Читать книгу Pink - 2 Gesichter - Paul Lester - Страница 5
Оглавление„Für mich ist das witzig. Die Leute dokumentieren alles, was ich jetzt anstelle, und denken, dass ich eine abgedrehte, verrückte und durchgeknallte … was auch immer bin. Im Vergleich zu früher bin ich aber wirklich zahm.“
Pink war nicht immer Pink, oder genauer gesagt: P!nk, die frühreife, elektrisierende R’n’B-Diva, die sich in eine provozierende, sexuell aggressive, weltweit berühmte Shock-Pop-Rockerin mit unnachgiebiger Haltung verwandelte. Eine Frau, die ihre Wut über dümmliche Girlies und George W. Bushs unrühmliche Kriegstreiberei herausschreit und über Masturbation singt. Ein Star, dessen Gesicht von den Medien stets mit einem mysteriösen, angedeuteten Lächeln gezeigt wird oder deren Lippen sich zum Schreien, Knurren oder zu einem mürrischen Ausdruck verzerren.
Die zweifache Grammy-Gewinnerin, die Millionen Platten verkauft, singt, Songs schreibt (und manchmal auch schauspielert), wurde als Alecia Beth Moore am 8. September 1979 in Doylestown, Pennsylvania, geboren. Ihren Spitznamen bekam sie schon früh, obwohl die Berichte zu seinem Ursprung variieren. Möglicherweise lässt sich der Name auf einen krassen Zwischenfall in ihrer Kindheit zurückführen, bei dem sie sich in einem Ferienlager nackt auszog und dann vor Scham „pink“ anlief. Die Sängerin deutete auch an, dass der Name auf Mr. Pink zurückgeht, einer Figur aus Reservoir Dogs von Quentin Tarantino, einem ihrer Lieblingsfilme. Vielleicht bezieht sich Pink aber auch nur auf die Tönung, mit der sie sich, seitdem sie zehn war, regelmäßig die Haare färbt.
Was auch immer der Wahrheit entsprechen mag – P!nk hat sich durchgesetzt und niemand spricht sie heute noch mit ihrem bürgerlichen Namen an. Wenn dann doch Fremde einmal den Namen fallen lassen, schreckt sie zurück, fast so, als wolle sie nicht mehr an das Mädchen erinnert werden, das sie einmal gewesen ist.
Doylestown, wo die Familie Moore – Pink, ihre Mutter Judy Moore (geborene Kugel), ihr Vater James Moore Jr. und ihr älterer Bruder Jason – lebte, war ein kleines Städtchen, 35 Meilen nördlich von Philadelphia gelegen, das nur knapp 10.000 Einwohner hatte, von denen ein Großteil zur Arbeiterklasse gehörte. Dort besuchte Pink die Kutz Elementary School, die Lenape Middle School und schließlich die Central Bucks West High School. Sie fiel immer auf, stach aus der Menge hervor. Die burschikose Musikerin, die auf Guns N’ Roses stand, erinnert sich daran, dass sie schon von frühester Jugend an provozierte: „[Ich] hatte mein Haar grün gefärbt und meine Klamotten verkehrt herum angezogen, nur um beim Betreten eines Raumes die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.“ Sie beschreibt ihre „Sippe“ als „die normale, durchschnittliche, absolut fertige und kaputte Familie“. Ein bezeichnender Hinweis auf ihre Kindheit und Jugend findet sich in dem vernichtenden Text der sicherlich auf autobiografischen Erlebnissen beruhenden Hit-Single „Family Portrait“ (2002). Sie singt darüber, dass ihre Mutter immer weinte und der Vater immer schrie – ein Szenario, das ihr das Gefühl gab, als würde sie „während des Dritten Weltkriegs aufwachsen“. Ihre Eltern bekämpften sich unbarmherzig – ohne jegliche Nachsicht. Obwohl ihre Kindheit, so wie sie auf dem Album M!ssundaztood (2001) beschrieben wird, durch und durch schrecklich war, sind doch auch einige schöne Erinnerungen aus dieser Zeit geblieben. „Das Campen! Mit meinem Bruder durch den Wald zu laufen! Dort gab es eine zehn Meter tiefe Grube, in die man durch den Schlamm herunterrutschen konnte, was wir auch gemacht haben. Wir sind vor Lachen fast gestorben – das hat so viel Spaß gebracht.“
Über die Jahre hat sie sich aber mit ihren Eltern, deren Vorfahren aus Irland, Deutschland und Litauen stammten, ausgesöhnt – einer Mutter jüdischer Herkunft, die als Krankenschwester in der Notaufnahme Dienst tat, und ihrem katholischen Vater, einem Vietnam-Veteranen, der sich zum Chef einer Versicherungsgesellschaft hocharbeitete. Mittlerweile weiß sie auch einige positive Dinge zu berichten – zumindest manchmal …
„Ich war viele Jahre lang sehr wütend“, erklärte sie einem Reporter 2006. Heute sind Pink und ihre Mutter „unzertrennlich“, aber während ihrer Jugend „kam sie einfach nicht mit mir klar. Jetzt kommen wir gut miteinander aus, aber damals war das verdammt hart. Ein Großteil der Wut, die ich mit meinen Songs ausdrücke, kommt von der Traurigkeit, die ich als Kind erlebte.“
Der verheerende Einfluss, den die Scheidung der Eltern auf die schüchterne, sensible und verletzliche Pink im Alter von neun Jahren hatte, ist nicht zu leugnen. Wie sie sich erinnert, war das genau der Zeitpunkt, an dem ihr Leben aus dem Ruder lief.
„Die Beziehung zu meinen Eltern ist heute besser als jemals zuvor“, gibt sie zu, ohne den Nachsatz zu vergessen, dass „jeder von seinen Eltern psychisch missbraucht wird. Ist es nicht genau das, was bei Eltern vermutet wird? Ich wollte [aber] nicht, dass mein Vater uns verlässt, und so stritt ich mich mit meiner Mutter.“
„[Es begann] im Alter von neun Jahren“, bestätigt sie den Zeitpunkt des Beginns ihrer aufmüpfigen Jugendjahre. „Ich bin froh, dass alles schon so früh anfing, denn jetzt bin ich entspannt und mit mir im Reinen.“
Ihre Teenagerzeit war aber alles andere als entspannt. Während dieser Phase lebte sie bei jedem Bekannten, der ihr Unterschlupf bot. Sie sah dabei zu, wie ihre Freunde das Leben mit Alkohol und Drogen verschwendeten und an sich vorbeiziehen ließen. Eines Nachts wurde sie sogar mit einer Waffe bedroht, konnte die Situation aber entschärfen und ins Lächerliche ziehen, indem sie dem Angreifer klar machte, dass er einen starken Mundgeruch hatte!
Nach der Trennung der Eltern zog Pink zuerst bei ihrer Mutter ein, danach bei ihrem Vater. Eine Zeit lang lebte sie mal hier, mal dort. Ihre Mutter hatte schwer zu kämpfen, um die zunehmend aufsässiger werdende Tochter zu bändigen. Wann Pink mit dem Rauchen anfing, ist nicht sicher, aber Berichten zufolge ging es mit den Zigaretten schon mit neun Jahren los, gefolgt von Marihuana mit zehneinhalb. Sicher ist aber, dass sie im Alter von zwölf mit den „bösen Jungs“ aus der Nachbarschaft abhing und schon bald, nachdem sie die Schule verlassen hatte, ihren Körper mit Tattoos und Piercings verzierte und harte Drogen auszutesten begann.
Mit 14 wurde der rebellierende Teenager, der ernsthaft die Meinung vertrat, dass es Kindern ab elf Jahren erlaubt sein sollte, mit Ecstasy zu experimentieren, von ihrer Mutter zu einem Therapeuten geschleppt. Sie erzählte ihm „allen möglichen abgedrehten Scheiß. Wenn er mich fragte, was ich an dem Tag so gemacht hatte, antwortete ich: ‚Oh, ich habe mir vorgestellt, eine Flasche zu zertrümmern und mit einer Scherbe dem Lehrer die Kehle aufzuschlitzen.‘“
Mitten in der Pubertät hatte sich Pink zu einem sogenannten „wandelnden Pulverfass“ entwickelt. Ihre Persönlichkeit vereinte unterschiedliche Tendenzen – eine beängstigende Unreife gepaart mit einem ungewöhnlichen, frühreifen Verhalten. Das ging sogar so weit, dass sie sich in der örtlichen Bibliothek informierte, wie viele verbotene Rauschmittel man konsumieren konnte, ohne sich dabei umzubringen.
Leider konnte dieses vernunftorientierte Verhalten sie nicht davon abhalten, mit 16 den selbstzerstörerischen Weg fast bis an sein Ende zu gehen. An Thanksgiving 1995, zwei Jahre nach dem durch eine Überdosis verursachten Tod des Schauspielers River Phoenix vor dem Viper Room in Hollywood, schlich sich Pink in einen Nachtclub in Philadelphia. Ganz offensichtlich hatte sie nicht nur Bier getrunken und Marihuana geraucht, sondern auch verschiedene andere Drogen eingeworfen – Crystal Meth, Ketamin, Angel Dust, Ecstasy, Kokain – und Distickstoffmonoxid eingeatmet, besser bekannt als Lachgas. Danach schluckte Pink LSD, Mengen an LSD. Plötzlich verfärbten sich ihre Lippen blau. Sie legte sich auf den Boden und stellte sich darauf ein, dass ihre letzte Stunde auf Erden geschlagen hatte.
Das grundlegende Problem bestand darin, dass ihr gesamtes Umfeld aus Drogenabhängigen bestand. Alle Freunde waren, wie Pink unverblümt erzählt, „auch absolut abgefuckt“. Für Kids ihres Alters stellte der Konsum toxischer Substanzen ein völlig normales Gebaren dar. Sogar der Tod einiger Bekannter, verursacht durch anhaltenden Drogenmissbrauch, konnte sie nicht davon abhalten, einfach weiterzumachen.
„Mein Leben war der totale Wahnsinn“, erzählte sie 2006 der Journalistin Caroline Graham, „aber ich habe niemals an den Tod gedacht – obwohl ich zu den Beerdigungen von drei Freunden ging, die alle an einer Überdosis Heroin gestorben waren … Ich musste mit ansehen, wie sie an Drogen verreckten. Auf einem Friedhof zu stehen, zu sehen, wie der Sarg deines Freundes in das Grab hinabgelassen wird – man sollte meinen, dass das eine heilsame Wirkung hat und dich von Drogen abhält, aber das funktionierte nie.“
Letztendlich hatten die Geschehnisse dieser schicksalhaften Nacht im November 1995 aber doch ihre Auswirkungen, denn glücklich darüber, überlebt zu haben, schwor sie, fortan die Finger von Drogen zu lassen und clean zu werden. „Ich ging nicht in eine Entzugsklinik oder zu den Anonymen Drogensüchtigen. Ich habe einfach damit aufgehört, denn mein Leben als Sängerin lag mir am Herzen. Das ist ein Job, bei dem eine starke Selbstkontrolle sehr wichtig ist.“
Nicht dass sie ihren wilden Eskapaden damit abgeschworen hätte – weit gefehlt! In einem Gespräch mit der Journalistin Louise Gannon gibt Pink zu, dass sie ihren Eltern verdammt viele Probleme machte. „Ich war genau das Kind, das jeder Mutter die schlimmsten Albträume bereitet. Ich war wütend, war verwirrt, war wild und überall, wo ich auftauchte, gab es Ärger. Ich flog von der Schule. Ich wurde so oft verhaftet, dass meine Mutter jeden Polizeibeamten Philadelphias namentlich kannte! Mein Verhalten kam teilweise von dem Gefühl, nirgendwo dazuzugehören, aber auch von meinem Charakter – ich bin eben von Natur aus eine Rebellin. Ich machte das, wozu ich Lust hatte, ohne dabei an die Konsequenzen zu denken – meistens brachte das auch eine Menge Fun.“
Ihrer Mutter hingegen überhaupt nicht! Als ihr klar wurde, dass sie Pink nicht mehr länger bändigen konnte, schickte sie das junge Mädchen zu ihrem Vater, um bei ihm zu wohnen.
Jim Moore war ein politisch engagierter Vietnam-Veteran und seine zweite Frau, Pinks Stiefmutter, arbeitete ebenfalls als Krankenschwester. Sie pflegte im Krieg Verwundete. Nachdem Moore jahrelang den Horror, den er in Südostasien erlebte, verleugnet und verschwiegen hatte, entschied er sich im Alter von 40 Jahren zu einer Therapie. Er wollte die Dämonen austreiben, mit denen er seit der Rückkehr aus dem Krieg kämpfen musste, und so entschied er sich zur Gründung einer Selbsthilfegruppe mit dem Namen „Vietnam Veterans Chapter 210 of Bucks County“. Das Ziel lag darin, Benefizveranstaltungen zu organisieren und Hilfe in Form von Gruppentherapien für alle Veteranen des Bezirks zu ermöglichen. Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr ging Pink auch zu diesen Treffen, wo sie voller Erstaunen sah, wie erwachsene Männer zusammenbrachen und wie kleine Kinder weinten. Manchmal half sie ihrem Vater auch bei der Essensausgabe in Suppenküchen oder nahm an Protestmärschen für die Rechte der Veteranen teil. Statt gelangweilt oder sogar schockiert zu sein, faszinierten diese ganzen Aktivitäten das junge Mädchen. „Ich liebte diese Zeit, denn sie gab mir das Gefühl, über glühende Kohlen zu gehen – richtig zu leben.“
Pinks Vater war ein übermächtiger Charakter, den sie wahlweise als „blöden Arsch“, „unglaublich stark“ oder „durchgeknallt“ beschrieb. Andererseits hat sie von ihm respektvoll als Sportschützen und Biker gesprochen und sein Wissen und seine Erfahrung in Karate und „Guerillakriegsführung“ hervorgehoben, wie auch seinen Spleen, in der Garage – aus was für einem Grund auch immer – einen Haufen Raketenwerfer zu lagern.
Während Pinks Mutter die nötige Härte vermissen ließ, stellte ihr Vater, eine ernsthafte, autoritäre Persönlichkeit, im Umgang mit seiner starrköpfigen und unbeugsamen Tochter das genaue Gegenteil dar. Die beiden stritten sich heftig. Trotzdem hatte Pink den größten Respekt vor ihrem Vater. „Ich habe nie an Autoritäten geglaubt. Ich wusste immer, was ich wollte. Ich mochte ganz einfach keine Regeln“, erzählte sie dem Guardian 2006. „[Aber] ich respektiere meinen Vater, denn wenn ich es nicht getan hätte, wäre ich durch eine Wand geflogen. Bei ihm gab es eine klare Linie und das konnte ich respektieren. Wenn er mich warnte, zählte er immer bis drei, aber ich habe ihn höchstens bis zweidreiviertel kommen lassen. Bei Jim Moore traust du dich nicht, Scheiß zu bauen – das machst du einfach nicht.“
„Er konnte dir eine gehörige Abreibung verpassen, dich zum Lachen bringen oder dir etwas beibringen. Er war schon ein cooler Typ“, ergänzte sie.
Mit dem Gefühl dieser kindlichen Begeisterung, vielleicht sogar Verehrung, beschreibt sie ihn als ihren „ersten Rockstar“ (auf dem Album I’m Not Dead aus dem Jahr 2006 sangen die beiden dann übrigens den Song „I Have Seen The Rain“ zusammen). Tatsächlich war es auch Moore, der Pink inspirierte, denn er erkannte frühzeitig, dass sie eine kräftige Gesangsstimme besaß, trotz eines Asthmaleidens während ihrer gesamten Kindheit. Er hatte ihr schon von früh an Songs auf der Gitarre vorgespielt und dabei gesungen, was in Pink den Wunsch weckte, auch selbst zu performen.
Sie erklärt sich sein aufbrausendes Temperament und das exzentrische Gebaren nicht als Resultat der Erlebnisse in Vietnam, vielmehr war der Krieg in Asien, für den er sich freiwillig gemeldet hatte, eine Möglichkeit, seiner zerrütteten Herkunft zu entfliehen. Pink behauptet, dass ihr Vater als Kind missbraucht wurde und in seiner katholischen Schule leidvolle Erfahrungen machen musste.
Die Sängerin ließ durchblicken, dass auch sie während ihrer Kindheit zu einem Missbrauchsopfer wurde, obwohl sie sich standhaft weigert, den Verantwortlichen zu nennen oder zu offenbaren, ob es sich um emotionalen, physischen oder sexuellen Missbrauch handelte. Sie gab aber zu, dass darin der Grund für ihr kriminelles Verhalten als Jugendliche lag.
„Ich war missbraucht worden, war hasserfüllt und rebellierte … [Aber] darüber möchte ich nicht reden“, erklärte sie dem Mail On Sunday’s Live Night & Day-Magazin. „Jeder wird irgendwann einmal in seinem Leben emotional missbraucht. Zu den anderen Arten des Missbrauchs – kein Kommentar.“
Dies war einer der wenigen Anlässe, bei denen sich Pink – einer der offensten, geschwätzigsten und ehrlichsten Popstars dieses Planeten – vehement weigerte, alles zu enthüllen.
Was auch immer die Details des Missbrauchs anbelangt, in einer Hinsicht haben die Qualen und Leiden Pink nicht aus der Bahn geworfen. Durch die Erlebnisse hat sie ein unbeugsames Durchsetzungsvermögen erlangt – den Willen, Erfolg zu haben und eine Karriere praktisch aus dem Nichts zu starten. Für einen Teenager, der sich mit 16 von Zuhause losreißen wollte, regelmäßig verschwand und vom Vater gesucht werden musste, ist das eine reife Leistung.
Pink erlebte den Drogentod naher Freunde. Aber erst die Aussicht, die Kontrolle über ihr Talent zu verlieren, indem sie den unvermeidbaren Weg gehen würde, veranlasste sie dazu, ihre gefährlichen und schlechten Gewohnheiten abzulegen. Zudem wurde ihr schnell klar, dass wenn sie erst einmal in der Musikindustrie auf der Karriereleiter nach oben steigen würde, kein Drogenrausch dieses Gefühl der Hochstimmung ersetzen kann.
„Ich sammelte meine ganze Energie und steckte sie in die Musik. Einen Plattenvertrag zu ergattern, gab mir einen viel intensiveren Kick als jede Droge, die ich genommen hatte. Ich hatte so viel auszudrücken. Ich wollte einfach raus damit, musste stark und konzentriert sein – und so hat sich das mit den Drogen erledigt.“
Beeinflusst von fast jedem Musiker von Bette Midler, Billy Joel, Madonna und Janis Joplin über Don McLean bis hin zu den Rappern 2Pac und Notorious B.I.G., drückte sich Pink schon seit frühester Jugend durch Musik aus. Ihre Texte ließen eine gequälte Seele vermuten. Später beschrieb ihre Mutter diese frühen künstlerischen Emanzipationsversuche: „Die Texte wirkten durch die introspektiven Aussagen. Einige wirkten sehr düster und gingen unter die Haut, was mich schon ängstigte.“
Pink mag damals verwirrt und von zahlreichen Persönlichkeitskrisen geplagt gewesen sein, doch sie war während ihrer „Krisenjahre“ immer noch in der Lage, sich so weit zusammenzureißen, dass sie mit 14 in Clubs in Philadelphia aufzutreten begann. Vielleicht war die Sängerin damals die Quintessenz des Außenseiters, aber sie konnte in der High School genügend Gleichgesinnte finden, um Bands zu gründen.
Ihre erste Gruppe nannte sich Middleground. Der Bekanntheitsgrad der Musiker reichte zwar nie über das Ortsschild von Doylestown hinaus, aber es genügte, um in ständiger Rivalität mit The Jetsists, einer anderen lokalen Band, zu leben. Dadurch steigerte sich die Popularität beider Gruppen, besonders als ein „Battle of the Bands“ in einem Café veranstaltet wurde. Kurz nachdem die Mitglieder von Middleground getrennte Wege gegangen waren, wurde Pink bei einem Auftritt in dem Club Fever in Philadelphia von einem Talentscout der Plattenfirma MCA beobachtet. Pink hatte sich der kurzlebigen Girl-Group Basic Instinct angeschlossen, bevor sie zum R’n’B-Trio Choice wechselte, das als Ausgangspunkt all seiner Aktivitäten Atlanta auswählte. Dort sang sie zusammen mit Sharon Flanagan und Chrissy Conway von der christlichen Girl-Group ZOEgirl. Die Band schickte ein Demo ihres ersten Songs „Key To My Heart“ zu LaFace Records in Atlanta, wo LA Reid, der Chef des Labels, es hörte und die Gruppe dann einfliegen ließ, um sie bei einem Auftritt zu sehen. Reid gehörte zusammen mit seinem Produzentenkumpel Kenneth „Babyface“ Edmonds zu den Vätern des zeitgenössischen R’n’B in den späten Achtzigern und kreierte den Swingbeat/New Jack Swing-Sound, der damals einer Revolution gleichkam.
Vom Gig beeindruckt, bot Reid den Mädchen einen Plattenvertrag an, der auch von den Eltern unterschrieben werden musste, da alle Musikerinnen noch minderjährig waren. Pink, Sharon und Chrissy zogen nach Atlanta um und nahmen ein komplettes Album auf. Obwohl der Song „Key To My Heart“ auf dem Soundtrack des Films Kazaam (1996) erschien, wurde das Album nie veröffentlicht, woraufhin sich die Gruppe auflöste.
Doch das bedeutete für Pink nicht das Ende der Zusammenarbeit mit LaFace – sie blieb als Solo-Act bei dem Label und trug von nun an den Künstlernamen Pink. Dort erhielt sie die Unterstützung des Musikers, Songwriters und Produzenten Daryl Simmons, einem weiteren „Architekten“ des modernen R’n’B. Er ermutigte die junge Frau, die Backing-Vocals für Diana Ross und Tevin Campbell zu singen, letzterer eine weitere Schlüsselfigur, der wie auch Usher und Bobby Brown in die Annalen des New Jack Swing einging, einem Sound, der besonders in den Neunzigern hohe Wellen schlug.
1999 war es dann soweit. Pink veröffentlichte ihr offizielles Debüt als Solokünstlerin mit dem Stück „Gonna Make Ya Move (Don’t Stop)“. Die House/Trance-Nummer erschien bei Activ Records in Großbritannien und erreichte dort im Februar 1999 Platz 196 der Single-Charts, wo sie sich eine Woche lang hielt. Für Pinks Karriere stellte das keinen guten Start dar und bis heute findet der Song kaum Beachtung. Die sehr schwer zu beschaffende Platte wartet immer noch darauf, als Bonustrack auf einem Pink-Album zu erscheinen.
Erst im neuen Jahrtausend konnte Pink als ernstzunehmende Solokünstlerin ihren Weg gehen. Ihr Label LaFace Records veröffentlichte im April 2000 die Single „There You Go“, deren Cover ein Porträt der Sängerin schmückte. Das kurzgeschorene Haar erstrahlte in einem neonfarbenen Pink und dazu trug sie eine glänzende, schwarze Bikerjacke – es war der erste Hinwies auf Pinks androgynes Image. Die Person, die den Käufer vom Front-Cover von „There You Go“ mit einem hypnotischen und durchdringenden Blick fokussiert, vermittelt den Eindruck einer Roboterfrau aus der Zukunft. Aus heutiger Perspektive betrachtet, scheint Pink – zumindest optisch – das Bindeglied zwischen Annie Lennox und La Roux, der Diva des neuen britischen Synthie-Pops gewesen zu sein.
Die Musik Pinks war ein gutes Beispiel für den polierten, experimentellen, aber dennoch kommerziellen R’n’B der Zeit, charakterisiert durch lebendige Percussion-Einsätze und Rhythmen, die so abrupt begannen, wie sie dann wieder aussetzten, nur um danach sofort wieder für ein solides Fundament zu sorgen. Die Stakkato-Streicher hätten auch von TLC stammen können. (Und auch die Akustik-Gitarre zu Beginn des Song erinnerte stark an den Song „No Scrubs“, eine Single, die vom Fanmail-Album des Trios aus dem Jahr 1999 stammte, welches von LA Reid und Babyface produziert wurde). Zudem bestanden Ähnlichkeiten zu zeitgenössischen Sängerinnen, die sich zur Jahrtausendwende etabliert hatten, wie Aaliyah, Kelis, Mýa, Monica und Brandy. Pinks Gesang war typisch für das Genre – geschmeidig, leicht melismatisch und geprägt von einer hörbar beherrschten Leidenschaft.
„There You Go“ handelt von einer zerbrochenen Beziehung, woraufhin der Mann sich Pinks Rückkehr wünscht. Im Video wird eine angemessen dramatische Handlung dargestellt: Einer von Pinks alten Freuden ruft sie an, um mit dem Motorrad eine Runde zu fahren. Zögerlich willigt sie ein. Dann erscheint unsere „Heldin“ auf einem heißen Donnerofen auf dem Dach eines Gebäudes, von dem aus sie in das Apartment des Ex hinabschauen kann. Sie ruft ihn mit dem Handy an, lässt das Bike auf Hochtouren laufen, startet voll durch und springt im letzten Moment ab. Die Maschine schießt vom Dach herunter und Pink sieht dabei zu, wie sie in das Fenster ihres Ex knallt und danach in lichterlohen Flammen aufgeht.
Schließlich springt Pink in ein Auto, das von ihrem neuen Macker gefahren wird, zeigt dem unglückseligen Ex den Finger und schon fahren die beiden Turteltäubchen dem Sonnenuntergang entgegen. Die nicht sonderlich verhüllte Botschaft von „There You Go“ markiert die Ankunft eines mutigen, frechen und aggressiven neuen Talents in der Szene – einer Sängerin, mit der man am besten keinen Streit beginnen sollte.
Die beeindruckende Komposition stammte aus der Feder von Pink, Kandi Burruss und Kevin „She’kspere“ Briggs (letztgenannter produzierte auch den Track). Er gehört neben Timbaland, Rodney Jerkins und Dallas Austin zu den wichtigsten Musikern des modernen R’n’B. „There You Go“ erreichte die Höchstnotierung mit dem siebten Platz der amerikanischen Billboard-Charts und sogar den sechsten Platz der Single-Hitparade in Großbritannien. In Australien wiederum startete Pink aus dem Nichts durch und erfreute sich großer Popularität – ihre nächste Single „Most Girls“ stieg auf den ersten Platz der Charts, wurde ein großer Hit und verkaufte sich mehr als 70.000 Mal, genug, um Platin zu „ernten“.
Pinks Debütalbum Can’t Take Me Home kam zeitgleich mit der Single „There You Go“ auf den Markt, also im April 2000. Die Sängerin und Songwriterin, die in naher Zukunft vom Erfolg in die Stratosphäre katapultiert werden würde, hatte fast an der Hälfte der 13 Tracks mitgeschrieben. Das Album markierte zugleich den Beginn und das schnelle Ende ihrer Rolle als R’n’B-Act. Denn schon auf der CD M!ssundaztood (2001) wurde ihr Wandel zum Pop und Rock deutlich. Ferner bedeutete es auch das Ende von Pinks Rolle als Möchtegernstar und Frau in der zweiten Reihe: Im Sommer 2000 trat sie noch im Vorprogramm der US-Boyband ’N Sync auf deren Amerikatournee auf. Danach aber stand ihr Name nur noch ganz oben auf den Konzertplakaten und zahlreiche andere Musiker sollten sich um die Rolle eines Support-Acts reißen.
Can’t Take Me Home produzierten Babyface, She’kspere, Kandi Burruss, Terence „Tramp Baby“ Abney (der auch Keyboards spielte und die Drum-Machines programmierte), Daryl Simmons und Tricky Stewart (letzterer nicht zu verwechseln mit dem britischen Trip-Hop-Pionier Tricky). Das Album war sehr erfolgreich und wurde in den USA, wo es Platz 26 ereichte und zwei Millionen Einheiten absetzte, mit Doppel-Platin honoriert. Weltweit gingen fünf Millionen Tonträger über die Ladentheke.
Mit den beiden Auskopplungen „There You Go“ und „Most Girls“ erreichten zwei Singles die Top 10 und ein dritter Song, „You Make Me Sick“, konnte sich unter den amerikanischen Top 40 platzieren. In Großbritannien kam der Track sogar in die Top 10. Er ist auch in dem Film Save The Last Dance zu hören, wohingegen „Split Personality“, die Eröffnungsnummer der Platte, auf dem Soundtrack des ersten Teils des Jugendfilms The Princess Diaries [Plötzlich Prinzessin] landete.
Die Besprechungen von Can’t Take Me Home fielen insgesamt sehr wohlwollend aus. Es gab positive Kommentare für die glitzernde, „auf Hochglanz polierte“ Produktion, die ausgearbeiteten und kunstvoll verzahnten Arrangements, die aufeinandergeschichteten Drum-Pattern und die erotisch langsamen Grooves. Die sorgsam komponierten Songs ernteten viel Lob, wenn auch nicht von allen Seiten. Ein Musikjournalist schrieb: „Eher schmeichlerisch als unmittelbar. Ein wichtiges Merkmal des Dance-Pop ist der sofortige starke Eindruck, der spätestens beim zweiten Hören, wenn nicht schon beim ersten entstehen sollte. Viele Songs auf Can’t Take Me Home benötigen einige Umdrehungen im CD-Player, bevor sie sich einprägen.“ Die meisten Redakteure schätzten und bewunderten Pinks Gesang. Ihm fehle, wie einige behaupteten, ein wenig Charakter, aber er funktioniere synchron zum von Computern und Effektgeräten geprägten R’n’B-Milieu. Andere wiederum bemerkten Pinks Zurückhaltung als Vokalistin und die Beschränkung der Emotionen, obwohl ein Schreiberling bissig eine Nähe zu anderen R’n’B-Divas hervorhob: „Sie stellt eine ganz gute Monica dar, aber von der Sorte hatten wir ja schon einige.“
Einige Journalisten beschrieben die Parallelen von Pinks Debüt zur schwarzen Dance Music, die nach TLCs Album Fanmail entstanden war. Dazu zählen die bahnbrechenden Arbeiten der R’n’B-Sängerin Aaliyah Mitte der Neunziger, bei denen Tim „Timbaland“ Mosley hinter dem Mischpult gesessen hatte, ein Genie, das die Soul-Musik auf unvorhergesehene Wege lenkte und dem weiblichen Soul ein ultramodernes Facelifting verpasste, das noch weit ins 21. Jahrhundert reichen sollte. Zu erwähnen sind ferner die gleichermaßen innovativen Werke von The Neptunes (dem Produzententeam Pharrell Williams und Chad Hugo), die mit ihrem eigenen Zögling, der Sängerin Kelis, auf sich aufmerksam machten.
„Wenn Can’t Take Me Home im Vergleich zu Fanmail verblasst, ist das nicht Pinks Schuld, noch ist das Album suboptimal. Es ist einfach die Tatsache, dass es auf eine Platte folgt, die so nahe an einen modernen Klassiker heranreicht, wie es zeitgenössischem Soul nur gelingen kann“, lautete ein Kommentar. Der Mann vom Rolling Stone schrieb: „Die kunstvoll verzierten Töne, alle abgehackten und schneidenden Harmonien, jeder Post-Timbaland-Beat, die Position der Synthies im Mix – wie der Cembalo-Sound im ‚No Scrubs‘-Stil –, alles stammt von irgendeinem R’n’B-Hit der letzten 18 Monate. Der wilde innere Monolog von ‚Split Personality‘ hätte vor der Veröffentlichung von Kelis’ ‚Caught Out There‘ origineller gewirkt.“
Obwohl Can’t Take Me Home aus der heutigen Perspektive im besten Falle als der erste Schritt hin zum Erfolg bewertet wird, den Pink mit dem Crossover von Punk und Pop auf M!ssundaztood erreichen sollte, ist das Album doch eine meisterhafte Kollektion glänzenden, zeitgenössischen Urban-Pops. Von einer gewissen Härte des gesanglichen Timbres abgesehen, liegt sie aber doch noch weit von dem bissigen, rotzfrechen Punk entfernt, den wir heute kennen und lieben. Das Album beginnt mit dem typisch abgehackten „Split Personality“, auf dem Pink eine stimmliche Reife zeigt, die schon fast unheimlich für eine 20-jährige Aufsteigerin anmutet. Mühelos bewegt sich ihre Stimme zwischen den Oktaven, was an Christina (Xtina) Aguilera erinnert, ein weiterer funkelnder und junger Stern des R’n’B-Kosmos im weitesten Sinne. „Hell Wit Ya“ basiert rhythmisch auf einem eingängigen Electro-Bass-Pattern, das an die auf Dauerfeuer eingestellte Knarre eines Computerspiels erinnert. Durch die Schimpfwörter wirkt Pink wie eine zensierte Xtina oder eine „böse Ausgabe“ von Britney Spears. „Most Girls“, eine Nummer im mittleren Tempo, präsentiert das für den damaligen R’n’B charakteristische Elektronik-Cembalo und kann als ein weiteres Beispiel für Pinks Ambitionen hin zu mehr Autonomie und künstlerischer Freiheit gedeutet werden. Der Song zeigt zudem die Ablehnung konventioneller Romanzen und Geschlechterrollen und eine Abneigung gegenüber dem ganzen Schmuck, den sich Girlies „anhängen“. „I never cared too much for love, it was all a bunch of mush … I’m not every girl and I don’t need that world to validate me.“
Als Single war „There You Go“ eine naheliegende Wahl. Der Song transportiert eine ähnliche Botschaft wie die Auskopplung „Independent Women“ (2001) von Destiny’s Child (obwohl Beyoncé und ihre Girl-Group die Arbeit mit She’kspere und Rodney Jerkins schon 1998 begonnen und seitdem ihre individuelle Version eines modernen R’n’B kreiert hatten). „You Make Me Sick“ wirkt formelhaft, entfaltet seine Wirkung aber durch populäre Hooks und die mehrfachen Vocals, sodass die Nummer durchaus für eine dritte Auskopplung in Frage kam. „Let Me Let You Know“, „Stop Falling“, „Do What U Do“, „Is It Love“ und „Love Is Such A Crazy Thing“ wurden dank der fabelhaften Produktion vor dem Status gewöhnlicher Balladen gerettet. Besonders der beeindruckende Synthie-Bass-Sound der letztgenannten Nummer, der durchgehend hörbar ist, könnte auch von einem alten Acid-House-Track stammen.
Der herausragende Song auf Pinks Debüt aber war zweifellos der Titeltrack, ein kleines Space-Disco-Meisterwerk mit zahlreichen Dubs und Post-Jungle-Rhythmen. Das Bild der Liebe als einer Krankheit nähert sich beinahe schon einem Elvis Costello auf dem Höhepunkt seines Selbstmitleids an, jedoch präsentiert sich Pink als eine außerordentlich selbstsichere junge Frau: „You should have thought about that before you fucked me“, singt sie, obwohl auf der ersten Fassungen „Kraftausdrücke“ gelöscht wurden. Der Höhepunkt des Stücks wird mit der Aussage „It’s a Pink thing“ erreicht. Hier kommt die Künstlerin im Zentrum ihres eigenen Universums an. Mit den Möglichkeiten des modernen Multi-Track-Aufnahmeverfahrens singt sie Harmonien zu ihrem Gesang und wirkt wie die ungezogene, solipsistische Herrscherin des 21. Jahrhunderts. Der Track stellt das künstlerische Zentrum eines superben Debüts dar, das seine Wirkung durch einen auf Hochglanz polierten Nightclub-Pop entfaltet.
Can’t Take Me Home präsentierte ein aufregendes, neues Talent und half Pink dabei, einen festen Platz auf der musikalischen Weltbühne zu finden. Es war der erste Schritt zu einer Karriere, während der sie bisher international 30 Millionen Alben absetzen und sich zu einem der größten Popstars des Planeten emporarbeiteten sollte.
Es wäre wohl schwer vorstellbar gewesen, wenn die Presse damals enthüllt hätte, dass Pink nur fünf Jahre zuvor mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden einer schäbigen Disco lag und nach einer Nacht des Drogenexzesses auf den Tod wartete. Denn im Jahr 2000 symbolisierte sie positives Denken und Selbstkontrolle und nur ein Idiot hätte darauf gewettet, dass sich innerhalb der nächsten Dekade etwas daran ändern würde.
Im August des Jahres kam „Most Girls“ als zweite Single des Debüts auf den Markt. Der Song erklomm den vierten Platz der Billboard Hot 100 Single-Charts und erlangte Platin. Zusammen mit „Get The Party Started“ war es Pinks höchste Chartposition in den USA, bis dann die Single „So What“ 2008 den ersten Platz eroberte. „Most Girls“ zählt zu den größten Hits von Pink in Australien, wo das Stück auf Platz 1 kam und mit Platin ausgezeichnet wurde. Als letzten Song koppelten die Verantwortlichen „You Make Me Sick“ von dem Debüt aus. Der Track erreichte seine Höchstnotierung mit dem 33. Platz in den Billboard-Charts und konnte sich in Großbritannien die Nummer neun sichern. Die Single wurde von den Kritikern unterschiedlich aufgenommen und lief auch nicht so häufig im Radio wie die Vorgänger. Ein Journalist stellte die gewagte These auf, dass die Veröffentlichung gleichbedeutend mit kommerziellem Suizid sei, und wagte darüber hinaus noch die Vorhersage, dass der Song sich in Nichts auflösen würde. Trotz aller Unkenrufe erreichte er jedoch eine Platzierung unter den Top 10 Großbritanniens. Damit konnte Pink drei aufeinander folgende Singles in den Charts landen. Das Video zum Song präsentierte die Sängerin in einer Vielzahl von Posen – auf dem Knie des Weihnachtsmanns sitzend und bedeckt von Blütenblättern, ähnlich wie in einer Szene des Films American Beauty. Es wurde eine Woche vor ihrem Australienbesuch Ende 2000 gedreht. Regie führte Dave Meyers, mit dem sie auch schon bei den ersten beiden Videos des Debüts zusammengearbeitet hatte. Obwohl sich die Nummer in Australien nicht so gut wie die Vorgänger durchsetzen konnte, ereichte sie einen respektablen 25. Platz, verkaufte 35.000 Einheiten und wurde mit Gold geehrt.
Trotz der Tatsache, dass sich Can’t Take Me Home zu einem Sprungbrett für ihre Karriere entwickelte, distanzierte sich Pink später von dem Werk. Für sie war es eine Produzentenarbeit, der Triumph eines cleveren Marketings und nicht der autonome „Erstschlag“, den sie sich so gerne gewünscht hätte.
„LA Reid hat mein erstes Album fast ausschließlich allein zusammengeschustert“, erzählte sie dem Bang-Magazin. „Ich hatte nicht viel zu sagen, keinen großen Einfluss.“ Pink ärgerte besonders das Gefühl, dass die Musik ihrer Persönlichkeit nicht gerecht wurde. „Ich hasse und liebe es“, kommentiert sie das Debüt. „Diese Zeit war so beschissen.“
Pink ist für ihre außergewöhnliche Frauen-Power bekannt, jedoch ermutigte man sie dazu, zeitgleich zur Veröffentlichung gesellschaftliche Umgangsformen zu erlernen und ein Medientraining zu absolvieren. Doch sie erstickte solche Bestrebungen schon im Keim.
„Die haben meine Persönlichkeit im Marketing eingesetzt, wollten aber danach, dass ich ‚Benimmunterricht‘ nehme, für die Medien gecoacht werde und all diesen Scheiß“, erzählte sie dem Observer Magazine. „Meine Antwort bestand in einem klaren ‚Nein‘ zum Benimmunterricht, denn das wäre einer Beleidigung meiner Mutter gleichgekommen. Ich habe ein bisschen Medien-Coaching gemacht, aber der Typ ist abgehauen. Er meinte: ‚Ich kann ihr nicht helfen.‘ Sie wollten mir beibringen, diplomatisch zu sein, den Journalisten die Antworten zu geben, die ihnen gefallen, woraufhin ich entgegnete: ‚Würdet ihr nicht lieber die Wahrheit hören?‘ Ich kann einzig und allein meine Gefühle ausdrücken und darüber reden.“
Es dauerte auch nicht mehr lange, bis sich Pink von ihren Ketten losreißen und der Welt das Gesicht hinter der Maske zeigen sollte.
Eine Aufnahme für The Face, Juni 2002. (LEE JENKINS/CORBIS OUTLINE)
Pink auf der Bühne, um 2000 herum. (CHRISTINA RADISH/REDFERNS)
Das Video-Shooting 2001 für „Lady Marmalade“. V. l. n. r.: Lil’ Kim, Pink, Mýa und Christina Aguilera. (KEVIN MAZUR/WIREIMAGE)