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Makedonische Kabalen Thronbesteigung Alexanders

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Im Einklang mit dem Beschluss des Korinthischen Bundes beabsichtigte Philipp II., der bereits umfangreiche logistische und diplomatische Vorkehrungen getroffen hatte, im Spätsommer des Jahres 336 den Feldzug gegen den östlichen Nachbarn persönlich anzuführen. Doch bevor er aufbrach, inszenierte er ein prachtvolles Fest in Aigai, der alten makedonischen Königsstadt, aus Anlass der Hochzeit seiner Tochter Kleopatra mit König Alexander von Epeiros. Braut und Bräutigam waren über Olympias, Kleopatras Mutter und Alexanders Schwester, miteinander verwandt. Damit wollte man nicht nur die Verbindung zwischen Makedonien und Epeiros bekräftigen, sondern nach den Verstimmungen der jüngsten Vergangenheit die Versöhnung zwischen den regierenden Häusern der Aiakiden und Argeaden öffentlich unterstreichen. Aufgrund des Streits zwischen Attalos und Alexander anlässlich der Eheschließung Philipps II. mit Eurydike Kleopatra war ein Riss im makedonischen Herrscherhaus entstanden, der vor dem Aufbruch nach Asien endgültig gekittet werden sollte.1

Zu der Feier in Aigai erschienen Abgesandte der Alliierten Philipps II. Es waren gerade seine griechischen Verbündeten, die das Zerwürfnis mit Alexander beanstandet hatten. Vor diesem auserwählten Publikum wollte Philipp II. die wiederhergestellte Eintracht innerhalb der Argeadendynastie demonstrieren, denn Alexander – nicht aber seine Mutter Olympias, die sich in Epeiros aufhielt – nahm an der Seite seines Vaters an der Hochzeitsfeier teil. In der Erwartung der prachtvollen künstlerischen Darbietungen, der musischen und sportlichen Wettkämpfe und Bankette, welche die sprichwörtliche Großzügigkeit der Argeaden bestätigen sollten2, kippte die Festtagsstimmung der von überall her angereisten Hochzeitsgäste ins blanke Entsetzen um: Während der Feierlichkeiten wurde Philipp II. von Pausanias, einem seiner Leibwächter, ermordet.3

Was war dem vorausgegangen? Über die Mordtat von Aigai lässt sich keine endgültige Klarheit gewinnen. Folgender Ablauf des Tathergangs wurde kolportiert: Der aus der Landschaft Orestis stammende Attentäter diente in der unmittelbaren Umgebung Philipps II. Er soll ein Liebesverhältnis mit einem Pagen des Königs angefangen haben. Bald kam es zu Eifersuchtsszenen zwischen den jungen Männern, in deren Folge der Page Selbstmord beging. Danach soll Attalos Pausanias zu einem Gelage eingeladen, ihn betrunken gemacht und ihn anschließend seinen Stallknechten übergeben haben, damit sie ihn vergewaltigen sollten. Daraufhin erhob der Geschändete Anklage gegen Attalos. Da aber dieser ein enger Vertrauter Philipps II. war, zudem seit der Hochzeit des Königs mit Eurydike Kleopatra in verwandtschaftlichem Verhältnis zu ihm stand und schließlich zu diesem Zeitpunkt bereits als Befehlshaber der asiatischen Verbände auserkoren war, nahm der Monarch Abstand von einer Bestrafung. Vielmehr versuchte Philipp II. den Ankläger mit Geschenken und einer Beförderung zu besänftigen. Darüber äußerst enttäuscht, beschloss Pausanias, Rache am König zu nehmen, der ihm die geforderte Genugtuung verweigert hatte.4

Handelte Pausanias auf eigene Faust oder in fremdem Auftrag? Die vorhandenen Quellen geben keine eindeutige Antwort darauf.5 Ihr Grundtenor lautet, dass zwar Olympias und Alexander als Anstifter oder Mitwisser der Tat in Frage kämen; aber es werden keine zwingenden Belege für beziehungsweise gegen diesen Verdacht geliefert. Welche Vorteile hatte Alexander vom plötzlichen Ableben seines Vaters? Kam sein Tod ihm überhaupt gelegen? Es fällt schwer, dies nicht zu bejahen. Dass sich Alexanders Position nach einem absehbar erfolgreichen Persienfeldzug Philipps II. hätte verbessern können, ist fraglich, vor allem, wenn man bedenkt, dass der damals erst fünfundvierzigjährige Monarch noch weitere Thronerben erwarten konnte. Tatsächlich wurde noch kurz vor Philipps II. Tod Karanos geboren, womit ihm seine neue junge Frau Eurydike Kleopatra einen weiteren männlichen Nachkommen schenkte.6

Schließlich ist auch das Gerücht eines persisch inspirierten Anschlags auf das Leben Philipps II. laut geworden. Gewiss hatten die Achaimeniden kein geringes Interesse daran, den energischen Makedonenkönig zu beseitigen, der als Anführer der bevorstehenden asiatischen Expedition die westlichen Satrapien der orientalischen Monarchie ernsthaft bedrohte. Ob aber Pausanias und seine Mitverschwörer als persische Agenten handelten, lässt sich nicht klären.

Wenden wir unseren Blick auf Alexander, so war seine Situation vor dem Attentat überaus prekär. Zwar herrschte nach den Kabalen der Vergangenheit am makedonischen Königshof zwischen den rivalisierenden Machtgruppen notgedrungen Waffenstillstand, aber die Zeit arbeitete gegen Alexanders Ambitionen. Daher boten die momentanen politischen Verhältnisse für eine Thronbesteigung gewiss keine schlechteren Chancen als die für ihn überaus ungewisse Zukunft. Außerdem schweißten die eingeleiteten Militäraktionen die bisherigen Gegner zu einer makedonischen Einheitsfront zusammen, die – wie die späteren Ereignisse bestätigen sollten – durch einen Regierungswechsel keineswegs zerbrechen musste. Im Krieg gegen Persien vereinigten sich die Interessen des makedonischen Königshauses mit denen des mächtigen Militäradels.

Wenn es stimmt, dass die Mordtat des Pausanias von persönlichen Motiven geleitet wurde, dann lag hier eine unübersehbare Parallele zu Alexanders eigenem Schicksal begründet. Auch dieser war von Attalos gekränkt worden und hatte von Philipp II. ebenso wenig Genugtuung erhalten wie Pausanias. Dass Alexander den gedemütigten Pausanias zu seinem Vorhaben ermuntert haben mag, ist nicht auszuschließen.7 Unabhängig davon, welcher Version man den Vorzug geben will (Pausanias’ Alleintäterschaft in Verbindung mit der Attalosaffäre, beziehungsweise man hält letztere für eine Erfindung, um Alexander oder Olympias zu entlasten, oder man postuliert die These einer persischen Inspiration der Mordtat), Tatsache bleibt, dass Alexander eindeutiger Nutznießer des Attentates war. Er sollte später ohne Bedenken enge Vertraute und Weggefährten beseitigen, wenn es die Umstände erforderten oder seine Autorität gefährdet schien.8 Der Königshof zu Pella war sowohl für Regierende als auch für Thronanwärter ein gefährliches Pflaster. Welche Auswege boten sich da einem jungen Mann, der in dieser von Machtbesessenheit, Wettbewerb, Empfindlichkeiten, Skrupellosigkeit, Intrigen und Hinterlist durchtränkten Atmosphäre aufgewachsen war? Daher darf Alexander nicht mit anachronistischen Maßstäben beurteilt werden. Zu bedenken sind überdies die Bedrohungssituation, die sich in letzter Zeit gegen ihn aufgebaut hatte, sowie die Demütigungen, die er verkraften musste. Es bedurfte schon viel Ausdauer und Tatkraft, Selbstbewusstsein und Geschick, um diese Widrigkeiten einigermaßen heil zu überstehen. Abschließend lässt sich wohl keine letzte Sicherheit im Mordfall Philipps II. gewinnen, doch eine wie auch immer geartete Mitwisserschaft Alexanders oder der Olympias – immerhin hat sie später Pausanias mit postumen Ehren überhäuft – bleibt denkbar.9

Unmittelbar nach dem Attentat ist der exemplarische Ablauf eines Thronwechsels in Makedonien zu beobachten: Als Erstes bemächtigte sich Alexander des Palastes von Aigai und ließ sich dort unverzüglich zum König ausrufen. Antipater, einer der einflussreichsten Vertreter der makedonischen Militärelite, spielte eine zentrale Rolle bei der Inthronisation. Er veranlasste, dass die am Hof weilenden Adligen sowie die Heeresversammlung auf den jungen Herrscher eingeschworen wurden.10 Wenige Tage später versuchte Alexander die Zuneigung des Volkes zu gewinnen, indem er versprach, seinen künftigen politischen Kurs an den Vorgaben seines Vaters zu orientieren.11 Zu seinen ersten Handlungen gehörten die Bestattung des Ermordeten sowie die Bestrafung des Täters. Auch die Helfershelfer ließ er am Grab Philipps II. hinrichten. Von den angeblich an der Verschwörung beteiligten Söhnen des Aëropos, Heromenes, Arrhabaios und Alexander Lynkestes, wurde nur Letzterer am Leben gelassen, weil dieser ihn als Herrscher anerkannte und ihm huldigte.12

Als dem Gebot der Rache für den ermordeten Vorgänger Genüge getan war, traf Alexander Vorkehrungen, um eventuellen Gefährdungen durch potenzielle Mitbewerber zu begegnen.13 Als ernsthafter Konkurrent um die Königswürde galt Amyntas IV., der Sohn Perdikkas’ III., des Bruders und Vorgängers Philipps II. Er konnte einen legitimen Anspruch auf den Thron geltend machen, zumal er bereits als Kind nach dem Tod seines Vaters den Königstitel geführt hatte – bevor die ursprüngliche bloße Vormundschaft seines Onkels in den Rang des makedonischen Monarchen umgewandelt wurde.14 Obwohl nirgendwo von einer Verschwörung seines Vetters die Rede war, ließ ihn Alexander ermorden, ebenso seinen Stiefbruder Karanos.15

Eine gefährlichere Herausforderung für Alexander war sein erklärter Rivale Attalos. Dieser hätte mit dem asiatischen Vortrupp, dem er als Befehlshaber vorstand, auf die Kunde von Philipps II.Tod einen Aufstand entfachen können. Doch er tat dies nicht. Ebenso wenig verbündete er sich mit den Athenern, sondern brachte das ihm von Demosthenes unterbreitete Angebot, gemeinsam gegen Alexander vorzugehen, in Pella zur Anzeige. Da Attalos bei den Soldaten große Beliebtheit genoss, hätte er im Ernstfall eine beachtliche militärische Revolte gegen den jungen König anzetteln können. Ob die modernen Autoren recht haben, die behaupten, Attalos habe sich gegen Alexander verschworen, sei dahingestellt.16 Jedenfalls war Alexander entschlossen, das Problem Attalos definitiv zu lösen. Daher entsandte er seinen Vertrauten Hekataios von Kardien an der Spitze einiger Einheiten nach Asien mit dem Auftrag, Attalos gefangen zu setzen und nach Makedonien abzuführen, notfalls ihn zu beseitigen, was auch prompt geschah. Die Aktion gelang nicht zuletzt deshalb, weil der zweite in Asien weilende Feldherr, Parmenion, trotz seiner durch Eheschließung entstandenen Verwandtschaft mit Attalos samt seinen Truppen treu zu Alexander stand. Genauso bekannten sich die weiteren im Heer dienenden makedonischen Adligen eindeutig zum neuen König, womit dieser eine bedeutende Unterstützung mit Signalwirkung auf die Heimat gewann.17

Die namentlich bekannten Personen, deren Leben im Rahmen der Thronbesteigung verwirkt war, waren nur die prominentesten unter den Opfern.18 Eine Anzahl weiterer Standespersonen entzog sich den Nachstellungen durch Emigration.19 Die meisten von ihnen gingen nach Persien, einige von ihnen, wie Amyntas20, sollten gar zu Beratern des Dareios III. aufsteigen. Von den männlichen Verwandten des Königshauses blieb schließlich nur der behinderte Halbbruder Alexanders, Philipp Arrhidaios, am Leben.21 Für den blutigen Epilog dieser Vendetta gegen die tatsächlichen oder vermeintlichen Opponenten sorgte die inzwischen aus Epeiros nach Makedonien zurückgekehrte Olympias, indem sie Kleopatra Eurydike und deren Tochter Europe in den Tod trieb.22

Die dringendste Aufgabe, die sich Alexander nach erfolgter Proklamation stellte, bestand darin, den makedonischen Militäradel dauerhaft an sich zu binden.23 Ferner musste seine Stellung gegenüber den zahlreichen griechischen Bündnispartnern seines verstorbenen Vaters, vor allem gegenüber Thessalien, der Delphischen Amphiktyonie und jenen Makedonien feindlich gesinnten Mitgliedern des Korinthischen Bundes geklärt werden.24 Er wusste nur allzu gut, auf welchen labilen Grundlagen die makedonisch-griechische Kooperation beruhte, da sie größtenteils von der starken Persönlichkeit seines Vaters abhängig gewesen war, und dass einige Verbündete nur darauf warteten, sich von Makedonien loszusagen. Daher ging er als Erstes auf die in Aigai versammelten Gesandten der griechischen Städte zu und versuchte, sie auf seine Person einzuschwören.25 Als Philipps II. Nachfolger beanspruchte er die politischen Leitungsfunktionen, die sein Vater wahrgenommen hatte. Er fühlte sich an den vom Korinthischen Bund gefassten Beschluss gebunden, und so befand er sich gleich zu Beginn seiner Regierung im faktischen Kriegszustand mit dem Perserreich, weswegen er den Vortrupp, der bereits in Asien die Kampfhandlungen mit den Satrapen des hellespontischen Phrygien und Lydiens eröffnet hatte, nicht abberief.

Den Regierungswechsel in Makedonien sahen Athen, Theben und zahlreiche Städte der Peloponnes und Aitoliens als Omen für die Befreiung von der aufoktroyierten Vorherrschaft an. Der Athener Demosthenes beantragte ein Dankfest für die Mörder Philipps II. und ehrte sie öffentlich mit einem Kranz.26 In Ambrakia wurde die makedonische Besatzung aus der Stadt vertrieben, und auch in Theben beabsichtigte man Gleiches zu tun.27 Dagegen reagierten andere Poleis wie Argos, Messene und zahlreiche Gemeinwesen Arkadiens und Böotiens auf den Herrscherwechsel in Makedonien gelassen. Sie hatten keine Veranlassung, am bestehenden Status quo zu rütteln, der ihnen handfeste Vorteile versprach.28

Der junge König der Makedonen musste unverzüglich handeln, wenn er seine überaus brüchige Herrschaft stabilisieren wollte.29 Er begab sich an der Spitze seines Heeres von Pella über Pydna und Dion nach Thessalien, wo er zum Archon des Thessalischen Bundes gewählt wurde.30 Unterstützt durch die hervorragende thessalische Reiterei marschierte er auf den Thermopylenpass zu. Hier traf er auf die Gesandten der Delphischen Amphiktyonie, die ihn zum Führer der hoch angesehenen Bundesgenossenschaft ernannten. Nun konnte er sich die Stellung verschaffen, die bereits sein Vater Philipp II. eingenommen hatte. Dann erschien er überraschend vor Theben, wodurch seine Gegner überrumpelt wurden.31 Der Widerstand gegen Makedonien erlosch so rasch, wie er begonnen hatte. Kriegerische Aktionen in Griechenland lagen nicht in Alexanders Interesse. Daher versuchte er, so gut es ging, zu beschwichtigen. Nach Ambrakia, wo die makedonische Besatzung verjagt worden war, schickte er Gesandte, die den Aufständischen mitteilten, dass sie ihm bei seinem Entschluss, ihnen die volle Autonomie zu gewähren, ein wenig zuvorgekommen seien.32 Unter allen Umständen sollte eine Neuauflage der Situation, die zur Schlacht von Chaironeia geführt hatte, verhindert werden.33


Abb. 12: Diogenes und Alexander. Gemälde von Gaspard de Crayer (1584–1669).

Alexander begab sich von Böotien aus unter Umgehung Athens nach Korinth, um den gleichnamigen Bund zu erneuern und sich als Nachfolger Philipps II. und oberster militärischer Führer der Griechen umfangreiche Vollmachten für den Krieg gegen Persien bestätigen zu lassen.34 Im Gegenzug sicherte er den Bundesmitgliedern weitgehende innere Autonomie zu.

Innerhalb weniger Wochen war es Alexander auf seinem Marsch von Pella nach Korinth gelungen, sich zum Archon der Thessalischen Föderation, zum Vorsitzenden des Rates der Delphischen Amphiktyonie und zum Hegemon des Korinthischen Bundes ernennen beziehungsweise sich in dieser Position bestätigen zu lassen. Auf dem Rückweg in die Heimat machte er einen Abstecher zum Delphischen Orakel, womit er etwas tat, was er bei seinen späteren Unternehmungen regelmäßig wiederholen sollte: sich stets der Wirkkraft der göttlichen Mächte zu vergewissern.

Zwar erschien Alexander mit einem Heer in Griechenland, doch zu ernsthaften Kampfhandlungen kam es nicht. Mittels sorgsam dosierter Drohgebärden und diplomatischen Geschicks gab der Neuling auf dem makedonischen Thron einen ersten Beweis seiner militärischen Entschlossenheit und seiner politischen Spannkraft. Der von Demosthenes grob unterschätzte Jüngling hatte sich als gelehriger Nachfolger seines außergewöhnlichen Vaters erwiesen.35

In Korinth soll Alexander den in ganz Hellas berühmten kynischen Philosophen Diogenes36 getroffen haben. Über diese legendäre Begegnung, die vielleicht nie stattgefunden hat, sind zahlreiche Versionen im Umlauf. Eine der bekanntesten ist jene anekdotenhaft zugespitzte Geschichte, die den Kontrast zwischen der Arroganz der Macht und der Anspruchslosigkeit des wahren Weisen thematisiert: Als Diogenes keine Anstalten machte, dem jungen König aufzuwarten, begab sich Alexander mit seinem Gefolge zu Diogenes und fragte ihn, ob er einen Wunsch habe. „Geht mir ein wenig aus der Sonne“, soll der Geistesmensch dem Tatmenschen geantwortet haben.37

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