Читать книгу Dir verpflichtet - Paula Bergström - Страница 5

Stufe 1 – 1.

Оглавление

Lady Imogen Montagu sprang aus der Kutsche und landete mit einem Fuß in einer Pfütze, die der nachmittägliche Regenschauer hinterlassen hatte.

»Warum musstest du auch so viel Gepäck mitnehmen?« Lupus Cardiff blickte Lady Imogen böse an und hievte ihre schwere Koffertasche von der Kutsche.

Imogen hob nur desinteressiert die Schultern und beäugte die Schenke missmutig. Es gab keinen Stein, der dem anderen glich, viele Stellen waren mit Lehm ausgebessert, sodass man Angst bekam, es könnte jeden Augenblick einstürzen. Die Holzläden hingen teilweise nur noch an einer Angel und klapperten im Wind. Der Himmel, durchzogen mit dunklen Wolken, rundete das Bild eines unheilvollen Szenarios ab. »Hier wollen wir übernachten? Gibt es denn keine andere Unterkunft?«, fragte sie und hob ihre Röcke an, damit nicht noch mehr Schlamm an ihnen hängen blieb.

»Wir müssen nehmen, was sich uns bietet. Immerhin schwimmen wir nicht gerade im Geld.« Lupus schüttelte den Kopf über den Dünkel seiner Cousine. Sie waren nicht wirklich verwandt, da Lupus ein Mündel des Viscounts of Avon, Imogens Vater, war, der ihn als kleinen Jungen aufgenommen hatte. Dennoch bezeichnete er sie gern als seine Cousine. Schon als Kind war er von ihr hingerissen gewesen, und dieses Gefühl hatte sich mit den Jahren nur verstärkt. Bald, wenn sie beide einundzwanzig würden, wäre er endlich in der Lage, sie zu seiner Frau nehmen zu dürfen.

»Drinnen ist es bestimmt angenehmer.« Lupus nahm ihren Arm und führte sie in das heruntergekommene Gebäude, dessen Dachschindel wirkten, als würden sie dem nächsten Sturm nicht trotzen können.

Doch auch im Inneren lief Imogen ein Schauder über den Rücken. Männer, nicht gerade gut gekleidet, saßen an den wenigen Tischen, tranken Bier und lachten. Als sie Imogen erblickten, verstummten sie und sahen sie an, als wäre sie ein saftiges Stück Fleisch.

»Lupus, ich will hier nicht bleiben.« Sie zog an seinem Gehrock und blickte ihn flehend an.

»Wir fahren morgen weiter. Du solltest dich nicht so anstellen. Weder können wir zurück noch heute weiterreisen. Das Schiff wird morgen ablegen, und wir dürfen es nicht verpassen.« Lupus schien ermüdet von ihren Widerworten und verdrehte die Augen. »Geh hoch in die Schlafkammer, ich werde das Essen für dich hinaufbringen lassen.«

»Vielen Dank, aber hier bekomme ich nichts herunter«, gab sie angewidert zurück und schritt auf die steile Treppe zu.

»Vielleicht will die Lady ja mit uns ihr Mahl einnehmen?«, rief einer der Männer aus dem Schankraum und alle übrigen brachen in lautes Lachen aus.

Zuerst wollte Imogen etwas erwidern, doch Lupus stieß sie unsanft weiter, und sie verlor fast den Halt. Es war nicht richtig, dass sie sich so widerspenstig benahm, immerhin war Lupus bereit, ihr bei der Flucht vor dem Mann zu helfen, den sie gegen ihren Willen heiraten sollte. Doch Imogen war mit den Nerven am Ende. Sie hatte sich diese Flucht ganz anders vorgestellt, weniger strapaziös, wesentlich romantischer. Am frühen Morgen waren sie in einer Nacht- und Nebelaktion von zu Hause weggelaufen. Es war noch Nacht gewesen, das Personal noch nicht auf den Beinen. Da das Gepäck und der Weg beschwerlich waren, hatten sie im nächsten Ort eine Kutsche mieten müssen. Dies hatte bereits einen Großteil von Imogens Ersparnissen aufgebraucht, die sie heimlich verwahrt hatte. Danach waren sie den Rest des Tages übers Land gefahren, um nun in dieser Absteige zu übernachten. In diesem Moment war sie auf dem harten Boden der Tatsachen aufgekommen, und das tat erstaunlich weh.

Die enge Stiege in das Obergeschoss war mit Dreck übersät und Imogen musste aufpassen, wohin sie trat. Sie raffte die Röcke, sodass ihre Knöchel zum Vorschein kamen.

»Hey, feine Lady, an unserem Tisch ist noch ein Platz frei. Oder sind Sie sich zu schade, um mit einfachen Männern zu essen?«, rief einer der Kerle, dem zwei Vorderzähne fehlten.

Voller Abscheu drehte Imogen sich um und rannte geschwind die Treppe hinauf, die selbst unter ihrem geringen Gewicht laut knarrte. Alles roch muffig und abgestanden, als würde niemals gelüftet werden, was die Spinnweben in den Ecken bezeugten.

Als sie in die Schlafkammer trat, wurde es Imogen fast übel. Das wackelig wirkende Bett bestand aus schlecht miteinander vernagelten Latten und das Laken war so dünn, dass es nicht einmal mehr als fadenscheinig durchgehen konnte.

»Hier bleibe ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf und riss sich zusammen, um Lupus nicht merken zu lassen, wie unwohl ihr wirklich war.

Er warf krachend die Tür ins Schloss. »Jetzt stell dich nicht so an. Wir sind nun mal nicht mehr zu Hause. Du wolltest doch mit mir weglaufen. Ich denke, wir lieben uns und wollen den Rest unseres Lebens in der Neuen Welt glücklich sein.«

»Wir lieben uns?«, fragte Imogen überrascht. »Ich habe niemals gesagt, dass ich dich liebe. Du bist so was wie mein Bruder. Wie könnte ich da etwas anderes als geschwisterliche Liebe für dich empfinden? Ich laufe weg, weil ich diesen abscheulichen Duke of Lonsdale nicht heiraten will.« Sie stemmte die Hände in die Hüften, so wie sie es immer tat, wenn Lupus etwas sehr Dummes angestellt hatte und sie ihm den Kopf waschen musste. Mitleidig schüttelte sie den Kopf.

»Du hast ihn seit zwölf Jahren nicht mehr gesehen. Wie kannst du wissen, dass du ihn nicht leiden kannst? Was für ein Unsinn. Ich bin davon ausgegangen, dass du mich heiraten wirst, wenn wir beide zusammen durchbrennen. Ich liebe dich, seit ich denken kann, Imogen.« Lupus blickte sie begehrlich an.

»Das ist doch verrückt. Wir sind Geschwister. Natürlich habe ich dich gern, und du bedeutest mir etwas. Aber Liebe ist etwas anderes. Etwas Großes, das über einen hereinbricht, dich wie ein Blitz trifft. Ich werde jetzt gehen. Dieses ganze Vorhaben war von vornherein eine dumme Idee. Wie hatte ich mir nur einbilden können, wegzulaufen wäre eine aufregende Sache? Ich glaube, diese Idee mit der Neuen Welt war keine besonders gute.«

»Du wirst mit mir nach Amerika segeln, es gibt kein Zurück mehr«, bestimmte Lupus.

Sie wollte an ihm vorbei zur Tür, doch er zog sie in seine Arme. »Imogen, ich liebe dich.« Lupus versuchte sie zu küssen. Für eine Sekunde war Imogen so überrascht, dass sie es duldete, doch dann erwachte sie.

»Was tust du da?« Sie versuchte ihn von sich zu stoßen, doch Lupus war wesentlich stärker als sie.

Zum ersten Mal sah sie ihn, wie er wirklich war. Sein rotes strähniges Haar hing ihm wild in die Stirn, die blassblauen Augen blickten sie verwirrt an. Dann stieß er sie auf das Bett und warf sich über sie. Mit einer Hand mühte er sich ab, unter ihre Röcke zu greifen.

»Hilfe!«, schrie sie auf, und Lupus presste seine andere Hand auf ihren Mund, um sie verstummen zu lassen.

Er riss an ihrer Unaussprechlichen, suchte nach der Öffnung in ihrem Schritt und einen Zugang für seine Finger. Mit aller Kraft, die Imogen aufbringen konnte, wehrte sie sich, doch sie kam nicht gegen Lupus an. Er musste den Verstand verloren haben, immer wieder versuchte er sie zu küssen. Der Gestank der Matratze nach Urin und Erbrochenem bereitete Imogen Übelkeit. Als er ihr nacktes Fleisch berührte, jaulte Lupus auf wie ein Wolf bei Vollmond. Tränen traten Imogen in die Augen, und ihre Gegenwehr wurde immer geringer, als die Kraft sie verließ. So würde ihr Abenteuer enden: Geschändet in einer Spelunke von einem Mann, der ihr so nahestand wie ein Bruder. Ihre Verteidigung erlahmte fast gänzlich. Sie sah keinen Ausweg, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien, und keine Möglichkeit, dass Lupus noch zur Vernunft kam. Niemand würde ihr hier zur Hilfe eilen, sie konnte nur hoffen, diesen Übergriff überhaupt lebend zu überstehen. Die Berührungen von Lupus an ihrer intimsten Stelle ließen sie laut schluchzen. Es war so erniedrigend, sich einem Mann dermaßen ausgeliefert zu fühlen. Warum war sie nur eine so hilflose Frau? Sie versteifte sich, als sie Lupus’ Zunge auf ihrer Haut spürte. Ekel und Widerwille krochen ihr den Nacken herauf, und Imogen schloss die Augen und begann zu beten. Gott würde sie retten, da war sie sich sicher. Er würde einen rettenden Engel schicken, etwas anderes war gar nicht möglich. Ihr junges Leben durfte noch nicht vorüber sein.

Tief in ihrem Inneren gab es jedoch einen Funken Hoffnung, der ihr Überleben sicherstellte. Was auch immer die Zukunft für sie bereithielt, sie würde es annehmen. Am Leben zu bleiben und nicht den Verstand zu verlieren war das Einzige, was jetzt noch wichtig war.

Dir verpflichtet

Подняться наверх