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Die innere Stimme
Zwölf Stunden zuvor
Der grüne Flaum auf Thora Rhodan da Zoltrals Gesicht juckte fürchterlich. Nur mit äußerster Willensanstrengung konnte sie sich davon abhalten, daran herumzukratzen.
Beherrsch dich! Wenn die Druuwen mitbekommen, dass dich der Halteparasit nicht in ein willenloses Werkzeug verwandelt, bist du raus aus dem Spiel.
Thora biss die Zähne zusammen und ignorierte den Juckreiz. Ihren Extrasinn konnte sie nicht so leicht ignorieren. Es war nach wie vor eine neue Erfahrung für sie, mit der Stimme in ihrem Kopf zu leben – ihrer eigenen Stimme, wie sie sehr wohl wusste. Thora war nie jemand gewesen, der sich von anderen gern etwas vorschreiben ließ. Nun musste sie sich ständig von sich selbst belehren lassen. Denn ihr Logiksektor war erstaunlich oft anderer Meinung als sie und wies sie dann freundlich, aber nachdrücklich darauf hin. Noch wusste Thora das nicht recht einzuordnen. Sie hatte sich oft gefragt, wie es war, einen Extrasinn zu haben. Nun, da sie, mehr durch Zufall, einen besaß, war es anders als erwartet. Nicht wie ein siebter Sinn, sondern wie eine zweite Persönlichkeit, die plötzlich in ihrem Kopf aufgetaucht war und ihr mehr oder weniger ungefragt Ratschläge erteilte.
Sie musste sich eingestehen, dass ihr Zweitbewusstsein wie gewöhnlich recht hatte: Sie konnte es sich nicht leisten, aufzufliegen. Dass weder sie noch John Marshall, der neben ihr in der Zentrale der CREST II stand, von der Mentalkontrolle des Halteparasiten betroffen waren, wussten nur Sud und Doktor Drogan Steflov. Das Mentamalgam war ebenfalls immun, wenn auch aus anderen Gründen als Thora. Steflov wiederum war von Sud kuriert worden und benutzte seither spezielle »Mittel«, mit denen er Suds initiale Behandlung unterstützte.
Sud verwendet ihre Parafähigkeiten, um sich vor der Kontrolle des Parasiten zu schützen. John und ich haben es unserer Unsterblichkeit zu verdanken.
Relative Unsterblichkeit, besonders im Fall von John, korrigierte der Extrasinn sofort, während das terranische Raumschiff in ein neues Sonnensystem einflog. Dabei klang er weiterhin freundlich, fast sanft. Sein Zellaktivator ist nicht mehr der Zuverlässigste, aber immerhin erfüllt er derzeit seinen Zweck.
Ist jeder Extrasinn so ein Besserwisser?, fragte sich Thora. Ich glaube, Atlan hat so etwas mal erwähnt, gab sie sich sofort selbst die Antwort. Nicht erwähnt hatte er, dass der Extrasinn seinen eigenen Kopf zu haben schien, was sich als ziemlich lästig erwies.
Stimmt doch gar nicht! Ich mache dich nur auf Denkfehler deinerseits aufmerksam. Dafür bin ich doch da. Thora meinte, so etwas wie ein mentales, freches Kichern wahrzunehmen. Und genauso, wie du mich hin und wieder vergisst, ist dir noch nicht ganz bewusst, dass sich die Art deiner Unsterblichkeit verändert hat.
Angesichts des Tempos, mit dem das alles geschehen ist, kann man mir das wohl kaum verübeln. Thoras Hand glitt an die Stelle, an der bis vor einiger Zeit noch der eiförmige Zellaktivator geruht hatte. Nun war er verschwunden. Seine unglaublichen Kräfte indes waren geblieben: Thora und ihr Mann Perry Rhodan waren nach wie vor unsterblich, das hatte ihnen Nathalie bestätigt.
Die Erinnerung an Nathalie Rhodan da Zoltral, ihre verschollene, wieder aufgetauchte und nun erneut verschwundene Tochter, versetzte Thora einen Stich.
Jetzt werde nicht schon wieder wegen Nathalie sentimental. Thora spürte den Unwillen des Extrasinns. Er schien sich nicht gern mit diesem Thema zu befassen.
Sie allerdings auch nicht; sie schob den Gedanken an Nathalie weit von sich, konzentrierte sich auf ihre ursprüngliche Überlegung: Obwohl sie keinen Zellaktivator mehr besaß, wirkte er irgendwie immer noch. Sonst hätte der Halteparasit bei ihr das gleiche Ergebnis gezeitigt wie bei den anderen Besatzungsmitgliedern.
Aber auch bei diesen Menschen hatte sich herausgestellt: Der Parasit wirkte durchaus nicht auf alle exakt gleich. Vor allem die Zeitspanne, die der Pilz benötigte, bis er den Willen seiner Opfer vollständig gelähmt hatte, variierte recht stark. Bei den meisten setzte die Wirkung sehr schnell ein, bei einigen dauerte es eine geraume Weile. Außerdem kam es wohl häufiger zu Rückfällen, bei denen der Einfluss des Parasiten sich vorübergehend wieder abschwächte.
Immerhin war der Pilz organisch, und biologische Vorgänge liefen nicht ab wie etwa das Programm einer Maschine. Das erklärte auch, warum die Druuwen Ausreißer, Flüchtlinge und sogar Widerständische meist einfach ignorierten, sofern sie nicht gewalttätig wurden. Diese Probleme lösten sich fast immer rasch von selbst. Die Druuwen kannten diese Übergangsphase natürlich und akzeptierten die damit einhergehenden Unannehmlichkeiten. Darauf Energie zu verschwenden, kam ihnen nicht in den Sinn. Ihre beeinträchtigte Gesundheit zwang ihnen wahrscheinlich ohnehin gewisse Einschränkungen auf. Also schonten sie ihre Kräfte und Nerven, wann immer das möglich war.
Mit exotischen Sonderfällen wie Zellaktivatorträgern oder Parabegabten, die dem Parasiten dauerhaft zu widerstehen vermochten, hatten die Piraten nicht rechnen können und taten dies weiterhin nicht. Die Flucht der CRISTOBAL war für sie leicht zu verschmerzen, angesichts eines Schatzes wie der CREST II, den sie nach wie vor unter ihrer unangefochtenen Kontrolle hatten. Wahrscheinlich nahmen die Druuwen an, dass die Wirkung des Halteparasiten auch bei den Geflohenen längst eingesetzt hatte und das Beiboot mit einer apathischen Besatzung an Bord dem Untergang geweiht war. Im Zentrum der Milchstraße gab es viele Gefahren, die ein kleines Raumschiff zerstören konnten. Auch dieses Problem war also gelöst und keiner Aufmerksamkeit mehr wert.
Dass Zakhaan Breel die Arkonidin trotz ihres – wenngleich gescheiterten – Versuchs, die Zentrale der CREST II zu erobern, wieder als Kommandantin eingesetzt hatte, war Thora zwar ein Rätsel. Aber Marshall hatte herausgefunden, dass die Piraten nach vollendeter Machtübernahme und dem Ablauf der Karenzzeit die üblichen Hierarchien ihrer Gefangenen fast immer unangetastet ließen. Die eingespielten Automatismen wirkten trotz der Pilzinfektion und erleichterten die Abläufe beim Betrieb eines derart großen und für die Druuwen fremdartigen Raumschiffs. Auch hierbei sparten sie an Energie, indem sie sich nur dort einmischten, wo es unbedingt nötig war. Thora gab nur ungern zu, dass dies eine sehr ökonomische und sogar vernünftige Einstellung war.
Die Arkonidin sah sich unauffällig in der Zentrale um und stellte fest, dass das Vorgehen der Druuwen funktionierte. Alle machten anstandslos ihre Arbeit, die nötig war, um ein so riesiges Expeditionsschiff zu steuern. Allerdings wirkten sie dabei wie Zombies: Sarah Maas an der Funk- und Ortungsstation stierte dumpf auf die Anzeigen, als sei sie versteinert. Siobhan O'Sullivan hatte als Waffenchefin derzeit nichts zu tun. Sie saß trotzdem wie eine Puppe auf ihrem Platz und rührte sich nicht.
Auf der pechschwarzen Haut des Piloten Hamza Obafemi Azikiwe, der erst nach Kosums Flucht auf seinen Posten zurückgekehrt war, fiel der Halteparasit besonders deutlich auf, vor allem, weil er gerade wanderte. Während Azikiwe stoisch die Kontrollen bediente, kroch das Myzel über seine rechte Wange bis zum Auge hinauf, wo ein paar feine Pilzfäden über das Lid in sein Auge hineinwucherten.
»Gruselig, nicht wahr?«
Marshalls Stimme schreckte Thora auf. Sie hatte sich eben beim Anblick der Crew unendlich einsam gefühlt, als sei sie das einzige denkende Wesen in der Zentrale. Marshalls Anwesenheit hatte sie fast vergessen. Schließlich sprachen sie so wenig wie möglich miteinander, um sich nicht zu verraten.
Der Telepath trat näher an sie heran. Thora warf einen Blick über die Schulter. Es waren gerade keine Druuwen in der Zentrale. Deswegen hatte Marshall sie angesprochen, denn überwacht wurden sie nicht. Die Druuwen vertrauten voll und ganz auf die Wirksamkeit ihrer Halteparasiten.
»Mehr als gruselig.« Thora sah Marshall nicht an und sprach monoton und leise; nur für den Fall, dass einer der Besatzer hereinspaziert kam. »Ich kann diesen Anblick kaum ertragen. Aber wir können momentan nichts daran ändern.«
»Das befürchte ich auch. Wir sollten wachsam bleiben, um jederzeit eine Chance zur Flucht zu ergreifen. Hast du irgendein Zeichen von Perry und den anderen bekommen?«
»Nein.«
Das muss nichts heißen. Wie sollten sie uns denn ein unauffälliges Zeichen zukommen lassen?
Eins musste Thora ihrem Extrasinn lassen: Er war optimistischer als sie.
Ich bin du, kapier das endlich. Und es ist nicht besonders schwer, optimistischer zu sein als die Mutter des Trübsinns.
Empörung stieg in Thora auf. Mutter des Trübsinns? Eigentlich habe ich gerade Besseres zu tun, als mich mit mir selbst zu streiten.
Da gebe ich dir recht. Die Stimme klang nach wie vor sanft. Thora konnte sich nicht helfen, aber er – oder eher sie – erinnerte sie an irgendjemanden. Sie kam nur nicht darauf, an wen.
Du denkst zum Beispiel immer wieder darüber nach, warum der Halteparasit bei dir keine Wirkung zeigt.
Du etwa nicht?
Nein, natürlich nicht. Ich habe darüber nachgedacht, ich kenne die Antwort nicht. Warum sollte ich mir länger den Kopf darüber zerbrechen, ehe ich neue Informationen bekomme?
Verblüfft gab Thora dem Extrasinn recht. Sie fühlte sich sofort besser.
Allmählich beginne ich, den Nutzen eines solchen Extrasinns zu begreifen.
Das freut mich. Wie ich schon sagte: Ich existiere nicht, um dich zu ärgern. Ich will dir helfen.
»Wo sind wir hier, Mister Azikiwe?« Thora hoffte, dass die Frage harmlos genug war, um selbst im Fall einer akustischen Überwachung nicht aufzufallen.
»Die Planetengruppe heißt Carxtröll.« Die Stimme des Piloten war monoton. »Der angeordnete Zielpunkt befindet sich auf der Zentralwelt Carxtröll-Fabb.«
Von den Druuwen angeordnet. Alle derzeitigen Befehle stammten von den Besatzern.
Wie aufs Stichwort glitt das Hauptschott der Zentrale auf. Eine fast zwei Meter große Gestalt kam im Sturmschritt herein. Die kleinen Ketten und Anhänger, die der Hüne an seinem feuerroten Kampfanzug befestigt hatte, klirrten geräuschvoll.
Zakhaan Breel, der Anführer der Druuwen. Thora riss sich zusammen, um keine Regung zu zeigen. Das Bild, wie dieser Kerl Perry Rhodan niedergeschossen hatte, war ihn noch immer allzu präsent.
Breels Anzughelm war geöffnet, sodass das von Geschwüren und Narben übersäte Gesicht des Druuwen zu sehen war. Seine Miene wirkte unwillig – oder eher genervt.
»Man sollte meinen, die Mannschaft eines so großen Raumschiffs sei in der Lage, schnell und effizient ein Ziel anzufliegen. Warum haben wir Carxtröll-Fabb noch immer nicht erreicht?«, fuhr er Thora an.
Sie war zunächst zu perplex, um zu antworten. Azikiwe schien sich ebenfalls angesprochen zu fühlen. »Der Anflugkorridor war wegen der vielen Meteoriden und den unbekannten Gesteinsbrocken im Orbit sehr schwer zu berechnen.« Der Pilot klang weder furchtsam noch besorgt. Der Halteparasit dämpfte jegliche Gefühle. »Wir wären schneller vorangekommen, wenn wir ausreichend Informationen über das System erhalten hätten.«
Breel baute sich drohend vor dem Pilotensessel auf. »Ihr bekommt genau so viel Informationen, wie wir es für richtig halten. Du wirst doch nicht etwa aufsässig werden, Mensch?«
»Nein. Ich gab Ihnen lediglich die Informationen, nach denen Sie gefragt haben.« Azikiwe starrte weiter vor sich auf die Anzeigen; er war von Breels Auftreten nicht verängstigt, er schien es gar nicht wahrzunehmen.
Dieser Halteparasit hat wohl auch seine Nachteile, wenn man seine Gefangenen nicht mal mehr ordentlich einschüchtern kann. Thora beobachtete die Situation besorgt, denn sie wusste nicht, wie Breel weiter reagieren würde. Der Druuwe presste die Kiefer aufeinander. An seiner Unterlippe wucherte ein frisches rotes Geschwür, das Thora an eine Beere erinnerte.
Ehe Breel weiter auf Azikiwe eingehen konnte, ertönte ein leises Signal; so leise, dass Thora es fast überhört hatte. Dann ging ihr auf, dass es aus dem Innern des Helms drang, den der Druuwe nun hastig zuklappte.
Das war ein Anrufsignal. Wahrscheinlich hätten wir es gar nicht mitbekommen sollen. Die Technik dieser Druuwen verwirrte Thora. Einerseits waren sie medizinisch auf einem hohen Stand: Die Vertreter dieser Spezies waren, soweit sie sie zu Gesicht bekommen hatte, alle von wuchernden Geschwüren gezeichnet. Zakhaan Breel selbst hatte erzählt, dass es sich um eine extreme Reaktion auf das Dunkelleben handelte. Thora hatte die medizinischen Details nicht vollständig nachvollziehen können, aber es war wohl der Grund, aus dem die Druuwen die Infektion überhaupt überlebten. Die Geschwüre mussten allerdings permanent entfernt werden, und das leisteten in atemberaubendem Tempo die Vollanzüge der Druuwen; eine Technik, die Sud in Erstaunen versetzte, und das wollte etwas heißen.
Auf der anderen Seite verfügen sie anscheinend nicht mal über simple Implantatstechnologie zur Funkkommunikation. Thora sah, wie Breel sich während seines Gesprächs in ein Abschirmfeld hüllte. Dabei hätten wir sicher ohnehin nichts verstanden, solange er den Helm geschlossen hat – oder doch? Das Verhalten dieser Leute gibt mir Rätsel auf.
Ist es nicht faszinierend, neue Spezies kennenzulernen? Wie du weißt, waren die Druuwen einst eine friedliche Zivilisation, ehe das Dunkelleben kam.
Der Extrasinn hatte eine erfrischend naive Art an sich, die Dinge zu sehen. Momentan hatte Thora allerdings keinen Sinn für philosophische Fragen dieser Art. Mir wäre lieber, ich könnte diese neue Spezies aus der Entfernung kennenlernen und nicht gerade, wenn sie mein Schiff überfallen und meine Mannschaft mit etwas infizieren, das den Leuten einen Pilz im Gesicht wachsen lässt und sie zu wehrlosen Zombies macht.
Witzig, dass du dabei an Zombies denkst – das sind doch diese Gruselwesen aus den alten Holoserien, die Nathalie immer verschlungen hat. Du bist eindeutig schon zu lange auf der Erde, sonst wären dir doch eher Henoxen als Vergleich eingefallen.
Henoxen – das war interessant. Das waren arkonidische Albtraumgestalten, die tatsächlich frappierend an Menschen erinnerten, die von dem Halteparasit befallen waren: bedauernswerte Kreaturen, deren Gehirn von Würmern zerfressen wurde und die anschließend unter fremder Kontrolle standen. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr an Henoxen gedacht, obwohl ich diese Horrorgeschichten als Kind geliebt habe.
Breel klappte den Helm wieder auf. Das Geschwür an seiner Lippe war verschwunden: Wahrscheinlich hatten die medizinischen Nanomaschinen im Anzug reagiert und die Wucherung während des Gesprächs entfernt. Ein blasser, grüner Schatten war zurückgeblieben, wo der Tumor vermutlich nachwachsen würde. Nicht verschwunden war hingegen Breels Wut. Die war sogar schlimmer geworden. Gereizt ging er mit kurzen Schritten auf und ab, kniff die Lippen zusammen und zuckte mit den Fingern unruhig.
Thora wechselte unauffällig einen Blick mit Marshall. Zu gern hätte sie mit dem Freund gesprochen. Aber zumindest konnte der Telepath ihre unausgesprochene Frage empfangen: Was hat das zu bedeuten? Was war das für ein Anruf?
Marshall hob ganz leicht die Schultern, das universelle terranische Zeichen für »Keine Ahnung.«
Schlechte Nachrichten, würde ich sagen. Der Extrasinn klang unverhohlen besorgt. Hoffentlich ist das nicht auch schlecht für uns.
Nach einigen Sekunden ging Breel wieder zu Azikiwe. »Warum geht das nicht schneller?« Er packte den Piloten am Arm und riss ihn aus dem Sessel. »Bei allen Kotzblasen der Junialen, ich könnte dieses Schiff besser fliegen als du.«
Grob stieß er Azikiwe zu Boden. Der Pilot blieb einige Sekunden liegen, dann richtete er sich langsam und automatisch zum Sitzen auf.
Breel ließ sich in die Schale des Pilotensessels fallen und hantierte wild in den Steuerhologrammen, die noch immer um die Kopfstütze herumschwebten.
Erschrocken zuckte Thora vor, zwang sich dann, bedächtig und gemessen zum Pilotensessel hinüberzugehen. »Ich halte das für keine gute Idee.« Sie bemühte sich um die monotone Sprechweise, die auch Azikiwe an den Tag legte.
Irritiert sah Breel auf. »Was?«
»Die Steuerung der CREST II ist nicht einfach, die Bedingungen sind suboptimal. Sie sollten unseren Piloten wieder an die Kontrollen lassen. Er kann den Landeanflug besser handhaben.«
Thora starrte eine Winzigkeit an Breels Gesicht vorbei. Vielleicht klappte es, ihn zu täuschen. Immerhin hatte auch Azikiwe, der definitiv unter dem Einfluss des Parasiten stand, Breel Antworten gegeben, die dem Piraten nicht passten.
Der Druuwe fuhrwerkte noch ein paarmal in den Kontrollholos, war jedoch offensichtlich überfordert. Mit einem wütenden Knurren stand er schließlich auf und schob Thora grob beiseite. Sie dachte zunächst, er würde die Zentrale wieder verlassen. Stattdessen blieb er neben dem hockenden Azikiwe stehen. »Ich mag es nicht, wenn mir jemand Widerworte gibt. Holt einen anderen Piloten! Dieser Mensch hier braucht einen Denkzettel.« Dann schlug er Azikiwe mit der Faust ins Gesicht. Mit einem Schrei kippte der Pilot nach hinten und presste sich die Hände auf die Nase, aus der Blut schoss.
Schmerz scheint auch etwas zu sein, das die Lethargie durchbricht. Ein Detail, das Thora lieber anders herausgefunden hätte.
Breel hob den Arm und schlug noch einmal zu.
Verdammt, er schlägt Azikiwe zu Brei! Was kann ich tun, ohne meine Immunität zu verraten?
Der Extrasinn reagierte sofort auf die Frage. Tu das, was du als Kommandantin tun musst!
John. Hilf mir!
Als der Druuwe zum dritten Mal mit der Faust ausholte, fiel ihm Thora in den Arm. »Sie gefährden das Schiff. Ich muss Sie dringend bitten, das zu unterlassen.«
Später fragte sich Thora, wie sie es geschafft hatte, so kühl und unbeteiligt zu klingen. Am liebsten hätte sie Breel mit Dagortritten traktiert – schon wieder. Die Erfahrungen vom vorigen Mal hielten sie allerdings zurück, ebenso wie ihr Extrasinn. Nicht übertreiben! Er darf es nicht merken.
Marshall trat vor und zog Azikiwe zur Seite. Breel riss sich los und wirkte kurz, als würde er gleich Thora attackieren. Doch er stierte sie nur wütend an, während sie weiter reglos vor sich ins Leere blickte.
»Warum genau kommen Sie zu der Ansicht, dass ich dieses Schiff gefährde?«
»Nun, Sie erschlagen den einzigen verfügbaren Piloten.«
Breel lachte auf, aber es klang nicht sonderlich humorvoll. »Was für ein Gramarrar, ein Raumschiff dieser Größe ist niemals mit nur einem Piloten unterwegs!«
»Das stimmt. Der Erste Pilot hat die CREST II vor Kurzem verlassen.« So weit korrekt. Kosum war fort. »Der Ersatzpilot ist auf der Krankenstation und nicht einsatzfähig.« Eine glatte Lüge. »Und der dritte Pilot – der Einzige, der dieses Schiff durch den engen Einflugkorridor bringen kann – liegt vor Ihnen auf dem Boden.« Noch eine Lüge. Selbstverständlich hätte auch Thora die CREST II steuern können. Doch das wusste Breel schließlich nicht.
Der Druuwe spuckte aus und richtete einen Orden an seiner Montur, der schief gerutscht war. »Von mir aus. Er soll weiterfliegen. Aber machen Sie ihm Pexiofeuer unter dem Hintern, wir werden im Labor erwartet.«
Hamza Obafemi Azikiwe stand mühsam auf und setzte sich, übernahm die Kontrollen wieder, als wäre nichts geschehen. Das Blut rann ihm aus der Nase und blieb teilweise in den Pilzfäden auf seinem Gesicht hängen.
Breel stellte sich hinten in die Zentrale und verschränkte störrisch die Arme vor der Brust. Auch Thora und John Marshall gingen wieder auf ihre Posten.
Gut so, nicht weiter auffallen. Tu einfach so, als ob gar nichts geschehen wäre, motivierte ihr Extrasinn sie.
Der weitere Anflug verlief ohne Zwischenfälle. Allerdings wies die Hauptpositronik, die auf diesem Schiff den Namen SENECA trug und im Begriff war, sich zu einer komplexen Künstlichen Intelligenz zu entwickeln, nachdrücklich darauf hin, dass der Untergrund von Carxtröll-Fabb instabil und der Planet kein guter Landeplatz sei: »Ich empfehle ausreichend Prall- und Fesselfelder, falls es zu Erdbeben kommen sollte – was angesichts der Planetenstruktur vermutlich häufig geschieht.«
Irrte sich Thora oder klang die Positronik verstimmt? Die Arkonidin konnte dem Konzept von Künstlichen Intelligenzen nicht viel abgewinnen. Dass Thora den Rat des Schiffsgehirns, nicht auf dem Planeten zu landen, nicht annahm, schien SENECA ...
Was? Zu verstimmen? Es ist keine KI, erinnere dich. Sie kann nicht beleidigt sein. Der Extrasinn klang amüsiert.
»Landung einleiten!«, befahl Thora. Erstens hatten sie ohnehin keine andere Wahl, und zweitens würde sie ganz sicher nicht auf die nicht vorhandenen Gefühle der Schiffspositronik Rücksicht nehmen.
Die CREST II landete wie geplant auf Carxtröll-Fabb, einem unscheinbaren, grau-schwarzen Klumpen ohne sichtbare Oberflächenbebauung.
Thora war irritiert. Was soll das? Was wollen wir hier?
Breel hat vorhin ein Labor erwähnt, äußerte der Extrasinn. Das muss hier irgendwo sein.
Ich sehe keine Gebäude. Vielleicht sind sie getarnt?
Oder unter der Oberfläche versteckt.
Nachdem die CREST II aufgesetzt hatte, öffnete sich auf dem Planetenboden ein bislang verborgener Zugang in die Tiefen von Carxtröll-Fabb. Ein flexibler Andocktunnel schob sich dort rüsselartig heraus, wurde an eine große Personenschleuse im unteren Haupthangar der CREST II angefahren und dort massiv verankert.
Thoras Optimismus erhielt einen Dämpfer. Damit ist eine schnelle Flucht fast unmöglich. Das Abreißen dieser Andockröhre würde enorme Schäden an der statischen Struktur des Schiffs anrichten, da er mit mehreren Stahlklammern auch an den Landestützen gesichert ist.
Dann bleiben wir wohl vorerst hier und sehen, wie es weitergeht. Der Extrasinn klang, als wäre er sogar gespannt darauf.
Thora versuchte es mit einem inneren Augenrollen. Ganz ehrlich, ich werde noch eine geraume Zeit brauchen, um mich an dich zu gewöhnen.
Aber du WIRST dich an mich gewöhnen, entgegnete der Extrasinn optimistisch.
Ein privater Ruf auf Thoras implantiertem Kommunikationsgerät traf ein. Sie drehte sich unauffällig nach Breel um. Der Druuwe schickte sich gerade an, die Zentrale zu verlassen. Sobald sich das Schott hinter ihm geschlossen hatte, nahm Thora das Gespräch an – es kam aus der Medostation.
»Sud, was ist los?«
Direkt auf Thora Rhodan da Zoltrals Netzhaut projiziert, erschien das Bild der äußerst besorgten Ärztin. »Wir haben Probleme mit Merkosh!«