Читать книгу Pink - 2 Gesichter - Paul Lester - Страница 6

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„Alle Mädchen, die in den letzten Jahren bekannt geworden sind, wurden in denselben Topf geworfen. Ich will nicht, dass Leute mich in diesen Topf schmeißen.“

Falls Pinks Intention darin bestand, sich von den anderen Künstlerinnen des Femme-Pop abzuheben, sich differenziert darzustellen und ihre Einzigartigkeit zu beweisen, erreichte sie das ironischerweise mit einer Single, auf der sie zusammen mit drei Kolleginnen sang.

Im April 2001 nahmen sie für den Soundtrack zum Film Moulin Rouge! eine Coverversion von Labelles Smash-Hit „Lady Marmalade“ aus dem Jahr 1975 auf. Mit dabei waren Christina Aguilera (die sie später in der Presse heftig kritisieren sollte), die Rapperin Lil’ Kim und die R’n’B-Sängerin Mýa. Der Hit aus der Zeit der beginnenden Disco-Ära wurde von Bob Crewe (der viele Evergreens der Four Seasons mitkomponierte) und Kenny Nolan geschrieben. Die beiden hatten zuvor schon bei der Hit-Ballade „My Eyes Adore You“ von Frankie Valli miteinander gearbeitet. „Lady Marmalade“ ist besonders durch den sexuell suggestiven „Voulez-vous coucher avec moi (ce soir)?“-Refrain bekannt geworden. Als die Nachwuchssängerin Leona Lewis den Titel bei der britischen TV-Talentshow The X Factor präsentierte, hörten die Zuschauer die Zeile „Voulez-vous chanter avec moi (ce soir)?“ [ugs.: „Möchtest Du mit mir singen“, anstatt: „Möchtest Du mit mir schlafen“, wie der ursprüngliche Text lautet]. Für welche Textversion sich Pink und ihre Truppe entschieden haben, ist klar – natürlich für die originale, unzensierte Fassung!

Produziert von den Hip-Hop-Künstlern Rockwilder und Missy Elliott (die auch als MC auf dem Intro und dem Outro ihren Beitrag leistet), konnte die neue Version von „Lady Marmalade“ in 15 Ländern den ersten Platz der Charts erreichen, darunter Neuseeland, Großbritannien, Australien und die USA. In den Staaten konnte sich der Song fünf Wochen lang auf der ersten Position der Billboard Hot 100 halten (vom 26. Mai bis zum 30. Juni 2001) – und das alles trotz der Tatsache, dass die britische Girl-Group All Saints den Titel erst drei Jahre zuvor gecovert hatte.

Angesichts der energiegeladenen Produktion und dank des virtuosen Vortrags der vier Sängerinnen (na gut, Lil’ Kims Beitrag war ein Rap) entwickelte sich der Titel zur erfolgreichsten „Exklusiv-Airplay-Single“ aller Zeiten. Wie auch Aaliyahs Single „Try Again“ (2000), die auf Platz 1 kam, ohne bei einem Plattenlabel im kommerziellen Single-Format (CD-Single oder CD-Maxi-Single) zu erscheinen, gab es von „Lady Marmalade“ damals keinen physischen Tonträger, außer natürlich dem Soundtrack (es war also erst der zweite Song, der sich in der Billboard-Charts-Geschichte „nicht-physisch“ etablieren konnte). Aguilera hatte damit ihren vierten Nummer-1-Hit, für Kim, Pink und Mýa war es das „erste Mal“ auf der Topposition. In den Top 40 der Staaten verweilte das Stück 17 Wochen und entwickelte sich für die Sängerinnen (außer Christina Aguilera und Pink) zu ihrem meistverkauften Werk.

Der überwältigende Erfolg von „Lady Marmalade“ wurde zusätzlich vom begleitenden Musikvideo gepusht, bei dem Paul Hunter Regie führte. Es zeigte die Mädels in einem Varieté, mit Schößchenjacken, Reizwäsche und Netzstrümpfen bekleidet. Aufgenommen im März 2001 an verschiedenen Sets (in Los Angeles), die extra gebaut wurden, um den Moulin-Rouge-Nachtclub zur Jahrhundertwende (1890-1910) wiederauferstehen zu lassen, sollte der Clip den MTV Video Music Award in den Kategorien „Bestes Video des Jahres“ und „Bestes Video aus einem Film“ gewinnen. Darüber hinaus nominierte ihn die Jury in weiteren Sparten: „Bestes Dance Video“, „Bestes Pop Video“, „Beste Choreographie“ (Tina Landon) und „Beste Art Direction“. Der Song selbst gewann 2002 einen Grammy in der Kategorie „Beste gesangliche Kooperation im Pop“, was das internationale Profil und Ansehen der vier Damen bedeutend steigerte.

Pink machte bei Song und Video eine gute Figur und ihre Performance wirkte gleichermaßen spritzig und sicher. Doch ihre Ambition, sich von den aktuellen weiblichen Interpreten zu distanzieren, konnte damals nicht eindeutig wahrgenommen werden. Verärgert über Vergleiche mit Pop- und R’n’B-Sängerinnen, fürchtete sie die allgemeine Meinung, nur eine weitere Dance-Pop-Kreation ihrer Produzenten und Labelbosse zu sein. Pink zeigte sich fest dazu entschlossen, ihren wahren Wert unter Beweis zu stellen. Auf der nächsten Veröffentlichung mussten ihre tatsächlichen Credits im Booklet deutlich lesbar sein!

Pink brauchte jemanden, mit dem sie optimal zusammenarbeiten konnte, jemanden, der ihr half, ihre Ziele zu verwirklichen, und sie beim Kampf um künstlerische Kontrolle unterstützte. Sie wollte sich von einer R’n’B-Marionette zu einem flügge gewordenen, autonomen und frechen Pop-Rock-Monster verwandeln, das sich zwischen den Polen dieser beiden Stile frei bewegen konnte – und sie wusste auch schon, wer ihr dabei zur Seite stehen sollte: Linda Perry, die lesbische Sängerin der fast vergessenen Alternative-Rock-Band 4 Non Blondes, die Mitte der Neunziger einige Hits einspielten. Perry sollte auf Grund des Erfolgs mit Pink in der Zukunft selbst zu einem Superstar werden – eine Top-Songwriterin und erstklassige Produzentin, die unter anderem auch von Christina Aguilera, Gwen Stefani und Alicia Keys „gebucht“ wurde.

Während eines Interviews in der Sendung Driven auf VH1 erzählte Pink die Geschichte des ersten Kontakts mit Perry, dem Idol ihrer Teenager-Zeit. Nachdem sie die Telefonnummer der Künstlerin im Adressbuch einer Visagistin gefunden hatte, rief sie einfach an und hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Aufgeregt stotterte Pink, dass sie mit Perry komponieren und ihre Hilfe bei der Produktion des zweiten Albums in Anspruch nehmen wolle. Dann erklärte sie noch den Grund, warum sie ausgerechnet die Neunziger-Jahre-Musikerin ausgewählt hatte – das Album Bigger, Better, Faster, More! (1992) der 4 Non Blondes, mit dem sie groß geworden ist, bedeute ihr sehr viel.

Einige Zeit später kolportierte sie eine andere, eher obsessive Version der Kontaktaufnahme mit Perry, die schon fast mit Stalking in Verbindung gebracht werden konnte. Statt einfach nur Nachrichten zu hinterlassen, sang sie Perry Stücke der 4 Non Blondes vor. Schließlich musste die Sängerin der Neunziger-Truppe nachgeben: „Du bist verdammt noch mal übergeschnappt“, warf sie Pink an den Kopf. „Komm rüber.“

Nun war Perry mit an Bord und sollte für das Songwriting und die Produktion verantwortlich zeichnen. Als Assistenten wählte man Dallas Austin und Scott Storch aus, die kanadischen Hip-Hop-Produzenten, die für Hits von 50 Cent, Busta Rhymes, Ice Cube und vielen anderen verantwortlich gewesen waren. Pink unternahm einen weiteren Versuch, um die Akzeptanz des Publikums zu beeinflussen, indem sie die Hard Rocker Steve Tyler von Aerosmith und Richie Sambora von Bon Jovi bei einigen Tracks für Gastauftritte rekrutierte. Nun musste sie nur noch ihren Labelchef, LA Reid, überzeugen, dass die eher Rock-orientierte Veränderung eine gute Idee darstellte.

Wie sie dem Bang-Magazin erzählte, stritt sich Pink während der Produktion mit Reid, dass die Fetzen nur so flogen. „Ich verhielt mich ziemlich krass und meinte: ‚Das will ich so haben – du musst mir einfach glauben. Falls es dir nicht passt, kannst du mich ja zu McDonalds zurückschicken.‘ Und dann gab’s ein Ringen und einen Kampf, aber die Kämpfe zwischen mir und LA sind lustig, weil a) ich immer gewinne, ha! und b) er so leidenschaftlich und musikalisch ist. Er glaubt an mich, unterstützt mich und gibt mir den Freiraum, meine Fehler selbst zu machen.“

„Fehler“ ist ein Wort, das nicht ernsthaft in Verbindung mit Pinks zweitem Album gebracht werden kann. M!ssundaztood wurde im November 2001 veröffentlicht. Pink wählte den Titel als Anspielung auf ihr Image in der Öffentlichkeit – er sollte symbolisieren, dass die Leute einfach ein falsches Bild von ihr hatten. In über 20 Ländern konnte die CD Gold oder Platin ernten (obwohl sie nur in Irland den ersten Platz der Charts erreichte). Das Album hat mittlerweile zwischen 12 und 16 Millionen Einheiten verkauft und die Hits „Get The Party Started“, „Just Like A Pill“, „Family Portrait“ und „Don’t Let Me Get Me“ abgeworfen. Die erste Auskopplung „Get The Party Started“ (geschrieben und produziert von Perry) kam in den USA und anderen Ländern unter die Top 5 und erklomm in Australien den ersten Platz. Die anderen Single-Auskopplungen – „Don’t Let Me Get Me“ und die von Dallas Austin produzierten „Just Like A Pill“ sowie „Family Portrait“ – waren weitere Radio- und Charts-Erfolge, wobei Pink mit „Just Like A Pill“ ihren ersten Nummer-1-Hit im Vereinigten Königreich feiern konnte. Dort stand M!ssundaztood in den Jahresverkaufscharts des Jahres 2002 auf dem zweiten Platz. Die Platte setzte bislang in Großbritannien 1,8 Millionen Einheiten um, erhielt sechs Mal ein Platin-Zertifikat und steht zurzeit auf dem 94. Platz der bestverkauften Alben aller Zeiten.

M!ssundaztood und „Get The Party Started“ wurden bei den Grammy Awards 2003 mit Nominierungen in den Kategorien „Bestes Pop-Vocal Album“ und „Beste weibliche Pop-Vocal-Performance“ bedacht, wohingegen das Video zu „Get The Party Started“ bei den MTV Video Music Awards in den Kategorien „Bestes Video einer Sängerin“ und „Bestes Dance Video“ gewann.

Und das alles – die ganzen Preise und weltweiten Smash-Hits – wurzelten in dem kleinen, einfachen Ratschlag Perrys, dass Pink sich emotional öffnen solle!

Perry erklärte damals: „Zu Beginn unserer Zusammenarbeit fragte ich sie: ‚Was fühlst du?‘ und Pink setzte sich einfach hinter das Klavier und sang.“ Während des Songwritings und der Aufnahme des Albums zog Pink sogar nach Los Angeles, um bei Perry zu wohnen. Die beiden verbrachtem mehrere Monate damit, Stücke zu schreiben und sich alle nur erdenklichen Ideen „an den Kopf zu werfen“.

Diese drei einfachen Worte – „Was fühlst du?“ – ermutigten Pink, ihre ganze Seele und ihr Herz in die Songs fließen zu lassen. Mit der Hilfe Perrys konnte sie acht Tracks kreieren – mehr als die Hälfte des Albums! Es waren „M!ssundaztood“, „Get The Party Started“, „Respect“, „Dear Diary“, „Eventually“, „Lonely Girl“ (bei dem Linda Perry singt), „Gone To California“ und „My Vietnam“. Mit diesen acht Titeln gelang es Pink, die Wahrnehmung des Publikums mit Blick auf ihre Rolle als Künstlerin und Frau radikal zu verändern.

Eigentlich nicht erstaunlich, bedenkt man die Themen, die sie mit den Stücken anspricht. Auf „Don’t Let Me Get Me“ zeichnet sie ein Selbstporträt des ultimativen „bad girls“. Ihre Socken sind schmutzig, ihre Eltern hassen sie und sie singt dann: „I’m a hazard to myself … I’m my own worst enemy“, bevor sie klarmacht: „I wanna be somebody else.“ Pink stellt zudem Bezüge zu LA Reid her und verdeutlicht dabei, dass sie nicht als glatte und geschniegelte Pop-Tusse vermarktet werden will: „All you have to change is everything you are.“ Hiermit greift sie den Besitzanspruch der Produzenten an, die Produkte erschaffen wollen, anstatt Künstler zu fördern. Pink will sich aber nicht verbiegen, will autonom und selbstbestimmt bleiben. Sogar die damals populärste Teenie-Pop-Diva der Welt tritt in einer Nebenrolle auf: „Tired of being compared to damn Britney Spears“, beklagt sie sich über ihre sogenannte Rivalin. „She’s so pretty/That just ain’t me.“ (Später, als Spears bei Medien und Fans in Ungnade fiel, war Pink in der Lage, Mitgefühl zu zeigen, denn der einstigen Diva wurde nun ebenfalls die Rolle des „bad girl“ aufgedrückt.) „Ich habe Britney immer geliebt“, erzählte Pink in einem Interview 2006. „In der Öffentlichkeit und im Privatleben bin ich ihre Freundin. Ich habe sie immer verteidigt. Sie ist einfach ein nettes Mädchen und wird von der Presse runtergemacht. Sie tut mir leid.“

Auf „Just Like A Pill“ spielt Pink auf ihren Drogenmissbrauch als Teenager an und benutzt Betäubungsmittel als Metapher für gestörte Beziehungen. Beim Song „My Vietnam“ zieht sie eine Analogie zu den Kriegserfahrungen des Vaters in Vietnam (am Ende lodert Jimi Hendrix’ „Star-Spangled Banner“ auf, ein wichtiger Song für die Frontsoldaten in Vietnam) und benutzt das Bild einer Schlacht, um ihre turbulente Erziehung darzustellen, wobei sie ihr Selbstbild als „wandelndes Pulverfass“ entwirft: „Mother was a lunatic, she liked to push my buttons … Never liked school that much … They keep dropping bombs and I keep score.“

Mit „Family Portrait“ dokumentiert Pink ihre Herkunft noch plastischer. Sie durchleuchtet auch den letzten Winkel ihrer kaputten Familie, die Scheidung der Eltern und die dadurch verursachte Zerrüttung. „Mama, please stop cryin’ … your pain is painful … I told daddy you didn’t mean those nasty things you said … It ain’t easy growing up in World War 3 …“ Der Text kann als Beschreibung des Familienkonflikts interpretiert werden, aber auch als ein schillerndes Kapitel einer Rock-Autobiografie. Die Worte vermitteln solch eine Eindringlichkeit, dass ihre Familie wie am Boden zerstört war, als sie den Song hörte.

„Es hat der ganzen Familie wehgetan, aber gleichzeitig für reinen Tisch gesorgt. Danach ging es uns allen besser.“ Ihre Mutter war trotzdem über die Zeile in „My Vietnam“ tief verletzt, in der sie als „Wahnsinnige“ beschrieben wird. „Meine Mum war eine Zeit lang verdammt sauer. [Aber] wir haben uns dann ausgesprochen. Ich mag es nicht, Sachen unter den Teppich zu kehren – man muss die Dinge beim Namen nennen und damit klarkommen.“ Wie Pink der Sun 2008 berichtete, lag ein wichtiger Effekt von M!ssundaztood darin, dass sie eine unvergleichliche Offenheit an den Tag legte und von diesem Zeitpunkt an immer authentisch blieb. Das ist ein wichtiges Charakteristikum, das sich in ihrer Musik zeigt und das die Leute so schätzen.

„Ich bekam den Brief eines 13-jährigen Mädchens. Sie schrieb, dass der Großvater ihre Mutter vergewaltigte. Dann erzählte sie weiter, dass ihre Mutter gerade gestorben sei und der alte Mann jetzt sie vergewaltige. Durch meine Musik jedoch schöpfe sie Kraft zum Weiterleben. Sie bat mich, niemals damit aufzuhören, da sie ihr Hilfe und Rückhalt gebe.“

Einige Jahre später beschrieb Pink „Family Portrait“ so: „Das Stück reißt mir auch heute noch die Seele aus dem Leib. Es ist die ehrlichste Nummer, die ich jemals komponiert habe. Es ist genau der Song, der die Verbindung zwischen mir und so vielen jungen Leuten herstellte, die diesen schmerzhaften Prozess durchmachen oder durchgemacht haben. Genau aus diesem Grund ist die Nummer so wertvoll.“

Pink schrieb zusammen mit Perry folgende Songs: „Family Portrait“, „Just Like A Pill“, „My Vietnam“, „Don’t Let Me Get Me“, „Get The Party Started“, „Dear Diary“ (Textauszug: „I’ve been a bad girl for so long“), „Eventually“ (Textauszug: „This life is lonely when everbody wants something“), „Lonely Girl“ (Textauszug: „I can remember the very first time I cried“) und „Gone To California“ (in dem Song macht sie sich zur Westküste auf, da die „city of brotherly love“ – Philadelphia, in dessen Umgebung sie aufwuchs – für sie „Schmerzen und Verletzungen“ bedeutet). Alle Songs verdeutlichen große Empathie für psychisch kranke und leidende Menschen und ein profundes Verständnis der dunklen Seite des Menschseins. Darüber hinaus hatte das Album für Pink eine weitere wichtige Funktion, denn sie stellte sich ihren Dämonen, ohne einen Schritt zurückzuweichen, und enthüllte mit erschreckender Offenheit Einzelheiten ihrer schwierigen Vergangenheit.

Aus diesem Grund wurde M!ssundaztood als das In Utero des Teen-Pop bezeichnet, eine Referenz an das Nirvana-Album, das Kurt Cobain vor seinem Suizid einspielte. Als Beispiel einer musikalischen Therapie und Selbstanalyse, als Arbeit einer Künstlerin, die ihre Vergangenheit überwindet und erwachsen wird, kann es mit Jagged Little Pill verglichen werden, einer Platte, die Alanis Morissette machte, als sie sich von ihrem Status einer am Reißbrett kreierten Popmusikerin emanzipierte. Tatsächlich kommentierte die Entertainment Weekly, dass „Pink die Verwirrung junger Mädchen mit größerer Genauigkeit und Sorgfalt einfängt als Alanis Morissette.“

Robert Christgau, das selbsternannte „‚Akademische Oberhaupt‘ der US-Rockkritik“, beschrieb die Songs auf M!ssundaztood als „offenherzig und ehrlich, düster, niedergeschlagen – und, okay, manchmal auch ein wenig unbeholfen, was sie zweifellos realistischer erscheinen lässt. Trotz Pinks dreister Äußerung, dass sie nicht so schön ist wie die ‚verdammte Britney Spears‘, tritt ihre Angst vor dem Prominent-Sein in den Hintergrund und lässt den glaubwürdigen persönlichen Schmerz erkennen, der in der tatsächlich stattgefundenen familiären Zerstörung wurzelt. Dieser Schmerz wird durch den künstlerischen Ausdruck im Zaum gehalten und gebändigt.“

Trotz dieses Kommentars kann die Musik aber nicht als Depri-Rock bezeichnet werden. Die Stärke von M!ssundaztood liegt in der Fähigkeit Pinks, ihre persönlichen Erfahrungen – die Leiden, die sie als Kind in einer kaputten Familie ertragen musste, und die damit verbundenen qualvollen Erinnerungen – einem Publikum leicht zugänglich zu machen, das trotz der harten Botschaft mit der Musik seinen Spaß hat. Das Album ist von Beginn bis zum Ende ein melodischer Genuss. „Get The Party Started“ hätte als Opener nicht besser gewählt sein können und ist eine genauso gute Tanznummer wie Cyndi Laupers „Girls Just Want To Have Fun“. „18 Wheeler“ kracht aus den Boxen wie härtester Redneck-Rock – auf diesem Track kann man deutlich den Grund dafür hören, warum Pink als Hauptdarstellerin für das Biopic über Janis Joplin in die nähere Auswahl kam. (Die Originalversion des Tracks enthielt viele Schimpfwörter, die aber gelöscht wurden, um den Parental-Advisory-Sticker zu vermeiden, der sicherlich den Umsatz beeinträchtigt hätte. Von dem Song existiert keine unzensierte Fassung, doch während ihrer Tourneen singt Pink den ursprünglichen Text.) Der Titeltrack im mittleren Tempo kann ideal als Eröffnungssong einer heißen Party gespielt werden, während „Numb“ mehr als nur eine leichte Ähnlichkeit zu Nirvanas epochalem Grunge-Rock erkennen lässt. „Misery“ hingegen ist ein guter, alter Blues-Rock-Party-Song, bei dem es Pink gelingt, Note für Note dem legendären Steven Tyler von Aerosmith das Wasser zu reichen.

Mit M!ssundaztood hatte Pink ein Album produziert, das seine Wirkung durch eine verblüffende Mischung verschiedenster Sounds und Stile entfaltet, die eigentlich nicht miteinander harmonieren, aber trotz aller Gegensätzlichkeit ein großes Ganzes bilden. Es sprüht vor Fantasie, denn Popsongs mit melodiösen Hooks stehen neben glitzernden Dancefloor-Hymnen und Stadion-Balladen (mit der obligatorischen „Feuerzeuge in die Luft“-Ansage) und werden durch leichte Metal-Anklänge ergänzt. Durch die Produktion gelang es, den Biss der Rockmusik mit dem Glamour des Soul und dem einpeitschenden Rhythmus des Rap zu vereinen, und so eine erstaunliche Bandbreite von Songs in einem in sich geschlossenen Werk zu vereinen. Das Album wurde auch für Linda Perry zu einem Triumph, da es ihr gelungen war, Pinks unterschiedliche Facetten in rauer und gefühlvoller Form zu präsentieren und zusätzlich die sprühende Lebensenergie einzufangen. Diese Art einer Performance wirkte ansprechend und fesselnd. Pink hatte ihr vorläufiges Ziel erreicht – sie war eine Sängerin, die leicht den Pfaden des R’n’B hätte folgen können, aber innerlich spürte, dass das nicht der Weg zu ihrem wahren Selbst ist.

Ein Journalist bemerkte: „Seit langer, langer Zeit gab es im Mainstream kein Album mehr, das eine solche Lebendigkeit oder Ausstrahlung hat.“ Sogar Rob Sheffield von Spin, der nicht so überzeugt schien und eher die „lebendigen R’n’B-Beats von Can’t Take Me Home“ mochte, zeigte sich beeindruckt. Obwohl ihm „traditionelle Rock-Klischees wie ‚Misery‘, das einem Song der Black Crowes ähnelt und nicht zum Konzept zu gehören scheint“, eher langweilten, musste er Pinks Werk anerkennen: „Pink verdient Respekt, da sie sich selbst offenbart, statt wieder das Regelwerk des Teen-Pop zu bedienen – dennoch reicht die Umsetzung nicht an ihre Ambitionen heran.“

Die Single-Auskopplungen von M!ssundaztood halfen dabei, die dramatische Transformation Pinks dem Publikum nahezubringen. „Get The Party Started“ wurde zuerst im Oktober 2001 in den USA veröffentlicht und im Januar 2002 in Großbritannien. In den Staaten erreichte der Song mit dem vierten Platz die Höchstnotierung (und war damit Pinks zweitgrößter Solohit, zusammen mit „Most Girls“ (2002) und „So What“ aus dem Jahr 2008). In Großbritannien kam er sogar auf Platz 2. Es hätte vermutlich sogar zum ersten Platz gereicht, den aber die posthume Singleveröffentlichung „My Sweet Lord“ des im November verstorbenen George Harrison blockierte. Während der Aufnahmen lernte Pink den Umgang mit Drumcomputern und spielte sogar Bass. Die experimentelle Atmosphäre, in der alles möglich zu sein schien, spornte Perry und Pink zu Höchstleistungen an. Dadurch gelang es den beiden, diesen Nightclub-Klassiker zu schaffen. „Du kreierst etwas in deinem Schlafzimmer oder deinem Haus und es ist einfach so eine Spaßsache“, kommentierte die Sängerin. „Dann hörst du plötzlich den Song, der aus deinem Schlafzimmer stammt, im Radio – und die Menschen mögen diese Musik. Das ist einfach abgefahren.“

„Get The Party Started“, einer der Songs, mit denen Pink immer in Verbindung gebracht wird, zog zahlreiche Coverversionen nach sich. Es gab Punkversionen, Synthie-Pop-Fassungen, akustische Folkversionen, knallharte Techno-Interpretationen, Pop-Fassungen aus China und sogar eine gewisse Shirley Bassey (!) entschloss sich zu einem Cover. Sie nahm das Stück im Stil der alten Titelmelodien für Thriller und Krimis auf. Diese Fassung wurde von Marks & Spencer bei einer Weihnachtswerbekampagne im Fernsehen eingesetzt und sogar der Guardian ließ sich zu einem Kommentar verleiten: „[Das Stück] ist ein großartiges, massives Monument gleichwertig einem Bond-Thema.“

„Get The Party Started“ wurde 2003 für einen Grammy Award in der Kategorie „Beste Pop-Vocal-Performance einer Sängerin“ nominiert, verlor aber gegen Norah Jones’ „Don’t Know Why“. Durch die positive Grundstimmung und außergewöhnliche Eingängigkeit konnte die Nummer den Titel „Beliebtester Song“ bei den Kids’ Choice Awards abstauben. Bei den MTV Europe Music Awards 2002 gewann er die Auszeichnung „Bester Song“.

Das Video wurde 2002 bei den MTV Video Music Awards als „Bestes Pop Video“ nominiert und bekam Auszeichnungen in den Kategorien „Bestes Video einer Frau“ und „Bestes Dance Video“. Dave Meyers nahm den Clip Ende September 2001 in Los Angeles auf. Die Handlung ist so witzig wie einfach: Pink und eine Freundin stehlen die Skateboards von zwei Jungs, gehen in einen Nightclub, ohne Eintritt zu bezahlen (sie klettern durch ein Fenster), und tanzen – dort erst einmal angelangt – mit einem gewissen Kevin Federline, der später Britney Spears heiraten sollte.

Die zweite Auskopplung des Albums, „Don’t Let Me Get Me“, geschrieben von Pink und Dallas Austin, erschien im Februar 2002. Sie erreichte den sechsten Platz der Hitparade in Großbritannien und Platz 8 in den USA. Im Video ist Pink bei einer Auseinandersetzung mit LA Reid zu sehen, mit Stylisten, ja sogar mit ihrem Spiegelbild in einem Umkleideraum. Aber die beiden nächsten Singles von M!ssundaztood hatten eine noch durchschlagendere Wirkung, begünstigt durch die unvergesslichen Videos.

„Just Like A Pill“, die dritte Auskopplung und eine weitere Komposition des Teams Pink/Dallas Austin, erschien im Juni 2002. Sie erreichte den achten Platz der US-Charts und wurde Pinks erster Nummer-1-Hit in Großbritannien als Solokünstlerin. Das Video, bei dem Francis Lawrence Regie führte (der später den Film I Am Legend mit Will Smith in der Hauptrolle drehte), kann als Abkehr von den ersten Clips gesehen werden. Es wirkte düsterer, die Sängerin war in Schwarz gekleidet, hatte schwarzgefärbte Haare (mit pinken Strähnchen – wie hätte es anders sein können?) und sang den Song als Playback vor einer Horde Partygäste (die Gothic-Fans ähnelten) wie auch einem Elefanten.

Pinks Begegnung mit einem der größten Landtiere während der Aufnahmen sollte einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterlassen. Zum ersten Mal in ihrem Leben erkannte sie die Notlage von Tieren in Gefangenschaft. „Pink erfuhr etwas über den Missbrauch von gefangenen Tieren, als der Tierführer den Elefanten zum Set brachte“, erläuterte ein Sprecher von PETA (People for the Ethical Treatment of Animals). „Sie bemerkte, dass hier etwas falsch lief und rief uns an, um mehr über das Thema zu erfahren.“ Direkt nach dem Shooting des „Just Like A Pill“-Videos engagierte sie sich als Aktivistin für PETA.

„Family Portrait“, komponiert von Pink und Scott Storch, war die letzte Single, die von M!ssundaztood im Dezember 2002 in den USA und im Januar 2003 in Europa veröffentlicht wurde. Der Song erreichte seine höchste Notierung mit Platz 20 in den Staaten und 11 in Großbritannien. Das Video, ein eindringlicher und düsterer Clip, zeigt Pink und ein identisch gekleidetes junges Mädchen in Unterhemd und Trainingshose. Letztere spielt die Rolle der jungen Musikerin, die durch die Trennung ihrer Eltern seelische Qualen erleidet. Der Anblick des jungen Mädchens, das die Lippen synchron zu Pinks Gesang bewegt, ist herzzerreißend. Das trifft besonders auf die Szenen zu, in denen sie darum bettelt, dass sie keine zwei Adressen haben möchte und nicht die Ferien mal hier, mal dort verbringen muss.

Für Pink bedeutete der Clip eine weitere Stufe auf dem Weg der Selbstheilung – bezogen auf ihre eigene Person, aber darüber hinaus auch für ihre Fans.

„Musik hat die Wirkung einer Art Gruppentherapie“, enthüllte sie dem Look-Magazin 2008. „Ich konnte mich erst gar nicht zu meinen persönlichen Problemen äußern, bekam dann aber Briefe von Mädchen, die schrieben: ‚Wegen dieses Songs reden meine Mutter und ich wieder miteinander.‘ So schwor ich, mir meine Ehrlichkeit zu bewahren, koste es, was es wolle.“ Pink war überwältigt, dass sie so viele Journalisten auf Grund des „Family Portrait“-Videos und -Songs zu ihrer Familiengeschichte befragten, einfach mehr wissen wollten. Einmal brach sie bei einem Interview in Tränen aus und musste das Studio überstürzt verlassen. Der Rückzug war eindeutig ein Fehler, denn ihr wurde der Wert ihrer Ehrlichkeit und Authentizität bewusst, als noch mehr Post, ja eine wahre Flut von Briefen sie daraufhin erreichte.

„Ich schrie: ‚Verdammt, ich will das alles nicht mehr.‘ Aber dann erreichten mich die ganzen Briefe und mir wurde die Bedeutung meines Verhaltens klar. Es ist eine ernste Angelegenheit, denn ein Satz wie: ‚Du hast mir dabei geholfen, mich von meinem Freund zu lösen, der mich missbraucht hat‘, bewegt mich zutiefst. Ich erhalte buchstäblich jeden Tag solche Briefe. Einer übertrifft den nächsten, ist noch tragischer und trauriger. Das sind also die Menschen, die dadurch, dass ich so viel von mir preisgebe, einen eigenen Nutzen daraus ziehen können. Da muss ich verflucht noch mal mein beschissenes Ego zurückstellen.“


Pink und die Bally Total Health Clubs starten einen USA-weiten Tanzunterricht, basierend auf dem Stil der Sängerin. (BOB RHIA JR/GETTY IMAGES)


Pink bei den Videoaufnahmen zu „Get The Party Started“ im Oktober 2001. (ARNOLD TURNER/WIREIMAGE)


Pink und ihre Mutter Judy Moore im Beacon Theatre, New York City, Mai 2002. (KEVIN MAZUR/WIREIMAGE)

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