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Athelstan ging hinüber zum Haus und holte eine Schale Hafergrütze, zwei Decken und ein Kissen. Dann ging er noch einmal und besorgte ein Tuch, eine Schüssel und einen Wasserkrug, damit Ashby sich waschen konnte. Als nächstes begann Cranston mit der Vernehmung.

»Du bist Sir Henry Osprings Knappe?«

»Jawohl, Sir John«, antwortete Ashby zwischen zwei Löffeln Hafergrütze.

»Du bist aber auch mit Kapitän Roffel auf der God’s Bright Light gefahren?«

»Aye. Sir Henry hat den größten Teil der Heuer für die Besatzung und die Bewaffnung des Schiffes bezahlt. Dafür erhielt er fünfzig Prozent aller Gewinne.«

»Und du hattest den Auftrag, alles im Auge zu behalten?«

Ashby lächelte säuerlich. »Das könnte man sagen. Ich bin mit der God’s Bright Light losgesegelt …« Er verdrehte die Augen. »Welchen Tag haben wir heute?«

»Das Fest der hl. Apostel Simon und Judas«, antwortete Athelstan. »Den 28. Oktober.«

»Nun, wir ließen die Themse zwei Tage vor St. Michaelis hinter uns; das müßte dann der 27. September gewesen sein. Das Wetter war gut, der Wind günstig. Wir gingen zwischen Dover und Calais in Stellung und fingen an, einzelne Kauffahrer zu attackieren. Wir machten gute Beute, und bald war unser Laderaum voll mit Lebensmitteln, Wein und Stoffen, von einzelnen Kostbarkeiten gar nicht zu reden.«

»Wie war Roffel?« fragte Athelstan.

»Ein harter Mann, Pater. Ein guter Seemann, aber brutal. Immer hat er angegriffen, und nie hat er dem Feind erlaubt, sich zu ergeben. Fischerboote, Galeeren, Weinschiffe aus der Gironde. Es ging stets auf die gleiche Weise zu. Wir verfolgten sie, gingen längsseits, und dann schossen die Bogenschützen ihre Pfeile ab. Danach ging eine Entermannschaft hinüber und …«

»Und?«

Ashby schaute zu Boden.

»Und?« wiederholte Cranston.

Ashby murmelte etwas.

»Lauter, Mann!«

»Es gab nie Gefangene. Leichen wurden über Bord geworfen. Eroberte Schiffe, die in schlechtem Zustand waren, wurden versenkt, die anderen in den nächsten englischen Hafen geschleppt.«

»Ist irgend etwas Auffälliges geschehen? Irgend etwas?«

»Ja, um den 11. Oktober herum kaperten wir ein kleines Fischerboot, das versucht hatte, aus einem französischen Hafen in einen anderen zu gelangen. Ich glaube, es wollte nach Dieppe, aber der Wind trieb es aufs Meer hinaus. Wir griffen es an, und das Boot wurde versenkt. Nichts Außergewöhnliches – nur …« Ashby stellte die Schale hin und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Kapitän Roffel schien erfreut zu sein, sehr erfreut. Wißt Ihr, wie eine Katze, die den Rahm ausgeschleckt hat. Für gewöhnlich war Roffel ein schweigsamer Mann, aber da sah ich ihn auf dem Achterdeck umherlaufen und in die Hände klatschen. Und es war das einzige Mal, daß ich ihn je singen hörte.«

»Und dann?«

»Ein paar Tage später zog er sich in seine Kajüte zurück und klagte über Magenschmerzen. Der Laderaum war voll mit Beute; also fuhren wir nach Dover. Ich nahm Sir Henrys Anteil und ging an Land. Die God’s Bright Light stach wieder in See, jetzt unter dem Kommando von Hubert Bracklebury, dem Ersten Maat.«

»Hat Roffel Briefe an Sir Henry geschrieben, als er an Land war?«

»Nein, keinen. Sie waren eher Geschäftspartner als Freunde. Sir Henry hat für das Geld gesorgt, und Roffel hat die Kaperfahrten gemacht.« Ashby stieß mit dem Fuß gegen die Schale. »Mörder waren sie. Ospring war ein Teufel aus der Hölle; seinen Pächtern hat er jeden Penny abgepreßt. Auf Gott und die Menschen hat er keinen Pfifferling gegeben.«

»Habt Ihr ihn deshalb ermordet?«

»Nein«, sagte Ashby. »Ich habe ihn nicht ermordet.«

Athelstan stand auf und sah Cranston an. »Sir John, hier haben wir genug erfahren.«

Cranston seufzte und kam schwerfällig auf die Beine. Athelstan deutete auf eine geräumige Nische im Altarraum.

»Ruht Euch dort aus«, sagte er. »Ihr habt Ale, eine Decke und ein Kissen. Wenn ich zurückkomme, mache ich es Euch behaglicher.«

»Pater, kann ich denn irgend etwas tun?«

Athelstan grinste und wies auf zwei schwere, gußeiserne Kerzenhalter auf dem Altar.

»Ja, die könnt Ihr saubermachen, und dann könnt Ihr die Dochte der Kerzen putzen.« Er schaute auf Ashby hinunter. »Habt Ihr einen Dolch?«

Ashby lächelte und klopfte mit der flachen Hand auf die Waffe.

»Nun, ich würde es als eine große Gefälligkeit betrachten, wenn Ihr außerdem das Kerzenwachs vom Boden kratzen könntet. Ich sehe Euch wieder, wenn ich zurückkomme.« Er zeigte auf Bonaventura, der am Fuße einer Säule schlummerte. »Und wenn Ihr Euch einsam fühlt, unterhaltet Euch mit dem Kater. Ein großer Plauderer ist er nicht, aber er kann gut zuhören.«

Athelstan folgte Sir John hinaus.

»Einen Moment noch, Sir John. Ich bin gleich wieder da.«

Athelstan warf einen Blick in den Stall. Da stand der alte Philomel, an die Wand gelehnt, und kaute zufrieden auf einem Bündel Heu. Sanft tätschelte der Priester dem Pferd das Maul. Philomel wieherte leise vor Behagen und raufte wieder ein Büschel aus dem Heu, und Athelstan lief rasch ins Haus, um seinen Mantel und die Ledertasche mit dem Schreibwerkzeug zu holen. Dann gingen er und Sir John zielstrebig zum Kai hinunter. Es war schon nach Mittag. Der Himmel war bedeckt, aber in den Straßen und Gassen herrschte ein hektisches Treiben wie immer. Kinder tobten kreischend um die Verkaufsstände. Bettler baten winselnd um Almosen. Höker mit ihren Bauchläden um den Hals boten Bänder, Nadeln und Klammern feil. Athelstan sah Cecily, die Kurtisane, die vor der Tür einer Schenke stand. »Geh zur Kirche, Cecily!« rief Athelstan. »Wir haben einen Gast!« Er warf ihr eine Münze zu, die sie geschickt auffing. »Kauf ihm eine von Mistress Merrylegs Pasteten!«

Sie kamen am ungewohnt leeren Pranger vorbei. Der Strafvollzugsausschuß würde erst in einer Woche wieder zusammenkommen; dann aber würde der Pranger sich mit der Schurkenernte einer ganzen Woche füllen. Bladdersniff, der Bezirksbüttel, saß betrunken unten vor dem Pranger und schwatzte mit dem Rattenfänger Ranulf; dieser streichelte seinen zahmen Dachs, der ihm jetzt überallhin folgte. Athelstan hatte ihn sogar schon in der Kirche gesehen, wo das Schnäuzchen des Tieres unter Ranulfs Mantel mit der schwarzgeteerten Kapuze hervorgelugt hatte. Die beiden Männer riefen einen Gruß herüber. Athelstan erwiderte ihn und wunderte sich darüber, daß Sir John so seltsam still war – meistens hatte der Coroner, wenn sie durch die Straßen gingen, zu allem und jedem eine Bemerkung zu machen. Athelstan faßte Cranston beim Arm.

»Sir John, was ist denn?«

Cranston nahm einen Schluck aus seinem Weinschlauch und schmatzte. Er rümpfte die Nase über den fauligen Fischgestank von den Netzen, die zum Trocknen auf dem Kai ausgebreitet lagen.

»Ich weiß es nicht, Bruder. Diese ganze Geschichte stinkt. Ospring und Roffel waren zwei Mörder und Mistkerle und haben bekommen, was sie verdienen.« Er rülpste geräuschvoll. »Aber daß die Wache von der God’s Bright Light verschwindet und daß Roffel so merkwürdig erkrankt und daß Sir Henry auf unerklärliche Weise erstochen wird … das alles ergibt keinen Sinn.«

»Ist Euch an Ashby nichts Merkwürdiges aufgefallen?« fragte Athelstan.

Cranston grinste boshaft und berührte Athelstans Nasenspitze mit dem Zeigefinger. »Du bist ein gerissener, scheinheiliger Pfaffe, Athelstan. Ich habe eine Menge von dir gelernt. Wie geht noch die Redensart, die du manchmal gebrauchst? ›Vier Dinge sind wichtig: die Fragen, die man stellt, die Antworten, die man bekommt …‹?«

»… und die Fragen, die man nicht stellt, und die Antworten, die man nicht bekommt«, vollendete Athelstan. »Kein einziges Mal hat Ashby versucht zu erklären, wie Sir Henry zu Tode gekommen ist. Er hat seine Unschuld beteuert, aber uns nichts weiter verraten. Er sagt nur, daß er ins Zimmer gekommen ist, den Toten gesehen hat und die Hand am Dolch hatte, als Marston ihn störte.«

»Und was noch, mein lieber Mönch?«

»Bruder, Sir John, Bruder. Nun, die Lady Aveline muß, zumindest an besseren Tagen, eine hübsche, reizvolle Frau sein.«

»Und?«

»Kein einziges Mal hat unser junger Knappe sich nach ihr erkundigt.«

Cranston schniefte. »Meinst du, da stimmt etwas nicht?«

»Allerdings.«

»Will Ashby jemanden decken?«

»Vielleicht.«

»Aveline?«

»Aber warum sollte sie ihren eigenen Vater ermorden?« Athelstan seufzte. »Wir werden den richtigen Augenblick abwarten und der reizenden Lady ein paar passende Fragen stellen müssen.«

Cranston packte Athelstan bei der Schulter. »Die ganze Geschichte stinkt wie ein Misthaufen im Hochsommer. Aber jetzt komm, sehen wir uns das verdammte Schiff an und die Geheimnisse, die es birgt.«

Sie stiegen die Kaitreppe hinunter. Athelstan erblickte jemanden aus seiner Gemeinde, Moleskin, einen alten, drahtigen Mann, der immer lächelte und behauptete, er fahre das schnellste Ruderboot auf der Themse. Jetzt winkte er Athelstan und Cranston zu sich und führte sie die glitschigen Stufen hinunter. Wenig später ruderte er mit straffen Armen und knackenden Gelenken auf die rauhe, dunstige Themse hinaus, vorbei an Dowgate und nach Queen’s Hithe, wo die Kriegsschiffe vor Anker lagen. Der Flußnebel war immer noch dick und stickig und wehte gespenstisch über dem Wasser. Gelegentlich zog Moleskin die Ruder ein, wenn andere Boote, Barken oder Kähne sich flußabwärts pflügten. Ab und zu riß der Nebel auf, und sie erhaschten einen Blick auf fettbäuchige, hanseatische Kauffahrer auf dem Weg zum Steelyard. Cranston beugte sich vor und gab Moleskin Anweisungen. Der Mann grinste, räusperte sich geräuschvoll und spuckte ins Wasser.

»Behaltet Ihr nur den Fluß im Auge, Sir John.«

Cranston spähte über die Schulter. Plötzlich wehte der Nebel beiseite. Eine große Kogge ragte vor ihnen auf.

»Nach rechts! Nein, ich meine, nach links!« brüllte Cranston.

Der Ruderer grinste und steuerte sein Boot geschickt unter dem Heck des Schiffes hindurch; Cranston sah den Namen Holy Trinity über sich. Dann gingen sie an einem anderen Schiff längsseits; seine Planken waren schwarz geteert, und der Mast ragte in den Nebel hinauf, während es sanft auf der Themse dümpelte. »Das ist es!« schrie Cranston.

Moleskin steuerte sein kleines Boot längsseits. Er rief Sir John zu, er solle sich hinsetzen, bevor er sie alle in die Themse kippte. Dann stand er auf und rief. »An Deck! An Deck!«

Athelstan spähte hinauf und sah, daß ein Mann mit einer Laterne an die Reling kam.

»Wer ist da?«

»Sir John Cranston, Coroner der Stadt London, und sein Schreiber, Bruder Athelstan. Sir Jacob Crawley erwartet uns.«

»Wird auch Zeit, verdammt!« rief die Stimme zurück.

Ein Netz wurde an der Schiffswand herabgelassen, gefolgt von einer starken Strickleiter. Moleskin steuerte das Boot näher heran. Sir John packte die Leiter und schwang sich hinauf, behende wie ein Äffchen. Athelstan folgte ihm vorsichtiger, unterstützt von dem spöttisch grinsenden Moleskin.

»Seht Euch vor, Pater«, riet der Bootsmann. »Schaut nicht hinunter, nehmt Euch Zeit.«

Athelstan tat wie geheißen und schloß die Augen halb. Als Sir John sich über die Reling wälzte, geriet die Leiter ins Schaukeln, und Athelstan klammerte sich fest, als gelte es sein Leben. Dann kletterte er weiter, bis Cranstons starke Hände ihn bei den Armen packten und ihn würdevoll wie einen Mehlsack an Deck hievten. Athelstan nahm den Lederbeutel vom Hals und taumelte dann, als das Schiff sich bewegte. Er wäre der Länge nach hingeschlagen, wenn Cranston ihn nicht festgehalten hätte.

»Es braucht Zeit, bis man seine Seemannsbeine bekommt«, sagte Cranston. »Aber du mußt breitbeinig stehen, Bruder.«

Athelstan gehorchte und spähte blinzelnd umher. Das Deck war vollgestellt mit Ledereimern, Taurollen, ein paar Säcken, Eisenkugeln und zwei Kohlenbecken mit ausgebrannter Holzkohlenasche. Athelstan sah undeutlich ein paar Gestalten, die sich im Nebel bewegten. Er schaute nach links über das Deck zum Achterkastell und dann nach rechts, wo das Vorderkastell aufragte. Ein Matrose, nackt bis auf die Unterhose – der Mann, der sie vorhin begrüßt hatte –, betrachtete Athelstan.

»Du mußt aber frieren«, bemerkte Athelstan. »Ohne Hemd.«

»Aye, ich friere auch, Pater. Aber Ihr kommt jetzt besser mit. Sir Jacob Crawley platzt bald vor Wut.«

Er führte sie über das Deck zum Achterkastell und klopfte dort an die Tür.

»Verpiß dich!« brüllte jemand.

Der Seemann zuckte die Achseln, grinste über die Schulter und öffnete die Tür. Er duckte sich, als ein Humpen an seinem Kopf vorbeiflog.

»Sir Jacob? Sir John ist da.«

Cranston grinste von einem Ohr zum andern und schob sich an dem Matrosen vorbei.

»Jacob Crawley, Ihr schmutziger alter Seebär!«

Athelstan folgte ihm wachsam. Ein muffiger, süßlicher Geruch erfüllte die Kajüte. Der Mann, der sich halb von seinem Stuhl am Tisch erhob, um Cranston zu begrüßen, war weißhaarig, klein, geschmeidig und nußbraun. Er trug einen dunkelblauen Mantel, der von einem Silbergürtel gehalten wurde. Auf dem Tisch lag eine Mütze von gleicher Farbe, an deren Krempe eine Feder steckte. Crawley ergriff Cranstons Hand, grinste von einem Ohr zum andern und stieß ihm freundschaftlich vor den Bauch.

»An Euch ist mehr dran als früher, Sir John, was?«

»Dann hat Lady Maude desto mehr zum Festhalten, wenn es einmal stürmisch wird.«

Die beiden Männer brüllten vor Lachen. Crawley schüttelte Athelstan die Hand und klopfte ihm geistesabwesend auf die Schulter. Er deutete auf zwei freie Schemel am Tisch, und Cranston und Athelstan gesellten sich zu den Männern, die sich dort bereits zusammendrängten. Crawley machte sie bekannt: Philip Cabe, der Zweite Maat, Dido Coffrey, Zahlmeister, Vincent Minter, Schiffsarzt, und Tostig Peverill, Schiffsprofos. Ein bunter Haufen, fand Athelstan, in ihren von der See verwaschenen Kleidern – hagere Männer mit harten, wettergegerbten Gesichtern, kurzgeschnittenen Haaren und mit Augen, die nicht lächelten. Voller Unbehagen saßen sie da, und Athelstan spürte ihren Unmut darüber, daß sie so lange aufgehalten wurden.

»Wir warten hier schon seit Stunden«, fauchte Cabe, und sein ledriges Pferdegesicht war voller Mißbilligung.

»Na, das tut mir aber leid, verflucht!« rief Cranston. »Aber ich war verdammt beschäftigt!«

»Nun, nun.« Crawley klatschte in die Hände wie ein Kind. »Sir John, einen Schluck Rotwein?«

Sir John sagte natürlich bereitwilligst ja.

»Pater?«

Athelstan schüttelte lächelnd den Kopf. Er öffnete seine Schreibtasche und legte Tintenhorn, Feder und Pergament vor sich auf den Tisch. Dann sah er sich in der niedrigen, engen Kajüte um und erblickte die Koje in einer Ecke. Ihm war ziemlich schwindlig, zumal wenn das Schiff sich bewegte und knarrte, als wolle die ganze Welt sich drehen.

Als Cranston seinen Becher geleert und Crawley ihn ebenso schnell wieder gefüllt hatte, beugte des Königs Admiral der östlichen Meere sich vor und rülpste.

»Wie viele Jahre, Sir John?«

»Sechzehn. Sechzehn Jahre ist es her, daß wir die Franzosen vom Meer vertrieben haben, und jetzt sind die Mistkerle wieder da.«

Athelstan stieß Sir John an, um ihn daran zu erinnern, daß es hier ums Geschäft ging, nicht um ein Wetttrinken unter alten Freunden. Cranston hustete.

»Master Cabe«, begann er, »Ihr seid jetzt der leitende Offizier an Bord dieses unglücklichen Schiffes. Wenn ich recht verstehe, wurde Kapitän Roffel krank und starb, bevor das Schiff auf der Themse vor Anker ging?«

»Ja. Am 14. Oktober klagte der Kapitän über Bauchschmerzen. Er sagte, es brenne wie Feuer.«

Cranston wandte sich an Minter. »Habt Ihr ihn untersucht?«

»Ja. Ich hielt es für eine Form der Ruhr – heftige Krämpfe, übelriechender Kot, hohes Fieber, Schwitzen.«

»Und was habt Ihr verschrieben?«

»Ich habe einen bindenden Trank gebraut, aber nichts hat geholfen. Am 20. Oktober lag Roffel im Delirium. Er starb in der Nacht, bevor wir die Themse hinaufsegelten.«

»Glaubt Ihr, er wurde vergiftet?« fragte Athelstan.

Er musterte die Runde der Gesichter im flackernden Licht der einen Laterne. Minters essigsaure Miene erstrahlte in einem schiefen Lächeln.

»O ja, Pater, er wurde vergiftet. Aber nicht so, wie Ihr denkt«, fügte er hastig hinzu. »Leibschmerzen, Galle im Magen, Ruhr, Entzündungen der Eingeweide und des Afters kommen auf Schiffen häufig vor. Ratten scheißen in unseren Proviant, das Wasser fault, und im Zwieback sind mehr Maden als Mehl.«

»Wie viele Leute sind denn auf dieser Reise gestorben?«

»Zwei. Der Kapitän und der Koch, Scabgut.«

»Woran dieser?«

»Er hatte die gleichen Krämpfe. Aber fast auf jeder Reise gibt es Tote – wenn es nicht das Essen ist, dann fällt einer über Bord.« »Also war nichts Verdächtiges an Roffels Tod?« fragte Cranston.

»Keineswegs. Allerdings hatte er seinen eigenen Weinvorrat.«

»Aber davon habe ich auch getrunken«, warf Coffrey, der Zahlmeister, ein.

»Wenn das so ist«, schloß der Arzt, »hat Kapitän Roffel nichts gegessen und getrunken, was nicht auch wir zu uns genommen hätten.«

»Wir haben gehört«, sagte Athelstan, »daß Kapitän Roffel ein harter Mann war.,«

»Stahlhart«, sagte Cabe. »Hart wie Eisen. Er hatte ein Herz aus Stein.« Er grinste spöttisch. »God’s Bright Light! Das helle Licht Gottes« – welch ein Name für ein Schiff des Teufels!« Er hob die Hand. »Oh, versteht mich nicht falsch, Roffel war erfolgreich. Wenn wir zurückkamen, war unser Lagerraum stets mit Schätzen angefüllt. Aber wir haben nie Gefangene gemacht. Dafür hat Roffel immer gesorgt.«

»Und Ashby?«

»Zu nichts zu gebrauchen, verdammt!« Peverill, der Schiffsprofos, schnaubte, und Athelstan entging der höhnische Unterton in seiner Stimme nicht.

»Eine Landratte, wenn es je eine gegeben hat. Sir Henry Ospring bestand aber darauf, daß er uns mindestens auf einem Teil der Reise begleitete. Für nichts zu gebrauchen, was?«

Zustimmendes Gemurmel beantwortete seine Frage.

»Seekrank wie ein Hund war er«, fuhr Cabe fort. »Er haßte Schiffe, und er haßte die See. Ich schätze, deshalb hat der alte Gauner ihn mitgeschickt. Kapitän Roffel hat den Jungen immer aufgezogen und verspottet.«

»Und Ashby hat Roffel gehaßt?« fragte Athelstan.

»Nein, er hat ihn nicht gehaßt, er hat ihn verachtet. Fast so sehr wie Sir Henry Ospring.«

»Nun, es ist euch vielleicht neu«, sagte Cranston, »aber Ospring ist tot, und Ashby ist geflohen.«

Seine Worte riefen wenig Überraschung hervor, und der Coroner begriff gleich, daß Roffel wie auch sein Patron, Sir Henry Ospring, als eisenharte Zuchtmeister verhaßt gewesen waren.

»Aber Ashby war von Bord gegangen, bevor Roffel starb?«

»Ja. Er ging am 19. Oktober in Dover an Land. Unser Lagerraum war voll Beute, und Sir Henrys Anwesen liegt zwei Meilen nördlich des Hafens. Ashby nahm den Anteil seines Herrn – einen ziemlich großzügigen – und verließ das Schiff.«

»Und da war Roffel schon krank?«

»Ja, schon seit ein paar Tagen, Sir John.«

»Wir haben Ashby befragt«, sagte Athelstan, ohne auf Cranstons warnenden Blick zu achten. Er wollte die abgebrühte Geringschätzung dieser Seeleute ins Wanken bringen. Sie saßen da, als gäben sie keinen Pfifferling auf den geheimnisvollen Tod ihres Kapitäns oder auf das Verschwinden dreier Mannschaftskameraden. »Ashby behauptet, Roffel sei besonders vergnügt gewesen, nachdem ihr ein kleines Fischerboot gekapert hattet, das versuchte, von einem französischen Hafen in den anderen zu gelangen. Stimmt das?«

Athelstan schaute in die Runde. Er sah den verschleierten Blick bei Cabe und Coffrey, und sogar Peverill wirkte ein wenig verunsichert – sein Gesichtsausdruck wechselte für einen Moment, und seine Lippen wurden schmal. Männer, die gelassen dagesessen hatten, scharrten jetzt mit den Füßen. Cranston und Crawley spürten den Stimmungswandel ebenfalls.

»Was war da los, he?« fragte der Admiral. »Was gab’s da? Ein Boot?«

»Wie der gute Pater sagt«, antwortete Cabe und wählte seine Worte sorgfältig, »war der Kapitän sehr vergnügt, nachdem wir das französische Boot genommen hatten. Wir hatten Wein an Bord gefunden, einen sehr guten Rotwein. Es ist noch welcher da.«

»Und das war alles?« wollte Athelstan wissen.

»Ja«, raunzte Cabe. »Warum – sollte noch etwas sein?«

»Fahren wir fort.« Athelstan lächelte matt. »Das Schiff hat vor zwei Tagen Anker geworfen.«

»Aye.«

»Und was ist dann passiert?«

»Nun«, erklärte Peverill, »meine Bogenschützen wurden ausgezahlt und bekamen Landurlaub. Wir haben den größten Teil der Beute ausgeladen – von dem, was übrig war, nachdem Ospring seinen Anteil bekommen hatte. Sir Jacob schickte die Fuhrwerke herunter.«

»Man schafft alles in einen Speicher«, erläuterte Crawley, »und bewacht es dort, bis es verkauft wird. Den Ertrag kassiere ich. Ein Teil geht an die Mannschaft, wobei der Kapitän einen beträchtlichen Anteil erhält, und ein Teil an die Staatskasse. Wäre Sir Henry noch am Leben, hätte natürlich auch er seinen Anteil bekommen.«

»Weiter«, drängte Athelstan und sah Cabe an.

»Nun, die Mannschaft bekam Landurlaub. Wir überprüften das Schiff auf Beschädigungen, stellten fest, welche Reparaturen vorgenommen, was für Vorräte eingekauft werden mußten.«

»Und Roffels Leichnam?«

»Oh, den brachte Bracklebury, der Erste Maat, bei Tagesanbruch an Land – zusammen mit der persönlichen Habe des Kapitäns. Er übergab alles an die Witwe.«

»Gab es im Laufe des Tages Besucher?«

»Ich kam an Bord«, antwortete Crawley. »Die übliche Inspektion. Routinefragen.«

»Ihr wart nicht bestürzt über den Verlust eines guten Kapitäns?« Crawley zuckte die Achseln. »Er war kein guter Kapitän, Pater. Er war ein guter Seemann. Ich selbst konnte ihn nicht ausstehen. Ich weiß, ich weiß, der Mann ist tot, Gott gebe ihm die ewige Ruhe, aber ich sage es noch einmal: Ich konnte ihn nicht leiden.«

Rasch ergriff Cabe wieder das Wort. »Und am Nachmittag«, sagte er, »kamen ein paar Huren an Bord, wie es Brauch ist.« Er schaute betreten weg. »Ihr wißt doch, wie das ist, Pater. Wenn Männer auf See sind, vor allem junge Männer … wenn die nichts zu naschen kriegen…«

Cranston hustete. »Und die Huren gingen ihrem Gewerbe nach?«

»Nein«, erwiderte Cabe schnippisch. »Sie stellten sich im Heck auf und sangen Kirchenlieder.« Er sah den warnenden Ausdruck in Cranstons Blick. »Natürlich gingen sie ihrem Gewerbe nach, aber ehe es dunkel wurde, brachten wir sie mit dem größten Teil der Mannschaft vom Schiff.«

»Gab es noch andere Besucher?«

»Bernicia«, sagte Minter, der Arzt, mit spöttischem Grinsen.

»Wer ist das?«

Jetzt grinste sogar Crawley.

»Na los, wir wollen mitlachen.«

»Sie ist eine Hure, Sir John. Nun ja – Roffels Mätresse. Ein hübsches kleines Ding. Sie hat ein Haus in der Poultney Lane, nicht weit von der Taverne ›Zum Löwenherz‹. Sie wußte nicht, daß Roffel tot war.«

»Und?«

»Als wir ihr sagten, der Kapitän sei im Sarg zu seiner Frau gebracht worden, da fing sie an zu heulen. Wir ließen sie ein Weilchen in der Kapitänskajüte hocken, gaben ihr dann einen Klaps auf den Hintern und schickten sie an Land. Jetzt gab es keine blutigen Finger mehr für sie.«

»Was soll das heißen, blutige Finger?« fragte Cranston.

Cabe beugte sich vor, wobei sein Gesicht aus dem Schatten kam. »Wenn wir Schiffe kaperten, Sir John, hatten wir es immer eilig. Wir enterten sie, erledigten die Besatzung, schnappten uns die Beute und versenkten das Schiff. Roffel pflegte jeden Toten auf Wertsachen zu untersuchen, vor allem auf Ringe. Wenn er die nicht schnell genug abkriegte, hackte er ihnen die Finger ab.

Das fand er witzig. Und er schenkte seiner Dirne Bernicia die Ringe, in denen immer noch die Finger steckten.«

Athelstan wandte sich angeekelt ab. Er hatte vom Krieg auf See gehört; er wurde blutig und auf beiden Seiten bösartig geführt, aber Roffel war anscheinend der leibhaftige Teufel gewesen. Kein Wunder, daß seine Gemahlin kaum wie eine trauernde Witwe erschien.

»Und als Bernicia von Bord gegangen war?« fragte Cranston.

»Da war alles erledigt. Bracklebury teilte die Wache ein – sich selbst und zwei andere zuverlässige Kerle. Wir hatten die Börsen voll Geld, also nahmen wir ein Beiboot und ruderten an Land.«

»War die Wache nicht ziemlich spärlich besetzt?« fragte Cranston.

»Eigentlich nicht«, meinte Crawley. »Die Schiffe liegen in Reih und Glied auf der Themse. Ein Offizier und mindestens zwei Mann bleiben an Bord; einer steht im Heck, einer am Bug.« Er senkte den Blick.

»Aber in Wirklichkeit genügte das nicht.« Cranston blieb beharrlich.

»Dies ist des Teufels Schiff, Sir John«, sagte Coffrey. »Wir wollten runter. Besonders nach …«

»Nach was?« fragte Athelstan leise.

»Kindische Alpträume.« Crawley lachte. »Ich habe davon gehört.«

»Am Nachmittag«, erläuterte Cabe, »als der Tag allmählich zu Ende ging und der Nebel hereinrollte, da behaupteten ein paar Männer, auf dem Schiff spuke Roffels Geist.« Er zuckte die Achseln. »Ihr kennt Seeleute. Wir sind ein abergläubisches Volk. Sie redeten von einem Gefühl der Kälte, von einer unsichtbaren Erscheinung, von scharrenden Geräuschen aus dem Laderaum. Sie berichteten dem Maat davon, der rief zwei Freiwillige auf, an Bord zu bleiben, und wir übrigen gingen schnellstens an Land.«

»Nach Einbruch der Dunkelheit«, stellte Athelstan fest, »waren also nur noch der Maat und die beiden Männer der Wache an Bord. Hat sich einer der hier Anwesenden danach dem Schiff noch genähert?«

Alle verneinten im Chor.

»Aber wir halten Verbindung«, erklärte Crawley. »Jede Stunde, wenn die Kerzenflamme den Ring erreicht, wird die Parole mit einem Sprachrohr von Schiff zu Schiff weitergegeben. Und zur halben Stunde sendet eine Blendlaterne auf jedem Schiff drei kurze Lichtsignale zum Zeichen, daß alles in Ordnung ist.«

»Schön.« Athelstan streckte sich. »Da haben wir also weiter flußaufwärts die Holy Trinity. Die Wache auf diesem Schiff wird die Botschaft an die God’s Bright Light senden. Eine Parole zur vollen Stunde, ein Lichtzeichen zur halben.«

Crawley nickte.

»Und ist das geschehen?«

»Die Wache auf der Holy Trinity hat es getan.«

»Aber hat die God’s Bright Light das Zeichen auch an die Saint Margaret weitergegeben?«

»O ja«, antwortete Crawley. »Das ist ja das Sonderbare. Seht Ihr, Pater, die Holy Trinity ist mein eigenes Schiff. Ich ließ meine Leute an Land gehen und befehligte selbst die Nachtwache.«

»Und Ihr habt die Signale abgeschickt?«

Crawley nickte. »Um fünf Uhr ließ ich durch ein Sprachrohr die Parole geben. Und um halb sechs blinkte die Lampe dreimal.«

»Und um sechs?«

»Ah, da wurden keine Signale mehr gegeben. Ein Matrose kam mit einer Hure zurück. Er fand das Schiff verlassen und schlug Alarm. Er zwang die Hure, ihm zu helfen, und ruderte unter ihrem Geschrei und Gekreisch zu meinem Schiff herüber. Ich und meine Männer gingen an Bord. Es war wie auf einem Geisterschiff. Die Kajüte war aufgeräumt, die Decks in Ordnung, alles, wie es sein sollte. Die Laterne am Topp brannte noch, und die Blendlaterne in ihrer Nische neben der Kajütentür ebenfalls. Keine Spuren von Gewalt, und nichts fehlte.«

Athelstan griff nach seinem Federkiel, um sich ein paar Notizen zu machen. »Nehmen wir also an, jener Matrose kam eine Viertelstunde nach dem letzten Lichtzeichen und eine Viertelstunde vor der nächsten Parole zurück auf sein Schiff. Nach seiner Aussage – und nach der Euren, Sir Jacob – sind in dieser Zeit drei gesunde Seeleute von diesem Schiff verschwunden?«

»So sieht es aus.«

»Und das Beiboot fehlte nicht?«

»Nein!« Crawley schnippte mit den Fingern. »Ihr könnt den Mann gleich selbst befragen.«

Cabe ging hinaus und kehrte mit dem affengesichtigen Burschen zurück, der sie empfangen hatte. Er erzählte ihnen seine Geschichte in einem merkwürdigen, singenden Akzent, und sie stimmte genau mit dem überein, was Cranston und Athelstan bereits gehört hatten.

»Als du dich dem Schiff nähertest«, fragte Athelstan, »ist dir da etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

»Nein, Pater.«

»Und als du an Deck kamst?«

»Grabesstille.«

Athelstan dankte ihm, und der Bursche zog sich zurück.

»Könnte jemand mit einem Boot zum Schiff gekommen sein?« fragte Cranston. »Der wieder wegfuhr, nachdem er etwas Furchtbares getan hatte?«

»Unmöglich«, meinte Cabe. »Zum ersten hätten die Wachen auf den anderen Schiffen es gesehen.«

»Es lag Nebel auf dem Fluß«, gab Cranston zu bedenken.

»Trotzdem.« Cabe schüttelte den Kopf. »Selbst im Halbschlaf würde man das Plätschern der Ruder hören, das Rumsen des Bootes an der Schiffswand. Und zum zweiten hätte man ein herannahendes Boot angerufen. Drittens hätte Bracklebury jeden abgewehrt, der versucht hätte, an Bord zu gelangen. Man hätte den Lärm gehört und Alarm gegeben. Das alles ist nicht geschehen. Alles war in Ordnung. Sogar die Kombüse. Wir haben nichts angerührt.«

»Eine Möglichkeit gäbe es noch«, erwog Cranston. »Vielleicht haben der Maat und die zwei Matrosen das Schiff verlassen? Sind an Land geschwommen und dort verschwunden?«

»Warum sollten sie das tun?« fragte Cabe. »Und wenn es so gewesen wäre, hätte jemand auf den anderen Schiffen sie sicher gesehen.«

Coffrey meldete sich zu Wort. »Dies ist das Schiff des Teufels, Sir John. Viele der Männer glauben, Satan ist an Bord gekommen, um sich Roffels Geist zu holen, und er hat Bracklebury und die beiden anderen mitgenommen.«

Athelstan fröstelte es; selbst diese zynischen, abgebrühten Männer widersprachen Coffreys Worten nicht.

Tod auf der Themse

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