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2.

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Diesmal war es bedeutend leichter, die Verfolger abzuschütteln als vor Jahren, da er den Gegner seines Vaters getötet hatte. Damals hatte ihn das Aufgebot fast zu Tode hetzen können. Er ritt jetzt auf den nur eine Meile weit im Süden gelegenen Waldgürtel zu. Dort angekommen, hielt er an und zog den Rappen in dichtes Buschwerk hinein.

Die Millards hatten ihm ein gutes, hoch gebautes Pferd zur Flucht bereitgestellt. Dan war erfahren genug, um den Rappwallach beurteilen zu können. Er fragte sich, woher das Tier stammen mochte, denn vor seiner Flucht hatte er das Tier bei den Rohhäutern nicht gesehen. Sicherlich fehlte das Pferd jetzt einem Rancher oder Siedler in der Gegend. Das würde auch den Leuten in der Gegend nicht lange verborgen bleiben, denn niemand verkaufte einen solchen Wallach, der hoch gebaut war, einen trockenen Kopf hatte und große, klarblickende Augen. Die geaderte Haut ließ einen Vollblüter erkennen. Ein solches schnelles und ausdauerndes Tier, dessen Fell glänzte und dessen Muskeln unentwegt unter der Haut tanzten und spielten, war in diesem Land wie eine Lebensversicherung.

Die Millards hatten den Rappen für Dan geholt. Sie wollten, dass er ein gutes Pferd für die Flucht haben sollte, aber sie wussten auch, dass er mit einem solchen Reittier gleichzeitig dazu verurteilt war, allen Menschen dieses Landes aus dem Wege zu reiten. Sollte man ihn mit dem Pferd erblicken, würde man ihn für einen Pferdedieb halten, und auf Pferdediebstahl stand die Todesstrafe. Alles konnte man hierzulande verzeihen, dass man Rinder stahl oder eine Kugel auf jemand abfeuerte, aber zwei Dinge nicht, dass man die Frau eines anderen nahm oder sich ein Pferd aneignete, das einem nicht gehörte. Die Millards hatten also nicht vor einem Pferdediebstahl zurückgescheut, um Dan zu helfen. dass sie ihm mit einem gestohlenen Pferd eine weitere Last aufbürdeten, war ihnen wohl nicht in den Sinn gekommen. Dan aber musste jetzt daran denken, nachdem er einige Zeit im Gebüsch verharrt hatte und sich dann zum Weiterritt entschloss, als nichts Verdächtiges zu bemerken war.

Dan Flemming musste daran denken, was man ihm nun alles anhängen würde: einen Mord, Rinderdiebstahl, die Frechheit, einer verheirateten Frau den Kopf zu verwirren und jetzt auch noch Pferdediebstahl. Jede einzelne Tat war ein Verbrechen und ließ Dan in einem zweifelhaften Licht erscheinen. Die Kehle zog sich ihm eng, seine Fäuste schlossen sich fester um die Zügel, dass die Knöchel weiß unter der Haut hervorschimmerten. Immer tiefer war er in Schuld verstrickt worden und so zu einem Gezeichneten geworden, ein Mann, der vogelfrei war und in allen Staaten gejagt würde, sobald die Vergangenheit ihn eingeholt hatte. Dabei fühlte er sich nicht einmal schuldig. Tief in seinem Innern wusste er, dass er nicht zu den Verlorenen zählte, die alle Hemmungen abgelegt hatten und keine Skrupel mehr kannten. Nein, so war er nicht, so würde er niemals werden. In seinem Kern sträubte sich alles dagegen. Beim Gedanken daran wurde ihm schier übel. Das Schicksal schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Er ritt nahe am Abgrund und konnte jeden Augenblick den Halt verlieren und in die bodenlose Tiefe stürzen.

So jung er noch war, so hatte er doch eins bereits erkannt, dass man sich nämlich nicht gehen lassen durfte, dass man all seinen Willen zusammennehmen musste, um sich nicht treiben zu lassen.

Um Mitternacht scheuchte er eine kleine Gruppe von Mavericks auf, die sich am Unterholz gelagert hatte und bei der Annäherung des Reiters aufstob und flüchtete. So dunkel es auch war, so konnte er doch erkennen, dass er ungebrannte Jungrinder vor sich hatte, Färsen, Jungstiere und einige Kälber. Über ein Dutzend Tiere waren es, genau die Zahl, die man im Rohhäutercamp benötigte, um der Proviantsorgen für die nächsten Wochen ledig zu sein. Mit Leichtigkeit hätte man sie einfangen und ins Camp treiben können. Das war aber für ihn nun endgültig vorbei.

Das Gefühl, ganz allein zu sein, war diesmal nicht so unerträglich wie bei seiner ersten Flucht, nachdem er den Gegner seines Vaters niedergeschossen hatte. Keine Panikstimmung überkam ihn jetzt. Je weiter er ritt, um so gelassener wurde er. Nur eins war sonderbar, das Bild von Ann Palmer wurde immer mächtiger und stärker in ihm. Ihre faszinierenden Augen schienen ihn mit einem traurigen Ausdruck immerzu anzusehen. Ihre Lippen waren fest verschlossen, wie von einem verhaltenen Weinen versiegelt.

„Tut mir leid, Ann“, sagte er aus seinen Betrachtungen heraus, „wir waren nicht füreinander bestimmt. Jeder von uns wird seinen eigenen Weg gehen. Wir werden uns nie wiedersehen, und das wird gut so sein. Wenn ich dir noch einmal begegnen würde, wenn du mir wie am Bach gegenübertreten würdest, würde ich dich in meine Arme reißen. Vielleicht liebe ich dich, Ann, du hast die Liebe in mir geweckt und das Verlangen.“

Weiter ging der Ritt, Meile um Meile. Er durchquerte jetzt einen lichten Föhrenhain. Unter den Hufen des Pferdes war ein dichter Moosteppich, der die Hufschläge dämpfte. Silbernes Mondlicht fiel durch Geäst und Laubwerk und malte eigenartige Filigranmuster auf den Waldboden. Von den Schlafästen der Dohlen kamen seltsame Laute. Beim Weiterreiten spürte Dan, dass der nächtliche Wald voller Leben war. Ein Rudel Coyoten ließ ein melodisches Geheul hören. Weiter weg im Dickicht raschelte es. Schmalwild brach aus den Einstellplätzen, um vor dem nächtlichen Räuber reißaus zu nehmen. Vielleicht war es ein Vielfraß, der auf der Jagd war. Dan war das Tier nicht unbekannt. Er hatte es oft gesehen und wusste auch, dass kein anderes Tierfell so wasserundurchlässig war, wie das des Vielfraßes. Man benutzte es, um Wassersäcke und Wasserschläuche daraus zu fertigen.

Der große Rappwallach trug Dan weiter. Er ließ sich leicht lenken; der leiseste Zügeldruck wurde willig befolgt. Mit jeder Meile mehr schlossen sich die unsichtbaren Bande von Mensch und Tier fester.

Zum Glück für Dan war seine Flucht aus dem Rohhäuterlager zu einem Zeitpunkt erfolgt, als man die baumlosen Ebenen Oklahomas hinter sich hatte. Dan hasste die Staubstürme, die sich dort erhoben hatten, er hasste den roten Staub, der Augen, Nase, Mund und Ohren oft verklebt hatte. Im Südosten des Landes, nahe der texanischen Grenze in den Kiiamochi Mountains hoben sich die

Berge und Hügel und lösten sich die Täler einander ab. Dort war das Land von urigen Forsten und tief dunklen Wäldern überzogen. Kleine und große Bäche, in denen Forellen und Barsche lebten, flossen zu Tal, so dass der Reiz dieser Landschaft selbst bei Nacht einem Manne das Herz höher schlagen lassen konnte. Der große Sturm auf Oklahoma hatte noch nicht stattgefunden, noch lebten in diesem Gebiet viele indianische Stämme, die eine besonders farbenprächtige Kleidung trugen. Nur vereinzelt gab es Ranchen, einige kleine Rinderstädte und dünne Postlinienverbindungen. Die Menschen, die hier lebten, nannten sich stolz die Boomers. Sie hatten wohl längst vergessen, dass sie zu den aus Kansas gekommenen weißen Siedlerbanden gehörten, die allen Regierungsanweisungen zum Trotz in Oklahoma einfielen, in einen Staat, der dem roten Manne durch Verträge zugesichert war. Oklahoma hieß in der Crowsprache „Land des roten Mannes“. Darauf hatten die weißen Siedlerbanden wenig Rücksicht genommen. Auch vor der Kavallerie waren sie nicht zurückgeschreckt, die der Staat schickte, um sie aus dem Indianerterritorium zu vertreiben. Sie hatten sich mit allen Mitteln zur Wehr gesetzt, so als ahnten sie, dass nur wenige Jahre später, im Jahre 1889, die Regierung selbst einen großen Teil des Landes für die Kolonisation öffnen würde.

Der große Aufbruch nach Oklahoma lag also noch in der Zukunft. Jahre später sollte das Land wie kaum ein zweites in den Staaten einen Ansturm erleben, wie er in der Geschichte der Staaten nie wieder vorkommen sollte.

Der Morgen graute bereits, als Dan Flemming haltmachte. Er war ständig in südliche Richtung geritten. Sein Vorhaben, ein Lager aufzuschlagen, gab er bald wieder auf. Der Hufschlag einer kleinen Reiterkavalkade ließ ihn sein Pferd in die Deckung der Büsche ziehen und ihm die Nüstern zuhalten. Der Gedanke, dass der Reitertrupp aus Rohhäutern bestehen konnte, war nicht abwegig. Auf keinen Fall durfte der Rappwallach den fremden Pferden zu wiehern.

Unwillkürlich senkte sich Dans Rechte und tastete nach dem 45er Colt im Holster. Erst jetzt, als er im Versteck verharrte, bemerkte er, dass er während des Rittes eine Fahrspur überquert hatte. Tiefe Räderfurchen hatten sich in den Boden eingegraben und zeigten so einen Weg an, wie er in diesem Lande als Straße üblich war. Die großen Straßen in den Ländern allerdings waren ehemalige Büffelpfade, die diese massigen Tiere auf ihren Wanderungen im Laufe der Jahrhunderte getreten hatten.

Nun, die Spur vor Dan befand sich nicht auf einem Büffelpfad. Die Räderfurchen stammten von Frachtwagen, Einspännern und Stagecoachs. Man brauchte kein besonders guter Fährtenleser zu sein, um das herauszufinden. Dan bemerkte zu seinem Missvergnügen, dass er ein schlechtes Versteck hatte. Jetzt war es allerdings zu spät, den Ort zu wechseln. Seine Hand klammerte sich fester um den Kolben seiner Waffe. In seinen Grauaugen zeigten sich dunkle Schatten. Eine Strähne seines braunlockigen Haares, das unter dem Stetsonrand hervorquoll, wurde vom kühlen Morgenwind gezaust. Seine Finger tasteten über sechs Kerben im Revolvergriff. Die sechs Kerben zeigten jede den Tod eines Mannes an, der aus dem Leben scheiden musste, damit er weiterleben konnte.

Fester pressten sich Dans Lippen zusammen. Wie versteinert wirkten seine Gesichtszüge. Es war, als kämpfe er innerlich gegen einen Fluch an, der durch den Willen des Schicksals auf ihm lastete. Es war der Fluch, mit der Waffe in der Hand sich einen Weg zu bahnen, um selbst weiterleben zu können.

Dan Flemming hatte am Hufschlag der sich nähernden Kavalkade bereits erkannt, dass sie aus drei Männern bestand. Bei den Rohhäutern gab es einige besonders beschlagene Männer, die schnelle Pferde hatten, stark bewaffnet waren und für ihren Anführer durch die Hölle reiten würden. Dans Nasenflügel vibrierten wie bei einem witternden Tier, das die drohende Gefahr mit feinem Instinkt erfasst hat. Wer Dan jetzt in dieser Verfassung zu sehen bekommen hätte, würde ihn für einen Mann von dreißig Jahren halten, so verändert und gealtert wirkte jetzt sein Gesicht. Die letzten Spuren der Jugend waren aus ihm gewichen. Seine Augenlider zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, und sein Blick drang durch das Gebüsch mit der Schärfe eines nach Beute ausspähenden Adlers. Er schreckte nicht einmal zusammen, als die drei Reiter in sein Blickfeld kamen.

Beim Anblick der drei Männer atmete er erleichtert auf, denn an ihren Silhouetten erkannte er, dass es keine ihn verfolgenden Rohhäuter waren. Es waren fremde Männer, die langsam und sehr vorsichtig ritten, so als warteten sie auf etwas ganz Bestimmtes. Etwa zwanzig Schritt von Dans Versteck gingen sie mit ihren Pferden in Deckung. Einer nach dem anderen verschwand, so als würde er von der Schwärze der scheidenden Nacht aufgesogen. Dan wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass sie ihn irgendwie bemerkt hatten, so sehr ihm sein Verstand auch sagte, dass das nicht gut möglich sein konnte. Sie kamen aus einer Richtung, die er selbst nicht geritten war. Die Angst, dass der Rappwallach schnauben oder wiehern könnte, hatte ihn dazu veranlasst, mit beiden Händen die Nüstern des Tieres zuzuhalten. Er merkte, dass diese Vorsichtsmaßnahme nicht nötig war, denn der Rappwallach gehörte zu jener Sorte gut dressierter Pferde, die ein Kenner für das Leben in diesem Lande abgerichtet hatte. Das Tier stand wie aus Erz gegossen, und nur seine Ohren bewegten sich.

Vor der Ankunft der drei Reiter hatte sich Dan wieder in den Sattel geschwungen. Reglos saß er jetzt und lauschte. Nichts regte und rührte sich. Nicht lange allerdings blieb dieser Scheinfriede erhalten. Das Rollen eines Wagens drang aus der Dämmerung zu ihm hin. Der Wind trug das Räderrollen aus nördlicher Richtung heran. Dan erblickte für einen Augenblick eine Gestalt am Wegrand, die aber sogleich wieder verschwand. Daran war zu erkennen, dass die Reiter abgesessen waren und auf das Erscheinen des Wagens warteten. Sie waren also nicht Dans wegen gekommen. Ungewollt war er nun Zeuge der Vorbereitungen eines Überfalls geworden, der aus dem Hinterhalt stattfinden sollte.

„Mische dich nicht ein“, sagte ihm eine innere Stimme. „Es geschieht dir nichts, du solltest endlich damit aufhören, dir für andere die Haut ansengen zu lassen. Hast du nicht schon genug abbekommen? Du hast deine Lektionen erhalten. Was auch geschieht, es geht dir nicht an den Kragen!“

Eine andere Stimme stellte sich dem entgegen.

„Dan“, sagte diese Stimme mit Nachdruck, „das Böse in der Welt ist deutlich zu erkennen. Schon in der Vorbereitung zur Tat ist es gut sichtbar. Wenn du es hinnimmst, wenn du duldest, dass es zur Tat wird, bist du genauso wie die drei da vorne, nämlich ein übler und hinterhältiger Schurke. Alles liegt ganz klar, du brauchst nicht einmal nach den Hintergründen zu forschen. So wie diese drei, so lauern Raubtiere auf Beute. Du hast doch gegen menschliches Raubzeug immer wieder eine unüberwindliche Abneigung gehabt. Ist das nun zu Ende? Bist du bereits auf dem Weg so kalt und herzlos zu werden, dass dich nichts mehr erschüttern, nichts mehr aus dem Gleichgewicht bringen kann? Sechs Kerben trägt deine 45er Waffe, sind es diese Kerben, die dich gefühllos machen? Sind diese Kerben schuld daran, dass dir das Leben eines Menschen so nichtig erscheint, dass du die Verantwortung, die jeder Mensch für seinen Mitmenschen hat, einfach in den Wind schlagen willst?“

Fester pressten sich Dan Flemmings Lippen zusammen, so fest, dass sie zu schmalen Strichen wurden.

Arizona Gunfighter - 10 Western: Sammelband Januar 2018

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