Читать книгу Mythor 50: Die Mauern von Logghard - Paul Wolf - Страница 6

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»Das soll Logghard sein?«, sagte Steinmann Sadagar, nachdem er in dem uralten, verwitterten Gemäuer kurz Umschau gehalten hatte. »Wer weiß, wohin uns Flüsterhand geschickt hat. Ich traue diesen Stummen Großen jede Gemeinheit zu.«

»Still!«, gemahnte Mythor, der nun im Besitz der gesamten Ausrüstung war, die der Lichtbote in sechs Fixpunkten hinterlegt hatte. Der siebte Lichtpunkt war Logghard, doch die Frage, was ihn dort erwartete, beschäftigte ihn noch nicht. Er fragte sich vorerst, wie Sadagar, ob dies hier überhaupt die Ewige Stadt war.

Sie waren von Ruinen umgeben, die sich ringsum türmten. Es waren die Trümmer gewaltiger Mauern, die irgendwann einmal niedergerannt worden waren. Welche Mächte waren hier am Werk gewesen? Was hatten sie zerstört? Logghard? War die Ewige Stadt im 250. Jahr ihrer Belagerung gefallen? War er, Mythor, der sich nun mit Recht für den Sohn des Kometen halten durfte, zu spät gekommen?

Diese Fragen schossen ihm durch den Kopf, während er mit seinen Gefährten den Geräuschen lauschte, die aus dem Ruinenberg kamen, in dem sie herausgekommen waren. Über den Trümmern lag ein gespenstisches Leuchten.

Um sie war ein Rumoren. Manchmal hörte es sich wie fernes Wehklagen an, dann wieder klang es wie das Schleifen eines großen Körpers über losen, unebenen Untergrund. Irgendwo löste sich ein Stein, kollerte polternd in die Tiefe. Es dauerte eine geraume Weile, bis sein Aufschlag zu hören war. Ein Rascheln – und dann war zwischen den gespenstisch erhellten Ruinen eine Bewegung.

»Da! Eine Gestalt!«, rief Luxon und deutete nach vorne. Als Mythor in die gewiesene Richtung blickte, war dort nichts mehr zu sehen. Luxon fuhr fort: »Hat einer von euch die Gestalt erkennen können? Für mich ging alles zu schnell.«

»Ich habe überhaupt nichts gesehen«, meinte Sadagar, hatte aber die Hand nicht nur zufällig am Messergurt. Er blickte sich misstrauisch um. »Wo sind denn Flüsterhands Freunde, mit deren Hilfe er uns mittels des Hohen Rufes nach Logghard bringen wollte?« Er hob beide Hände und formte sie am Mund zu einem Trichter. »He, ich rufe die Stummen Großen!«

Sein Ruf verhallte in den Ruinen, Stille folgte. Erst nach einiger Zeit setzten die unheimlichen Geräusche aus der Ferne wieder ein. Manchmal klang es wie das Rauschen von Wasser.

»Wahrscheinlich sind wir immer noch in Erham – irgendwo unter dem Drachensee«, sagte Hrobon gehässig. Der Vogelreiter aus den Heymalländern hegte immer noch einen tiefen Groll gegen Mythor, den er stets zeigte, wenn er den Mund auftat.

»Unsinn«, widersprach ihm Sadagar. »Flüsterhand hat keinen Zweifel darüber gelassen, dass alles in Logghard auf das Erscheinen des Sohnes des Kometen wartet. So sehr auch ich den Großen misstraue, so bin ich doch überzeugt, dass sie sich nichts sehnlicher wünschen, als Mythor nach Logghard zu bekommen.«

»Und doch glaubst du selbst nicht daran, dass wir am Ziel sind«, erwiderte Hrobon. »Ich weiß auch warum. Weil du im Innersten selbst daran zweifelst, ob Mythor und der Sohn des Kometen in einem Atemzug genannt werden dürfen. Anders wird es auch nicht den Großen ergangen sein, darum haben sie uns an diesen Ort der Verdammnis geschickt. Es war die Strafe für Mythors Anmaßung, sich als Sohn des Kometen zu bezeichnen.«

»Halt den Mund, Heymal!«, herrschte Luxon ihn an. Er wandte sich an Mythor und meinte: »Du solltest diesem Unruhestifter endlich den Mund stopfen.«

Mythor winkte ab. Er glaubte, Hrobon durchschaut zu haben. Der Glaube des Vogelreiters an Shallad Hadamur war arg erschüttert worden, als er von dessen Schandtaten erfuhr. Hrobon konnte nun nicht mehr glauben, dass Hadamur die Fleischwerdung des Lichtboten war. Das musste ein arger Schlag für ihn gewesen sein. Es wäre nur normal gewesen, hätte er seine Anschuldigung gegen ihn, Mythor, ein Frevler zu sein, weil er sich als Sohn des Kometen bezeichnete, zurückgenommen. Aber er war zu stolz, seinen Fehler einzusehen. Und darum hielt er seine Feindschaft aufrecht, obwohl sie ihrer Basis beraubt worden war.

Mythor schreckte hoch, als er eine Bewegung zwischen den Trümmern sah. Diesmal konnte er ganz deutlich sehen, wie eine krumme, in Lumpen gehüllte Gestalt von einem Mauervorsprung auf einen anderen sprang und hinter einer morschen Palisade verschwand. War das überhaupt ein Mensch gewesen?

»Nicht!«, sagte Mythor schnell, als er sah, wie Sadagar eines seiner Wurfmesser zückte. »Es ist nicht gesagt, dass man uns feindlich gesinnt ist. Vielleicht wollen uns die Fremden erst einmal beobachten, bevor sie sich uns zu erkennen geben.«

»Ich glaube eher, sie wollen uns umzingeln«, sagte Luxon. »Wir sollten diesen Ort schleunigst verlassen. Sagt dir der Helm der Gerechten denn gar nichts?«

Mythor gab nicht sofort Antwort, sondern spannte seinen Geist an, um den Einflüsterungen des Helmes nachzugehen. Seit Luxon ihm die Ausrüstung in den Ruinen von Erham übergeben hatte, trug er sie ständig.

Der Helm der Gerechten bedeckte seinen Kopf, in der Linken hielt er den Sonnenschild, den er dem Koloss von Tillorn entrissen hatte. Mondköcher und Sternenbogen, die ihm Luxon im Baum des Lebens sozusagen vor der Nase weggeschnappt hatte, trug er griffbereit auf dem Rücken, und das Gläserne Schwert Alton lag gut in seiner Hand. Dazu kam das Orakelleder aus Theran, auf dem die sieben Stützpunkte des Lichtboten eingezeichnet waren, das er um den Oberschenkel des rechten Beines gebunden hatte, und das Amulett mit dem Abbild von Logghard, das er an einem Lederband um den Hals trug.

Welche abenteuerliche Geschichte konnten diese Ausrüstungsgegenstände erzählen! Mythor hätte nicht im Traum daran gedacht, dass Luxon sie ihm freiwillig zurückgeben würde.

Gewiss, Luxon hatte dies erst getan, als er erkennen musste, dass die Waffen des Lichtboten in seiner Hand ihre Kraft verloren. Dennoch war es ihm hoch anzurechnen, dass er sich ihrer nicht einfach entledigte, sondern dass er sie Mythor mit der Erklärung zurückbrachte, dass er der rechtmäßige Besitzer sei.

Dies lag noch keinen Tag zurück, und doch fühlte sich Mythor mit der Ausrüstung bereits wie verwachsen. Ihm war, als hätte er die Waffen schon immer getragen. Das Gläserne Schwert hatte seine ursprüngliche Leuchtkraft zurückbekommen und war in seiner Hand zu einer unübertrefflichen Klinge geworden. Der Helm der Gerechten raunte und flüsterte in seinem Geist, und es klang für Mythor wie seine Lebensmelodie. Aber bisher hatte ihm der Helm noch nichts gesagt. Jetzt allerdings, als er seinem geistigen Rauschen seine volle Aufmerksamkeit schenkte, da war ihm, als weise er ihn in eine bestimmte Richtung ...

Mythor deutete mit dem Gläsernen Schwert nach links.

»Von dort kommen Reizsignale, die wie eine unverständliche, aber doch bedeutungsvolle Botschaft klingen«, sagte er. »Wir werden uns in diese Richtung schlagen.«

»Achtung!«, rief da Hrobon und zückte sein Krummschwert. »Wir werden angegriffen.«

Plötzlich erklang ein vielstimmiges Geheul von überall aus den Ruinen. Jene krummen, verwahrlosten Gestalten, die nur bedingt menschenähnlich waren und von denen sie einen ungewissen Eindruck bekommen hatten, tauchten ringsum auf und stürmten von allen Seiten heran.

Sie waren unbewaffnet. Aber ihre krallenbewehrten Klauen und die Fangzähne in den aufgerissenen Mäulern ihrer tierhaften Gesichter waren furchteinflößend genug. Und sie waren flink und sprunggewaltig. Sie kamen mit großen Sätzen rasch näher. Schreiend und gestikulierend, mit vor Hass und Mordlust verzerrten Fratzen.

»Stellt euch Rücken an Rücken – und folgt mir!«, konnte Mythor seinen Gefährten noch zurufen, dann waren die ersten Angreifer heran.

Mythor fand nicht mehr die Zeit, den Gegnern den Sonnenschild wie einen Spiegel entgegenzuhalten, denn dafür waren sie bereits zu nahe. Und im Nahkampf konnte er sich allein auf die Kraft Altons verlassen.

*

Sadagar stand mit dem Rücken zu Hrobon, Luxon hatte sich zu Mythor gesellt, der in voller Ausrüstung an der Spitze stand. Der Steinmann schleuderte drei Messer, die allesamt ihr Ziel fanden. Aber die nachfolgenden Kreaturen kümmerten sich wenig um ihre gefallenen Artgenossen. Sie sprangen behände über die Getroffenen hinweg und stürzten sich auf den Steinmann.

»Verfluchte Bande!«, schrie Sadagar zornig und wehrte die Klauen, die nach ihm griffen, mit den Messern ab. Er hatte in jeder Hand eines und überkreuzte die Arme. Jedes Mal wenn ein Gegner zu ihm vorstieß, bewegte er die Klingen scherenförmig.

Eine der Kreaturen sprang mit einem zornigen Schmerzensschrei zurück, als Sadagars Messer eine kreuzförmige Wunde an ihrem Körper hinterließen. Dabei wurden zwei weitere Angreifer niedergerissen, als sie Sadagar anspringen wollten.

Dadurch bekam der Steinmann etwas Luft und konnte die beiden Messer der nächsten Welle von Angreifern entgegenschleudern. Er konnte sich danach gerade erneut bewaffnen, bevor ein stinkender, haariger Körper auf ihm landete.

Knöcherne Hände drückten seine Waffenarme zu Boden, ein geiferndes Maul erschien über ihm. Die Kreatur stieß mit gefletschten Fangzähnen nach ihm.

Da sauste eine Klinge heran und schleuderte den Angreifer von Sadagar.

»Habt ihr noch nicht genug?«, schrie Hrobon und ließ eine der Kreaturen in seine Klinge springen. Er zog sie sofort wieder zurück und schwang sie vor einer Gruppe von Angreifern, die vor dem wirbelnden Metall zurückwich.

»Du hast mir das Leben gerettet«, stellte Sadagar verblüfft fest, während er sich gleichzeitig mit Scherenbewegungen seiner Messer die Gegner vom Leibe hielt.

»Ich verzichte auf deinen Dank«, erwiderte Hrobon keuchend. »Du stehst nicht in meiner Schuld.«

»Kämpft lieber, anstatt zu schwätzen!«, rief Luxon, der den Kontakt zu Mythor verloren hatte und mit dem Rücken an einer Mauer stand.

Die Angreifer hatten ihn abgedrängt und versucht, ihn von hinten anzufallen. Er hatte sich gerade noch durch einen Sprung zur Seite retten können. Nun wurde er von sechs krummen Gestalten bedrängt.

Luxon spürte, dass er der Übermacht nicht lange würde standhalten können. Er hatte diese Kreaturen unterschätzt.

Nach den ersten ungestümen Angriffen, die ihnen nichts eingebracht hatten, formierten sie sich nun. Sie umlauerten ihn und warteten darauf, dass er sich eine Blöße gab.

Solange er kräftig genug war, sie mit dem Schwert in Schach zu halten, war er sicher. Jedes Mal wenn einer seiner Gegner zum Angriff ansetzte, machte er einen Ausfall und stieß mit dem Schwert zu. Zwei der Kreaturen konnte er auf diese Weise niederstrecken. Die anderen vier waren daraufhin zurückhaltender. Aber gerade als er glaubte, sich etwas Luft gemacht zu haben und einen Vorstoß wagen zu können, hörte er über sich einen heiseren Laut.

Unwillkürlich blickte er hoch und sah über sich auf der Mauer eine Gestalt kauern. Sie setzte gerade zum Sprung an, als sie plötzlich wie von einem unsichtbaren Schlag erschüttert wurde. Aus ihrer Brust ragte ein Pfeil – ein Pfeil aus dem Mondköcher.

Luxon konnte noch erkennen, dass Mythor in voller Ausrüstung einen erhöhten Standort erklettert hatte. Er ließ gerade einen weiteren Pfeil von der Sehne des Sternenbogens schnellen. Eine der Kreaturen, die Luxon bedrängten, wurde davon gefällt, aber da waren die drei anderen über ihm.

Mythor sah es und vertauschte den Bogen wieder mit dem Gläsernen Schwert. So zielsicher er mit dem Sternenbogen auch war, so wagte er nicht, in das Knäuel von miteinander ringenden Körpern zu schießen.

Mit Alton in der Hand sprang er von der Erhöhung und bahnte sich einen Weg durch die Reihen der Gegner, die schreiend auseinanderstoben. Aber das Klagen und Singen Altons übertönte ihr Schreien. Mythor schlug einen Angreifer mit dem Sonnenschild einfach zur Seite. Es gab einen dumpfen Laut. Plötzlich klammerte sich einer der Verwundeten an seinem Bein fest. Mythor spürte einen stechenden Schmerz, als sich Krallen in das Fleisch seiner Waden bohrten. Er schrie auf, trat mit dem anderen Bein nach dem auf dem Boden Liegenden und befreite sich.

Plötzlich hatte er keinen Gegner mehr.

»Sie fliehen!«, hörte er Sadagar triumphierend rufen. »Denen haben wir es aber gegeben.«

Mythor blickte zu der Stelle, an der Luxon soeben noch mit seinen Gegnern gerungen hatte. Aber an dem Platz lagen nur noch die Körper der gefallenen Kreaturen.

»Luxon!«, schrie Mythor und blickte sich um.

Aus den Ruinen kam ein heiserer Schrei, der jedoch sofort wieder verstummte.

Mythor lief in die Richtung, aus der er Luxons abgewürgten Ruf vernommen hatte. Als er durch einen halb eingestürzten Torbogen kam, sah er unweit vor sich zwei der krummen Gestalten, die eine dritte trugen. Es war Luxon, der verzweifelt versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien.

Mit einem wütenden Schrei nahm Mythor die Verfolgung auf. Als die beiden Kreaturen ihn kommen sahen, ließen sie Luxon einfach fallen und wollten das Weite suchen.

»Lass sie nicht fliehen, Mythor«, rief Luxon, kaum dass er frei war. »Das ist der Anführer. Er beherrscht Gorgan.«

Da waren die beiden Fliehenden jedoch bereits zwischen den Trümmern verschwunden. Mythor erreichte Luxon, befestigte Alton an seinem Gürtel und stützte den Kameraden.

»Es geht schon«, sagte Luxon. »Ich habe nur ein paar Kratzer abbekommen. Aber ich will lieber nicht daran denken, welches Schicksal mir in Gefangenschaft dieser Kreaturen geblüht hätte.«

Sadagar rief nach ihnen, und Mythor meldete sich. Er machte sich mit Luxon auf den Rückweg. Dabei fragte Mythor:

»Was hat der Anführer zu dir gesagt?«

»Er nannte sich Gfeer oder so ähnlich und bezeichnete sich als Oberhaupt der Mabaser und als Herrscher dieses Dunklen Bezirks«, antwortete Luxon. »Lässt das nicht die Vermutung zu, dass wir uns hier tief in der Düsterzone befinden?«

»Auch Logghard liegt an der Düsterzone«, sagte Mythor dazu.

Als sie zu Sadagar und Hrobon zurückkehrten, war der Steinmann gerade damit fertig, seine Wurfmesser einzusammeln. Hrobon hatte sein Schwert gesäubert und steckte es in die Scheide zurück. Er begegnete Mythors Blick und wandte sich abrupt ab.

»Wahrscheinlich werden die Mabaser keinen zweiten Angriff mehr wagen«, sagte Mythor. »Aber wer weiß, welche Überraschung dieser sogenannte Dunkle Bezirk noch für uns bereit hält. Wir müssen auf der Hut sein, wenn wir den Marsch in die Richtung fortsetzen, die uns der Helm der Gerechten weist.«

»Kann man aus deinen Andeutungen schließen, dass du weißt, wo wir uns hier befinden?«, erkundigte sich Sadagar.

»Ich muss Flüsterhand glauben, dass er uns nach Logghard geschickt hat«, sagte Mythor. »Immerhin wissen wir, dass er nicht aus alleiniger Kraft uns alle befördert haben kann. Also muss es auch hier Große geben. Außerdem weist mich der Helm der Gerechten in eine bestimmte Richtung. Logghard muss zumindest ganz nahe sein.«

»Die Sache gefällt mir trotzdem nicht«, sagte Sadagar. »Warum zeigen sich die Großen nicht, die uns hergeholt haben?«

»Ich muss dem Steinmann zustimmen«, sagte Luxon. »Ich würde mich an deiner Stelle nicht zu sehr auf die Großen verlassen. Irgendetwas stimmt hier nicht.«

Mythor nickte zögernd. Er war nicht ganz Sadagars und Luxons Meinung, wenn auch er kein Freund der Stummen Großen war. Er verabscheute ihre Rituale und die Art der Selbstverstümmelung, die sie betrieben, indem sie sich die Münder zunähten. Aber er wusste auch, dass sein Schicksal eng mit diesem Geheimbund verknüpft war und dass die Großen allein das Rätsel seiner Herkunft kannten. Da er die Großen wegen ihrer eigenartigen Methoden verurteilte, konnte er nicht recht glücklich darüber werden, dass sie ihn unterstützten. Einige Male hatte er sich bereits gegen ihre Hilfeleistungen gewehrt und sich gegen ihren Willen gestellt.

Manchmal dachte Mythor sogar, dass ihm die Großen als Feinde lieber wären, denn als Freunde. Doch das war vermutlich ungerecht.

Wie auch immer, trotz aller Bedenken gegen diesen mächtigen Geheimbund hatte Mythor keinen Grund, an Flüsterhands Versprechen zu zweifeln, dass er sie nach Logghard befördern würde.

Denn der Große aus Erham hatte glaubhaft versichert, dass alle in der Ewigen Stadt der Ankunft des Sohnes des Kometen harrten.

Seltsam nur, dass ausgerechnet blutrünstige Mabaser zu seinem Empfang bereitgestanden hatten.

»Schade, dass uns Gfeer entwischt ist«, meinte Mythor wie zu sich. »Der Anführer der Mabaser hätte uns sicher einige Fragen beantworten können.«

»Ich habe eine Idee, wie wir doch noch an ihn herankommen könnten«, sagte Luxon. »Als Köder für eine Falle wäre ein Teil deiner Ausrüstung vorzüglich geeignet. Denn ich gehe davon aus, dass die Mabaser es einzig auf die Waffen des Lichtboten abgesehen hatten. In diesem Falle wird Gfeer zugreifen, wenn sie ihm angeboten werden.«

»Vielleicht wäre die Sache einen Versuch wert«, meinte Mythor überlegend.

*

»Wo sind wir?«

»Wie lange sind wir unterwegs?«

»Ist es Tag – oder haben wir Nacht?«

»In welcher Richtung geht die Sonne auf? Wo ist sie?«

Solche und ähnliche Fragen beschäftigten die Krieger jenes Heeres, das durch die ewige Dämmernis zog.

»Ich esse nichts, habe aber dennoch keinen Hunger. Ich marschiere, ich weiß es, denn wenn ich an mir hinunterblicke, dann sehe ich, dass ich einen Fuß vor den anderen setze. Ich kann sprechen und ich denke ... Wieso fühle ich mich trotzdem wie tot?«

»Denke besser nicht. Denke nicht daran, dass es eine Sonne und einen Mond und Sterne gibt, und eine Welt, die von Himmel, Horizont und Boden begrenzt wird. Zieh weiter, Kamerad, vielleicht kommen wir einmal an ein Ende.«

»Wie viele sind wir? Vier Hundertschaften? Oder mehr?«

»Mehr.«

»Zehn ...?«

»Mehr. Tausende – es ist schrecklich. Unvorstellbar. Aber zieh weiter, Kamerad.«

»Wieso nennst du mich so?«

»Weil wir das gleiche Schicksal haben. Wie heißt du?«

»Clewyn.«

»Ich bin Loennis von Broudan.«

»Hast du Freunde hier?«

»Viele ...«

Der Reiter mit dem Federbuschhelm zügelte sein Pferd und ließ die Kolonne der Krieger an sich vorbeiziehen. Er sah viele bekannte Gesichter und hörte viele klingende Namen. Er lauschte den Gesprächen, ohne ihren Inhalten auf den Grund zu gehen. Alle Krieger drückten mit den verschiedensten Worten dasselbe aus: Ihre Hoffnungslosigkeit, die Sinnlosigkeit ihres Marsches ohne Ziel – sie fühlten sich als wandelnde Tote, waren abgestumpft, niedergeschlagen.

Loennis von Broudan hörte bei einigen hundert zu zählen auf. Die Kolonne wurde immer ungeordneter.

»Da bist du ja, Kamerad«, sagte der Caer, der sich ihm als Clewyn vorgestellt hatte, und der nun in dem Haufen marschierte, den Loennis von Broudan an sich vorbeiziehen ließ. »Ich habe nicht bemerkt, dass du vorausgeritten bist. Warst du an der Spitze des Heerzugs?«

»Ich bin nicht vorausgeritten«, sagte der ugalienische Heerführer. »Ich bin zurückgeblieben und habe mich nicht vom Fleck gerührt.«

Mythor 50: Die Mauern von Logghard

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