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Pater Eusebius

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Versunken in Gedanken und mit Blick auf die anstehende Eucharistie Feier vom nächsten Sonntag in der Kapelle des Klosters, die Pater Eusebius leiten durfte, zog er seine Runden durch den Garten. Dabei wurde ihm immer klarer, welches seine Botschaft sein sollte, und wie er die Messe gestalten wollte. Er wollte die Gläubigen ansprechen und ihnen ins Gewissen reden. Er wollte gar versuchen, sie aufzurütteln und sie dadurch zu bewegen, bewusster durchs Leben zu schreiten. Die Botschaft des Miteinander war ihm wichtig und Missgunst oder gar Neid waren ihm ein Greul. – Dies waren die Kerngedanken, die er den Kirchgängern mit auf den Weg geben wollte.

Eigentlich wollte er seine Gedanken sogleich aufs Papier bringen, damit sie ihm nicht abhandenkämen, und so entschloss er sich, den Rundgang abzubrechen und in seine Zelle zurückzukehren.

Auf dem Weg dorthin stiess er nahe der Gartenmauer, die in etwa drei Meter hoch war, auf etwas Komisches. Er schaute auf den Boden und er nahm etwas Zähflüssiges auf dem Rist seines linken Fusses wahr. Eusebius trug keine Socken. Er griff mit dem Finger danach und das Ganze fühlte sich wie Blut an. Er bückte sich und er nahm den Körper einer Person wahr. Die Person lag reglos auf dem Bauch, den Kopf nach rechts hinten abgewinkelt und aus einer klaffenden Wunde am Kopf war Blut verströmt. Das Blut war bereits eingetrocknet und es hinterliess die klebrige Spur – auch an seinen Sandalen.

Eusebius erschrak fürchterlich, und sein altes Herz fing an zu pochen. All seine vorherigen Gedanken waren weg, und er wusste nicht, was zu tun war. Um Hilfe schreien wollte oder konnte er nicht. Auch sah er sich ausser Stande, der Person Erste Hilfe leisten zu können.

Dies hatte er noch nie getan und er wollte auch nichts falsch machen. Also rannte er so schnell es ging – und es ging nicht mehr so schnell – zurück ins Kloster. Dabei strauchelte er noch einmal und er holte sich eine Schürfwunde am Bein. Er wusste, dass er diese behandeln musste, da er ansonsten abermals eine Blutvergiftung einfangen könnte, die ihm in seinem fortgeschrittenen Alter Sorgen bereiten würde. Doch zuerst musste er Alarm schlagen. Er wollte die Notfallnummer anvisieren.

Natürlich war Schwester Magdalena wieder einmal am Draht, und wenn sie diesen innehatte, dann konnte nur Geduld darüber hinwegtrösten. Also entschied er sich, an der Zelle des Guardians, des Hüters oder Beschützers des Klosters, anzuklopfen und ihn um Hilfe zu bitten.

Verschlafen und ein wenig missmutig öffnete ihm Pater Ignatius die Tür. «Worum geht es, Pater Eusebius, dass du mich aus meinem Tiefschlaf holst. Ich hoffe, du hast einen guten Grund.» Und Eusebius stammelte hervor, dass sich im Garten eine Person befinde, die sich nicht mehr rühre und der das Blut aus dem Kopf komme. Er habe die Notfallnummer wählen wolle, aber Schwester Magdalena sei am Apparat, und man dürfe sie ja bekanntlich nicht stören, wenn sie am Telefonieren sei. – Schwester Magdalena hatte Bekannte in Übersee und telefonieren war zu dieser Zeit billiger als unter tags.

«Und, lebt die Person noch?» - «Das weiss ich nicht. Sie hat nichts gesagt, nicht einmal mehr geröchelt», so die Antwort von Eusebius. «Warte, ich komme. Ich ruf nur noch schnell Bruder Klaus zur Hilfe und dann gehen wir Nachschau halten.»

Zu dritt schritten sie in den Garten. Die Lichtverhältnisse waren nun doch schon so, dass man auch ohne Lampe etwas sehen konnte, und sie stiessen sogleich auf die unbekannte Person.

Pater Ignatius fühlte den Puls und er stellte fest, dass die Person tot ist. Selbst mit seinem Ohr an Mund und Nase des Betreffenden konnte er kein Lebenszeichen mehr feststellen. Für ihn war die Sache klar.

Auch Bruder Klaus konnte dem nichts beifügen. Er wurde von Pater Ignatius angewiesen die Polizei zu rufen. Ein Arzt solle ebenfalls vor Ort kommen und den Tod bestätigen.

Gemeinsam begaben sie sich zurück ins Kloster und warteten darauf, bis die Polizei eintraf. In der Zwischenzeit waren die anderen Patres und Brüder der Ordensgemeinschaft aufgestanden, und die Neuigkeit sprach sich natürlich schnell herum. – Ist es eine Frau oder ein Mann, wie alt ist die Person und wie ist sie wohl in den Garten gelangt? War es ein Einbrecher, ein Dieb oder sonst ein Vagabund oder wollte die Person im Garten des Klosters nur seine Ruhe finden? Fragen über Fragen und keine Antworten.

Die Polizei erschien mit Blaulicht und Sirene. Als Dienstfahrzeug stand den Beamten ein in die Jahre gekommener BMW zur Verfügung, der seinen Zweck allerdings noch (knapp) erfüllte. Ein neueres Modell wäre auch nicht schlecht, ging den beiden Polizisten durch den Kopf, jedoch liessen die Finanzen des Kantons dies offensichtlich nicht zu. Leiter des Einsatzes war Korporal Luginbühl; sein Begleiter war Gefreiter Pfister.

Natürlich zog der Polizeieinsatz die volle Aufmerksam der ganzen Nachbarschaft auf sich, und vor allem die örtlichen Handwerker, die im nahe gelegen Restaurant Pfauen ihr Znüni einnahmen, interessierten sich für das Geschehen. Es kam schliesslich nicht jeden Tag vor, dass die Polizei mit Trara vor dem Kloster Halt machte und sich zwei Beamte ins Innere des Gebäudes begaben. Dies war ein Grund, die Pause etwas auszudehnen und einen zweiten Kaffee-Biberfladen oder ein alkoholfreies Getränk zu bestellen. – Bis anhin wusste keiner der Anwesenden, worum es ging.

Korporal Luginbühl und sein Begleiter wurden von Pater Ignatius empfangen, und er führte die beiden sogleich in den Garten.

Auch für die beiden Polizisten war klar, dass die unbekannte Person tot war. Gefreiter Pfister wurde beauftragt, das «Rösslispiel» in Gang zu setzen. Darunter verstanden die Polizisten: das Aufbieten des Kriminaltechnikers, den Beizug eines Kriminalbeamten und das Hinzuziehen des Dorfarztes, der die Legal Inspektion vornehmen sollte.

Da es im Dorf nur einen Arzt gab, der diese Aufgabe ausüben durfte, war dies wahrscheinlich das schwierigste Unterfangen. Das Ganze brauchte somit seine Zeit, womit vorerst einmal ein Kaffee getrunken werden konnte. Schwester Aurelia hatte die Güte, den beiden Polizisten eine Stärkung zu offerieren.

Doch schon bald trafen die Spezialisten vor Ort ein und auch sie konnten nicht viel mehr sagen, als dass die Person tot sei. Der Arzt stellte immerhin fest, dass es sich beim Verstorbenen um eine männliche Person handle, welche noch recht jung gewesen sei – so um die Zwanzig.

Der Kriminaltechniker sicherte in der Zwischenzeit den Fundort und er schaute sich nach auswertbaren Spuren um; er fand aber keine. Das Einzige, was er fand, war eine leere Schachtel Zigaretten mit irgendeinem weissen Pulver drin. Diese wollte der Forensiker – wie man die Kriminaltechniker heute nennt – asservieren.

Die Todesursache war unklar.

Aufgrund dieser Ausgangslage entschied der Kriminalbeamte den zuständigen Untersuchungsbeamten der Staatsanwaltschaft zu informieren, um diesen zu ersuchen, erstens seinen Chef zu orientieren und zweitens die Erlaubnis zu erhalten, die Rechtsmedizin aufzubieten. Die Gerichtsmediziner des Kantons St. Gallen unterstützen seit jeher die Kollegen in Appenzell-Innerrhoden, wenn spezifisches Fachwissen gefragt war. So eben auch hier.

Wiederum gingen Stunden ins Land und die Mär verbreitete sich im ganzen Dorf. Jeder wusste etwas, aber keiner etwas richtig und so verbreite sich die Geschichte wie im Lauffeuer: Hast du gehört? Der Pater Rektor ist ums Leben gekommen.

Nein. … Doch. Also, ich habe gehört, dass eine Schwester ums Leben gekommen sei, aber auf ganz natürliche Art und Weise. Und warum dann die Polizei? Keine Ahnung. Glaub mir, da steckt ein Verbrechen dahinter, wie wir es in Appenzell noch nie erlebt haben. Ich habe Angst, dass Gleiches mir auch passieren könnte. … Und so weiter.

So gegen Mittag traf der Rechtsmediziner aus St. Gallen ein. Er war in Begleitung einer jungen Assistentin, die von ihrem Aussehen her die Blicke der Polizisten auf sich zog. Die junge Dame war nicht nur ausserordentlich hübsch, sondern auch gut gekleidet, was bei den Polizisten Fragen aufwarf, wie sich so «eine» mit Leichen befassen konnte. … Und schon war ihr Interesse an ihr ein wenig gedämpft.

Nichtsdestotrotz hatte die junge Ärztin etwas auf der Platte. Sie betrachtete den Leichnam und stellte schon bald einmal fest, dass die Todesursache mit grosser Wahrscheinlichkeit Genickbruch sei und zwar durch Sturz aus grosser Höhe. Was zum Sturz geführt habe, könne sie natürlich nicht sagen, zumindest nicht im Moment. Äussere Spuren an der Leiche erkenne sie so auf die Schnelle nicht, sie werde aber noch genauer hinschauen.

Den Todeszeitpunkt betreffend wollte sich die Ärztin nicht allzu stark festlegen, immerhin erwähnte sie den Zeitraum zwischen 0330 und 0500 Uhr. Auch hierzu könne sie später vielleicht mehr sagen.

Eine Fremdeinwirkung sei für sie zurzeit nicht erkennbar und trotzdem wolle sie, dass der Leichnam ins Institut für Rechtsmedizin nach St. Gallen überführt werde, damit sie sich die Leiche noch genauer anschauen könne. – Ihr Chef war damit einverstanden.

Der Kriminaltechniker war nach wie vor mit der Spurensicherung beschäftigt und er musste den Anwesenden mitteilen, dass er keinen Hinweis auf die Identität des Verstorbenen gefunden habe: Weder Ausweispapiere noch sonst irgendetwas, was auf seine Personalien oder seinen normalen Aufenthaltsort hinweisen würden. Er habe nichts gefunden, einfach nichts. – Somit habe er momentan auch nichts in der Hand, was den Ermittlungen dienlich sein könnte.

Egon Lehner, der ermittelnde Kriminalbeamte, runzelte die Stirn. Das gibt’s doch nicht, dachte er. Jeder Mensch trägt etwas auf sich, dass einem weiterhilft oder ihn sogar identifiziert. Dies waren auf jeden Fall bis anhin seine Erfahrungen – vielleicht musste er dazulernen.

Egon war ein gewiefter Fahnder, dem man so schnell nichts vormachen konnte. Er war so um die Mitte vierzig, eher von kleiner Statur, aber drahtig. Man sah ihm an, dass er gerne Sport betrieb und sich wahrscheinlich auch in den Bergen ganz gut zurechtfand. Für die Kantonspolizei in Appenzell arbeitete er bereits seit über 20 Jahren.

Nun sah sich Egon mit einer Leiche konfrontiert, die ihm im Moment nichts sagte. Normalerweise bekam er auf seine Fragen Antworten, aber in diesem Fall einfach nichts. Auch der Mitarbeiter von der Kriminaltechnik konnte ihm nicht weiterhelfen. Er könne weder Schuhspuren, noch Abriebspuren, noch andere Spuren ausmachen. Auf dem Kiesboden sei dies sowieso fast unmöglich, da der Untergrund naturgemäss in der Regel keine Spuren zurücklasse. Auch stelle er an der Mauer nichts fest, welches darauf hindeuten würde, dass sich das Opfer an ihr zu schaffen gemacht hätte. Er werde allerdings noch eine Leiter holen und auf die Mauer steigen, um auch dort Nachschau zu halten. Der Guardian habe ihm versichert, dass ihm Bruder Klaus dabei behilflich sein werde.

Egon betrachtete die Leiche und er liess sich hierfür Zeit. Er schaute sie von oben nach unten an und umkehrt. Auch umkreiste er sie, damit ihm wirklich nichts entging. – Genickbruch, verursacht durch Sturz aus grosser Höhe, so die vorläufige Befundaufnahme des Leichnams.

Aber der Leichnam kann ja nicht einfach vom Himmel gefallen sein, so der erste Gedanke von Egon. Und trotzdem: wer weiss, vielleicht doch. Es soll ja schon Fälle gegeben haben, wo Personen aus irgendwelchen Gründen aus einem Flugzeug gestürzt sind.

Gut, diese Variante schien ihm doch recht weit hergeholt; er wollte sie aber trotzdem noch nicht ganz ausser Acht lassen. Dann hätte vielleicht jemand etwas gehört. Er wollte sich danach erkundigen.

Vorderhand wollte er sich allerdings der Mauer widmen und diese selber inspizieren. Die Mauer umschloss den ganzen Garten und war durchwegs etwa gleich hoch. Er schätzte die Höhe auf rund 3 Meter. In der Breite war die Mauer äusserst massiv und mass sicherlich fast einen Meter. Der Zugang zum Garten war durch das Kloster selber oder durch ein Portal auf der Ostseite des Gartens möglich. Das Portal machte einen sehr stabilen Eindruck und war verschlossen. – Egon bat Bruder Klaus, das Tor für ihn zu öffnen.

Dieser eilte schnellen Schrittes ins Kloster und kam mit einem grossen, schweren Bartschlüssel zurück. Er setzte ihn an, musste allerdings feststellen, dass das Schloss ganz schön verrostet war. Er konnte den Schlüssel auf jeden Fall im Schloss nicht drehen.

Aber auch das war ein Zeichen für Egon, das ihm nicht ungelegen kam. Das Tor war offensichtlich schon lange nicht mehr benützt worden, womit sich die Zugangsmöglichkeiten zum Garten eingrenzen liessen. Übrig blieb also das Übersteigen der Mauer mit oder ohne Hilfsmittel, der Zugang via Kloster oder eben «der freie Fall» vom Himmel.

Egon bemerkte, dass er beobachtet wurde. Fast hinter jedem Fenster des Klosters äugte ein Pater oder Bruder hervor, und sie verfolgten sein Handeln und Tun ganz offensichtlich mit grossem Interesse. Die Schwestern bewohnten einen anderen Trakt des Hauses und der Garten stand eigentlich nur den Ordensbrüdern offen.

In der Zwischenzeit wurde die Leiche ins IRM – ins Institut für Rechtsmedizin – in St. Gallen überführt. Egon äusserte den Wunsch – nein, es war mehr ein Befehl an den Kriminaltechniker, ihm so schnell wie möglich Fotos des Verstorbenen zukommen zu lassen.

Er brauche etwelche Portraitaufnahmen des Verstorbenen, die er herumzeigen könne. Man solle ihm doch zumindest 20 Abzüge zukommen lassen und dies am besten noch vor dem Mittagessen.

Egon verliess den Garten und er wollte sich das Ganze von aussen anschauen. Er wies Bruder Klaus an, die Leiter noch stehen zu lassen. Er wolle selber einen Augenschein nehmen.

Von aussen sah die Mauer praktisch gleich aus wie von innen. Sie zu übersteigen war für ihn nicht unmöglich, würde aber doch einiges an Geschick und Kraft brauchen, um dies bewerkstelligen zu können. Selber hätte er sich dies früher zugetraut, heute kaum mehr.

Er suchte auf der Aussenseite der Mauer nach Abriebspuren, fand aber nichts Auffälliges, womit er das Unterfangen beendete. Das Einzige, was er fand, war eine Zigarettenkippe. Er asservierte diese in einem kleinen Plastikbeutel, von denen er immer ein paar auf sich trug. Ansonsten stellte er nichts Besonderes fest.

Wieder zurück im Garten, bestieg er die Mauer. Er hielt sich sogar dafür, sie zu betreten, um selbst von oben sich ein Bild vom Ort des Geschehens machen zu können. Auffälligkeiten konnte er weder auf der Mauer noch mittels seines Rundblicks ausmachen, womit er die Leiter wieder hinunterstieg.

Einfach nichts …, und Egon wiederholte diesen Gedanken für sich mehrmals. Er musste abwarten, bis er die Fotos des Verstorbenen hatte und das brauchte halt einfach seine Zeit, die er auch nicht beschleunigen konnte. Die Aufnahmen würden frühestens um 1600 Uhr zur Verfügung stehen, erklärte ihm der Kriminaltechniker, und vielleicht hätte die IRM-Ärztin dann auch schon Neuigkeiten. Er werde auf jeden Fall versuchen, sie zu bewegen, ihn nochmals nach Appenzell zu begleiten, um über ihre Erkenntnisse einen ersten Bericht zu erstatten.

Egon dankte seinem Kollegen für die Bemühungen und er verliess das Kloster vorderhand mit der Anweisung an Bruder Klaus, den Fundort der Leiche unberührt zu lassen. Er werde sich wieder melden und er wolle alsdann gerne mit den Klosterinsassen zusammenkommen.

Mord in ... Appenzell

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