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Überfahrt mit Miss Sara

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Wir waren zwei Wochen auf See. Eines Nachts brach auf dem Schiff Feuer aus. Der Kapitän war beunruhigt genug, um die Passagiere auf die Rettungsboote evakuieren zu lassen. Panik brach aus, alle schrien und stolperten übereinander, während der Kapitän über Lautsprecher zur Ruhe mahnte.

Meine Mutter hatte wahnsinnig Angst, weil sie nicht schwimmen konnte. Sie liess alles auf dem Schiff zurück, während die Europäer ihre Diamanten, ihr Gold und ihre Kleider aufs Boot mitzunehmen versuchten.

Irgendwie schafften sie es, das Feuer zu löschen. Die Boote konnten wieder an Bord gezogen und die Schwimmwesten versorgt werden. In dieser kurzen Zeit hatte die Hautfarbe keine Rolle gespielt.

Es gab eine auffällige Frau an Bord: eine weisse, blonde, sehr britische Frau. Die Haare hatte sie, mit viel Haarspray behandelt, am Hinterkopf hochgesteckt. Sie trug oft ein tief ausgeschnittenes rosa Kleid, das sehr kurz war und ihre Rundungen zeigte. Wenn sie vorbeistöckelte, zog sie alle Blicke auf sich. Die Männer in der Küche mit ihren schmutzigen Overalls rannten, das Fleischmesser noch in der Hand, zum Fenster, wenn sie vorbeiging, oder verbrannten sich aus Unachtsamkeit die Finger. Es war ein britisches Schiff mit viel ausländischer Besatzung. Diese Männer waren bereit, Miss Sara jeden Wunsch jederzeit zu erfüllen. Sie stritten sich, wer sie als erster haben dürfe. Sie wussten, was sie wollte; es war ja nicht das erste Mal, dass sie solche Angebote erhielten. Sara hatte es auf den dunklen, hübschen Spanierjungen abgesehen. Er war jung und noch unerfahren; sie war älter, so um die Dreissig.

Mutter war nicht gerne auf See und konnte es kaum erwarten, bis wir wieder an Land waren. Sie war keine Mutter, die uns mit Liebe überschüttete, sie tat ihre Pflicht, und das war's. Es gab keine liebevollen Berührungen und erst recht keine Küsse, aber manchmal brachten wir sie zum Lachen. Vor dem Frühstück und Dinner wusch sie uns und zog uns sauber an. Mir band sie Schleifen ins Haar, was ich hasste. Ich war neugierig, aber schüchtern. Ich hatte grosse Augen, lächelte aber nur, wenn ich von Fremden Aufmerksamkeit erhielt. Wenn ich die anschaute, gab mir Mutter eins auf die Finger.

Saras Kabine war auf unserem Korridor. Ich begegnete ihr oft. Wenn sie zum Frühstück oder Dinner ging, streichelte sie meine Wangen mit ihrer sehr weissen Hand mit der geschmeidigen Haut. Einmal fragte ich sie: «Miss Sara, was ist das für ein feiner Duft?» Sie beugte sich zu mir und sagte mit ihrer samtigen englischen Stimme: «Das ist Christian Dior. Magst du es?» Ich nickte. «Du heisst Paula, nicht?» «Ja», antwortete ich und fühlte mich ungezogen, weil ich mit einer Fremden sprach. Mein Bruder stand in seinen ausgebeulten Shorts daneben – er heulte jeden Morgen, wenn er die anziehen musste. Er rief laut: «Und ich bin Ben!» Immer war er vorlaut und musste auf sich aufmerksam machen. Er hatte sehr schöne Zähne, klein und weiss. Miss Sara erhob sich, tätschelte mir beim Weggehen die gefetteten, geflochtenen Haare und tänzelte zu Männern und Tee.

Eines Nachmittags hatte uns Mutter rausgeschickt, sie wollte ein Nickerchen machen. Wir spielten im Korridor, mein Bruder sprang auf und ab und fiel immer wieder auf den Hintern, wenn er nach den Murmeln zu grapschen versuchte. Da hörte ich am Ende des Korridors Geräusche, ich wusste nicht, was es war. «Es weint jemand, Ben», sagte ich. Ich rannte den Korridor entlang zu Miss Saras Kabinentür, die halb offenstand. Ich sah einen Mann auf dieser Lady liegen, er machte Geräusche, ich schaute hin, lachte, die Hände vor dem Mund. Die beiden waren nass und bewegten sich sehr schnell, sie hatte ihre Beine in der Luft und hielt sich an seinen Haaren fest. «Fester», sagte sie. Ich drehte meinen Kopf von einer Seite zur andern. «Tiefer», sagte sie, und das Kajütenbett bewegte sich wild. Dann lautes Geschrei und Stille. Mein Bruder war nun auch herbeigerannt, wir standen in der Tür und lachten, da hörte sie uns. Sie stand auf, wickelte sich in ein Laken und kam auf uns zu. Ihre Haare sahen jetzt nicht mehr ordentlich aus, ihr Gesicht war rot und nass. Sie schien mir nicht mehr so hübsch zu sein, sie wirkte erschöpft und roch auch nicht mehr gut. «Geht weg», sagte sie und schloss die Tür vor unseren Nasen.

Wir stürmten lachend in Mutters Kabine. Sie war wütend, weil wir sie weckten, und hätte uns am liebsten geschlagen. «Nicht mal ein wenig schlafen kann man», sagte sie. Sie war fünfundzwanzig, fühlte sich aber viel älter. Zwischen ihren Vorderzähnen hatte sie einen schmalen Spalt.

Als wir zum Dinner kamen, sass Miss Sara schon an ihrem Tisch. Normalerweise war sie die letzte, die ihren Platz einnahm, weil sie noch an Deck herumtrödelte, an der Sonne lag, Bücher las oder aufs Meer starrend vor sich hinträumte. Sie roch wieder gut, das nahm ich von weitem wahr. Sie sah auch wieder hübsch aus, in einem weissen Häkelkleid, mit langen rotlackierten Nägeln und Lippenstift von hellerem Rot als sonst. Sie schaute uns nicht an, sprach mit andern Gästen und zündete sich in ihrem Zigarettenhalter eine Zigarette an. Ich zeigte mit meinen Händen auf sie und erzählte meiner Mutter: «Sie hat geschrien, und ein Mann lag auf ihr.» Ich versuchte, die Bewegung nachzumachen. Mutter verstand nicht, schlug mir auf die Hände: «Du sollst nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigen», sagte sie und lächelte Miss Sara zu, die an einem bessern Tisch sass als wir. Er war mit Blumen schön dekoriert. Wir teilten den Tisch mit einem schwarzen Paar und dessen halbwüchsiger Tochter, einer Inderin und einigen andern Leuten von verschiedenen Karibikinseln.

Go, Josephine, go

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