Читать книгу Pink - 2 Gesichter - Paul Lester - Страница 4
ОглавлениеPink war niemals pink! Es gibt nichts besonders Süßes oder Mädchenhaftes an der Sängerin, Songwriterin und Performerin, die in den ersten zehn Jahren des neuen Millenniums zu einem Teil unseres Pop-Lebens wurde. Sie schwebt nicht auf zartrosa Wolken, sondern steht mit beiden Beinen fest auf dem Bühnenboden, allzeit bereit, der Menge ihre harten Popsongs entgegenzuschleudern.
Der Name ist strenggenommen eine Mogelpackung. Daraus resultierte, dass sie viele zu Beginn ihrer Karriere falsch einschätzten und sie als ein weiteres Zuckerpop-Starlet betrachteten. Dabei hat die Musikerin viel mehr Gemeinsamkeiten mit Janis Joplin, der von ihr über alles verehrten Sixties-Ikone, als mit einem dieser Girlies, die kurz auf der Bildfläche erscheinen und schon am nächsten Tag spurlos verschwunden sind. Die tätowierte Pink rast auf dem Motorrad durch die Straßen, fuchtelt mit Waffen herum, nimmt niemals ein Blatt vor den Mund und gehört zu den bedeutendsten Interpreten rockiger Popmusik und poppigen Punks. Schon mit 16 Jahren wäre sie beinahe an einer Überdosis gestorben, nachdem sie mit fast jeder Droge experimentiert hatte, die Chemiker kennen. Was ich eigentlich sagen möchte: In Bezug auf die Attribute des Rock’n’Roll lässt sie Janis wie eine Britney aussehen, aber Ms Spears ist ja heute auch nicht mehr die Verkörperung der sauberen und anständigen Pop-Nachtigall. Oder lässt sie Janis vielleicht wie Beyoncé erscheinen? Ja, dieser Vergleich passt wohl fürs Erste.
Pink hat die Messlatte für die ganzen ungezogenen Ex-Teen-Pop-Königinnen der ersten Dekade des neuen Jahrtausends höher gelegt – oder tiefer, je nach Blickwinkel. Ich habe mir beim Schreiben dieses Buches all ihre Alben immer wieder intensiv angehört. Dabei fiel mir auf, dass Pink immer Pink gewesen ist, auch in ihrer Anfangszeit, in der sie noch im modernen R’n’B-Segment vermarktet wurde. Damals erschien sie wie eine Marionette der mächtigen, manipulativen Strippenzieher des Dance-Pop. Doch dann riss sie die Kontrolle über ihre Karriere an sich und wurde zu der knurrenden Punk-Göre, die wir heute kennen und lieben. Schon allein ein flüchtiger Blick auf die Titel ihres Debüts Can’t Take Me Home (2000) lassen erahnen, dass der Stilwechsel zum Nachfolger M!ssundaztood doch nicht so dramatisch war, wie es schien. „Split Personality“, „Hell Wit Ya“, „Save My Life“, „You Make Me Sick“ und „Let Me Let You Know“ – auf den ersten Blick mögen das alles Titel aus dem Poptext-Baukasten sein, bei genauerer Betrachtung handelt es sich aber um frühe Hinweise auf die gequälte Seele einer der erfolgreichsten Künstlerinnen unserer Tage, der es gelang, ein Publikum anzuziehen, eben weil sie nie von ihrer schlimmen Kindheit und wilden Jugend loskam.
Falls Pink durch Attribute wie „gequält“ und „erfolgreich“ charakterisiert werden kann, so muss doch auch noch ein dritter Begriff erwähnt werden: Ehrlichkeit! Sie hat sich niemals wegen ihrer Vergangenheit und ihrer Probleme versteckt, sondern sie künstlerisch ausgedrückt und dargestellt – und das mit einer fast schon chirurgischen Präzision. Dadurch ermöglichte sie einen tiefen Einblick in ihre Arbeit und machte sich gleichzeitig zu einer interessanten Persönlichkeit, die man bei all ihren Kapriolen gerne und mit Spannung beobachtet. Heutzutage wird die Popmusik von Promotern dominiert, die ihren Schützlingen die Worte in den Mund legen und darauf achten, dass diese nicht zu viel von sich preisgeben – in der knappen Stunde eines Interviews, die Journalisten in einer sterilen Hotelsuite gewährt wird. Pink zählt zu den wenigen Popstars, die nicht gezähmt werden können, die sich nicht den Mund verbieten lassen, und spricht das Unsagbare aus, oft sogar, wenn die Speichellecker der Plattenfirma es am wenigsten erwarten.
Sie redet in Superlativen und Extremen, als wäre jeder Schritt, den sie macht, emotional ermüdend und schmerzhaft – so als müsste sie sich durch die Wortwahl einen Adrenalinkick verschaffen. Sich treu bleibend „bis zum bitteren Ende“, wie sie es nennt, wurde sie schon früh auf die Probe gestellt. Sie verließ die Girl-Group, mit der alles begann, und bezeichnete das als „verdammt hart“ und als „die schwierigste Entscheidung meiner gesamten Karriere“. Sie fand sich plötzlich in der „schlimmsten Situation meines Lebens“ wieder.
Schon früh in ihrer Laufbahn tritt uns das verwirrte Mädchen entgegen, das bereits mit 14 ihre ersten Songs schrieb. Das gestylte „Chamäleon“, das sich die Haare grün färbte und rückwärts aus dem Klassenzimmer ging, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, schien in der einen Minute Gospel in einem Kirchenchor zu singen und schon einen Augenblick später als „weißes Mädchen“ mit einer R’n’B-Truppe aufzutreten. Doch sie tanzte auch in den Nachtclubs von Philadelphia, sang die Backing-Vocals für die Hiphop-Band School Of Thought oder schrie sich die Seele in einer der zahlreichen lokalen Punkbands aus dem Leib.
Wenn man mit Pink spricht, ist die Rede meist auch von Sex. Klar, denn wenn jemand einen Song wie etwa „Fingers“ (über Masturbation) schreibt, sollte man sich nicht wundern, wenn bohrende Fragen zu den privaten Vorlieben gestellt werden. Auch auf ihren Platten beschreibt sie die vielfältigen Formen des Sexlebens, von ihren lesbischen Tendenzen bis hin zur Größe der „Schlange“ ihres Ehemanns – typisch Pink eben.
Wenn bei einem Gespräch Drogen erwähnt werden, dauert es nicht lange, bis sie von ihren ehemals bizarren Gewohnheiten berichtet: „Verdammte Scheiße“, knurrte sie in einem Interview, sich an ihren ersten Amsterdam-Besuch erinnernd. „Ich war 19 und fuhr direkt vom Flughafen zum Bulldog Café, kaufte mir Tausende Tütchen Gras, zog sie alle durch und ging danach auf die Bühne. Es war eine Fernsehsendung und ich stand bei der Aufzeichnung kurz vor dem Kollaps. Die Produzentin kam zu mir und meinte ganz freundlich: ‚Könnten Sie das bitte wiederholen, denn es war der schlechteste Auftritt, den ich während meines ganzen Arbeitslebens gesehen habe.‘ Ich starrte sie an und fragte: ‚Was wiederholen?‘ Erst beim Essen nach der Show wachte ich aus meinem Halbkoma auf.“
Auch bei der Selbstreflexion geht Pink schonungslos aufs Ganze: Niemand versucht sich seine Defizite, seine Widersprüchlichkeiten und seine Wut intensiver auszutreiben als sie, sowohl in Interviews als auch in Songs. Sie hat eine höchst erfolgreiche Karriere auf ihrer schlimmen Kindheit aufgebaut, ist sich aber bewusst, nicht die einzige zu sein, die solche Traumata erleben musste. „Ich habe meinen Dad vier Mal im Leben weinen gesehen, darunter das eine Mal, als ich ihm [meinen Song] ‚Family Portrait‘ vorspielte. Meine Mutter weinte tagelang und machte daraus eine große Sache: ‚Ich wusste nicht, dass dich das so mitgenommen hat – lass uns reden.‘ Ich beruhigte sie: ‚Hey, es war doch nur ein Song. Mir geht es gut!‘“
Meistens schlägt Pink aber härtere Töne an. Nachdem sie sich bei den MTV Awards geweigert hatte, die Queen of Pop – Madonna – zu küssen, giftete sie: „Ich bin doch nicht Madonnas Schlampe.“ Die Seiten der Gay-Bibel Attitude hingegen wurden für sie zu einer Plattform, um feministische Themen in aller Deutlichkeit anzusprechen. Wenn Pink angegriffen wird, kann sie schnell parieren. Als sie ihre Nacktheit (in Videos oder bei Foto-Shootings) künstlerisch einsetzte und danach auf heuchlerische Anschuldigungen reagieren musste, da eine Feministin nach landläufiger Meinung so etwas nicht darf, erwiderte sie, in der für sie so typisch unterhaltsamen Art: „Entertainment wird manchmal nur wegen des Entertainments gemacht – und das ist okay.“ In diesem Buch wird Pink Sie hoffentlich gut unterhalten und gleichzeitig einen Eindruck ihrer Bedeutung nicht nur als Entertainerin, sondern auch als komplexe, facettenreiche, oft verwirrende Persönlichkeit vermitteln. Als einer Künstlerin, deren reale Erfahrungen oft in die Musik einfließen und deren Musik das chaotische Durcheinander ihres Lebens widerspiegelt.
Paul Lester, März 2010