Читать книгу Johann Sebastian Bach - Eine Biografie für Kinder - Peter Bach jr. - Страница 5

Kapitel 2

Оглавление

Balthasar und Vitus hatten es sich – jeder auf seiner eigenen, kleinen, weißen Wolke – richtig gemütlich gemacht. Vitus schaute seinen Freund erwartungsvoll an. „Ach, noch etwas“, sagte Vitus, als Balthasar tief Luft holte, um zu beginnen. „Was denn?“ Balthasar rollte die Augen nach hinten. „Wenn ich etwas nicht verstehe – kann ich dich denn dann unterbrechen? Denn sonst verstehe ich ja die ganze Geschichte nicht.“ „Klar kannst du dann fragen, sonst verstehst Du ja die ganze Geschichte nicht“, papageite Balthasar und holte wieder Luft. Und da war sie schon, die erste Frage. Wie in der Schule, im Klassenzimmer, hob Vitus in diesem Fall deutlich sichtbar die Hand, bevor er fragte. Er wartete deshalb aber keineswegs ab, als er munter losplapperte. „Wenn das ...“, begann er, „wenn das eine Geschichte ist, ist es denn auch ein bisschen wahr? Oder ist es das Märchen von Johann Sebastian Bach?“ Balthasar lachte mit einem typischen Barockengel-Lachen, auch ein wenig verschmitzt, und schüttelte den Kopf. „Das meiste ist wahr!“ Damit wollte er dieser Frage ein wenig aus dem Weg gehen. „Aber“, setzte Vitus nach, „ein bisschen ist es auch geschwindelt?“

Balthasar musste nachdenken. Nicht darüber, ob ein Teil der Geschichte geschwindelt ist. Sondern darüber, wie er es Vitus am besten erklärte. „Schau, Vitus, ein Märchen ist eine Erzählung, die nicht wirklich wahr ist. Da gibt es Zauberer und Feen und Trolle. Oder Hexen, die aber auch nicht immer böse sind.“ Balthasar gab sich große Mühe, dass Vitus keinen Schreck bekam. Weil er doch von Hexen erzählte und von Zauberern und von Feen. Drachen erwähnte er aus gutem Grunde nicht. „Ich bin doch ein kleiner Barockengel, der Geschichten erzählt – und Geschichten sind keine Märchen. Meistens. Geschichten sind meist das, was einmal passiert ist. Vor langer, sehr langer, eigentlich ganz langer Zeit. Oft sind es viele, viele, viele Jahre. Und die Geschichte von Johann Sebastian Bach – sie ist zur einen Hälfte über 300 Jahre alt, zur anderen über 250 – ist wahr.“

Balthasar hörte sich selber diese eigenartige Beschreibung sagen. Und natürlich wurde auch Vitus hellhörig. „Wie geht denn das?“ „Nun ja“, meinte da Balthasar, „Johann Sebastian Bach wurde vor mehr als 300 Jahren geboren und lebte bis vor mehr als 250 Jahren.“ Es klang nicht sehr überzeugend. Und Vitus konnte dem auch nicht so ganz folgen. „Die Geschichte von Johann Sebastian ist also vor sehr, sehr langer Zeit so passiert, wie ich sie dir jetzt erzählen werde. Damit es wirklich spannend wird, habe ich persönlich ...“ – Balthasar setzte sich ganz aufrecht hin – „… es noch sehr, sehr viel spannender gemacht“, sagte er feierlich. „Das habe ich gelernt. Deswegen bin ich ja ein kleiner Barockengel, der sich aufs Geschichtenerzählen versteht.“ „Und ich bin ein kleiner Barockengel, der gut Musik machen kann“, sagte Vitus, obwohl das ja gar nicht hierhergehörte. „Alles Wichtige“, fuhr Balthasar fort, „ist wirklich vor ganz langer Zeit so passiert. Aber damit es richtig Spaß macht, zu hören, was alles passiert ist, genau deswegen habe ich es hier und da ein klein wenig spannender gemacht.“

Balthasar wurde nun etwas ungeduldig. Er wollte gerne anfangen zu erzählen. Aber Vitus hatte eben eine Frage nach der anderen. Allerdings – genau jetzt, in diesem Moment, als Balthasar die nächste Frage erwartete – hatte Vitus keine Frage mehr. Und er sah Balthasar erwartungsvoll an.

Balthasar holte Luft. Eigentlich holte er tief Luft, sehr tief: „Es war einmal ...“ „aber so beginnen Märchen“, prustete Vitus los. Doch er bemerkte, dass Balthasar leicht gereizt und sogar ein klein wenig ärgerlich schaute. „So beginnen aber auch wahre Geschichten“, fuhr Balthasar fort. „Also – es war einmal – lange, lange Zeit, bevor Johann Sebastian Bach lebte, ein kleiner Ort in Thüringen. Thüringen liegt in der Mitte von Deutschland und dann rechts“, ergänzte Balthasar. „Dieser kleine, gemütliche Ort war Wechmar und die wunderschöne, größere Stadt, gleich in der Nachbarschaft, hieß Gotha. Das ist eine lange, lange Zeit her – es sind sogar über 400 Jahre. Und natürlich heißen beide Orte auch heute noch so.

Damals war das Leben viel, viel härter und Menschen mussten oft ihre Heimat verlassen, weil Krieg herrschte. Und auch, weil es verschiedene Religionen gab. Und immer vertrieben die Stärkeren die Schwächeren aus ihrer Heimat.“ „Verstehe ich nicht“, murmelte Vitus, der aufmerksam zuhörte. „Warum vertreiben die Stärkeren die Schwächeren?“ „Das, Vitus, ist jetzt zu schwierig zu erklären“, schüttelte Balthasar den Kopf. „Und das ist jetzt auch nicht so wichtig. Wenn wir beide größer sind, dann verstehen wir das besser. Ich ... weiß es eigentlich nämlich auch nicht.

Auf jeden Fall ist kurz vor dem Jahre 1600, vielleicht war es auch ein paar Jahre früher oder später, der Ururgroßvater des berühmten Musikers in dieses kleine Dorf Wechmar bei Gotha in Thüringen gezogen.“ „Das klingt aber lustig, diese Uren vor dem Opa. Das habe ich ja noch nie gehört. War der denn über 100 Jahre alt? Dieser Johann Sebastian und wie heißt er noch?“ „Bach“, sagte Balthasar. „Oder war er gar 150 oder sogar 200 Jahre alt?“ setzte Vitus nach.

„Vitus“, ermahnte ihn Balthasar. Der Ururopa von Johann Sebastian und Johann Sebastian kannten sich nicht. Natürlich ist der Ururopa gestorben, lange bevor Johann Sebastian zur Welt kam. 1619 war das. 1619 ist er gestorben. In Wechmar. Aber vorher war er in Wechmar Bäcker. Ein Bäcker war er auch schon dort, von wo er fliehen musste. Wegen seiner Religion.“ „Und wo lebte er vorher?“ warf Vitus ein und wie überhaupt heißt der Opa von Johann Sebastian?“ „In Ungarn“, antwortete Balthasar wie aus der Pistole geschossen zur ersten Frage. „Und es war nicht der Opa von Johann Sebastian, sondern der Ururopa.“ „Meine ich doch. Und wie hieß der?“

„Veit hat er geheißen.“ „Veit?“, fragte Vitus ungläubig. „Das klingt aber mal ähnlich wie mein Name“, sagte er versonnen. „Okay, Veit Bach also, er hieß doch auch Bach, richtig?“ Vitus war ganz bei der Sache. „Und er war ein Bäcker, sagst du?“ „Ja, er arbeitete in einer Mühle in Wechmar. Und nicht nur er, sondern mit ihm lebte auch noch ein Hans Bach. Das war der Sohn von Veit“. Vitus lachte ein wenig, aber plötzlich schüttete er sich aus vor Lachen. „Dann kann man ja eine Ur streichen, wenn das der Sohn von Veit war. Dann war der Hans ja der Uropa von Johann Sebastian. Hat er den denn gekannt?“ „Nein“, sagte Balthasar mit einem vergnüglichen Lächeln. „Das ist immer noch zu weit in der Vergangenheit. Der Sohn von diesem Hans hieß übrigens Christoph. Aber lass’ uns weitermachen mit der Geschichte.

Veit also, und das erzählte Johann Sebastian nun selber, war demnach der Erste, der in der Bach-Familie Musik gemacht hat. Also genau genommen, nicht der Erste, sondern sogar der Allererste. Als Veit das Korn in der Mühle mahlte, spielte er auf einer Zither. Damals hatte man ja für viele Dinge andere Namen gehabt und so hieß diese Zither zu dieser Zeit Cythringen. Und dieses Cythringen war auch ein ganz klein wenig anders als eine Zither heute. Johann Sebastian erzählte, Veit konnte gut zum Takt der Mühle spielen. Denn geklappert hat es ja immer, und wenn das Wasser so schön gleichmäßig über das Wasserrad floss, dann hörte sich das zu einer Melodie eben besonders schön an.

Und weil der Papa von Hans so schön spielte, hatte der eben auch seinen Spaß dran und machte ebenfalls gerne Musik. Und so wurde dieser Hans der zweite Musikant in der Familie. Und musizieren, das konnte er gut. Richtig gut. So gut, dass ihn die Leute im Dorf Hans, der Spielmann nannten.“ „Wo genau lebten denn die beiden, bevor sie nach Wechmar kamen?“, fragte Vitus. Balthasar entgegnete: „Da ist man sich gar nicht so ganz sicher. Das weiß ich nicht, niemand weiß das. Wo genau in Ungarn, darüber haben schon viele Forscher gerätselt. Und sie tun das heute noch.“

Vitus wurde ein wenig ungeduldig auf seiner Wolke und setzte sich in den Schneidersitz. „Kommt noch mehr über die Opas von Johann Sebastian? Oder kommt er jetzt in der Geschichte vor?“ „Warte doch einen Moment. Sei nicht so ungeduldig“, ermahnte ihn Balthasar, aber ganz und gar herzlich. „Es ist wichtig, weil dieser Ururopa der Grund ist, dass aus Johann Sebastian ein so toller Musiker geworden ist. Und wenn du noch ein klein wenig Geduld hast, dann kommt auch schon bald die Geschichte mit dem Zippelfagottist. Und auch die, als Johann Sebastian ins Gefängnis musste und auch die, als der junge Johann Sebastian seinen Degen gezogen hat. Aber zuerst – müssen wir am Anfang beginnen. Sonst – ist ja alles durcheinander!

Also, wo waren wir? Ach ja, Hans der Spielmann. So nannten sie den Sohn von Veit in Wechmar. Selbstverständlich hatte auch er Kinder, aber von denen erzähle ich dir ein anderes Mal. Wichtig ist nur: Natürlich haben auch die Kinder von Hans Musik gemacht. Und die Onkel und Tanten und Neffen und Cousins von ihnen musizierten ebenfalls. So viele Kinder, Enkel und Urenkel und dazu auch noch Urururenkel von Veit Bach machten Musik, dass diese Bachs bis heute die größte und berühmteste Musikerfamilie der Welt sind.

Und noch eins: Johann Sebastian Bach selbst hat einmal zusammengestellt, wie viele Verwandte er hatte, die alle Musik spielten. Er selbst machte eine Liste, in der er alle Männer, ganz junge und auch alte, in seiner Familie aufschrieb, die ihm so einfielen. Wenn sie denn nur Musik machten. Und er gab dieser Liste einen wirklich komischen Namen. Er nannte sie den Ursprung der musicalisch-Bachischen Familie. Aber irgendwie verstehen kann man den Namen auch noch heute. Nur würde das niemand mehr so sagen. Allerdings: Frauen sind da keine dabei: nicht Johann Sebastians Mutter, die ebenfalls aus einer Musikerfamilie stammte. Und auch nicht Johann Sebastians Frau Anna Magdalena, noch eine Musikerin. Aber – so war das damals. Männer waren früher einfach mehr wert als Frauen. Viel mehr.“

„Komisch!“, entwich es Vitus leise. „Natürlich wohnten nicht alle Bachs in dem kleinen Wechmar. Denn in der Zwischenzeit haben alle diese Familienmitglieder nicht nur zum Spaß Musik gemacht, sondern damit auch ihr Geld verdient. Das konnte man damals in der Kirche oder an Fürstenhöfen.“ „Was in aller Welt ist denn ein Fürstenhof?“ Vitus kratzte sich am Kopf, denn das hatte er noch nie gehört. Fürsten.

„Ich erkläre es mal einfach, lieber Vitus: Früher gab es Adelige und normale Menschen. Normale Menschen waren zum Beispiel Bäcker, Bauern und Kaufleute. Und es gab Menschen, die Schlösser besaßen und Burgen. Und viel, viel Land. Und die besaßen natürlich auch sehr viel Geld. Noch heute gibt es solche Menschen: Adelige heißen sie heute noch und normale Menschen informieren sich über sie in Zeitungen, in Zeitschriften und besonders im Fernsehen und im Internet.

Nur eines ist anders als früher: Heute besitzen Fürsten keine Menschen mehr. Das war früher anders. Ein Mensch war in einem Fürstentum Besitz des Regenten.“ „Und was bitte ist ein Regent?“ „Ein Regent ist der, der regiert. Der, der sein Reich regiert. Sein Fürstentum eben. Und auch die waren nicht alle gleich. Da gab es Kaiser und Könige, Kurfürsten und normale Fürsten. Herzöge und Grafen, Barone und weiß ich nicht alles, was sonst noch mehr.“ „Dann ist das jetzt klar“, sagte Vitus nachdenklich und er war mächtig stolz darauf, etwas so Seltsames nun zu wissen. Man wusste nie, wann man damit jemanden einmal so richtig beeindrucken könnte.

„Fürsten, also! Für die konnte man Musik machen. Klar, und in einem Ort, selbst in einer Stadt konnte es keine zwanzig Fürsten geben. Das gäbe ja ein Hallo.“ Das dachte Vitus nur, das sagte er nicht laut. „Also“, fuhr Balthasar fort, verbreiteten sich diese Söhne und Töchter und Enkel und Urenkel von Veit immer mehr in Thüringen. Es war wirklich erstaunlich: Diese Bachs waren inzwischen so gut beim Musizieren, dass sie irgendwann eine Stelle sofort erhielten, nur – weil sie Bach hießen! Musik mussten sie natürlich spielen können. Aber, das ist ja logisch.

Jedenfalls sind es bis heute ungefähr 150 Musiker, die alle Bach heißen und Musik machten. Aber die spielten nicht mehr nur in Thüringen, sondern sie wanderten auch in Städte außerhalb Thüringens und manche fuhren auch mit der Kutsche. Zuerst bis nach Holland, Mailand in Italien und London in England. Schließlich reisten sie sogar mit Schiffen bis ins ferne, wirklich weit entfernte Amerika.“ „Das geht mir zu schnell.“ Vitus holte tief Luft. „Ein bisschen noch, dann habe ich den ersten Teil erzählt.“ „Und dann kommt Johann Sebastian?“ „Ja, Vitus, dann kommt Johann Sebastian Bach an die Reihe.“ freute sich Balthasar. „Einer der vielen Bachs schließlich – war Johann Ambrosius Bach. Johann Ambrosius Bach war der Vater von unserem Johann Sebastian.“

„Wollen wir eine Pause machen?“, schlug Vitus vor. „Und wir könnten in der Pause einen Schluck trinken, was meinst du Balti?“ Der kleine Barockengel Balthasar war von der Idee seines allerbesten Freundes begeistert. Nicht von dem Teil, mit dem Erzählen anzuhalten, dazu war er viel zu sehr in seine Geschichte vertieft. Aber der Teil mit dem Getränk, der sagte ihm zu. „Was wollen wir trinken?“, fragte Vitus. „Tee oder Saft? Und wenn ja – welchen?“, ulkte er herum. Sie entschieden sich beide für einen eiskalten Traubensaft. „Erzählen macht auch durstig“, sagte Balthasar. „Zuhören aber noch viel mehr“, bestätigte Vitus.

„Johann Ambrosius ist ein komischer Name“, sagte Vitus und ergänzte: „Aber Vitus finde ich auch ein wenig altmodisch. Ich würde viel lieber Sven heißen oder Tobi oder Kevin.“ Überlegte er und Balthasar entgegnete: „Ja, ich fand meinen Namen auch am Anfang nicht so toll, aber jetzt ist er doch etwas ganz Besonderes – gerade weil nicht so viele kleine Barockengel heißen wie ich. Vitus überlegte: „Ein kleiner Barockengel, der Harry heißt, oder Mike oder Leon – das wäre schon ein lustiger Name für einen Barockengel. Hat es in dieser Rock-Zeit auch rockige Namen gegeben?“ „Es heißt Ba - rock und was ist denn ein rockiger Name, Vitus? Menschen haben schon immer zu bestimmten Zeiten bestimmte Namen mal schicker, mal weniger schick gefunden.“ „Also, ich finde“, unterbrach ihn Vitus, „eigentlich Vitus gar nicht mehr so schlecht. Und Balthasarius ebenfalls nicht.“ Vitus krümmte sich vor Lachen, wusste er doch, dass Balthasar eines nicht mochte: Das war, wenn Vitus mit seinem Namen herumalberte.

„Aber Johann Ambrosius ist komisch.“ Vitus hatte das Thema mit den komischen Namen immer noch nicht abgeschlossen. „Aber so hieß er halt.“ „Und lebte der auch in diesem Wech?“ „In Wechmar? Nein, Johann Ambrosius Bach lebte nicht in Wechmar. Zuerst wohnte der in Erfurt, dann – später – zog er nach Eisenach.“ „Aber wir wollten doch eine Pause machen“, sagte Balthasar zu Vitus. Beide nahmen – das war lustig – genau zur selben Zeit einen tiefen Schluck des köstlichen Traubensaftes. „Und wir brauchen Kekse! Zur Stärkung.“ „Keine schlechte Idee. Also, Kekse zur Geburt von Johann Sebastian Bach. Dann feiern wir ihn doch, diesen Johann Sebastian. Aber zuerst machen wir eine Pause.“ Balthasar und Vitus aßen abwechselnd die verschiedenen Kekse, es war eine richtige Keksmischung, aber sie stritten nicht, weil kleine Barockengel erstens fast nie streiten und zweitens dem einen diese Kekse besser schmeckten, dem anderen die anderen.

Johann Sebastian Bach - Eine Biografie für Kinder

Подняться наверх