Читать книгу Trevellian - Verschollen in Chinatown: Action Krimi - Pete Hackett - Страница 9
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ОглавлениеEs war kein großes Problem, herauszufinden, dass sich das Haus Hsien Hsing-hais in der 35th Avenue mitten im Flushing Meadows Corona Park befand. Milo und ich fuhren nach Queens. Es handelte sich um ein unauffälliges Einfamilienhaus mit einem Vorbau und einem Erker auf dem Dach, in weiß und blau gehalten, mit einer Rasenfläche vor dem Haus, die bis zum Gehsteig reichte und von diesem mit einem lebenden Zaun abgegrenzt war. Eine Doppelgarage war an das Haus angebaut.
Wir saßen im Wagen und beobachteten das Gebäude einige Zeit. Es mutete wie verlassen an. Nach einiger Zeit stiegen wir aus und gingen zum Haus. Ich versuchte, einen Blick durch das Fenster in die Garage zu werden, aber im Innern war es dunkel, und so konnte ich kaum etwas erkennen.
Milo läutete an der Haustür. Es dauerte nicht lange, dann wurde das Fenster über der Haustür hochgeschoben, und ein Mann reckte seinen Kopf ins Freie. Er war Amerikaner, und wir hatten ihn – wie ich unschwer aus seinen abstehenden Haaren und dem verschlafenen Gesichtsausdruck schließen konnte – aus dem Bett geholt.
»Was ist denn los?«, fragte der Bursche ärgerlich.
»Dieses Haus gehört doch Hsien Hsing-hai?«, fragte ich.
»Ja. Ich habe es gemietet. Wenn Sie von irgendeiner Versicherung kommen sollten, lassen Sie sich gesagt sein, dass ich …«
»Wir sind vom FBI!«, rief ich und unterbrach ihn. »Machen Sie auf. Wir haben mit Ihnen zu sprechen.«
Ihm entfuhr eine Verwünschung, dann schob er mit einem Ruck das Fenster nach unten.
Wenn wir aber angenommen hatten, dass er innerhalb der nächsten Minute die Haustür öffnen würden, sahen wir uns getäuscht. Wir warteten zwei Minuten, dann läutete Milo Sturm. In dem Haus rührte sich nichts mehr.
»Bleib du an der Vordertür«, stieß ich hervor und lief um das Haus herum. Es gab eine Terrasse. Die Terrassentür war offen. Der Bursche, der das Haus bewohnte, hatte die Flucht ergriffen. Ich ging in das Haus hinein und stand im Wohnzimmer. Es war geschmackvoll eingerichtet. Einige Türen führten in andere Räume, eine Treppe schwang sich zur Mansarde empor.
Ich ging zur Haustür und entriegelte sie, nahm die Sicherungskette aus der Verankerung und ließ Milo ins Haus.
Wir durchsuchten sämtliche Räume. Ein kurzer Flur führte zu einer Tür, durch die man die Garage betreten konnte. Hier stapelten sich Kartons. Ich öffnete einen und staunte nicht schlecht, als ich feststellte, dass er tatsächlich Hörner von Nashörnern beinhaltete.
Vorsichtshalber öffnete ich noch einen zweiten Karton, und auch er enthielt Hörner.
Benito hatte also gewusst, wovon er sprach.
Ich rief das Police Department an und bat, ein Team zu schicken, das sich um die wertvolle Ware kümmerte und im Haus Spuren sicherte.
Dann erkundigten wir uns bei einem Nachbarn nach dem Bewohner des Hauses. Der Mann sagte: »Ich weiß nur, dass er Arthur Salzman heißt. Ich habe mal ein Paket, das an ihn adressiert war, in Empfang genommen. Er lebt allein in dem Haus.« Der Mann wiegte den Kopf. »Ein komischer Heiliger. Hat sich mit niemandem abgegeben, grüßt kaum, ist nur selten zu Hause. Vor ein paar Tagen brachte ein Siebeneinhalb-Tonner eine ganze Ladung Kartons. Was sie beinhalten weiß ich nicht. Ich nehme aber an, dass Salzman ein selbständiges Gewerbe betreibt, und dass sich in den Kartons die Ware befindet, mit der er handelt.«
Das war wahrscheinlich gar nicht mal so weit von der Wahrheit entfernt.
Wir kehrten in das Haus zurück, berührten aber nichts, um keine Spuren zu zerstören. Nach etwa einer Stunde erschienen die Kollegen von der Spurensicherung. Ich klärte sie mit wenigen Worten auf, dann übernahmen sie alles Weitere, und wir fuhren nach zurück nach Manhattan.
Die SRD hat ihren Sitz in der Bronx. Da sie auch für gerichtsmedizinische Untersuchungen zuständig ist, fuhren wir nach Norden, um uns den Mann anzusehen, der mit Würgemalen am Hals aus dem East River gefischt worden war.
Der Tote war noch nicht obduziert worden. Deutlich war der Abdruck der Schnur oder des Drahtes um seinen Hals zu erkennen. Das Gesicht war vom letzten Schrecken im Leben Will Hollows verzerrt. Die Augen waren geöffnet und muteten an wie Glasstücke.
Es war kein schöner Anblick.
Wir sprachen mit dem Pathologen. »Die Leiche hat eindeutig nur wenige Stunden im Wasser gelegen«, gab er zu verstehen. »Dem ersten Augenschein nach wurde der Mann stranguliert und dann in den Fluss geworfen.«
Wir sprachen auch mit dem Beamten der SRD, der für die Auswertung der Obduktionsergebnisse zuständig war. »Wir wissen nichts über ihn, außer dass er Will Hollow heißt, sechsunddreißig Jahre alt ist und in Boston lebt. Ich habe NCIC bemüht, aber Hollow ist nicht erfasst.«
NCIC steht für National Crime Information Center. Dort werden auf Bundesebene alle Polizeiakten zusammengetragen. Dieses Fahndungsarchiv enthält fast 40 Millionen Akten und Bilddateien. Dort ist jeder noch so kleine Eierdieb erfasst.
»Also keine Vorstrafen«, murmelte ich.
»Nein. Zumindest nicht unter dem Namen Hollow.«
»Sicher«, murmelte ich. »Seine Fingerabdrücke oder eine DNA-Analyse bringen vielleicht ein positives Ergebnis.«
»Wahrscheinlich wurde er mit einem Würgedraht stranguliert«, sagte der Beamte. »Asiaten arbeiten gern mit dieser Methode. Muss jedoch nicht sein. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß.«
»Chinesen«, sagte Milo.
Der Beamte nickte. »Nicht auszuschließen.«
»Informieren Sie uns über das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung«, bat ich, dann verließen wir die SRD und fuhren zum Federal Building.
Da sich die Arrestzellen im Keller des Hochhauses befanden, begaben wir uns gleich zur Zelle Antonio Benitos. »Ihr Tipp hat sich als sehr wertvoll erwiesen. Sagt Ihnen der Name Arthur Salzman etwas?«
»Wer soll das sein?«
»Er bewohnt das Haus.«
»Keine Ahnung. Mir wurde nur der Name Hsien Hsing-hai genannt. Aber mein Informant hat auch nur am Rande von den Hörnern gehört und mir das, was er wusste, berichtet.«
»Wollten Sie etwa in das Geschäft einsteigen?«, fragte Milo.
»Gott bewahre. Sich mit den Chinesen anzulegen ist tödlich. Und lebensmüde bin ich nicht.«
Wir fuhren nach oben und gingen sofort zu Mr. McKee, um Bericht zu erstatten.
»Dann bleibt Ihnen im Moment nur, die Fahndung nach Salzman einzuleiten, Jesse, Milo«, meinte der Assistant Director. »Außerdem können Sie diesem Chinesen, diesem – äh …«
»Hsien Hsing-hai«, sagte ich.
»… diesem Hsien Hsing-hai ein wenig auf die Finger schauen.«
»Das werden wir ganz sicher«, versprach ich. »Was den Mord an Will Hollow anbelangt, werden wir die Kollegen in Boston einschalten. Vielleicht ergibt sich, zu wem Hollow in New York Kontakt hatte.«
Zunächst brachten wir die Fahndung nach Arthur Salzman auf die Reihe. Dann nahm ich telefonisch mit dem Field Office in Boston Verbindung auf. Der Kollege sagte mir zu, in der Wohnung Hollows eine Durchsuchung durchzuführen und mich vom Ergebnis zu unterrichten.
Am Nachmittag erhielt ich einen Anruf vom Police Department, in dem mir mitgeteilt wurde, dass es sich um mehr als hundert Nashorn-Hörner gehandelt hatte, die in der Garage in Queens gefunden wurden, und dass der Schwarzmarktpreis dafür bei etwa 3,5 Millionen Dollar lag.
Es war also ein immenser Fang, der uns da ins Netz gegangen war.
*
Hsien Hsing-hai wohnte in der Pell Street. Chinatown präsentierte sich uns in seiner ganzen Farbenpracht. Transparente waren über die Straßen gespannt. Überall über den Türen und an den Häusern befanden sich chinesische Schriftzeichen. Buntes Treiben der Händler und quirliges Leben auf den Straßen – das waren die Markenzeichen von Chinatown. Die Gehsteige waren voller Menschen. Geschäfte, Bars, Speiserestaurants …
Hsien Hsing-hai wohnte in einem vierstöckigen Haus, in dessen Erdgeschoss ein Gemüse- und Obsthändler seine Waren feil bot. Der Chinese wohnte in der zweiten Etage. Ob die Wohnung ihm gehörte, wussten wir nicht.
Er öffnete uns die Tür und lächelte freundlich. Auf dem Grund seiner dunklen Augen jedoch glaubte ich lauernde Anspannung erkennen zu können. Die Augen waren an dem Lächeln nicht beteiligt. »Was führt Sie zu mir?«, fragte er in holprigem Englisch.
Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass er genau wusste, wer wir waren. Womöglich hatte Salzman mit ihm telefoniert. Das war natürlich nur eine Vermutung, aber sie hatte sich in mir festgesetzt und ließ sich nicht verdrängen.
»Mein Name ist Trevellian«, stellte ich mich vor. »Mein Kollege Tucker. Wir sind vom FBI New York. Können wir Ihnen einige Fragen stellen?«
»Bitte, Gentlemen, treten Sie ein.« Hsien Hsing-hai gab die Tür frei und machte eine einladende Handbewegung. Wir gingen in die Wohnung. Sie bot viel Kitsch. An den Wänden hingen einige chinesische Seidenmalereien hinter Glas.
»Was kann ich für Sie tun?«
Die Freundlichkeit des Chinesen war nicht echt. Das spürte ich mit untrüglichem Instinkt. Sie war aufgesetzt und brachte meine Nerven zum Schwingen.
»Sie besitzen ein Haus in Queens«, sagte ich, und es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Ja, in der fünfunddreißigsten Avenue. Was ist damit? Ich habe es an einen Mann namens Arthur Salzmann vermietet.«
»Wissen Sie, welcher Art von Broterwerb Salzman nachgeht?«, fragte Milo.
»Er handelt mit Computern«, sagte der Chinese. »Warum fragen Sie? Hat es mit Salzman etwas Besonderes auf sich?«
»Wir haben in seiner Garage Kartons gefunden, in denen sich über hundert Nashorn-Hörner befinden.«
Hsien Hsing-hai prallte zurück. »Nashorn-Hörner?«
»Ja, Nashorn-Hörner. In Ihrem Land wird diesen Hörnern doch potenzsteigernde Wirkung nachgesagt.«
»Man spricht von Aphrodisiakum«, sagte der Chinese und nickte. »Ja, in pulverisierter Form soll das Horn potenzsteigernd sein. Aber warum kommen Sie deshalb zu mir? Ich habe das Haus in Queens als Geldanlage gekauft.«
»Womit verdienen Sie denn Ihre Brötchen?«, wollte Milo wissen.
»Ich habe in diesem Haus das Erdgeschoss und zwei weitere Stockwerke vermietet. Darüber hinaus kassiere ich Miete von Salzman. Außerdem bin ich an einem Speiserestaurant beteiligt. Ich bin ein genügsamer Mensch und komme mit wenig Geld aus.«
Hsien Hsing-hai lächelte ununterbrochen. Mir drehte sich fast der Magen um. Diese geheuchelte Freundlichkeit ging mir auf die Nerven und trieb meinen Adrenalinspiegel in die Höhe.
Ich gab dem Chinesen eine von meinen Visitenkarten. »Sollte sich Mr. Salzman bei Ihnen melden, geben Sie uns bitte Bescheid.«
»Warum sollte er sich bei mir melden? Ich habe privat nichts mit ihm zu tun. Jeden Monatsersten bekomme ich die Miete für das Haus auf mein Konto gutgeschrieben, und nur das interessiert mich.«
Wir verabschiedeten uns von Hsien Hsing-hai. Als wir wieder im Wagen saßen und zur Federal Plaza fuhren, fragte mich Milo, was ich von dem Chinesen hielt.
»Schwer zu durchschauen«, sagte ich. »Dieses überfreundliche Gegrinse …« Ich brach ab, denn ich wollte keine Aversionen schüren. Oberstes Gebot eines Polizisten ist Neutralität. Von persönlichen Gefühlen durften wir uns nicht leiten lassen.