Читать книгу Sympathy For The Devil - Paul Trynka, Paul Trynka - Страница 8

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In Alexis Korners Club in Ealing war die zweite Woche nach der Eröffnung angebrochen. Man hätte meinen können, die Anlaufschwierigkeiten wären nun behoben gewesen, doch nein: Die an der Decke kondensierte Feuchtigkeit tropfte gleichmäßig auf die Bühne herab, der Laden roch recht merkwürdig und das Bier war viel zu warm. Keith Scott klimperte sich durch seine Klavierpassagen, Alexis Korner spielte einfachste Akkorde auf der Rhythmusgitarre und ein junger Drummer namens Charlie spielte leichthändig und jazzig – sie alle wurden von der röhrenden, aggressiven Mundharmonika eines missgelaunten und aggressiven Cyril Davies angetrieben. Doch niemanden interessierte das. In diesem legendären Frühling des Jahres 1962 wurde die britische Rockmusik elektrisch aufgeladen, wie von Frankenstein höchstpersönlich mit einem Stromstoß ins Leben katapultiert und in die große, weite Welt gesandt. Wen kümmerte da schon ein kleiner Stromschlag, den man sich leicht auf der Bühne holen konnte?

Mick Jagger gehörte zu den Besuchern dieses Schuppens. Wie üblich hatte er seinen „yankophilen“ Dad überredet, ihm für die 45-minütige Fahrt von Dartford nach Ealing die Familienkutsche auszuleihen. Er warf einen vorsichtigen Blick in den Raum, sein üblicherweise zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein ein wenig gedämpft. Ein Jahr lang hatten er, Keith Richards und Dick Taylor so getan, als seien sie ausgebuffte Blueser gewesen, doch letztendlich hatten sie nur in einem Wohnzimmer gespielt. Als Mick sich behutsam an Korner anschlich – mit einem Tape der Band in der Hand –, wurde er auf griechische Art herzlich begrüßt. Korner mochte die jugendliche Aufrichtigkeit und unterhielt sich mit dem dürren, aufstrebenden Bluesmusiker, wobei er wie ein exotischer Onkel wirkte, stilecht mit Bart. Klar, versicherte er ihm, er werde sich das Band der Blue Boys anhören, und möglicherweise gäbe es schon bald einen freien Platz im Programm.

In dieser Woche hatten sich schon andere den Platz als Gastmusiker unter den Nagel gerissen. Auf der gerade mal zwanzig Zentimeter hohen, wackeligen Bühne wurden einige gehetzte Worte gewechselt, wonach Korner in seiner voluminösen, tiefen Stimme den Special Guest des Abends vorstellte: „Ladies and Gentlemen, heute Abend präsentiere ich Ihnen – Elmo Lewis an der Gitarre und P. P. Pond am Gesang!“

Als der flüssige, glasklare und erotische Klang der Slide-Gitarre das Kellergewölbe durchdrang, streckten Dick und Keith ihre Köpfe in die Höhe und versuchten herauszufinden, wie zum Teufel noch mal der Musiker das bewerkstelligte. Korner, einer der ersten elektrischen Bluesgitarristen, die sie gesehen hatten, war gut, doch Elmo spielte viel besser – in der Art, wie er den abgehackten und prägnanten Rhythmus bei den Gesangsbeiträgen von Pond hielt und dann mit dem Bottleneck aus Glas die Saiten hochschoss, um seine Soli runterzuspielen. Der Typ an der Gitarre – kurze Haare, ernster Gesichtsausdruck, bekleidet mit einem weißen Hemd und Hosen mit Hahnentritt-Muster – wirkte unglaublich cool. Mit was für einer höllischen Gitarrenstimmung spielte der? Wie zum Teufel kriegte der Typ so einen Sound hin? Und überhaupt: Wer war der Kerl?

Dick und Keith, die beiden Gitarristen der Blue Boys, versuchten erst gar nicht, ihren Schreck zu verstecken. „Der ist nicht nur gut“, meinte Dick zu seinem Kumpel von der Kunsthochschule. „Er ist sogar sehr, sehr gut!“

Es wurde ein grandioser Abend. Man hätte es von der ersten Begegnung der zukünftigen Rolling Stones auch nicht anders erwartet. Der hoch konzentrierte und energiegeladene Brian Jones überzeugte Mick Jagger, Keith Richards und Dick Taylor über alle Maßen, denn sie waren im Frühjahr 1962 allenfalls Anfänger im Bereich der Musik, die Jones schon beherrschte. Die verschiedensten Überlegungen drehten sich in den Köpfen des Trios aus Dartford, doch eine Frage stand im Vordergrund: Wie zum Teufel hatte er so gut werden können?

Innerhalb weniger Minuten war der Kontrast zwischen der musikalischen Entwicklung von Brian Jones und seinen zukünftigen Stones-Kollegen bei dieser ersten Begegnung offensichtlich geworden. Allerdings wusste niemand etwas über die beschwerliche und aufreibende Reise zum Herzen des Blues, die Brian bereits hinter sich hatte. Erstmalig können wir dokumentieren, dass Elmo Lewis (alias Brian Jones) hundert oder mehr Gigs absolviert hatte, bevor er sich auf die Bühne in Ealing stellte. Jedes einzelne Konzert vergrößerte die Kluft zwischen ihm und den nicht mehr ein noch aus wissenden Eltern.

Ende der Fünfzigerjahre – jenes trostlosen Jahrzehnts der Unterdrückung und Anpassung – schien Brian immer noch in einem Netz aus Anforderungen gefangen zu sein, die andere an ihn stellten. Man behandelte ihn wie ein Kind, das den Wünschen der Eltern zu entsprechen hatte. Das Bestehen dreier A-Levels – Physik, Chemie und General Studies (in Biologie fiel er durch) – war zwar nicht sonderlich überraschend, aber damals durchaus respektabel. Sie genügten, um ihm den Weg zu einer Universität oder einer Fachhochschule zu ebnen. Louisa und Lewis beschlossen, ihm als Belohnung einen besondern Urlaub zu spendieren. Es wurde jedoch keine Familienreise, denn Lewis bekam bei Rotol im Sommer 1959 keinen Urlaub, und so schickte man Brian für sechs Wochen nach Deutschland, wo er bei Freunden wohnen durfte. In späteren Erzählungen über das Intermezzo schmückte Brian die Reise wie ein Wanderabenteuer aus – ein Mann und seine Gitarre, der Europa per Anhalter durchquerte. Tatsächlich waren die Gastgeber schon ungefähr im Alter seiner Eltern, und sein Aufenthalt bei ihnen ähnelte „einem offenen Strafvollzug“, wie er später einem Freund berichtete. Zurück in Großbritannien verstärkte sich der gesellschaftliche Anpassungsdruck, und Brian fügte sich dem Wunsch des Vaters, eine Ausbildung zum Optiker anzufangen. Er schrieb sich Berichten nach für das Fach „Angewandte Optik“ am Northampton Institute (später City University) in London ein. Die Lehrveranstaltungen sollten im September beginnen.

Soweit wir wissen, vermisste Brian Val, doch nicht so intensiv, wie Val Brian vermisste. „Ihr Leben drehte sich nur um Brian“, berichtet Carole Goodsell, eine Freundin Vals. „Sie war ein offenherziger Mensch, fröhlich und freundlich – doch er bestimmte ihr ganzes Leben.“ Wenn Carole die Zeit mit Brian und Val verbrachte, empfand sie den aufstrebenden Musiker als „arrogant und selbstsüchtig – doch Valerie liebte ihn, und darauf kommt es ja eigentlich an“.

Irgendwann im Herbst 1959 erfuhr Valerie, dass sie schwanger war. Wie so oft verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer und kam den verschiedensten Leuten zu Ohren. Zuerst wirkte Val nach Ansicht ihrer Schulfreundin Anna Livia überglücklich. „Sie war so aufgeregt und freute sich: ‚Hey, ich werde mit Brian in London leben.‘ Aber dann … Sie brach in Tränen aus und rannte aus dem Zimmer. Ich schätze mal, in dem Moment wurde ihr bewusst, wie es tatsächlich aussah.“

Die Geschichte, die in Cheltenham die Runde machte, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Brian machte die Fliege. Jeder in der kleinen Szene kannte das Pärchen. Die meisten teilten Jane Filbys Meinung, die sagte: „Brian verhielt sich wie ein Riesenarschloch. Oder – wie mein Mann immer sagt – ein kleines Arschloch. Er war ja nicht so groß.“ Doch keiner der beiden kannte die komplette Geschichte. In den Fünfzigerjahren entschieden nicht die Teenager über die Konsequenzen einer Schwangerschaft, sondern ihre Eltern. Erst Jahre später erfuhr Graham Ride, der später Val heiratete, etwas über den tatsächliche Hergang: „Brian hielt um Vals Hand an, doch alles ging schief. Als ich das herausfand, überraschte es mich, aber so war es nun mal.“

In den ersten Wochen der Schwangerschaft bestand zwischen Val, ihrer Mutter und Brian ein reger Briefverkehr, der jedoch nur wenige Wochen anhielt. Val fühlte sich überglücklich und träumte von einem Familienleben mit Brian in London. Doch ihre Eltern, offenbar im Einvernehmen mit Lewis und Louisa, machten den beiden einen Strich durch die Rechnung. Sie ängstigten sich bei dem Gedanken, dass es ihre Tochter in die Glitzerwelt der Metropole und zu Brian zog, und verweigerten die notwendige Erlaubnis zur Heirat. Das vermutlich brachte Val zum Weinen und nicht Brians angeblich kaltherzige Ablehnung.

Im Frühjahr 1960 nahm die verworrene Situation tragische Dimensionen an. Vals Vater, an den sich jeder als einen Menschen erinnert, der seine Tochter vergötterte, starb an einem Herzinfarkt. Ken Corbett hatte mit Lewis Jones bei Rotol gearbeitet. Brians Vater schob die Schuld an der Tragödie seinem sündigen Sohn in die Schuhe. Für ihn war es eine weitere Schandtat, wobei er die Schwangerschaften von Hope und Val gleichsetzte. In den traumatischen Nachwirkungen von Mr. Corbetts Tod traf Val die Entscheidung, ihr Baby zur Adoption freizugeben.

Jahre später sah Graham die Adoptionsdokumente, darunter verschiedene Briefe, die beweisen, dass Brian seinen Heiratsantrag erneuerte. Ungefähr im Juni 1960 kam Brian aus London, um Val und seinen Sohn Barry David zu besuchen. Das Baby erholte sich gerade von einem chirurgischen Eingriff am Magen, der direkt nach der Geburt am 29. Mai erfolgte. Dennoch erhielt Val in den folgenden Wochen einen Brief von ihm, worin er sie zum Kontaktabbruch drängte. Niemand kennt den genauen Inhalt, doch die einfachste Erklärung ist zugleich die wahrscheinlichste. Zu der Zeit, als er Val den Heiratsantrag machte, hatte sich Brian vermutlich unter Druck gesetzt gefühlt. Nun erklärte er, sie nicht mehr zu lieben. Val verfiel daraufhin in den jedem Menschen bekannten Liebeskummer und gab Barry David zur Adoption frei. Jahre später sollte sie ihren Sohn allerdings wiedersehen.

Auf ihre Freunde aus Cheltenham machte Val einen desaströsen Eindruck, wie Roger Limb es formulierte: „Sie wirkte wie ein abgelehnter und geschlagener Mensch, und sie war ganz sicher nicht mehr das strahlend lächelnde junge Ding, das ich von früher kannte.“ Auch Brians jüngere Schwester Barbara litt: Miss Lambrick, die Schulleiterin der Pate’s, verabscheute Brian, den Schwerenöter, und stellte Barbara deshalb nur eine halbherzige Universitätsempfehlung aus, die ihren Plan, Lehrerin zu werden, durchkreuzte.

Graham Ride wurde in einer für beide entscheidenden Lebensphase ein guter Freund von Brian. Durch seine spätere Ehe mit Val entwickelte er ein tieferes Verständnis für die emotionalen Scharmützel, die der Musiker überstehen musste. Er bezeichnet ihn als „charmant, aber manipulativ“. Eine Freundschaft mit Brian hatte ihre Nachteile, wie zum Beispiel die peinliche Situation, seine Ex-Freundinnen zu treffen, oder mit seiner Unzuverlässigkeit klar zu kommen. Die Ursache lag laut Graham darin, dass „Brian ein unmittelbar agierender Mensch war. Er lebte im Hier und Jetzt. Wenn er mit einer Frau schlafen wollte, dann machte er es und dachte niemals an die Konsequenzen. Wäre er nicht so hochgradig zeugungsfähig gewesen, wären daraus keine Probleme entstanden!“

Brian Jones gehörte zu einer Männergeneration, die die repressive Moral der Fünfzigerjahre ablehnte, aber viele ihrer frauenfeindlichen Charakterzüge weiter lebte. Barry Miles, der wichtige Aspekte der Gegenkultur der Sechziger durchlebte und dokumentierte, traf Brian häufig und erinnert sich: „Hinsichtlich Frauen hatte er eine schreckliche Einstellung. Doch damals war das nicht ungewöhnlich – so verhielten sich die meisten. In dem Jahrzehnt sah man sich häufig mit Frauenfeindlichkeit konfrontiert.“

1960 schuf Brian eine Art Blaupause für den Lifestyle seiner zukünftigen Band. Was jedoch noch wichtiger war – im Laufe der nächsten 20 Monate erschuf er das Fundament für ihre Musik und entdeckte dabei bedeutende musikalische Charaktere, von Jimmy Reed bis Robert Johnson, von Elmore James bis Slim Harpo. Während seine zukünftigen Bandkollegen studierten und aus Spaß Musik zu Hause machten, begab er sich auf eine Reise zum Herzen der Musik, die er so liebte.

Ende des Frühjahrs 1960 hatte Brian die Hoffnung aufgegeben, den Vater hinsichtlich eines regulären beruflichen Werdegangs zu beschwichtigen. Die Augenheilkunde zählte ganz gewiss nicht zu den wichtigsten Dingen in seinem Leben, und so kehrte er im Sommer des Jahres zurück nach Cheltenham. Im Herbst wandten sich viele Jungen und Mädchen aus der Grammar School von ihm ab, und seine Eltern ebenfalls. In diesem Lebensabschnitt entwickelte er sich zu dem Musiker, den die Welt kennenlernen sollte. Mit dem Geld von verschiedenen Jobs fristete er sein Dasein und widmete sich der Musik. Sie war seine Erlösung, mit ihr fühlte er sich glücklich, und er zeigte auf diesem Gebiet mehr Einsatz, als man erwartet hätte – ganz im Gegensatz zu seinem bisherigen Verhalten.

In den ersten Monaten nach seiner Rückkehr nach Cheltenham wohnte er bei den Eltern in der Hatherley Road. Sein Einkommen war, gelinde gesagt, unregelmäßig: Er jobbte bei der Drogerie Boots, verdingte sich kurzfristig als Kleinbusfahrer und arbeitet später im Architekturbüro der Bezirksverwaltung. Doch am Ende des Jahres stammte ein Großteil des Einkommens aus Gagen für verschiedene Gigs. Als seine Obsession für den Blues zunahm, entwickelte er einen Lebensstil, den viele der Musiker kannten, die fünfzig Jahre zuvor das Genre in Mississippi ins Leben riefen. Er wurde ein Nomade, übernachtete mal hier, mal dort, war ständig unterwegs.

Brian hatte die Freundschaft zu Phil Crowther aufrechterhalten, und als dieser im Sommer die Schule verließ, verbrachten die beiden Stunden über Stunden mit dem Arbeiten an Songs. Sie durften dafür das Zeitungs-Lagerhaus von Phils Dad benutzen. Phil war eher ein Rock ’n’ Roll-Fan, wohingegen Brian, in vielerlei Hinsicht ein Dogmatiker, es genoss, sich zwischen den Genres zu bewegen. Er hörte sich Stücke von Eddie Cochran, Little Richard, King Curtis und Duane Eddy heraus, aber eben auch die üblichen Jazz-Nummern. Als sich Phil mit einem ehemaligen Skiffle-spielenden Mitglied der Jugendorganisation Boys Brigade zusammenschloss, entstanden die Ramrods. Brian machte einfach mit. Die Gruppe hatte schon einen Gitarristen, und auch Phil spielte das Instrument. Somit versuchte sich Brian als Saxofonist (er besaß ein Altsaxofon). Er machte den Musikern klar, dass die Band nicht sein Hauptanliegen war, doch er bemühte sich nach Kräften. „Er wusste, was er tat“, kommentiert Drummer Buck Jones, „da besteht kein Zweifel.“ Barry Miles, zu der Zeit an der Kunsthochschule, erinnert sich an Brians schmalzigen Stil, vergleichbar mit einem King Curtis in seiner Rock ’n’ Roll-Phase oder einem Earl Bostic. Er hatte sich alles „selbst beigebracht“.

Brian beeindruckte die anderen Musiker, vor allem, weil das Saxofon für ihn nur ein Nebeninstrument war. Sie hatten ihn schon gelegentlich als einen in sein Spiel versunkenen Gitarristen mit Bill Nile im Keller des Filbys gesehen und wussten von Jazz-Gigs, die er mit Harry Brampton in Bath absolvierte, Letzterer auch ein ehemaliger Schüler der Grammar. Während Brians kurzem Zwischenaufenthalt in Cheltenham pflegte Phil (der 1964 aus nicht bekannten Ursachen in seinen Flitterwochen erstickte) eine innige Freundschaft mit ihm. Nach Angaben von Buck Jones verhielt sich Brian entspannt und unterstützend. Der Bassist Graham Stodart erinnert sich jedoch an einen ausgeprägten Perfektionismus, der oft in Frustration mündete. „Wir alle mochten ihn. Er war ein brillanter Musiker, zielte jedoch auf absolute Perfektion ab. Wenn nicht alles reibungslos lief, zeigte sich seine dunkle Seite. Wir erlebten es nicht oft, aber er konnte schon ein wenig launisch werden, wenn nicht alles so lief, wie er es sich vorstellte.“ Ein böser Blick, die gelegentliche Verstimmung, wenn man in einer Sackgasse steckte – das alles sollte sich später wiederholen. 1960 lösten sich solche Stimmungen jedoch schnell wieder auf.

Harry Brampton traf Brian zufällig in Sid Tongs Plattenladen, wo er Ende 1960 jobbte. Der Klarinettist überzeugte ihn, bei einer Reihe von Shows an Mittwochabenden in einem Pub in Bath mitzumachen. Sie traten vier oder fünf Monate als Quintett auf. Das Material war leicht – „der übliche Jazz-Kram, ‚Just A Closer Walk With Thee‘, ‚Royal Garden Blues‘, all diese Stücke“. Trotz der kurzen Vorbereitungszeit zeigte sich Brian unbeeindruckt. „Er war ein selbstbewusster Kerl“, erzählt Brampton. „Als Musiker gerät man in solchen Situationen häufig an irgendwelche steifen Typen, die nur auf Kohle aus sind, doch mit ihm war es immer angenehm.“ Regelmäßige Auftritte mit den Ramrods, die Shows in Bath und zusätzliche Sessions mit lokalen Bands oder Gruppen auf der Durchreise brachten dem zukünftigen Stone laut Brampton den Ruf eines „ernsthaften Musikers“ ein.

In der Musik bündelte Brian all die Energie, die ihm auf der Suche nach einer konventionellen Beschäftigung fehlte. Zu Hause stand die Beziehung zu den Eltern Lewis und Louisa kurz vor dem Aus, doch hinsichtlich anderer Lebensaspekte lässt sich die Phase als eine glückliche Zeit beschreiben. Abgenabelt von den „Normalos“ seines Schullebens hatte er einen großen Freundeskreis, der sich regelmäßig im Kino oder beim Barbecue am Kemton Hill traf. Im September machte einer seiner Musikerkollegen die Bekanntschaft eines fünfzehnjährigen Mädchens namens Pat Andrews, der er von seinem Freund erzählte, welcher nach Aufenthalten in Deutschland und in London den Kontakt zur Cheltenham-Szene verloren hatte. Wenige Tage später tauchte Pat zu einem Blind Date in der Aztec Coffee Bar an der Hauptstraße auf. In einer Nische hinter Chianti-Flaschen und Tassen entdeckte sie einen atemberaubenden „Engel“ mit goldenem Haar. „Ich bekam kein Wort heraus. Mir hatte es sprichwörtlich die Sprache verschlagen. Da war dieses Licht, das von ich weiß nicht woher kam … Ich erinnere mich nicht mehr daran, was er sagte. Ich starrte nur auf das blonde, engelhafte Haar. Wir verabredeten uns zu einem weiteren Treffen und gingen dann oft spazieren.“

In den ersten Wochen, die die beiden mit langen Spaziergängen in den Hügeln um Cheltenham verbrachten, mit Besuchen der Cafés und sogar Treffen an den Bahngleisen, wuchs Pats Faszination gegenüber dem jungen Mann, der mit einem immensen Charme und einer bezaubernden Vorstellungskraft gesegnet war. „Er erzählte alle möglichen Geschichten, konnte witzig sein, mich mit Kartenspielen begeistern und mit Zaubertricks. Und wenn ich so da saß und ihm beim Spielen zuhörte, eröffnete es mir eine andere Welt, brachte es mich auf eine andere Sinnesebene.“

Zu Beginn entsprach Brians Verhalten dem engelhaften Image und Pat war eindeutig vernarrt in ihn. Allerdings fielen ihr auch unangenehme Charakterzüge auf. „Ich ging monatelang mit einem Jungen aus Deutschland aus, der dann nach Stuttgart zurückkehrte. Er schrieb mir viele Briefe. Eines Abends im Aztec fragte mich Brian: ‚Hast du Zigaretten dabei?‘ Ich hatte die Briefe natürlich vergessen und schaute in meine Handtasche. Brian riss sie raus, sah die Fotos [des Jungen], rastete aus und schnappte sich die ganze Tasche. Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen und schrie: ‚Die gehören mir, zerreiß sie nicht!‘ Wir gingen erst eine Woche miteinander, und ich dachte mir: ‚Verdammt noch mal, der ist aber wirklich eifersüchtig.‘“

Es gab glückliche Tage, die die beiden mit sorglosen Spaziergängen und Herumalbern verbrachten. Doch es spielten sich auch Dramen mit dunklen Untertönen ab. An einem Mittwochnachmittag half Pat Brian bei der Garderobe, da sie später eine Jazznacht im Rotunda besuchen wollten. Pat hatte seine Eltern schon einige Male getroffen, empfand Lewis als höflich, jedoch reserviert, war aber überzeugt, dass Louisa auf sie herabsah. Sie stand im Vorderzimmer der Familie Jones und bügelte Brians Hemd. Plötzlich kam Louisa durch die Tür. „Sie verlor die Fassung“, erinnert sich Pat. „Ich glaube, sie regte sich darüber auf, dass ich sein Hemd bügelte, was Intimität bedeutete … Sie zeigte sich hochgradig verärgert. Dann lief alles sehr schnell ab. Brians Gitarre lag auf einem Sessel und sie wollte sie sich schnappen.“ Brian schoss hoch und stellte sich schützend vor das Instrument. Seine Mutter schrie ihn an. Dann verpasste er ihr einen Schlag ins Gesicht.

Heute, im Gespräch in einem Café in Crystal Palace, will Pat den Zwischenfall klarstellen. „Es war kein heftiger Schlag, eher ein Klaps, um ihren hysterischen Anfall zu beenden, was auch funktionierte.“ Brians Ex-Freundin ist darauf bedacht, dass „niemand streng über ihn richten sollte“. Damals fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, dass in der Familie Jones so manches nicht glatt lief. In den folgenden Monaten vertraute sich Brian Pat an und verriet ihr, was unmittelbar nach dem Tod seiner Schwester geschah: „Brians Mum drohte ihm als Kind. Wenn er sich nicht anständig benähme, würde er weggeschickt – wie seine [verstorbene] Schwester“, berichtet Pat.

Im Dezember 1960, wenige Monate nach dem Zwischenfall mit Brians Mutter, zeigten sich eindeutige Trennungslinien, da Lewis, Louisa und Barbara über Weihnachten verreisten und Brians Reisetaschen einfach in der Einfahrt stehen ließen. Lange bevor Andrew Oldham das Image der Stones als Ikonen der gegengesellschaftlichen Aggressivität kreierte, hatte Brian Jones schon endgültig die Grenzen der anständigen und karrierebewussten Mittelschicht hinter sich gelassen.

Enge Freunde und Bekannte von Brian beobachteten oft, dass er nach der Zerstörung einer Beziehung mit Ignoranz reagierte oder wenig überzeugende Entschuldigungen vorbrachte. Das geschah aber nicht nach dem fundamentalen und prägenden Zerwürfnis mit den Eltern. Es gab keinen Weg zurück: Die Ablehnung durch die Eltern ließ ihn erstarren. Er erzählte so gut wie niemandem etwas über das Geschehene. Stattdessen leitete er all die Energie, die er zuvor in der Beziehung zu seinen verständnislosen Erzeugern vergeudet hatte, direkt in die Musik. Als Brian der puritanischen Gesellschaft den Rücken kehrte, unterstützten ihn zwei Wegbegleiter: Dick Hattrell, der Sohn eines erfolgreichen Rechtsanwalts aus Tewkesbury, und John Keen, der Schulfreund, dessen Eltern eine enge Freundschaft mit Lewis und Louisa geknüpft hatten.

Dick gehörte zu den Stammgästen des Filbys und sah Brian bei Jazzshows in der Bishop’s Cleeve Village Hall und dem Waikiki am Queen’s Circus (auch unter den Namen Barbecue bekannt). Eines Abends sprach er ihn im Rotunda an. Brian veränderte sich schnell zu der Zeit: „Die Jazzszene nervte ihn ständig“, verrät Dick. „Er wusste, dass ich das Jazz Journal las, und so fragte er mich am ersten Abend: ‚Kannst du mir eine komplette Diskografie von Muddy Waters aufschreiben?‘ In der darauf folgenden Woche überreichte ich ihm eine Auflistung aller Aufnahmen, die Muddy Waters für diverse Label eingespielt hatte – also nicht nur Chess –, und er freute sich total. Das ging so weiter: ‚Kannst du mir einige Informationen über Elmore James ausgraben?‘ Ich meinte, dass es kein Problem sei, und so lief es dann weiter.“

Dick steckte voller Enthusiasmus und war ein aufgekratzter Teenager, vergleichbar mit einem jungen, quirligen Welpen. Obwohl sechs Jahre älter als Brian, blieb er doch in der Beziehung immer der „Jüngere“, was teils daran lag, dass er kein Instrument spielte, teils an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit und der Gutmütigkeit, mit der er Brians Launen ertrug. Dicks Vater zählte zu den gesellschaftlichen Säulen des Establishments von Tewksbury. Als Informationen über die Partyfreuden seines Sohnes und die Liebe zum Jazz in diese Kreise durchsickerten, überreichte ihm sein Dad – höflich, aber bestimmt – den „Marschbefehl“. Das geschah ungefähr zu der Zeit, als Brian in der vorläufigen Bleibe, einem Zimmer im Haus von Pat Andrews’ Bruder, den Bogen überspannt hatte. Brian fand daraufhin eine Wohnung im Selkirk House, einem beeindruckenden, mit Stuck verzierten Gebäude an der Prestbury Road 73, und überredete Dick, sich die geräumige Bleibe mit ihm zu teilen. Die beiden führten einen Lebensstil, der Brians musikalischen Helden nicht fremd gewesen wäre. „Wir hatten ein tolles Leben“, schwärmt Dick. „Wir kamen über die Runden, indem wir die Räume für Partys vermieteten, wie in den Zeiten des alten New Orleans. Wenn traditionelle Jazzbands in Cheltenham auftraten, luden wir sie zu ein paar Bier ein und ermunterten sie, sich so richtig gehen zu lassen. Wir kauften ’ne Menge Bier, animierten die Musiker dazu, in der Wohnung zu spielen, und kassierten dann an der Tür Eintrittsgeld, das allerdings für die Miete drauf ging. Tags darauf brachten wir die leeren Flaschen zurück und kassierten das Pfand. Wir verbrachten eine tolle Zeit miteinander.“

Die beiden standen für gewöhnlich mittags auf, schlenderten in die Stadt, meist zum Barbecue, in dem am Abend Jazzshows stattfanden. Meist war es Brian, der zu den Shows ging und Musiker wie Eric Allendale und viele andere überredete, nach dem Gig noch zu der Wohnung zu kommen. Er überzeugte sie mit unglaublichen Charme und seinem fokussierten Stil. Aber auch die Desillusionierung, mit der sich viele Teenager konfrontiert sahen, spielte bei ihrem Lebensstil eine Rolle, wenn auch nur eine unbedeutende: „Es ging viel tiefer. Er wollte ein guter Musiker werden und befand sich auf einer musikalischen Reise.“

Brian hatte der Gesellschaft von Cheltenham den Rücken zugekehrt – und umgekehrt. Doch die Geschehnisse wirkten sich auf seinen Werdegang als Musiker aus. In jenen Monaten, die er mit dem Üben auf der Höfner Archtop mit länglich-schmalen F-Löchern verbrachte, überflügelte er die meisten seiner Zeitgenossen bei Weitem.

Aller Wahrscheinlichkeit nach traf Brian John Keen am Montag, dem 18. April 1960, im Filbys, als dessen Gruppe in dem Keller spielte. Wie auch Dick war Keen einige Jahre älter als Brian. Erst kürzlich von der Handelsmarine zurückgekehrt, hatte er sich auf lokaler Ebene einen Namen gemacht, da er Bill Nile’s Delta Jazzmen weiter führte, während Bill den Wehrdienst ableistete. Der freundliche und selbstironische Keen – obwohl ihm in Cheltenham und der Londoner 100-Club-Szene der Ruf eines schwierigen Menschen voraus eilte – ist der wertvollste Zeitzeuge und Beobachter von Brians Frühphase. Er stammt aus einem ähnlichen gesellschaftlichen Hintergrund, und seine spätere zweite Karriere als Pädagogischer Psychologe erlaubt ihm einen wichtigen Einblick in die Interaktionen und die Dynamik von Rock ’n’ Roll-Bands. Keen mag wohl schon eine längere Zeit auf diesem Planeten verbracht und mehr erlebt haben, als sich die beiden zusammenschlossen, doch er beharrt darauf, dass „Brian uns um Längen voraus war. Er war musikalisch fähig und kompetent, unglaublich beeindruckend auf der Gitarre. Seine Akkordarbeit – die kapierten wir gar nicht! Meine Fähigkeiten lagen eindeutig unter Brians Niveau.“

Die beiden arbeiteten fast das ganze Jahr 1961 zusammen, wobei Keen im Kontrast zu Dick und Brians späterem Mitbewohner Graham Ride eine andere Seite des Gitarristen kennenlernte. Sie alle erlebten Brians Launen, doch bei Keen gab sich der 19-jährige seriöser. Natürlich kam der Spaß nie zu kurz – der beinahe schon telepathische Humor, den man in einer kleinen Band entwickelt, nicht zu vergessen die ständigen Eroberungsversuche –, doch was die Musik anbelangte, war Brian ernst und zielstrebig. „Er wusste genau, was er wollte. Er war ambitioniert und fühlte sich in Cheltenham wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die geschäftliche Seite des Ganzen interessierte ihn nicht, und so übernahm ich die Verhandlungen. Brians Hauptinteresse lag in der Musik – und wenn es nicht gut genug klang, sagte er das unverhohlen. Obwohl er drei oder vier Jahre jünger war, übernahm er oftmals die Rolle des Bandleaders. Heute erkenne ich die Zusammenhänge, doch damals wurde mir das nicht klar.“

Keen, wie auch Graham Ride, war 1961 Brians engster Musikerkollege, obwohl er sich auch unabhängig bei anderen Auftritten sehen ließ und gegen Ende des Jahres Kontakte zu einem neuen Bekanntenkreis in Oxford knüpfte, der sich für Jazz interessierte und bei der Kampagne gegen nukleare Aufrüstung engagierte. In der Ära war Oxford für viele Teenager aus Cheltenham ein beliebtes Ziel. Mit einigen spontan ausgewählten Musikern und schon kurz darauf mit Graham Ride am Saxofon traten sie unter dem Namen John Keen’s Jazz Band oder Brian Jones Blues Band auf, abhängig davon, wer gerade den Gig an Land gezogen hatte. Ihre Setlist enthielt Klassiker wie den „Tin Roof Blues“, den „St. Louis March“, „Memphis Blues“ und „Careless Love“, alles Nummern, die beim Publikum im Filbys gut ankamen. Die Gruppe gastierte in kleinen Dorf-Pubs in der Region Cotswolds wie dem Royal George in Birdlip und dem Bear Pools in Stroud, bei Haus-Partys in Evesham oder sogar in Cheltenhams Barbecue. Für größere Auftritte wie zum Beispiel in der Stadthalle als Vorgruppe für Acker Bilk formierte Keen ein Sextett mit einem Banjo-Spieler, und Brian blieb zu Hause. „Banjos sind nicht mehr in“, meinte er zu Keen. „Eine Gruppe mit einem Banjo-Spieler hat keinen Swing.“

Brian langweilte die puristische Jazz-Bewegung schon lange. Stattdessen nahm er sich Freddie Green, den Gitarristen in Count Basies Band, zur Brust. „Hör dir den Typen mal an“, versuchte er Keen zu überzeugen, „wie seine Akkordarbeit die ganze Band zum Swingen bringt!“ Von Green inspiriert, setzte sich Brian intensiv mit den komplizierten Feinheiten des Gitarrenspiels in einer Bigband auseinander. „Er differenzierte nicht zwischen traditionellem Jazz, Mainstream Jazz, Modern Jazz und Blues“, erzählt Keen. „Er bediente sich aller Stile, wobei der Blues sich als sein Hauptinteresse herausstellte.“ Obwohl der Rock ’n’ Roll in den USA und in Großbritannien zu einer Selbstparodie verkommen war, zeigte sich Brian immer noch von Elvis, Little Richard und Chuck Berry begeistert und brachte darüber hinaus anderen Gitarristen Chuck-Berry-Licks bei. Er hörte auch die Musik von Charlie Christian, Benny Goodmans visionärem Gitarristen. „Damals gab es einen Wissensschatz, auf den man nicht zugreifen konnte“, führt Keen weiter aus. „Darüber stand nichts in Büchern. Wie hätten wir etwas darüber erfahren können? Doch Brian hatte die Finger einfach überall drin.“

Obwohl er sich häufig in Begleitung von Dick Hattrell oder John Keen zeigte, hatte Brian auch das Selbstvertrauen, bei einem Konzert in der Stadthalle oder in einem Club über den Schwimmbädern aufzutauchen. Dort überredete er ältere und erfahrenere Musiker, ihn auf die Bühne zu lassen. Nach einem Abend in der Stadthalle saß Bandleader Kenny Ball mit Brian zusammen und sprudelte beinahe über vor Lob: „Du bist so jung – wie hast du gelernt, so zu spielen?“ Keen, der an dem Abend ebenfalls anwesend war, saß da und unterbrach den Leader nicht. Er war vollkommen zufrieden damit, dass dessen Lob auch auf ihn abstrahlte. Ein ähnliches Ereignis ergab sich mit Alex Welshs Band in der St. Luke’s Hall, wo Brian während mehrerer Songs einen kräftigen und treibenden Rhythmus ablieferte, worauf ihm die älteren Musiker anerkennende Blicke zuwarfen. „Die wussten das zu schätzen“, meint Keen. „Ein so junger Bursche, und dann noch in der Provinz – die zeigten sich ganz offen verblüfft.“

Keen nimmt an, dass Brian 1961 „gut über einhundert“ Gigs und Gastauftritte hinlegte, darunter einige Dutzend Shows mit der eigenen Gruppe. Rechnet man noch die Stippvisiten bei Bill Nile dazu, Auftritte mit den Barn Owls und ganz frühe und eher unbedeutende Einsätze im Keller vom Filbys, steht eine Tatsache außer Frage: Der junge Gitarrist häufte viel schneller als seine Zeitgenossen einen unübertrefflichen Erfahrungsschatz an.

Seine rasante und obsessive Suche nach neuer Musik intensivierte sich ab Sommer des Jahres, als sein neuer Mitbewohner Graham Ride in der Szene aufschlug. Graham hatte die Musik von Leadbelly schon einige Jahre zuvor entdeckt und kannte den Chicago Blues durch die Pionierarbeit eines Chris Barber. Barber war 1959 zur South Side in Chicago gereist und vermittelte danach innovative Musiker wie Muddy Waters und Sister Rosetta Tharpe nach Großbritannien, direkt vor den Augen der britischen Musikergewerkschaft, die alles versuchte, um „fremde“ Künstler fernzuhalten. Graham war von Liverpool aus nach Cheltenham gezogen und spielte in einer Lokalband Klarinette, als er im Mai Dick und Brian kennenlernte. Während des ersten gemeinsamen Nachmittags hörte sich Graham die musikalischen Schwärmereien der beiden an und den Streit, wer denn nun wieder das Essen aus dem Kühlschrank gestohlen hatte – halt ein typischer Tag im Selkirk House. Später im Sommer bezog Graham die Wohnung und brachte eine EMI/Vee Jay-Compilation mit dem Titel The Blues mit. Darauf befanden sich Songs von Elmore James und Jimmy Reed, die beide wichtige Eckpfeiler in Brians kleiner Welt werden sollten. Aus Graham und Brian wurden gute Kumpel. Graham trat im Gegensatz zu dem locker-lässigen Dick energischer auf. Ihm konnten Brians Launen kaum etwas anhaben. Allerdings fielen ihm schon von Anfang an die Spannungen auf, die der junge Gitarrist provozierte. Das war auch nicht schwer. In dem Sommer trafen sie Brians Schwester Barbara auf der Promenade: Die 15-Jährige, die ihrem Bruder ein wenig ähnelte, wirkte ängstlich, als hätte man ihr ein Gespräch mit ihm verboten. Nach einem kurzen Wortwechsel ließ sie die beiden einfach stehen. Brian erzählte Graham oder John Keen nie etwas über Lewis und Louisa, obwohl die Eltern des Letzteren die Jones’ gut kannten: „Falls das Thema aufkam, vermied er jedes Gespräch. Man hatte schnell den Eindruck, als wolle er ihrem Einfluss entkommen, egal wie.“ Pat Andrews, die den Großteil des Sommers mit Brian verbrachte, glaubt, dass seine Entfremdung nie zu einem Abschluss kam, dass sie sich weiterhin auswirkte und einen schweren psychologischen Schaden verursachte. „Er wollte eigentlich nur, dass sie ihn einmal lobten. Er wollte nur das, bekam es aber nie.“

Graham war sich der Fehler von Brian bewusst, mochte ihn aber trotz der Defizite: Brian war klug, belesen und enthusiastisch. Seine Fähigkeit zu manipulieren wirkte sich „nie bei mir aus. Ich glaube nicht, dass er bei mir eine Charme-Offensive startete. Klar, er schwatze mir indirekt Geld ab, da ich für Zigaretten und Drinks zahlte. Doch das ist ja eigentlich ganz normal, gehört zum Erwachsenwerden. Du wohnst nicht mehr zu Hause und Freunde sind dann sehr wichtig.“

Tatsächlich gefiel Graham die leicht chaotische Grundstimmung. Er und Brian konnten sich über die Begegnungen, die das Leben des zukünftigen Stone bestimmten, schlapp lachen. Im Mai oder Juni vertraute er sich Graham und Dick an, verriet ihnen, dass seine Freundin Pat schwanger war. Den Rest des Sommers verhielt sich Brian nach Dicks Aussage vorbildlich – „er blieb Pat treu“ –, doch ohne dafür Anerkennung zu erlangen. Einige Zeit später schlenderten er und Graham die Promenade auf dem Weg zum Waikiki entlang, als Brian plötzlich fluchte. Pat Andrews’ Mutter und ihre Schwester hatten ihn gesehen. Die Mutter marschierte auf ihn zu, ließ eine Tirade unflätiger Bemerkungen vom Stapel und prügelte mit ihrem Schirm auf Brian ein. Auch Graham musste sich ducken, um den Schlägen auszuweichen, die jetzt auf ihn niedergingen. Brian nutzte die sich ihm dadurch bietende Chance und rannte lachend in einem Höllentempo davon, während Graham das Rückzugsgefecht einleitete.

Graham, John und Dick erlebten Brians ungeordnetes Leben; immer stand er am Rand der Pleite. Ständig schnorrte er Geld. Viele Stammgäste der Cafés von Cheltenham sahen sich plötzlich von Brian in eine Ecke gedrängt, wie gebannt von seinem jungenhaften, entschuldigenden Lächeln und fühlten sich genötigt, ihm einige Schilling für eine Tasse Tee oder ein Sandwich zu spendieren. Doch für die drei jungen Männer, mit denen er musikalisch arbeitete, überwog seine Leidenschaft für die Musik diesen störenden Charakterzug.

Im Herbst 1961 wurde aus den Obsessionen, die sein Leben bestimmten, ein musikalisches Manifest. Er hatte schon viel Blues gehört, doch der Sound von Jimmy Reed und Elmore James, nicht zu vergessen die gerade entdeckten Muddy-Waters-Alben, entwickelten eine geradezu magnetische Anziehungskraft. Es ist den Stones zu verdanken, dass man diese Giganten des elektrischen Blues begeistert feierte und ihr Einfluss die Sechziger- und Siebzigerjahre durchdringen sollte. Doch 1961 galten sie noch als mysteriöse Figuren. Wollte man an Informationen über ihr Leben und ihre Veröffentlichungen gelangen, musste man sie sich in mühevoller Kleinarbeit aus verschiedenen Quellen beschaffen.

Zuerst faszinierte Brian die Musik von Elmore James, der für einen schillernden, glänzenden und aufwühlenden E-Gitarren-Sound stand, nicht zu vergleichen mit allem, was er bislang gehört hatte. Er spielte unentwegt „Coming Home“ von Graham Rides Vee-Jay-Compilation und entdeckte dabei, dass James einen metallischen Gegenstand oder einen Flaschenhals benutzte, um über die Saiten zu gleiten, wobei er die Gitarre in „Open D“ stimmte. [Bei den sogenannten „Open Tunings“ werden meist mehrere Saiten im Gegensatz zur Standardstimmung tiefer oder höher gestimmt. Dadurch ergibt sich eine bestimmte Harmonik, die für das Slide-Gitarre-Spiel notwendig ist., A.T.] Brian begann mit einem Stahlröhrchen und dem Mundstück eines Blechblasinstruments zu experimentieren, die er auf einem Müllplatz in Cheltenham gefunden hatte, fand aber später heraus, dass sich ein abgebrochener Flaschenhals besser eignete. Erst mal die Gitarren-Stimmung entdeckt, richtete er seine Konzentration auf den Sound. „Ich weiß wirklich nicht, wie er das anstellte, doch irgendwie verwandelte er eine Bandmaschine in einen Verstärker“, spekuliert Dick Hattrell. „Er steckte das Kabel der Gitarre da rein, eine Akustikgitarre mit einem DeArmond-Tonabnehmer, und kopierte den Stil von Elmore James so gut er konnte. Hätte man nicht gewusst, dass es Brian war, hätte jeder geglaubt, es liefe eine Platte von Elmore James.“

Gegen Ende des Jahres 1961 putschte Brian das Publikum mit dem neuen Sound auf. Der erste Gig fand vermutlich in einem Dorf-Pub am Rande von Gloucester statt, in Birdlip oder Painswick. Mit einem Vox-AC15-Verstärker – er hatte John Keen dazu überredet, ihm den Amp per Ratenkauf zu beschaffen – startete Brian eine neue Ära der Musikgeschichte. In ganz Großbritannien fand man keinen anderen E-Gitarren-Slide-Gitarristen – und möglicherweise noch nicht mal unter den weißen Musikern in den USA (es dauerte noch etwas, bis sich Elvin Bishop in den Chicagoer Clubs blicken ließ). Brians Einsatz der verstärkten Bluesgitarre fand innerhalb weniger Wochen nach Chris Barbers ersten Gehversuchen im elektrischen Blues statt, wofür dieser Alexis Korner rekrutierte. Barber hatte eine wichtige Rolle bei der Popularisierung des Blues gespielt, doch Brian nutzte die Steilvorlage und überführte die Musik in bisher unbekannte Dimensionen. Abgesehen von John Lennon und Paul McCartney gab es in Großbritannien nur wenige, die daran arbeiteten, unterschiedliche Fäden zu einem kohärenten Ganzen zu verknüpfen.

Ein weiterer Eckpfeiler der Musik von Brian Jones entstand 1961, als er das Album King Of The Delta Blues Singers von Robert Johnson mit nach Haus brachte. Die Platte mit 16 Tracks – zusammengestellt vom „Musikologen“ Frank Driggs – wurde eines der Schlüssel-Artefakte des britischen Blues, von Keith Richards mit fast schon mystischen Tönen gelobt, der Brians Scheibe in der Edith Grove hörte (wo sich beide eine Wohnung teilten). Im Selkirk House spielte Brian die Platte rauf und runter. Nach der Lektüre der Artikel von Paul Oliver in der Jazz Monthly, einem Pionier der Erforschung des frühen Blues, kaufte er sich kurz nach Veröffentlichung eine Ausgabe von dessen beeindruckendem Standardwerk Blues Fell This Morning. „Er spielte nicht nur das Zeug“, meint Keen. „Er las auch darüber. Es war faszinierend.“

Johnsons Musik entfaltete sich zum Leitmotiv von Brians Leben. Die kurze Lebensdauer des Bluesman umgaben Mythen, und sie schien dunkle Energie zu verbreiten. Johnson war der Mann, der ihm bekannten Musikern wie zum Beispiel Son House erzählte, dass er seine geradezu teuflischen Gitarrenfähigkeiten an den „Crossroads“ erlernt hatte, einer nicht näher bezeichneten Straßenkreuzung in den Tiefen Mississippis. Dort traf er einen „Schwarzen Mann“, der seine Gitarre nahm und sie neu stimmte. Der „Schwarze Mann“ war, wie einige Gelehrte vermuten, eine Repräsentation des alten afrikanischen Gottes Elegua oder Legba – einer Manifestation des Teufels. Für Brian, der den Wert von Olivers bahnbrechender Recherche unmittelbar erkannte, stellte das eine durchschlagende Geschichte dar.

Doch der Crossroads-Mythos entbehrt nicht jeglicher Grundlage. Robert Johnson hatte die Geschichte zweifellos aufgepeppt, um Musikerkollegen zu beeindrucken und gottesfürchtige Christen zu schockieren. Sein Freund Honeyboy Edwards hörte Johnsons Erzählung und rückte sie mit den Worten zurecht: „Robert war ein totaler Aufschneider.“ Allerdings bekamen auch Honeyboy und andere die Präsenz des Teufels in Mississippi der Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts zu spüren, jedoch in einer speziellen Ausprägung. Ein schwarzer Mann, der die Straßen mit einer Gitarre bereiste, wurde oft zum Opfer eines unverzüglichen Gefängnisaufenthalts, und es konnte sogar noch schlimmer kommen: Musiker, die vor dem weißen Mann nicht mit einem untertänigen „Yes, Sir – No, Sir“ krochen, starrten allzu häufig in die Mündung des Colts eines Gesetzeshüters. Viele von ihnen wurden von ihren Familien geächtet, da sie sich für den Blues entschieden, also die Teufelsmusik, und nicht für den gottgefälligen Gospel. Brian war ein Pionier, vermutlich der erste britische Musiker, der sich Johnsons Mythos und seiner Story bediente. Zum Vergleich: Während Brian in die dunkle Welt des Robert Johnson eintauchte und per Anhalter den Südwesten Großbritanniens auf der Suche nach einem Musiker durchquerte, der sich mit ihm die Bühne teilte, sang Mick Jagger im Wohnzimmer in Dartford Buddy-Holly-Songs, um ein Publikum von Muttis zu bezaubern.

In späteren Jahren war es für die Brian überlebenden Musiker der Stones, wie beispielsweise Charlie Watts, wichtig, ihn auf eine eklige Art als Mittelschichtjunge aus Cheltenham herabzuwürdigen: „Er war ein angeberischer kleiner Bengel und stammte aus Cheltenham. Sagt das nicht schon alles?“ Einige Kritikpunkte waren berechtigt, andere glichen einem konfuzianischen Dilemma: Wir hassen einen Mann, der uns einen Gefallen erwiesen hat. Brian Jones war nicht nur die musikalische Inspiration der Rolling Stones, sondern zugleich Symbol ihrer schwarzen Magie. Er war der Stone, den etwas Dunkles umgab. Auch andere Aspekte seiner Persönlichkeit, wie die Sexualität, muteten verhängnisvoll an. Barry Miles erinnert sich, dass es in dem respektablen und höflichen Cheltenham einen Buchhändler gab, der seine Kunden mit den Werken von Marquis de Sade versorgte – Werke, die während der Ära der auch von Brian inspirierten Gegengesellschaft der Sechziger verschlungen wurden, die aber 1961 mehr als exotisch wirkten. „Brian kannte de Sade“, bestätigt Miles, „ich glaube, sogar schon in Cheltenham.“

Cheltenham … das angeblich vornehme Provinzstädtchen entpuppte sich als Zentrum einer Reihe verruchter Aktivitäten. Aufgrund der Rolle als Basis des traditionellen Jazz fungierte Cheltenham zudem als Gaststadt für eine revolutionäre Blues-Performance, als Chris Barber, der bei einigen Gigs 1959 mit Muddy Waters auftrat, sich mit der Hilfe von Alexis Korner am elektrischen Blues versuchte. Korner lässt sich als eine faszinierende Persönlichkeit beschreiben und wurde zu einer der Schlüsselfiguren in Brians Leben. Der Mann, der auf australische, jüdische und griechische Vorfahren zurückblicken konnte, ergatterte 1947 mit viel Glück einen Job beim British Forces Network und entdeckte wenige Jahre später den Blues durch Leadbelly. Innerhalb eines Jahres spielte er Gitarre in einer traditionellen Jazzband, der auch Barber angehörte. Barber hatte seine Hinwendung zu Jazz und Blues dank einer weggeworfenen Biografie des Jazz-Klarinettisten und Drogenkonsumenten Mez Mezzrow begonnen, die er auf einem Müllplatz der US-Air-Force gefunden hatte. Die beiden schlossen sich 1961 erneut zusammen und sollten retrospektiv als die wichtigsten britischen Verfechter des Blues gelten, trotz ihrer allgemein unvereinbaren Persönlichkeiten. „Chris leitete eine Jazzband, wohingegen Alexis den traditionellen Jazz nun wirklich nicht mochte“, erinnert sich Korners Frau Bobbie. „Chris zeichnete sich als erstklassiger Geschäftsmann aus, Alexis als ein fürchterlicher. Die beiden ähnelten sich überhaupt nicht.“

Trotz aller Unterschiede erwiesen sich Barber und Korner als ausschlaggebende Katalysatoren. Brian hatte Korners Aktivitäten mit beinahe schon religiösem Eifer auf den Seiten des Jazz Journal verfolgt. Als Barber und seine Band ein Konzert in der Stadthalle von Cheltenham für den 10. Oktober 1961 ankündigten, stand Brian in den Startlöchern. Hier lag seine Chance, zum Herzen der sich noch im Embryonalstadium befindenden Blues-Szene Großbritanniens vorzudringen.

Brian sicherte sich Dick Hattrell und John Keen zur moralischen Unterstützung. Dann sagte Barber den Programmteil an, bei dem Korner im Vordergrund stand. „Brian und ich schrien uns die Lunge aus dem Hals!“, meint Dick. „Ich glaube, wir waren die einzigen dort, die je etwas von ihm gehört hatten.“

Brian konnte problemlos zum Backstage-Bereich gelangen, wo er direkt den Chef vom Dienst, Barber, ansprach. Die beiden plauderten über gemeinsame Bekannte, erzählt Barber und bezieht sich damit vermutlich auf Bill Nile. „Er wusste eine Menge über das Geschäft, wusste genau, was er tat. Meiner Meinung nach war er ein sehr netter Junge. Sehr ernst, was die Musik anbelangte. Doch ich überließ Alexis das Gespräch mit ihm, da er ja der Bluesman war.“

Die drei Freunde schleppten Korner ins Patio, einen von Brians Lieblingsclubs. „Dort erzählte uns Alex, dass er eine neue Band aufbaut, um die Musik von Muddy Waters zu spielen“, erklärt Dick. „Und dass sie in einem neuen Club ihren Einstand geben wollten. Die Antwort war klar: ‚Wir werden da sein.‘“ Bei diesem Gespräch erzählte Brian von seiner Absicht, nach London zu ziehen, um Blues zu spielen. Korners Reaktion war sehr aufschlussreich. Wie John Keen mitteilt, hielt der Vater des britischen Blues Brians Plan für regelrechten Schwachsinn. „Er sagte zu Brian: ‚Geh bloß nicht nach London! Das ist nicht gut, dort wirst du es nie schaffen. Da ist alles viel zu kommerziell – dieser Blues-Stil wird niemals populär werden.‘ Brian zeigte sich von der Aussage unbeeindruckt. In manchen Belangen war er zuversichtlich und überaus willensstark.“

Trotz der Überzeugung, dass der Blues niemals im Mainstream münden würde, wurde Alexis Korner, damals 33, Brians wichtigster Förderer. Chris Barber und sein Manager Harold agierten gemeinsam wie eine gut geölte Geschäftsmaschine, die bedeutende Veranstaltungsorte wie das Marquee oder Festivals wie das National Jazz and Blues Festival etablierten. Im Gegensatz dazu war Korner eher eine Vaterfigur, ein väterlicher Freund. Das Apartment in der Moscow Road in Bayswater, Westlondon, das er mit seiner Frau Bobbie, selbst ein wichtiger und engagierter früher Blues-Fan, sowie dem Schriftsteller Charles Fox bewohnte, wurde zu einem Künstlertreff, einem Anziehungspunkt für die Bohème. Zu den ersten jüngeren Besuchern in der Moscow Road gehörten Brian Jones und Dick Hattrell.

Korner stand voll und ganz hinter der Musik, die er liebte, und ging damit wie mit einem Besitz um, was zu Auseinandersetzungen mit den vermeintlichen Rivalen Chris Barber und Paul Oliver führte. Jüngere Musiker empfanden die besten Charakterzüge des Musikers als inspirierend. In Brians Leben nahm er immer den Platz einer sympathischen, väterlichen Figur ein. „Alexis war ein netter Kerl, auch in der Art, wie er Brian ernst nahm“, meint Keen. „Einige Menschen hätten einen 19-Jährigen abgeschrieben, der sich zwar durch Leidenschaft und Interesse auszeichnete, aber nicht so richtig wusste, was er da gerade machte. Alexis erkannte Brians absolute Hingabe an die Sache.“

Schon von Anfang an gab sich der zukünftige Stone beharrlich und gewissenhaft in der Beziehung zu Korner. Er und Graham Ride waren erst vor Kurzem in die Bath Road 56 gezogen, in ein kleineres Apartment näher am Stadtzentrum gelegen, da sie sich mit ihrem Vermieter hinsichtlich eines verschwundenen Geldbetrags für die Gaskosten zerstritten hatten. Die beiden hassten die neue Wohnung – zu klein, um sie für Partys zu vermieten –, doch in der Nähe stand ein praktisches Telefonhäuschen, das Brian manipulierte. Indem er eine exakte Zahlenfolge vorwählte, gelang es ihm, Korners Londoner Nummer kostenlos anzurufen. Bald erfuhr er von einem geplanten Auftritt Korners im Oktober in Cheltenham. Erneut ebneten er und Graham sich den Weg zur Garderobe des Gaumonts, wo Brian die schlappe und lustlose Bill-Haley-Show gesehen hatte. Danach gingen die beiden mit Korner sowie Sonny Terry und Brownie McGhee ins Waikiki – zwei Blueser, die das gewerkschaftliche Auftrittsverbot für US-Musiker dadurch umgingen, dass sie sich als „Entertainer“ ausgaben.

Brian war in der Gegenwart von Brownie und Sonny völlig unbefangen. Letzterer hatte ein so schlechtes Sehvermögen, dass Brian und Graham ihm die Speisekarte des Waikiki vorlesen mussten. Sonny entschied sich für Steak and Kidney Pie. Während die Bluesmen aus Mississippi sich das klassisch britische Essen herzlich schmecken ließen, hielt Brian das Gespräch am Laufen. „Er ließ seinen Charme spielen“, erinnert sich Graham. „Darin war er gut, und zugleich kenntnisreich und beredt.“ Es sollte eine weitere Stufe zur Aufnahme in Korners großer Familie sein.

Brian und Dick Hattrell fuhren oft per Anhalter nach London. Die Trips waren strapaziös, trotz der gelegentlichen Freundlichkeit des einen oder anderen LKW-Fahrers, der auf Brians Masche hereinfiel, und das Geld für Eier und Fritten an einem Rastplatz springen ließ. „Mein Gott, wie schrecklich. Das dauerte immer so lange“, meint Dick. „Doch es lohnte sich. In Alexis’ Haus angekommen, beschlich einen schnell das Gefühl, im Anwesen eines Lords zu wohnen.“

Korner erläuterte Brian seine Pläne – wie er eine rein elektrische Blues­band gründen wollte, gemeinsam mit Cyril Davies, dem meist gereizten Mundharmonikaspieler und ehemaligen Arbeitskollegen vom Barrelhouse Blues Club. Cyril, von Haus aus Autoschlosser, ähnelte optisch ein wenig Lyndon B. Johnson, doch war er Großbritanniens erster Meister des „Mississippi Saxofons“ – der durch ein Mikrofon verstärkten Mundharmonika, wie sie auch von Little Walter und James Cotton gespielt wurde. Daraufhin schmiedete Brian eigene Pläne. Mehrere Wochen lang versuchte er Gordon Harper, einen Sänger aus Cheltenham, zu überreden, mit ihm eine elektrische Bluesband aufzuziehen. „Gordon war ein Versicherungsverkäufer mit einer Topffrisur, ein netter Kerl“, meinte der gemeinsame Freund Ken Ames. Harper verbrachte seine Wochenenden mit dem Bluesspiel im Stil von Big Bill Broonzy, was ihm sichtlich Spaß bereitete. Jedoch glaubte er felsenfest an wirtschaftlich schlechte Perspektiven. „Mit einer Bluesband wird man es niemals schaffen“, warnte er Brian. „Das ist nicht kommerziell. Es ist Musik für Spezialisten.“

Diese alte Leier hörte man im Jahr 1961 überall. Brian Jones, der durchgeknallte, verdorbene und böse Junge aus Cheltenham, war der Einzige, der solche Prognosen in Frage stellte. Prognosen, die nicht nur außenstehende Personen aufstellten, sondern auch Insider. Sogar sein neuer Freund Alexis Korner bezog beharrlich diese Position. Brian interpretierte den R’n’B (wie er den Stil bezeichnete) als Populärmusik, die per Zufall von Afroamerikanern gemacht wurde. Korner und sein Kreis mochten die Musik jedoch aus einem besonderen Grund – eben weil sie so unpopulär war. „Wir glaubten immer, dass sie exotisch klang und einen exklusiven Charakter hatte“, erzählt Bobbie Korner. „Vermutlich glaubten wir, uns für etwas zu interessieren, das ein überwiegender Teil der Bevölkerung nie verstände. Dieser Einstellung lag eine gewisse Arroganz zugrunde. Wie verhielten uns wie eine Stammesgruppe.“

Einzig und allein Brian hatte die Vision, dass der raue elektrische Blues der Jugend von Großbritannien gefallen könnte, und nicht nur einem kleinen Kreis von Bohemiens. Er zeigte sich von der Tatsache unbeeindruckt, dass andere das nicht so sahen, und weitete seine Suche nach Seelenverwandten aus. Die Szene in Oxford, zu der er mit einem kleinen Kreis von Unterstützern der „Kampagne für nukleare Abrüstung“ (CND) wie Harry Washbourne und Barry Miles reiste, erschien viel versprechend, besonders als er zufälligerweise dem enthusiastischen Blues-Fan Paul Pond begegnete, der erst kürzlich in die Stadt gezogen war und „meines Wissens die einzige Bluesband in Großbritannien gegründet“ hatte.

Wie auch Brian entdeckte Paul Pond – schon bald als Paul Jones bekannt – den Blues über den Jazz. Er war Feuer und Flamme für den Chicago-Blues-Sound und Mundharmonikaspieler wie Sonny Boy Williamson 1 und 2, James Cotton und Junior Wells. Ähnlich wie Brian musste er bei der Gründung einer Bluesband ein großes Netz auswerfen: „Ich hatte zwei Abtrünnige einer traditionellen Gruppe am Bass und an den Drums, einen vom Mainstream-Kram kommenden Frühen-Modern-Jazz-Gitarristen … und einen Saxer, der durch und durch dem Modern Jazz zugetan war.“

Paul Jones wurde nach John Keen der nächste musikalische Mitstreiter Brians. Das exakte Datum des ersten Treffens in Oxford lässt sich nicht mehr bestimmen, doch mit großer Sicherheit begegneten sich die zwei im Oktober 1961, und zwar aufgrund der Verbindung zwischen Cheltenham und der Oxforder Kunsthochschule oder der CND. Paul zeigte sich augenblicklich von Brian überzeugt: „Er war beredt, holte weit aus und hatte feststehenden Ansichten – über den Blues und alles Mögliche. Ich mochte ihn sehr, für mich schien er der richtige Typ zu sein. Doch über allem stand eine unumstößliche Tatsache – er spielte wirklich gut. Trotz seiner Fähigkeiten musste er andere nicht ständig darauf aufmerksam machen.“

Paul konnte als Erster Brians musikalische Unternehumungen nachvollziehen. Der zukünftige Stone hatte schon längst das Erlernen der elektrischen Slide-Gitarre hinter sich gelassen und sich die Blues-Mundharmonika „draufgeschafft“. Paul hingegen gab sich alle Mühe, den Stil von Little Walter und Sonny Boy in sich aufzunehmen, woraufhin Brian ihm einen Kniff verriet: Das Geheimnis lag darin, „Cross-Harp“ zu spielen, also eine Mundharmonika zu benutzen, die eine Quinte über der eigentlichen Tonart lag. Viele Musiker hüteten solche Tricks wie ihren Augapfel, doch Brian gab sein Wissen weiter. „Es war, als hätte er die Türen zu einem unbekannten Königreich geöffnet. Die Tatsache, dass er das ausgetüftelt hatte, beeindruckte mich. Ich konnte sofort loslegen. Allein dafür werde ich ihn für alle Zeiten wertschätzen. Dann spielten wir zusammen und eröffneten ein neues Kapitel. Brian trampte an Freitagabenden nach Oxford. „Nicht jede Woche, aber mehr als einmal. Er oder ich hörten von einer Party, tauchten da auf – Brian mit seiner Gitarre – und jammten oder auch nicht, abhängig davon, ob die Stimmung offen und locker war. Im selben Herbst begegnete Paul auch Eric Clapton und seiner Truppe The Roosters. Clapton sagt von sich selbst, er habe in dieser Phase „auf der Bremse“ gestanden. Paul Jones Aussage nach entwickelte sich Brian damals hingegen mit höchstem Tempo weiter. „Er zeigte sich so zielstrebig und entschlossen. Zu der Zeit kannte ich niemanden, der so gut spielte. Niemanden – auch keinen Alexis, um das zu unterstreichen.“

Brians zielgerichteter Antrieb verblüffte sowohl Paul als auch John Keen. Sein Glaube, dass nun die Zeit zur Gründung einer Bluesband gekommen sei, nahm beinahe schon religiöse Züge an. Alexis Korner hatte seinen ersten Schachzug gemacht und war mit einer frühen Besetzung der Blues Incorporated, seiner elektrischen, im Chicago-Blues-Stil spielenden Formation, am 19. Januar in Croydon aufgetreten. Das Ereignis entpuppte sich als angenehm kontrovers. Die Band begleitete Acker Bilk, und ein Fan des traditionellen Jazz brüllte aus dem Publikum: „Wir sind gekommen, um ein Jazzkonzert zu sehen!“, wonach ein regelrechtes Handgemenge entstand. Wie sich herausstellte, machte dieser Zwischenfall Korner schwer zu schaffen. Brian begeisterte sich indes für den Tumult, über den die Jazz News pflichtschuldig berichtete. Während eines ihrer vielen Gespräche verriet Alexis Brian den Plan, für seine Band und überhaupt für elektrischen Blues einen Club in Ealing zu eröffnen. Das spornte den jungen Musiker noch mehr an: „Bis jetzt haben wir nur so rumgemacht“, vertraute er sich seinem neuen Freund Pond an. „Wir müssen das alles ernst nehmen. Zuallererst werde ich Cheltenham verlassen und nach London ziehen. Dann gründe ich eine Band und werde reich und berühmt. Willst du bei mir singen?“

Aber er sagte Nein. „Meine damalige Vorstellung, der Grund dafür, dass ich ablehnte, stimmten exakt mit der Haltung von Alexis Korner überein. Das ist Nischenmusik. Ich werde sie immer lieben, immer spielen, aber niemals davon leben können.“

Trotzdem nahm das Duo ein Band auf, das sie Alexis Korner mit der Intention schickten, einen Platz als Vorgruppe bei der Eröffnung seines Clubs im März 1962 zu ergattern. Während sie auf eine Antwort warteten, verfolgte Brian andere Pläne, arbeitete mit Graham Ride Ideen aus, spielte mit John gelegentliche Gigs in Jazzkreisen, schrieb Briefe an die Londoner Musikpresse und erzählte seinen Freunden, dass er nach der Eröffnung von Korners Club in die Metropole ziehen wolle.

Brian Jones’ Umzug nach London sollte weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. Seine Vision des Blues als Mainstream-Musik der Jugend und die zutiefst empfundene Überzeugung sollten letztendlich die Kulturlandschaft der Welt verändern. So weit, so lobenswert. Doch wie sein neuer Held Robert Johnson musste Brian konstant flüchten, denn so einige wutentbrannte Einwohner hatten seine Fährte aufgenommen. Er machte sich nicht nur nach London auf – er floh aus Cheltenham!

In der Heimatstadt mehrten sich die Folgen seiner ausschweifenden Sexualität ebenso wie seine Nachkommenschaft. Die Unterstützung, die Brian Pat während ihrer Schwangerschaft zukommen ließ, war nur sporadischer Natur: „Wir redeten nicht darüber. Er wusste damals von meiner Unschuld … möglicherweise war er ein Feigling.“ Wie andere Frauen, die ihren Platz einnehmen sollten, fühlte sie sich von ihm hingerissen. Sie liebte ihn und liebt ihn auf eine bestimmte Art auch heute noch, obwohl sie Begriffe wie „hinterlistig“, „tückisch“ und „Opportunist“ zur Beschreibung seines Charakters wählt. Brian verhielt sich Pat gegenüber meist treu, doch im Herbst 1961 hatte er sich eine weitere Freundin an Land gezogen, der Graham Ride den Namen Gee gibt.

Während der nächsten zehn Jahre kamen zahlreiche sich hartnäckig haltende Gerüchte über Brian auf. (Jahre später kam heraus, dass er ungefähr 1959 noch eine Affäre hatte, und zwar mit einer verheirateten Frau aus Surrey, die auch ein Kind zur Welt brachte. Das Mädchen mit dem Namen Belinda wuchs in dem Fall bei der Familie auf.) Meist waren die Gerüchte sogar noch untertrieben, wie zum Beispiel die Geschichte über das eine schwangere Mädchen von der Pate’s Grammar; in Wirklichkeit waren es zwei schwangere Schülerinnen. Das Gleiche trifft auch auf Gerüchte über eine Androhung juristischer Schritte von aufgebrachten Bürgern Cheltenhams zu – ihm blühten tatsächlich zwei rechtliche Auseinandersetzungen.

Dave Jones, der kurz mit Brian Musik gemacht hatte, verdiente sich seine Brötchen als Rechtsreferendar bei der angesehenen Kanzlei Rowberry and Warren Green, die an der Promenade residierte. Dort erfuhr er von dem Fiasko, das sein ehemaliger Mitschüler und Freund angerichtet hatte und das viele Eltern der Stadt in tiefe Sorgen versetzte. „Rowberry zählte zu den bekanntesten Anwälten in Gloucester. Er wurde von den Eltern eines Mädchens mit dem Verfassen eines Briefes beauftragt, das meiner Erinnerung nach noch minderjährig war.“ Das Schriftstück von Rowberry and Warren Green wurde letztendlich im Auftrag mehrerer besorgter Bürger versandt. Es enthielt keine Strafandrohung, denn eine Chance auf juristische Sanktionen war so gut wie ausgeschlossen. „Das Schreiben hatte eher einen warnenden Charakter und warf die Frage auf: ‚Was sind ihre Absichten?‘“, erinnert sich Jones. „Ich glaube, drei verschiedene Väter beteiligten sich daran. Wie sich später herausstellte, gab es eine weitere Kanzlei, Watterson Moore and Co., die unabhängig von uns einen Brief verfasst hatte – von unterschiedlichen Eltern –, in dem man einen ähnlichen Zusammenhang ansprach.“

Jones erinnert sich an ein von den beiden Rechtsanwaltsfirmen arrangiertes Treffen mit Brian, das in einem lokalen Café stattfand, jedoch keine nennenswerten Ergebnisse brachte. „Ich glaube, dass es ihn nicht juckte. Damit will ich nicht sagen, dass er herzlos oder verschlagen gewesen wäre – ich hätte ihn nie als einen miesen Typen dargestellt. Er war ein gesunder 18-Jähriger [sic], der mit einigen Mädchen ausging. Nacheinander, obwohl es da gelegentlich einige Überlappungen gab.“

Brian zeigte sich nicht eingeschüchtert, doch die Briefe können als Beweis dafür gelten, dass „sich alles aufheizte“. Wie schon im Fall von Val unternahm Brian gelegentliche Versuche, seiner Verantwortung gerecht zu werden. Als Pat am 23. Oktober 1961 sein viertes Kind zur Welt brachte, Julian Mark Anthony – Julian, um auf Cannonball Adderley zu verweisen [dessen Vornamen lauteten Julian Edwin, A.T.], Mark Anthony, um auf Stärke anzuspielen [als Vorbild galt hier der römische Feldherr Marcus Antonius, A.T.] –, erschien Brian mit einem riesigen Blumenstrauß an ihrem Wochenbett. Er ließ sich häufig im Krankenhaus sehen, vorausgesetzt, dass Pats Mum – und ihr Regenschirm – nicht in der Nähe waren. Darüber hinaus verkaufte er einige seiner geliebten Schallplatten, um ihr einen Mohair-Rock zu kaufen. Allerdings blieb er die meiste Zeit wie vom Erdboden verschluckt. Als Brian und Graham Ride zu Beginn 1962 aus der Bath Road geworfen wurden, gelang es ihm, die genaue Lage der neuen Bude so gut wie möglich geheim zu halten. Er vertraute Pat einige seiner Pläne an, wie zum Beispiel die Absicht, nach London zu ziehen, wenn Alexis Korner den neuen Club eröffnete, und ließ sie wissen, dass sie in der Hauptstadt einen neuen Anfang machen könnten. Doch er blieb immer vage und ließ sie hoffen.

Seine Unbestimmtheit wirkte sich auch bei anderen aus, meist Freunde, von denen er sich Geld geliehen hatte. Er ließ dabei stets seinen Charme spielen, gepaart mit einer bestimmten Art von Aufrichtigkeit. Doch es wurmte viele, dass er scheinbar die Finanzierung seines Lebensstils von ihnen erwartete, wo ihnen doch selbst kaum Geld zur Verfügung stand. Barry Miles erinnert sich, dass er wegen 2 Pfund angepumpt wurde – „mein Stipendium betrug 100 Pfund jährlich, und so war das schon eine hohe Summe“ –, doch Brian stand mit noch höheren Beträgen in der Kreide, ungefähr 20 Pfund, die bei Pats Bruder ausstanden, und vielleicht sogar eine noch höhere Summe bei Dick Hattrell. Ob er dem Lockruf des Blues folgte oder auch nicht – Brian musste auf jeden Fall aus Cheltenham fortziehen, ganz einfach, um neue Leute zum Schnorren zu finden.

Trotz all der Defizite mochten ihn seine Freunde und respektierten den Mut, sich nach London aufzumachen. John Keen und Graham Ride hätten sich niemals vorstellen können, einfach ins Nichts aufzubrechen. Dick, der immer noch eine Zuwendung von seinem Vater erhielt, zeigte sich bereit, den zukünftigen Stone auf der Zugfahrt zu begleiten. Am Donnerstag vor Brians Abreise hatte Graham das Glück, 18 Pfund bei den Pferderennen von Cheltenham zu gewinnen, ein stattlicher Betrag, der ihm erlaubte, Brian ein Essen im chinesischen Imbiss zu spendieren und ihm 20 Pfund für die Zugfahrt und die ersten anfallenden Kosten in der neuen Stadt zu pumpen. „Wir verbrachten eine tolle Zeit“, meint Graham. „Wir zogen unser Ding in unserer eigenen Welt durch.“

„Er erzählte mir, dass er zum Zug wolle, an dem Wochenende des 20. März 1962“, erinnert sich John Keen. „Mich beschlich das Gefühl, dass er schon bald wieder zurück sein würde. Allerdings konnte ich nicht ahnen, wie sich alles entwickelte.“

Brian Jones zog nach London – als junger Mann mit einem chaotischen Lebensstil, aber als disziplinierter Musiker mit einem geschärften Gespür für den zukünftigen Weg, gestärkt durch die Erfahrungen aus all den Auftritten. Das Gefühl, schon ein waschechter Musiker zu sein, beeindruckte und schüchterte sowohl Mick Jagger als auch Keith Richards und Dick Taylor ein, als das Trio im März 1962 Brian auf der Bühne in Ealing sah, dem Abend, an dem er mit Paul Jones alias P. P. Pond auftrat.

Dick Taylor ging später als temporärer Stone in die Annalen der Musikgeschichte ein, der danach die Pretty Things gründete, die Rhythm ’n’ Blues-Rivalen der Rolling Stones. Taylor kann die wohl objektivste Perspektive bezüglich der Stones in ihrem Embryonalstadium beisteuern, unbeeinflusst durch jegliche Verbitterung. Er erinnert sich an Brians inspirierende Qualitäten und seine Launenhaftigkeit, doch am intensivsten an die Tatsache, dass seine musikalischen Recherchen tiefgründiger ausfielen als alles, was die drei bisher erlebt hatten: Er hatte den Stil von Elmore James studiert, Robert Johnson und Muddy Waters, und ihre stilistischen Geheimnisse herausgearbeitet. Im Frühling 1962 war das geheimnisumwobenes Wissen, Wissen, das ihm Macht verlieh. Diese Sachkenntnis begründete den jahrzehntelangen, nachhaltigen Erfolg der Stones bin zum heutigen Tag – und zwar in einem größeren Ausmaß, als jedes aktuelle Mitglied heutzutage anerkennen möchte.

Paul Jones ist nur einer von vielen, der sich daran erinnert, wie freimütig Brian Jones sein Wissen teilte. Auch Dick Taylor denkt daran und weist ohne Nachfrage auf einen „Knick in der Wahrnehmung“ der Stones hin. Marianne Faithfull gehört zu den wenigen Menschen, die noch eine andere Theorie äußern, nämlich dass Brians Tod dem guten, alten Bandkollegen Keith Richards die Freiheit gab, „Brian zu werden“ – seine Persönlichkeit anzunehmen, sie zu adaptieren und weiterzuentwickeln. Nur Taylor bemerkte bislang, dass Keiths Markenzeichen beim Gitarrenspiel – die „Open G“-Stimmung, eine Blues-­Stimmung mit einem Country-Blues-Unterton – von Brian stammte. Seit mindestens 30 Jahren wird die befremdliche Geschichte erzählt, wie Keith sich den Stil von Ry Cooder aneignete, einem Gitarristen, den er 1968 traf. „Brian benutzte die Stimmung bei Stücken wie ‚Feel Like Going Home‘ und ‚I Can’t Be Satisfied‘“, erläutert Taylor. „Keith beobachtete Brian beim Spiel mit der Stimmung und wusste sicherlich alles darüber. Ich weiß nicht, warum er sagt, er habe es von Ry Cooder. Das ist merkwürdig.“

Es ist in der Tat merkwürdig, dass Keith einem außenstehenden Musiker die spezielle Technik zuschreibt, die er bei seinem Bandkollegen erlebte und kennenlernte – live und im Studio. Eine Technik, der er mehrere Seiten seiner Autobiografie widmete, von der er die Einzelnoten beschrieb, den Sound, die Art und Weise, wie die „Open G“-Stimmung den Stil der alten Blueser bestimmt hatte und wie sie „mein Leben veränderte“.

Es war Niccolò Machiavelli, der in dem Werk Der Fürst den Gedanken aufwarf, dass wir häufig Menschen hassen, die für uns Türen öffneten, die uns mit einem Gefühl des Verpflichtet-Seins zurücklassen. Und es braucht wahrscheinlich schon einen Machiavelli, um die internen, verworrenen Beziehungsmuster und die Fehden zu entwirren, die die nächsten Jahre bestimmten.

Sympathy For The Devil

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