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3. Intercity Schaukelzug und Einkehr ins Café K
ОглавлениеEs ist immer wieder ein ungewöhnliches Erlebnis, mit den neuen doppelstöckigen Intercity Zügen der Deutschen Bahn durch die Lande zu reisen. Auf den ersten Blick haben sie Ähnlichkeit mit Regional- oder Metronomzügen – nur anders gefärbt. Während der Fahrt aber zeigen die innovativen Vehikel aus dem Hause Bombardier mit diesem typischen Wackel- und Schaukelmodus ihre ganz eigene Qualität.
Ins Reich der Träume schaukeln
Diesmal ist der Großstadtwanderer von Leipzig nach Hannover unterwegs und der doppelstöckige IC hüpft zumindest nicht von den Gleisen, was ja auch schon als Pluspunkt gewertet werden kann. Sein häufig einsetzender Schaukelmodus hätte jedoch das vorherige Erlernen des Seemannsganges erforderlich gemacht und beim Sitzen auf dem Klo wäre Anschnallen keine schlechte Idee gewesen. Gibt bloß noch keine entsprechenden Gurte – doch die können ja noch nachgerüstet werden. Nachbessern ist übrigens auch ein Spezifikum dieser Züge, von denen einige schon kurz nach dem Start wieder in die Werkstatt mussten.
Immerhin haben Bombardier und Deutsche Bahn daran gedacht, dass Reisende auch mal Gepäck mitnehmen und daher in Abgrenzung zu den Regionalzügen ein paar Regale eingebaut. Aber auch sie unterliegen natürlich dem Wackel- und Schaukelmodus, was für dem kleinen einsamen roten Rucksack des Großstadtwanderers eine geradezu traumatische Erfahrung ist. Er taumelt sowohl hin wie auch her und sogar die am erstaunlicherweise vorhandenen Garderobenhaken hängende Mütze scheint sich alldorten nicht mehr lange halten zu können. Um sie vorm Absturz zu retten stülpt der Großstadtwanderer sich das gute speckige Stück wieder auf die beginnende Halbglatze, die ohnehin wegen der nicht gerade heftig agierenden Zugheizung bereits in einen leichten Fröstelmodus geschaltet hat.
Trotzdem ganz nett mit diesen neuen IC Zügen zu reisen und der Großstadtwanderer bevorzugt dabei das obere Stockwerk weil er da so schön aus dem Fenster gucken kann. Die Landschaft fliegt vorbei und man wird allmählich ins Reich der Träume geschaukelt. Damit hat der Großstadtwanderer auch auf dieser Fahrt gerechnet und es klappt zunächst auch wie gewohnt. Doch dann wird er heftig geweckt, fast aus dem Sitz geschleudert und hat kurz die Befürchtung, der Zug sei entgleist. Doch es ist nur ein etwas heftiger Wackler, der dem besonderen Erlebnis einer Fahrt mit dem neuen Doppelstock IC das noch fehlende, aber unverzichtbare I-Tüpfelchen aufsetzt.
Der genusssüchtige Großstadtwanderer wird bestimmt wieder kommen um sich erneut ein besonderes Fahrerlebnis dieser Art zu genehmigen. Man gönnt sich ja sonst nix und außerdem hat die geheimnisvolle Besucherin bisher noch keine Gelegenheit gehabt, die speziellen Qualitäten dieses innovativen Glanzstücks unter den Zügen ausführlich zu genießen. Das wird sie mit Sicherheit nachholen wollen und er ist prinzipiell bereit, ihr jeden Wunsch zu erfüllen.
Soll das Kaffee sein? No one knows...
Allerdings hat die deutsche Bahn zur Vorbeugung gegen Fettleibigkeit in ihren neuen IC-Zügen auf die Mitnahme eines Restaurants verzichtet. Stattdessen kommt ein flinker DB-Kellner durch die Gänge gewackelt auf den Händen ein Tablett mit Bechern balancierend. Bestimmt hat er seine Lehrjahre als Zirkusakrobat absolviert, denn trotz der schlingernden Bewegungsfreude des Zuges, der sich wie ein Segelboot bei Windstärke zwölf benimmt, hüpft dem Kellner kein Becher vom Tablett. Gekonnt serviert er ein Heißgetränk in einem Papp-und-Plaste-Gefäß, mit dem der an Tassen und Pötte gewöhnte Großstadtwanderer wieder mal gar nichts anfangen kann. Schon will er den komischen Deckel entfernen, da ereilt ihn der warnende Schrei des umsichtigen Kellners. Vor Schreck hätte der Großstadtwanderer den Becher beinahe fallen lassen. Doch selbiges wird durch den raschen Zugriff des mit allen Wassern der Servierkunst gewaschenen Kellners ganz cool verhindert.
Nun bekommt der Großstadtwanderer nicht nur dieses Heißgetränk, von dem die Sage geht es wäre Kaffee, sondern als Zugabe noch ein kleines Einführungsseminar zum ordnungsgemäßen Gebrauch des Bechers serviert. Demnach darf der Deckel niemals entfernt werden weil er beim Trinken die Funktion eines Siebes wahrnimmt. Diese, so der Kellner, sei notwendig, weil sich im Becher ein Gemisch aus Kaffeepulver und Wasser befindet. Zum Glück nimmt der Großstadtwanderer weder Milch noch Zucker, denn wie diese beiden Zugaben in den Becher gelangen und anschließend noch umgerührt werden sollen, wird ihm zwar auch ausführlich erklärt, vom ihm aber irgendwie nicht kapiert.
So trinkt er denn diese Geschmack und Aroma konsequent verneinende Kreation durch den Deckel und denkt dabei an die fernen Tage seiner frühen Jugend in den Fünfzigerjahren, als bei Tante Martha Kaffee auch gesiebt wurde – allerdings aus einer bauchigen Kanne in eine schicke Tasse hinein...
Im Unterschied zum Heißgetränk im Intercity Schaukelzug landeten Tante Marthas Kaffeekreationen manchmal hart an der Grenze zur Extravaganz, ohne diese jedoch zu überschreiten. Sie waren weltberühmt und sogar aus dem fernen Brasilien kamen Besucher in das kleine Nest im Harz, um sich an Tante Marthas Kaffee- und Kuchentafel einmaligen Höhenflügen des Genusses hinzugeben. Ihr ganzes uraltes Haus war erfüllt von einem unvergesslich verführerischen Duft, dem der Großstadtwanderer schon verfallen war, als ihm sogar das Kosten dieses göttliche Getränk noch verweigert wurde. Schon bald bekam er jedoch einen winzigen Schluck in einer riesigen, randvoll mit Milch aufgefüllten Tasse. Endlich gehörte er auch zum Kreis der Kaffeephilosophen an Tante Marthas Tafel...
Mit solchen Erinnerungen konfrontiert bleibt dem Heißgetränk aus dem Becher mit Siebdeckel keine Chance. Doch als der turnende Kellner wieder vorbei schwirrt und fragt, ob alles in Ordnung ist, schenkt der Großstadtwanderer ihm ein freundliches Nicken. Schließlich kann der arme Junge ja nichts dafür, dass Kaffee allmählich zu einer bloßen Worthülse verkommt, die sich lediglich auf Becher bezieht, mit denen jede beliebige Plärre verkauft werden kann. Bä...
Nun neigt der Großstadtwanderer nicht dazu, sich lange über irgendwas zu grämen und selbst die schrecklichste Brühe kann sein zum Optimismus neigendes Wesen keineswegs nachhaltig schädigen. Schließlich werden auch heute noch in jeder Stadt Heißgetränke serviert, die sogar von diesem Fanatiker des schwarzen Cofeingetränks als Kaffee akzeptiert werden können. So verlässt er in Hannover fast planmäßig und durchaus gut gelaunt diesen innovativen Swinging Train um sich auf die Suche nach entsprechenden Angeboten zu begeben.
Hier könnte er natürlich bei einem der Bahnhofsbäcker einkehren. Doch ihm steht aktuell mehr der Sinn nach echter Gastronomie - so mit Kellner, der an den Tisch kommt und sich höflich nach den Wünschen des Gastes erkundigt. Er kennt da beispielsweise einen passenden Laden in Linden namens Café K. Erfreulicherweise gibt’s den kultigen Laden noch, obwohl dessen Wirt per Fernsehquiz schon mal eine glatte Million abräumen konnte.
Absprung ins Café K
Um dorthin zu gelangen steht jenes öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung, das sich im Keller des Hauptbahnhofs zunächst als U-Bahn präsentiert um schon bald den größeren Teil des Weges als simple Oldschool Straßenbahn fortzusetzen. Das ist jedes Mal eine Fahrt in die Vergangenheit denn wie vor vierzig oder fünfzig Jahren muss der Großstadtwanderer in der Nieschlagstraße das alte Vehikel über eine steile Stiege verlassen oder gar den Absprung wagen. Die dafür notwendige Routine hat er offenbar noch nicht verlernt - doch der heftige Hüpfer auf den Gehsteig wäre nicht nötig gewesen weil heutzutage keine Autos mehr an der Haltestelle vorbei brettern. Trotzdem passiert ihm das jedes Mal und die Leute gucken dann immer ganz erstaunt und halten ihn wahrscheinlich für ein bisschen spleenig. Ist er vielleicht sogar, denn wer fährt schon zwischendurch mal nach Hannover um im Café K einige Tassen mit entsprechendem schwarzen Heißgetränk und einen Teller voll Kuchen zu verputzen. Kann nur einem passieren, der unterwegs ist um unterwegs zu sein...