Читать книгу Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte - Pavel Kohout - Страница 4

1

Оглавление

Mein Leben verlief bis zu einem bestimmten Zeitpunkt so alltäglich und fad, daß mein Lebenslauf weder mich selbst noch mir fremde Personen interessieren könnte. Will ich es dennoch schildern, dann nur zum Zwecke der Untermauerung der eben geäußerten Behauptung, vor allem aber als Beleg, wie es sich durch die Begegnung mit meiner Frau gewandelt hat.

Zuvor wurde ich jedoch erst einmal geboren, und zwar in Prag, genauer in der Familie meiner Eltern. Paps selbst war schon früher zur Welt gekommen, und zwar im Jahre 1920, als sich noch ein anderes tragisches Ereignis zutrug: Der damalige Präsident der Tschechoslowakischen Republik, dessen Name Masaryk danach strafeshalber auf lange Zeit dem Vergessen anheimfiel, gründete zusammen mit ihr auch eine gleichfalls so genannte Kirche, um die Reibereien zwischen Katholiken, Protestanten und Juden zu beenden, schoß dann aber, wie uns später die Genossin Lehrerin erklärte, von der Prager Burg herab auf die Arbeiter, die sich klassenbewußt weigerten, in diese Kirche einzutreten. Damit hat er verschuldet, daß unser Volk Dutzende von Jahren in der kapitalistischen Finsternis leben mußte, die ich mir als eine ununterbrochene Polarnacht vorstellte.

Das einzige Licht darin wurde für Paps das Glaubensflämmchen, das er, wie ich mir aus den Scherben seiner Erzählungen zusammenfügte, in der mir zunächst unklaren Rolle eines weihräuchernden Ministranten und dann in seinem Beruf als Küster in sich entfachte. Bis schließlich, so verstand ich, Paps bei einer Messe meine ähnlich veranlagte Mutsch kennenlernte, die ihm gleich ihre ganze Handtasche in den Klingelbeutel warf, wonach ihrer durch die Ehe verdoppelten Frömmigkeit der Rock der Kirche jählings zu eng wurde. Das Wesen des hieraus entstandenen Konflikts habe ich nie so richtig erfaßt, ich wußte nur, daß Paps daraufhin binnen Stundenfrist nicht nur aus seiner Stellung, sondern auch aus der Kirche entlassen wurde. Eine Zeitlang träumten meine Eltern davon, wie der einstige Präsident eine eigene, jedoch weit sittenstrengere Kirche zu gründen, ihre gläubigen Bekannten aber, mit denen sie sich darüber berieten, waren längst nicht so fromm, wie meine Eltern es von sich selbst verlangten. Zunichte gemacht wurden diese Bemühungen endgültig im Jahre 1948 durch das plötzliche und offenkundig auch verdiente Ende der kapitalistischen Finsternis. Nun verkündigte man das niemals verlöschenwollende Polarlicht des Sozialismus, der unverzüglich sämtliche neuen Kirchen verbot und alle alten in die Schranken wies, auf daß ihretwegen nie wieder klassenbewußte Arbeiter totgeschossen würden, geschweige denn die Kommunisten, die soeben einstimmig zur Vorhut gewählt worden waren.

Paps war schließlich froh, als Tagesaufseher bei den Gotiksammlungen der Nationalgalerie unterzukommen, wo er zu allen Heiligen, von denen dort unvergleichlich mehr hingen als in jeder Kirche, auf seine Art beliebig und folgenlos beten durfte. Ihrem Glauben frönten er und Mutsch dann abends daheim, später sogar mit der vollen Unterstützung des inzwischen pensionierten Pfarrers, der ihn seinerzeit hinausgeworfen hatte und ihn jetzt eben deswegen für einen Märtyrer hielt. Jener war es auch, der mit unverdrossenen Bibelauslegungen meine züchtigen Eltern dazu brachte, sich auf der Schwelle ihres Fünfzigsten endlich zu vermehren, indem er ihnen die Hoffnung einflößte, gerade sie könnten der Welt einen Propheten bescheren. Wenn auch richtig am 24. März gezeugt, wurde ich zu ihrer Enttäuschung erst mit einwöchiger Verspätung, also zu Silvester geboren, aber dennoch wurde mir eine Erziehung im ursprünglich geplanten Geiste zuteil, was sich für mich als Quell etlicher Mißhelligkeiten erwies. Nachdem Paps’ Versuche gescheitert waren, die Schulbehörden zu überzeugen, daß er mich meiner krankhaften Schüchternheit wegen selbst unterrichten müsse, ließ er mich wenigstens Tag für Tag den durchgenommenen Lehrstoff wiedergeben, um zu entscheiden, was ich prompt zu vergessen hätte.

Nach Beendigung der Schulpflicht beschloß er, mich ebenfalls zum Galerieaufseher auszubilden, um mich besser im Auge behalten zu können. Gerade zu jener Zeit erging jedoch der Erlaß, den Besuch der Gotiksammlungen nur Inhabern des Parteimitgliedsbuches zu gestatten, welche die Gewähr boten, daß sie dort vor den Heiligenbildern nicht ihre religiösen Gelüste zu befriedigen trachteten. Danach sank die Zahl der Besucher schnell bis auf zwei, die an jedem sechsten Juli erschienen, um den heiligen Wenzel, den sie offensichtlich mit Kaiser Sigismund verwechselten, dafür zu schmähen, daß er den Magister Jan Hus habe verbrennen lassen. Paps wurde vorzeitig in Pension geschickt, was ihn aber beglückte, da er sich nun endlich ganz mir widmen konnte. Ich aber wurde nur wenig später dazu einbestellt, meiner Ehrenpflicht durch die Verteidigung des Friedenslagers zu genügen. Paps’ Einspruch meiner krankhaften Schreckhaftigkeit wegen bewirkte zwar wiederum nichts, doch mein Erscheinungsbild überzeugte von sich aus die Ärzte, daß ich allenfalls für den Dienst in der Etappe tauglich sei, weshalb ich nach nur kurzer Kasernierung ins Zentralmagazin für Kampfschuhwerk abkommandiert wurde.

Der Fleiß und der Gehorsam, wozu man mich daheim angehalten hatte, sicherten mir auch beim Militär die Zufriedenheit der Befehlshaber aller Dienstgrade. Ich registrierte Ausgabe, Umlauf und Abgang der Armeestiefel für Mannschaften, Unteroffiziere, Offiziere und Generale. In einem besonderen Safe bewahrte ich ein schußfestes Paar auf, für den eventuellen Besuch des Oberkommandierenden des Warschauer Paktes. Auf dem Schießstand war ich alles in allem nur einmal. Der Streufaktor meiner Treffer, bewirkt durch den Gegenstoß meiner Schulter beim Rückstoß des Gewehrs, war so beträchtlich, daß er die Trefferbewertung an den Nachbarscheiben erschwerte und sogar die Berufsmilitärs gefährdete, die sich weit hinter den Schießständen befanden. Auch dies bewirkte bald den Erlaß eines Sonderbefehls des Divisionskommandeurs, der mich für die Nachtzeit aus Gründen öffentlicher Sicherheit zu meinen Eltern beorderte. Nachdem ich meinen zweijährigen Dienst fürs Vaterland bereits in zwei Monaten abgeleistet hatte, versetzte mich die Armee als Reservisten auf den Posten eines Magazineurs beim Bau der Untergrundbahn. Wenn auch in Zivil, übte ich meinen Kampfauftrag praktisch weiterhin aus. Ich registrierte Ausgabe, Umlauf und Abgang der Gummistiefel für Arbeiter, Meister, Bauleiter und Inspektoren. Für den eventuellen Besuch des Generalsekretärs des ZKdKPd-UdSSR hütete ich in einer eisenbeschlagenen Truhe ein garantiert wasserdichtes Paar. Auf der Baustelle war ich ebenfalls alles in allem nur einmal. Meiner Unerfahrenheit einerseits und meinem Arbeitseifer andererseits war es zu danken, daß ich, die Stiefel während ihres Umlaufs registrierend, die Warnschilder übersah und zum Zeitpunkt einer Sprengung vor Ort geriet. Aus den Erdmassen wieder freigeschaufelt, litt ich dann und wann noch an Angst- und sonstigerlei Zuständen, erledigte mein Pensum im Büro jedoch auch weiterhin zur vollen Zufriedenheit meiner Eltern wie meiner Vorgesetzten. So fad und alltäglich, ohne auch nur die Andeutung irgendwelcher Ereignisse, flossen Wochen, Monate und Jahre meines anfangs erwähnten Lebens dahin, bis es zu jenem schicksalhaften Tag kam, an dem ich das erste Mal meine Frau kennenlernte.

Es geschah am Abend eines Betriebsfestes unserer Generaldirektion, auf dem ich mich nur einfand, da mein Chef mich dienstlich mit der Einlaßkontrolle betraut hatte. Nie werde ich vergessen, wie Paps lange und regungslos die schriftliche Weisung studierte und wie Mutsch, als sie mich im fahlen Neonlicht auf der Schwelle des Cafés Vltava meinem Schicksal überließ, mit schwacher Stimme meinen Namen rief und dann wieder zu mir zurückkam, um mir mit bebendem Finger noch ein weiteres Kreuz auf die Stirn zu malen. War das Zufall oder Vorahnung? Gott weiß. Fest steht, daß ich selbst ahnungslos war. Mit der Linken die gültigen Eintrittsbilletts entwertend und mit der Rechten allen, die den Saal nur vorübergehend zu verlassen gedachten, die Rückkehrkarten entgegenstrekkend, fügte ich dem Gräberfeld aller bisherigen Stunden einige weitere alltägliche und fade hinzu, während die Luft von den grellen Tönen der Musikinstrumente gepeitscht wurde, deren eines, das allergrellste nämlich, in Bälde allein für mich ertönen sollte. Hier ist der Hinweis angebracht, daß die Tanz- und Unterhaltungsmusik auf Wunsch leitender Mitarbeiter von einer Damenkapelle vollführt wurde. Gegen Ende des Abends suchte mich mein Chef auf, um sich vertraulich, sozusagen von Mann zu Mann, mit mir zu beraten. Er verriet mir, daß er einer der Musikantinnen unbedacht zugesagt habe, sie nebst ihrem Instrument nach Hause zu bringen. Wie zum Possen habe er danach aber endlich der Sekretärin des Generaldirektors das Versprechen abgenommen, ihm ihre Handarbeiten zu zeigen, worum er sich, wie er mir anvertraute, schon lange bemüht habe, zumal sich schon etliche Kollegen über selbige höchst anerkennend geäußert hatten. Da ich der einzige Ordner sei, der noch auf den Beinen zu stehen imstande sei, bitte er mich um diesen Freundschaftsdienst. Ich gestehe, daß mir sein Ansinnen einen Stich versetzte, denn die Sekretärin des Generaldirektors, eine wohlgeformte Schönheit in den allerbesten Jahren, rief schon seit langem Gefühle einer schwesterlichen Zärtlichkeit in mir hervor, zumal ich doch selbst liebend gern strickte und häkelte. Meinem Vorgesetzten konnte ich aber keinen Korb geben und übernahm so schweren Herzens den Auftrag. Wie sich herausstellte, war besagtes Instrument ein Helikon und die Künstlerin meine Frau.

Die Fahrt zu ihrer Wohnung verlief reibungslos. Vorn plauderte meine Frau fröhlich mit dem im voraus entlohnten Taxifahrer, offensichtlich ein Verwandter, da beide sich vom ersten Augenblick duzten, während ich auf dem Rücksitz das Helikon betreute. Wie ein müdes Geschöpf lehnte sich das gewaltige Instrument nach einer Weile schwer an meine Schulter, und ich spürte zum ersten Mal eine seltsame Erregung, die ich jedoch noch einmal dämpfen konnte. Übrigens waren wir auch schon am Ziel, einem malerischen Haus, über dem die dunkle Silhouette des Hradschin aufragte, und ich erwog, zu Fuß durch die Stadt heimzugehen: Mein Chef hatte vergessen, die Rückfahrt zu bezahlen, und ich besaß damals noch kein Geld. Höflich wartete ich ab, bis sich meine Frau mit ihrem Verwandten auseinandergesetzt hatte, der ihre Einladung zu einem Kaffee mit der Begründung zurückwies, das letzte Mal habe sie diesen zwei Tage lang gekocht, wodurch er beträchtliche Fahrtgelder eingebüßt habe. Nachdem sie schließlich erzürnt ausgestiegen und jener in großer Eile losgebraust war, hielt ich ihr mit beiden Händen das Helikon hin und wünschte ihr eine gute Nacht. Entsetzen flackerte in ihren Augen auf. Wie sie mir später gestand, hatte sie gemeint, das Instrument spreche zu ihr. Dann entdeckte sie dahinter mich und musterte mich eingehend. Worauf sie die Haustür aufschloß und lachend sagte, ich möge das Geländer aber nicht einreißen. Ehe ich’s mich versah, befanden wir uns in einer vorwiegend mit diversen Schiffsmodellen eingerichteten Garçonnière, wo sie mich aufforderte, es mir bequem zu machen, bis sie sich umgezogen und Kaffee gekocht habe. Darauf verschwand sie hinter einem Vorhang. Erschrocken entsann ich mich der Worte des Taximannes, und mein Schreck wuchs zum Entsetzen an, als mir bewußt wurde, daß wir hier beide ganz allein waren. Instinktiv klammerte ich mich ans Helikon und blieb mitten im Zimmer stehen. Ich weiß nicht, ob es die Dusche war, die rauschte, oder mein eigenes Blut, das jeden Gedanken aus meinem Gehirn fortschwemmte, ich weiß nicht einmal, ob ich drei Minuten oder drei Stunden so stand, bis der Vorhang wieder wallte und meine Frau in einem Morgenmantel von hellem Orange ins Zimmer trat, auf einer Grammophonplatte, die sie als Tablett benutzte, zwei einstige Senfgläser voll brühheißen Kaffees tragend. Als sie mich erblickte, blieb sie überrascht stehen. Wieder betrachtete sie mich, als sehe sie mich zum ersten Mal. Dann setzte sie die duftende Last auf dem Teppich ab, ließ sich daneben nieder und fing an, mit dem Stiel einer Zahnbürste den Kaffee umrührend, mir in schlichten Wendungen von sich und ihrem Instrument zu erzählen.

Ihre leisen Worte, gesprochen von einer Stimme, die auf zutrauliche Weise unklare Erinnerungen in mir weckte, entwarfen mit raschen Strichen das farbenreiche Bild eines Mädchens, das zunächst Flöte gelernt hatte, anfangs nur, um die Stimmen der Vögel nachzuahmen, später dann, um die Werke der alten Meister im Dämmerlicht der Domchöre und Konzertsäle mit jauchzenden Trillern zu krönen. Doch die Zeit riß den Vorhang weg, und verändert war die Welt, wie der Dichter so treffend bemerkte, und die Kammerorchester in ihren Fräcken und Abendroben konnten kaum noch zum Marschtritt der revolutionären Massen aufspielen. Meine Frau tauschte also die Flöte gegen das Helikon ein und trat einer Arbeitermilizkapelle bei. Und als dann, wieder in des Dichters Worten, die neue Zeit nach neuen Taten lechzte, und die Massen alles andere haben wollten als Marschrhythmen, blieb sie zur Sicherheit zwar dem neuen Instrument treu, ging aber in einer Damenkapelle vor Anker.

Die von Poesie durchwobenen Worte meiner Gattin wirkten besänftigend auf meine Spannung, und so geschah es, daß ich schließlich ebenfalls auf dem Teppich ruhte, ja sogar zuließ, daß sie mir schließlich das Helikon abnahm und über der breiten Couch aufhängte, wo es offenbar seinen ständigen Platz hatte, wie ein treues Tier, nach der Nähe seiner Herrin und Gebieterin Verlangen tragend. Plötzlich ertappte ich mich bei dem Wunsch, wenigstens eine Nacht lang an seinem Platz hängen zu dürfen. Kein Wunder, daß mir die Röte ins Gesicht stieg und meine Frau beunruhigt fragte, was ich denn hätte. Mir fiel keine andere Ausrede ein, als daß mir heiß sei. Sie entschuldigte sich sehr, sie könne das Fenster nicht öffnen, um durch die Kühle nicht ihren Ansatz einzubüßen, ließ dann aber nicht nach, mir freundschaftlich zuzusetzen, bis ich Jacke und Hemd abgelegt hatte. Damit ich mich nicht verunsichert fühle, wie sie erklärte, legte sie ihren strahlenden Morgenrock ab und nahm mir gegenüber in einem gestreiften Herrenpyjama Platz, der, wie sie mit einem Seufzer hinzufügte, das einzige sei, was sie in ihrem einsamen Dasein an die Existenz von Männern erinnere.

Hatte mich die unverhoffte Entwicklung der Situation anfangs noch verwirrt, so verblüffte mich gleich darauf die Erkenntnis, daß ich mit dem Hemd auch meine Scham abgelegt hatte. Bald darauf sprachen wir schon ohne Hemmungen über unsere Schicksale. Ich gestand, daß ich trotz meines Alters noch keine ernstere Bekanntschaft gemacht hätte, denn die Mädchen, die ich kennenlernte, gaben Jungs den Vorzug, die interessantere Berufe, höheres Einkommen, stattlichere Figuren und lebhaftere Temperamente aufzuweisen hatten. Meine Frau vertraute mir im Gegenzug an, daß es genau solche Männer waren, die sie ihr ganzes Leben lang umschwärmt hatten, obwohl sie sich schon immer einen extrem gegensätzlichen Partner gewünscht hatte. Ihr hoher Wuchs und ihre gewölbte Brust, die sie vom Blasinstrumentenspiel habe, seien schuld daran, daß die Männer sie für eine überaus selbständige Person hielten und deshalb gleich wieder ohne Gewissensbisse sitzenließen. Auf unselige Weise trage auch ihre nächtliche Arbeit dazu bei. Die allzu stattlichen und lebhaften Männer wären nicht bereit, bis zur vierten Morgenstunde auf ihr Vergnügen zu warten, und suchten sich diese zu günstigerer Zeit bei Mädchen, die ihren Berufen tagsüber nachgingen. Jawohl, nicht selten hätten sie sogar keine Hemmungen gehabt, für ihre geschmacklose Kurzweil sich dieser Garçonnière zu bedienen, zu der sie ihnen den Schlüssel geliehen habe, darauf vertrauend, sie würden sich hier begehrlich auf ihre Heimkehr freuen. Auf sie habe das allerdings depressiv gewirkt, und sie sei schon fast entschlossen gewesen, sich für den Rest ihrer Tage ausschließlich ihrem Instrument hinzugeben. Jetzt aber, gestand sie, da sie mich kenne, habe sie plötzlich das Gefühl, als sei noch nicht aller Tage und Männer Abend.

Verglichen mit der strengen Disziplin und der schroffen Ordnung, die bei meinen Eltern herrschten, behagte mir dieses Heim, ein beredtes Abbild der Seele einer Frau und überdies Künstlerin. Mir gefiel das Bett, das offenbar ständig gastfreundschaftlich offenstand, die leeren Flaschen auf dem Schreibtisch und die Kaffeetöpfe voller Zigarettenstummel auf dem Fußboden neben dem Notenpult, an dem sie sicherlich fleißig zu üben pflegte. Sie wiederum war sichtlich gerührt, als ich mir trotz ihrer Proteste die Schürze umband und binnen einer knappen Stunde die Berge schmutzigen Geschirrs restlos abtrug, die zuvor Spüle, Waschbecken und Bidet gefüllt hatten. Zum Dank machte sie eine Flasche Whisky auf und war stumm vor Verwunderung, als ich mit gestammelter Entschuldigung ablehnte, ich hätte bis heute allenfalls aus Versehen einen einzigen Schluck Obstweins zu mir genommen und, als man mir beim Militär siebengrädiges Bier mit Gewalt einzutrichtern suchte, eine Woche lang mit Fieber das Bett hüten müssen. Meine Frau war aufgeregt. Sie sagte, in dieser verdorbenen Welt sei es ihr schon seit Jahren nicht mehr vorgekommen, daß einer etwas zum ersten Mal mit ihr machte, und hörte nicht auf, mich zu nötigen, wenigstens einmal mit ihr daran zu schnuppern. Die Atmosphäre dieser zauberhaften Nacht bewirkte, daß ich schließlich nachgab. Feierlich standen wir auf, ließen die Gläser aneinanderklingen, und ich zog, eine letzte Ermutigung aus ihren flirrenden Augen schöpfend, zum ersten Mal den Duft echten Alkohols tief in die Nase ein. Das Gesicht meiner Frau verschwamm ein wenig, und das Messing des Helikons, das bis dahin im Halbdunkel nur matt geglommen hatte, feuerte etliche scharfe Blitze ab. Aber das war auch alles. Beim Schlag der Burguhr, die soeben feierlich die dritte Stunde verkündete, begriff ich in einer Mischung aus Stolz und Schrecken, daß ich soeben unwiederbringlich die Grenze meiner Unschuld überschritten hatte und daß mir, kehrte ich nicht auf der Stelle dahin zurück, bald die Sekunde schlüge, nach der es keine Umkehr mehr geben wird. Mit letzter Kraft verbeugte ich mich und wünschte meiner Frau mit versagender Stimme gute Ruhe. Ohne die Augen von mir abzuwenden, sagte sie sofort, sie wünsche mir ebendiese auch. Dann trat sie an mich heran, umarmte mich und küßte mich ohne jegliche Voranmeldung stracks auf und in den Mund.

Was das betraf, war ich nicht ganz unerfahren. Schon als Kind hatte ich fürs Leben gern Tante Eliška geküßt. Da sich mir nur dann die Gelegenheit dazu bot, wenn sie mich aus der Wanne hob und auf den Armen zu Bett trug, hatte ich diesen Brauch bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr warmgehalten. Dann ertappte uns dabei unglücklicherweise Mutsch, und sie zögerte nicht, ihre einzige Schwester zu ersuchen, uns in den nächsten sieben Jahren nicht zu besuchen, denn solches könne einen schlechten Einfluß auf den Verlauf meiner Pubertät haben. Leider fühlte sich die Tante so beleidigt, daß sie nimmer wiederkam, doch die einmal losgetretene Lawine raste weiter zu Tal. Bei meinem Einsatz zur Hopfenernte, noch vor Beginn der zehnten Klasse, zu dem Paps wieder nicht zugelassen wurde, obwohl er auf meine krankhafte Unselbständigkeit verwies, brachte eine gewisse Paulová aus der Zwölften es fertig, mich fast jeden Tag unter den mannigfachsten Vorwänden aus der Nachtherberge der Burschen wegzulocken, um mich im Stall des Staatsguts ein paar Minuten lang abküssen zu können. Eines Abends wurden wir von meiner Genossin Klassenlehrerin erwischt, die sich zu diesem Behufe seit dem Morgen im Heu versteckt hatte, und die Paulová bekam eine schlechtere Note in Betragen, weil man sie schon seit Quarta ermahnt hatte, nicht jene Schüler zu verderben, die erst von ihren Pädagoginnen aufgeklärt werden sollten. Nur diesem Umstand und freilich auch flehentlichen Bitten ist es zu danken, daß meine Eltern von dem Vorfall keine Kenntnis erhielten, was mir höchstwahrscheinlich das Leben rettete.

Ein nicht geringeres und obendrein nicht im geringsten verhülltes Interesse für mich zeigte später Hauptmann Kverková, die Kommandeuse des weiblichen Hilfsbataillons, die täglich mehrmals in mein Büro eindrang und, sich die Tatsache zunutze machend, daß ich als Soldat aufspringen und Haltung annehmen mußte, meinen Stuhl besetzte und mir befahl, mit dem Registrieren des Kampfschuhwerks auf ihrem Schoß fortzufahren. Aus Furcht vor einer Disziplinarstrafe – die Kverková war neben anderem auch die Gemahlin des Divisionskommandeurs – vertraute ich mich Leutnant Lánsky an, meinem nächsthöheren Vorgesetzten, der im Nebenzimmer arbeitete. Er hörte mir zu und erhörte mich. Er ließ unter meinem Schreibtisch eine einfache Warnanlage anbringen, die ich mit dem Fuß bedienen konnte. Sogleich nach Ertönen des Signals betrat er mein Büro und brach damit der Situation die Spitze ab. Nach ein paar Tagen ging Hauptmann Kverková gleich zu ihm. Aus Dankbarkeit bot ich ihm einen ähnlichen Gegendienst an. Er lehnte jedoch hochnäsig ab, und so wurden sie später zusammen vom Kommandeur Kverek ertappt. Leutnant Lánsky mußte die Armee verlassen und überlebte den bloßen Gedanken an Rückkehr zu seinem früheren Beruf nicht mehr, von dem er nur noch wußte, daß er mit P begann; weil man ihm auch die Waffe abnahm, beging er Selbstmord mittels eines Infarkts. Das bestätigte mir, daß der Mensch nur eine einzige Ehre hat und diese für die Liebe bewahren muß, der er sich ganz hingibt.

Offen gesagt, damit hatte ich es nicht eilig, geschweige denn mit der Ehe. Das Beispiel meiner Mitschüler, Mitsoldaten und Mitbeamten, die massenweise heirateten, nur um die Freistellung von der Turnstunde, die Entlassung aus der Armee oder eine Steuerminderung zu erreichen, und die sich bald darauf mit größerem oder kleinerem Skandal und Schuldenberg scheiden ließen, dazu verurteilt, die kommenden zwanzig Jahre überwiegend für Alimente zu schuften, war mehr als abschreckend. Im Unterschied zu den anderen hielt ich es für keine Schande, mit fünfundzwanzig noch ledig zu sein. Dank meiner Eltern, die mich über alles vorsichtig, aber gründlich, vor allem durch ihr persönliches Beispiel belehrten, wußte ich, daß ich noch mindestens bis fünfundvierzig Zeit hatte, und an diesem Wissen rüttelten weder Tante Eliškas begehrenswerte Umarmungen noch die eroberungslustigen Lippen der Schulkameradin Paulová, noch Hauptmann Kverkovás einladender Schoß. Doch die Art, wie meine Frau mir den ersten Kuß verpaßte, riß mit einem Ruck den Damm meiner Gewißheiten und Grundsätze nieder. Wie schade, daß ich kein Schriftsteller bin und nicht der Worte kundig, um, und sei es noch so unvollkommen, diesen Kuß ausführlich zu beschreiben. Ein Trost ist mir, daß ich das nicht vermocht hätte, selbst wenn ich ihrer kundig gewesen wäre. Ich wurde ohnmächtig.

Als ich wieder zum Bewußtsein kam, lag ich entkleidet auf der Couch, und meine Frau atmete still neben mir. Gleich im ersten Augenblick wurde ich gewahr, daß sich ein erheblicher Wandel an ihr vollzogen hatte, doch es dauerte eine geraume Weile, ehe ich mir dessen in vollem Umfang bewußt wurde: An meiner ganzen Frau gab es von Kopf bis Fuß nicht mehr die geringste Spur eines gestreiften Herrenpyjamas. Mit angehaltenem Atem begriff ich schließlich, daß ich das erste Mal im Leben eine nackte Frau sah, und mehr noch, was ich damals allerdings noch nicht ahnen konnte, eine nackte Gattin. Minutenlang betrachtete ich ihren ranken Leib und konnte nicht glauben, daß ich, ein so gewöhnliches Geschöpf, ein so nichtalltägliches Wesen erobert hatte. Und plötzlich gab es in mir einen Riß. Hatte ich sie wirklich erobert? Wenn ich nun aber schändlich versagt hatte in dieser ersten großen Liebesprüfung, die ich dazu unter Bewußtlosigkeit absolvierte?? Ich zweifelte nicht, daß meine Frau auf ihrer vergeblichen Suche nach einer verwandten Seele schon mehr als einen Körper umarmt hatte. Ja, sie sprach mit Verachtung von deren physischer Kraft, die nicht auf reinem Gefühl beruhte, doch war das nicht eine jener Illusionen, die den Anprall der Wirklichkeit nicht überstehen? Besaß andererseits mein reines Gefühl genügend physisches Vermögen, um den Liebeshunger zu stillen, den ihr Kuß verraten hatte, den Hunger, der in den Armen jener gefühllosen Muskelprotze bestimmt geweckt worden war? Mit sehr kurzen Worten gesagt: Wird meine Seele genug Körper für sie haben? All diese Gefühle wurden jedoch von noch erschütternderen Empfindungen abgelöst, als die ersten Sonnenstrahlen auf den Wekker fielen, der unerbittlich die sechste Stunde anzeigte.

Ich versetzte mich im Geiste in die Wohnung meiner Eltern und sah die beiden alten, verzweifelten Menschen um meine Lagerstatt kreuzen, die mit Ausnahme der ersten Armeetage, als ich noch in der Kaserne wohnen mußte – wobei sich jedoch Paps und Mutsch unter den Barackenfenstern abwechselten, um mir im Bedarfsfalle mit Rat und Tat beizuspringen – und mit Ausnahme der Hopfenernte – wobei sie meine Klassenlehrerin für Sonderüberwachung bezahlten –, die seit meiner Geburt das erste Mal leer blieb. Was werde ich ihnen sagen? Werde ich gestehen? Ich stellte mir das Wehklagen meiner Mutsch vor und die schlaffen Schultern meines Paps, die uferlose Trauer derer, denen ich das ganze Leben lang eine einzige Hoffnung war. Also eine Ausrede suchen? Ableugnen? Ja, das war der rettende Gedanke! Ich werde meinen Chef bitten, mir zu bestätigen, daß das Fest bis zum Morgen dauerte und ich meinen Standplatz nicht habe verlassen dürfen. Ach, wie zahlt es sich für mich aus, daß ich noch nie gelogen habe, desto eher wird man mir jetzt Glauben schenken ... doch wie mache ich das meinem Chef klar?! War es nicht gerade er, der mir meine Frau samt dem Helikon anvertraute, damit ich sie unbeschadet an den sicheren Ort schaffte?

Diese Vorstellung war noch schlimmer als die erste. Meine Eltern würden mich gewiß bestrafen, doch ich durfte nicht nur damit rechnen, daß sie mir eines Tages verziehen, sondern vor allem auch damit, daß die Nachricht über meinen Fehltritt nie über die Schwelle unserer Wohnung kam. Bei meinem Chef drohte mir das genaue Gegenteil. Er konnte mir für meinen Fehltritt weder eine Prämie abziehen noch eine Rüge erteilen, da ich ihn außerhalb der Arbeitszeit und des Dienstraumes begangen hatte. Er konnte aber – was weit schlimmer war – die Geschichte in allen Amtszimmern und Arbeitsstätten des Betriebes ausposaunen. Ich erinnerte mich an die perverse Lust, mit der er meine Auskünfte über das Intimleben der Mitarbeiter, denen ihrerseits meine völlige Unbescholtenheit die Sprache verschlug, angehört hatte, wie an die ruchlose Freude, mit der er meine Informationen brühwarm, noch vor mir, telefonisch an Vorgesetzte und Bekannte weitergab. Nein!! Ihm mein Geheimnis anzuvertrauen hieße, mich selbst an den Pranger zu stellen. Das, worauf ich seit meiner Kindheit so viel gegeben, was ich so gehätschelt, sorgsam gehütet und sparsam gemehrt habe, meine Ehre nämlich, der einzige Schatz meines alltäglichen und faden Lebens, der mir ein Gesicht gab, vor allem aber die Hoffnung in mir nährte, ich würde irgendwann irgendwo irgendwie irgendwem begegnen, der diesen Schatz gebührend würdigte und als überaus kostbares Geschenk annahm, um mir dafür zur Vergeltung allezeit sich selber zu schenken, das war plötzlich in Gefahr, aufs Spiel gesetzt, auf Gnade und Ungnade preisgegeben, hatte seinen Sinn verloren wie, so sagte man uns bei der Schulung treffend, eine glückliche Zukunft ohne Kommunismus.

Die meisten Frauen, an die ich ab und zu dachte – ich hatte mich seit den Zeiten von Tante Eliška, der Schülerin Paulová und Hauptmann Kverková auf einen robusten Typ festgelegt, der mir an Temperament, Gewicht und Alter überlegen war, was uns beiderseitige Befriedigung verschaffte –, also die meisten meiner kindlichen Idole stellten offensichtlich keine übertriebenen Ansprüche an ihre Liebhaber. Wie ich wußte, ging eine sehr unterschiedliche Prozession von Männern durch deren Arme; für eine oder mehrere Nächte fand in ihnen nicht nur mein Chef oder unser Generaldirektor eine warme Ruhestatt, sondern auch unser Garagenmeister und unser Heizer, dessen einziger sichtbarer Vorzug die hundert Kilo Lebendgewicht waren, deren gute Hälfte sein Bierbauch ausmachte. Im selben Augenblick jedoch, da sie einen künftigen Ehemann ins Auge faßten, verwandelten sie sich in hochgeschlossenste Puritanerinnen. Auf der Herrentoilette, die nur durch eine dünne Trennwand von dem Raum abgeteilt war, wo sie sich frischmachten, hörte ich so manches Gespräch mit, in dem sowohl der Chef als auch der Generaldirektor, der Garagenmeister und der Heizer mit einem häßlichen Wort bedacht wurden, das belegte, daß sie trotz des flüchtigen Sinnesrausches nicht eine Prise Achtung für sie übrig hatten. Kein Zweifel, daß sie ihren Mädchennamen nur dem zu opfern bereit waren, der ihnen als Gegenleistung einen überließ, dem nicht einmal der Hauch von Schande anhaftete, einen Namen, mit dem sie sich vor Verwandten und Bekannten brüsten konnten, einen Namen, der ihnen Gewicht verlieh und den berechtigten Neid der weitläufigen Umgebung weckte. Mit eigenen Ohren hörte ich eines Tages durch die Trennwand, wie die Sekretärin des Generaldirektors wörtlich sagte:

«Es ist eine Tragödie, meine Damen, doch der einzige Mann, der hier kein Ferkel ist, heißt Vilémek Rosol!»

Wozu ich bemerken muß, daß ich damals tatsächlich so lächerlich und würdelos hieß, wie ich gerade erwähnte: Vilém Rosol, was ja Sülze bedeutet. Die Bemerkung dieser begehrenswerten Frau kam mir in den Sinn, als der Sonnenstrahl, der durch die Garçonnière meiner Frau wanderte, das Messing des Helikons, das über unserer Bettstatt hing, erneut aufflammen ließ. Das unheilbringende Instrument, die Ursache meines Sündenfalls, warf die Couch und uns beide gleich dem Zerrspiegel im Irrgarten zurück. In diesem Spiegel wirkten unsere entblößten Leiber noch unzüchtiger, deshalb schloß ich vor Abscheu und Reue die Augen. In diesem Moment war ich überzeugt, daß meine Situation ausweglos war und daß alles weitere Leben jeglichen Sinnes entbehrte. Ich verlor die Beherrschung, und ein Schluchzen drang aus meiner Kehle. Da hörte ich aus nächster Nähe jene eigenartige Stimme, die mich, wie ich endlich wußte, an das Geräusch zerreißenden Schmiergelpapiers erinnerte.

«Du lieber Himmel, was haben wir denn?»

Ich wandte den Kopf und öffnete die Augen. Die scheußliche Karikatur verschwand. Wieder sah ich den leidenschaftlichen, mit einer leichten Andeutung von dunklem Lippenbart verzierten Mund, das energische Kinn, den festen Hals und weiter unten die ganze athletisch gewölbte Gestalt meiner Frau.

«Ach, du meine Güte», sagte sie erstaunt, «das Kleinchen weint ...!»

Bis dahin hatte mich noch nie eine Frau, mit Ausnahme meiner Mutter, der Tante Eliška, der Schulkameradin Paulová, Hauptmann Kverková und meiner Lehrerinnen weinen sehen. Tapfer schluckte ich die Tränen herunter und trachtete, mich mit aller Kraft zu beherrschen, doch nichts half. Denn zu allen meinen schwarzen Gedanken gesellte sich unverhofft ein weiterer, der stärker als alle anderen war.

«Was Sie wohl jetzt von mir denken werden ...»

«Was soll ich mir wohl denken?»

«Ich sehe Sie zum ersten Mal ... und schon laß ich mich zu Ihnen nach Haus einladen ... und jetzt ... jetzt lieg ... jetzt lieg ich hier so ...»

Sie richtete sich auf, und Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit.

«Hat es dir nicht gefallen, Bübchen?»

Meine Antwort waren Schluchzer. Beunruhigt wiederholte sie ihre Frage.

«Do ... doch ...» brachte ich schließlich hervor und barg das Gesicht in den Händen, da ich spürte, wie ich wieder rot wurde.

«Na, warum heulst du mir hier rum?»

«Weil ich ... weil ich nicht so einer bin ...»

«Was für einer?»

«So einer ... der gleich mit jeder schläft ...»

Die Worte, mit denen sie mich zu trösten versuchte, bestätigten meine schlimmsten Befürchtungen.

«Was zerbrichst du dir darüber deinen Kopf, Butzemännchen? Ich bin schließlich eine moderne Frau, und du bist letzten Endes ein Mann!»

«Nein!» schrie ich auf und wiederholte bei einem neuerlichen Weinanfall, «ich bin nicht, ich bin nicht so einer!»

Mich entsetzte, daß sie nicht sogleich antwortete. Dann spürte ich ihre Hände auf den meinen. Vergebens sträubte ich mich. Sie war stärker und zog mir die Hände mühelos vom Gesicht fort. Durch einen Tränenschleier erblickte ich ihre Augen. Sie waren ernst und zutiefst bewegt.

«Hör mal», sagte sie, «wie oft hast du eigentlich schon ...?»

Das Spiel war aus, und ich saß in der Falle. Da sie meine Hände immer noch wie in einer Zwinge festhielt, neigte ich wenigstens den Kopf so tief, bis auf die Brust, wie einst in den Tagen meiner ersten Verirrung, als Tante Eliška mich in der Wanne hinten und vorn abseifte und immer wieder mit erregter Stimme sagte:

«Vilémek, du hast ein Körperchen wie eine Puppe ...»

«Um Gottes willen», setzte meine Frau wieder an, und ich hörte dabei einen Ton, den ich noch nie vernommen hatte, «ist denn das die Möglichkeit?»

Eher wäre ich gestorben, als daß ich einen einzigen Laut von mir gegeben hätte. Mit gesenktem Kopf erwartete ich das Urteil. Sie hielt jetzt meine beiden Hände mit der Linken und hob mir mit der Rechten zart, aber entschlossen den Kopf. Ihre Augen blickten unglaublich gerührt.

«Dann warst du ja noch ein Jungferer ...» sagte sie mit noch zerrissenerer Stimme als vorher, doch ich begriff mit untrüglichem männlichen Instinkt, daß sie nur ihre Rührung zu verbergen versuchte, «da hast du also bis heute auf mich gewartet ...?»

Ich hielt ihrem Blick nicht stand und nickte.

«Aber warum plärrst du dann?»

Die Gedanken, die sich seit dem Erwachen wie ein Knäuel Schlangen in mir verfilzt hatten, verwandelten sich im Nu in Worte. Mit geschlossenen Augen, um den Mut nicht zu verlieren, haspelte ich meinen Lebenslauf in seiner ganzen Alltäglichkeit und Fadheit vor ihr herunter, weder die Mutsch noch Tante Eliška noch die Paulová noch die Frau Hauptmann vor ihr verheimlichend, noch sie selbst, obwohl von ihr zu reden das Allerschwierigste war. Mit einer Eindringlichkeit, die mich selber überraschte, zeichnete ich ihr mit bloßen Worten das erschütternde Bild eines Jungmannes, der bis zur heutigen Nacht nichts besaß als seine Ehre und auch diese am heutigen Morgen verloren hatte, so daß er neben dem Zorn seiner Eltern mit Recht zu gegenwärtigen hatte, bald schon durch die Trennwand zwischen der Herren- und Damentoilette die Stimme der Sekretärin des Generaldirektors zu hören, die verkündete:

«Meine Damen, es ist eine Tragödie, aber unser Vilémek Rosol ist auch schon ein Ferkel!»

Dann war es still. Mir kam zum Bewußtsein, daß ich verstummt war, und voll Schreck gewahrte ich, daß auch sie nichts sagte. Ich begriff, daß mir nur ein Ausweg blieb: mich rasch anzuziehen, leise einen Gruß zu murmeln und mit ein für allemal gesenktem Kopf meiner Schande entgegenzugehen. Da spürte ich, wie mich ihre Arme umfingen und an die majestätische Büste zogen.

«Du Dummchen», sagte meine Frau mit einer Zärtlichkeit, die ich bei ihr nicht vermutet hatte, «das also quält dich? Na, dann heirate ich dich eben, und alles Geschwätz hat ein Ende!»

Die Tränen, die mir erneut aus den Augen schossen, als ihr Körper mich wieder liebend beschwerte, waren diesmal der Ausguß schieren Glücks.

So wurde meine Frau zu meiner Geliebten.

Meine Frau und ihr Mann. Eine Beichte

Подняться наверх