann eine Stute kaum von einem Wallach unterscheiden. Einen feinen Lehrer hast du da.“

„Zumindest wissen wir jetzt, wo du bei Pferden zuerst hinschaust“, gab ich zurück. Gerhard zog sich unterdessen ein paar Schritte zurück und lief rot an. Es war zu diesem Zeitpunkt, dass ich beschloss, einmal ein notwendiges Wort über Frauen mit ihm zu reden.

„Was gibt es?“, wechselte ich das Thema.

„Ach, ich wollte nur einmal vorbeischauen. Habt ihr übrigens von Adolfs neustem Streich gehört?"

„Was denn nun schon wieder? Wechselt Harpen die Seiten? Oder Laer? Wir haben hier nur darauf gewartet.“

„Nein, da wartet man bei uns auch noch darauf. Das tut man bei Allen, die daran glauben, dass die Treue zur richtigen Sache sich nicht kaufen lässt. Und das ist genau das, was ich sagen wollte.“ Er schüttelte sich wie eine nasser Hund. „Adolf hat klammheimlich angefangen, sein eigenes Geld schlagen zu lassen.“

„Wie das? Etwa den Adolf-Deut? Oder den Altena-Schilling oder gleich den Hammer Gulden? Dann bekäme ich wenigstens auch meinen Anteil.“

„Nein, besser! Er nimmt allen Ernstes englische Münzen als Vorlage. Deren Nachprägung kann ihm niemand verbieten, und es sind eine Menge englischer Händler auf dem Rhein unterwegs. Die nehmen sie an und in ihrer Heimat für gutes Geld.“

Ich verstand ihn nicht recht und begann mit Mutmaßungen. „Das ist doch Blödsinn. Falschmünzerei wird ihm kaum etwas anderes einbringen als den Zorn der Geschädigten.“

„Oh, es ist keine Falschmünzerei. Er benutzt echtes, gutes Silber.“

„Aus seinen zahlreichen Silberminen im Sauerland?“ Die Sache kam mir immer seltsamer vor. Es gab in Westfalen kaum Silber. Ernsthafte Vorkommen lagen nur weit im Süden oder im Osten des Reiches.

„Jeder weiß, dass er die nicht hat, auch er selbst. Deshalb hat er sich etwas ganz besonderes einfallen lassen.“ Um die Spannung zu erhöhen, blickte er lange zu Gerhard und mir, wie wir dumm glotzend in dem muffigen Eingangsraum neben der Treppe standen. Ein Stockwerk höher hätten wir uns auch setzen können.

„Er prägt auf die Münzen einfach Angaben, die nicht ihrem Gewicht entsprechen“, erklärte Heiner feierlich.

„Was ist denn das für dummes Zeug? Silber bleibt Silber. Es ist so viel Wert, wie Silber eben wert ist. Die Zahlen und Schriften sagen doch nur, dass es von dem Prägemeister in seiner Reinheit beglaubigt ist. Für das Prägerecht zahlt man allgemein, um die Münzen unter die Leute bringen zu dürfen.“

„Eben. Nur können einem westfälischen Grafen von der englischen Krone eben keine Strafen auferlegt werden.“

„Also mischt er doch irgendwelchen Mist in das Metall?“

„Viel besser. Er hat mehrere Pfeile im Köcher. Zum einen prägt er Münzen, die dieselbe Prägung haben, wie das Original. Er benutzt nur weniger Metall dazu. Gleichzeitig prägt er Münzen, auf die weitere Zahlen aufgedruckt sind, die im Verhältnis aber wieder dem Gewicht der ersten entsprechen. Von der zweiten Sorte bringt er mehr in Umlauf. Wenn jemand über deren Gewicht schimpft, kann er sagen, dass er dazu Vergleichsmünzen mit entsprechendem Gewicht hat. Wenn jemand auch über die schimpft, beruft er sich wieder auf das stimmige Verhältnis.

Da dreht man sich im Kreise bei. Natürlich ist es alles ein Haufen dummer Tricks. Und mit diesen Tricks kommt er zu mehr Geld.“

„Ist das nicht Betrug?“

„Eigentlich ja. Nur müssen die Leute es erstmal verstehen; und es gibt genug Dummköpfe, die sich hereinlegen lassen. Gleichzeitig gibt es niemanden, der ihn verfolgt. So sammelt er Geld für Baumaßnahmen, und, um Leute anzuwerben.“

Ich ballte die Faust. „Dann müssen die Getreuen des Isenbergs umso stärker zusammenhalten.“

„Wohl wahr.“ Heiner spielte mit seinem Hut herum und probierte, ob ein neben uns liegender Helm diesen halten konnte. Es ging. „Ich glaube auch wirklich, dass wir die besseren und treueren Leute haben. Treue ist wichtig. Sie sollte nur nicht blind sein. Jeder Herr hat Fehler. Ist er gut, dann wird er es dir danken, wenn du sie ihm nennst. Ist er schlecht, dann suche dir einen neuen Herren! Man kann nur eben nicht alles ohne Ausrüstung machen. Wie sieht es denn also mit der bei uns aus?“

„Ich fürchte, schlecht.“ Ich atmete durch und schaute in die Luft. „Auch deshalb wechseln ja so viele Häuser innerhalb nur weniger Jahre. In Altena wird der meiste Draht weit und breit hergestellt, und aus diesem Draht kann man Kettenhemden fertigen. Je mehr Zeit vergeht, desto besser sind also Adolfs Männer ausgerüstet.“

„Dann lasst uns etwas unternehmen, solange noch Zeit ist!“, mischte sich Gerhard in das Gespräch ein. Er hatte sich als Jugendlicher offensichtlich von der ersten Idee anstecken lassen, die des Weges kam.

„Ganz so einfach ist es nicht“, meinte ich. „Um etwas zu unternehmen, muss man etwas oder jemanden haben, mit dem man etwas unternehmen kann.“

„Wir sind doch hier!“

„Ja, ein Ritter, ein beginnender Knappe und ein Heiner von Horst.“ Ich sah zu meinem Freund, der angefangen hatte, zu prüfen, ob er seinen Hut bis über die Sichtschlitze des Helmes ziehen konnte. „Der Junge muss noch viel lernen, bevor ich ihn in den Kampf schicken kann. Das gleiche gilt für große Teile unserer restlichen Freunde.“

„Nun, dann fangen wir doch an!“, rief Heiner unvermittelt in den Raum.

„Was?“

„Na, was muss er denn als Nächstes lernen?“

„Reiten lernt er besser bei dir als bei mir. Also muss er hier als Nächstes das Laufen lernen.“

„Ich kann laufen!“

Tatsächlich habe ich in meinem Leben schon viel gesehen, aber noch keinen Knappen, der am Anfang seines Weges laufen konnte. Dabei sind die Beine fast wichtiger als die Arme beim Schwertkampf.

Während ich Gerhard also berichtigte und die Dinge erklärte, gingen wir nach draußen, hinaus aus der staubigen, dunklen Kammer.

Vor meinem Turm geht ein kleiner Weg einen aufgeschütteten Hügel hinab auf einen Innenhof. An diesem Innenhof grenzen ein Wohnhaus, ein Stall, eine Scheune und ein großes Backhaus, dass man auch als Brau- oder Badehaus nutzen kann. Das Gehöft ist von einem mannshohen Holzzaun umgeben, um den wiederum ein kleiner Wassergraben aus dem Maarbach abgeleitet ist.

Auf der Innenseite des Grabens sind Heckenrosen angepflanzt, ebenso wie an dem Hügel. An der Außenseite habe ich stattdessen Holunderbüsche gesetzt. Der Turm hat keinen eigenen Graben, weil die Gebäude schon standen, als mein Großvater den Außengraben gezogen hat. Ein weiterer Innengraben hätte uns den Großteil des Hofes gekostet.

Der Turm ist eine Rückzugsmöglichkeit, falls jemand den Zaun überwindet, was einem hartnäckigen Heer leider noch möglich war. Der Turm steht auf einem festen Fundament aus Feldsteinen; ohne Keller. Seine Bohlen sind viel zu dick, als dass man sie einfach anzünden könnte. Auf einer Seite steht er nahe genug am Graben, als dass man mit einem Eimer und einem Seil Wasser aus diesem schöpfen kann. Über der Tür ist ein Erker, um sie zu verteidigen. Der Turm hat unten nur kleine Scharten als Fenster. Man hat eine gute Reichweite aus seinen oberen Stockwerken. Sein einziger Nachteil besteht darin, dass in Friedenszeiten niemand auf einem Hof so eine Anlage braucht. Ich nutze ihn dann mehr schlecht als recht als Speicher.

Von eben dieser Anlage fort traten wir nun auf den Innenhof.

„Wir waren beim Thema Laufen“, sagte ich. „Zunächst einmal üben wir es ohne Rüstung. Später wirst du ein Kettenhemd dazu tragen, um dich an das Gewicht zu gewöhnen. Wegen dem Helm brauchst du kein derartiges Gewese zu machen; an den gewöhnt man sich viel schneller. Zum Üben brauchst du auch keine Unterfütterung. Die ist nur für den Fall, dass dich jemand hauen will. Das Gewicht kommt vom Eisen, von dieser Kleidung kommt mehr die Wärme.“

Gerhard hörte mir zu, während ich merkte, dass ich abschweifte. Also suchten wir uns eine freie Fläche, an der er bei Schritten nach hinten nicht stolpern konnte. Es war nicht so einfach wie bei Übungen, bei denen man auf einem Bein balanciert.

Ich ließ ihn zunächst einzelne Schritte vor und zurück machen. Bei dieser Schrittfolge ist es wesentlich, dass ein Bein wie am Boden festgenagelt stehen bleibt. Die Ferse darf sich heben, die Fußballen aber nicht. Überhaupt ist beim Laufen das Stehen auf den Ballen wichtiger, und man sollte immer ein wenig eingedrückt in den Knien bleiben. Um dies zu üben, braucht man nicht unbedingt nur Sprünge zu wiederholen. Es hilft auch, bergauf zu laufen, oder bei alltäglichen Verrichtungen einfach häufiger in die Hocke zu gehen.

Gerhard begann, bei seinen Schritten die Beine einzudrehen. So stolpert man über die eigenen Füße beim Zurückgehen. Ich habe nie verstanden, warum es so ist, aber viele Schüler neigen zu so etwas. Ich zog also mit dem Fuß einen Strich auf dem Lehm des Bodens. Dann wies ich ihn an, beim Laufen mit je einem Fuß auf einer Seite des Striches zu bleiben.

Ein Fuß bleibt also zunächst auf einer Seite an einer Stelle stehen, der andere wird von einer Stelle auf der anderen Seite auf eine andere auf jener versetzt. Der Abstand zum Strich sollte dabei für beide Füße gleich bleiben. Als nächste Übung kann man ein Versetzen des zuerst festen Fußes angehen. Das Ganze geht genauso, man muss nur auf der jeweiligen Seite bleiben.

Gerhard ging also immer mehr vor und zurück, während ich ihn anhielt, stärker gebeugt in den Knien zu stehen. Gerade am Anfang fällt das vielen Schülern schwer. Die Zahl der Schritte nimmt natürlich zu, nur muss man mit Einzelbewegungen anfangen.

Das Nächste sind Schritte zur Seite. Man kann den schwingenden Fuß am stehenden vorne oder hinten vorbeiziehen. Ihn direkt beim anderen abzusetzen, ist ein Fehler, weil man dadurch seine Standsicherheit gefährdet. Man steht dann nur auf einem einzigen, kleinen Punkt.

Beim vorderen Übertreten bewegt man sich im kleinen Teil eines Kreises nach vorne, beim hinteren Übertreten nach hinten. Ich rate deshalb dazu, das erste grundsätzlich beim Angriff zu benutzen, und das zweite eher bei der Verteidigung.

Auch hier ließ ich Gerhard erst die Schritte einzeln machen, um dann eine gleichmäßige Folge zu beginnen. Auf diese Weise ging er in der Hocke mal zur einen Seite, mal zu anderen.

Dann kam die Verbindung aus der geraden und der seitlichen Schrittfolge. Das geht wie beim Tanzen. Ich spielte seinen Partner. Diese Sache geht am besten mit zwei Schülern. Man hält sich bei den Händen; ein Handpaar reicht. Oft nimmt man die linken Hände, weil man in den rechten eine stumpfe Waffe oder einen Stock als Übungsschwert hält. Man kann die Übung auch ausweiten, indem man drückt oder zieht.

Tatsächlich befand ich mich am Ende mit meinem neuen Knappen in einem Tanz, zu dem Heiner ungefragt den Takt klatschte. Es kommt ganz von alleine, dass man sich bei so etwas um einander dreht. Mal hielt ich unsere Runde enger, mal weiter.

Während um uns herum die Welt in wesentlichen Teilen zugrunde ging, tanzten wir den Tanz der Ritter und Schwertkämpfer.

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