Читать книгу Ein Sommer in Cassis - Peter Berg - Страница 8

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Der vierzehnte Juli ist französischer Nationalfeiertag. Da laufen einige Uhren anders. In einem Touristenort wie diesem müssen allerdings die Dienstleistungen funktionieren, und die Geschäfte und Restaurants verdienen wie an keinem anderen Tag im Jahr. Da der Feiertag auf einen Sonntag fiel, bot er vielen Menschen aus der Umgebung Anlass zu einem langen Wochenende am Meer. Man war bereits am Freitag angereist und hängte dann noch einen oder ein paar Urlaubstage in der Woche an. Cassis war also hoffnungslos überlaufen, alle Hotels ausgebucht.

Ich hatte mir vorgenommen, auf keinen Fall in Hektik zu verfallen, mein kleines Pensum eher als Zeitvertreib zu betrachten.

Zuerst wollte ich, um dem Wunsch Catherines nachzukommen, der Mutter von Isabelle Verdone, wie sie vollständig hieß, einem Besuch abstatten. Catherine nannte mir den Namen und die Adresse: Madame Verdone, Rue Pasteur, numéro 3. Danach wollte ich den Wirt des Fischrestaurants auf dem Platz treffen. Er hatte so geheimnisvoll getan, dass ich mir auch von diesem Gespräch etwas mehr Klarheit versprach. Doch es kam ganz anders.

An der Bar Cap Canaille traf ich auf Monsieur Grippa, den Schmuckimporteur. Er winkte mir von seinem Tisch aus aufgeschlossen zu, sodass ich ihn begrüßte und er mich aufforderte, mich auf einen Mocca zu ihm zu setzen.

„Was tut man um diese Zeit als Tourist schon auf der Promenade?“ fragte er freundlich interessiert und gab dem Wirt ein Zeichen, mir auch das lebensspendende Getränk zu bringen.

„Ich bin ein Frühaufsteher und ich habe festgestellt, man trifft noch andere, interessante Leute um diese Zeit. Aber warum sind Sie schon auf den Beinen? An einem Feiertag wollen Sie doch wohl nicht arbeiten?“

„Doch, ich habe mein Büro in einer der Seitenstraßen hier. Der Welthandel richtet sich nicht nach dem französischen Nationalfeiertag. Es gibt gute Geschäfte, die man nicht warten lässt.“

Er bot mir eine Zigarette an, Marke Gauloises.

Wir kamen ins Plaudern, und ich erfuhr, dass er früher seinen Handel mit Modeschmuck von Paris aus führte, bis er merkte, dass es angenehmere Plätze auf der Welt gibt, als die Großstädte.

„Telefon und Internet lassen es zu, dass man von überall aus Handel betreiben kann. So bin ich vor fünf Jahren hierher umgezogen.“ Und er fügte lächelnd hinzu: „Das Ambiente muss stimmen.“

„Wo haben Sie denn ihre Waren? Gibt es ein Lager, ein Magazin oder etwas Ähnliches?“

„Nein, wo denken Sie hin?“ lachte er, „bis auf wenige Probeexemplare in meinem Büro geht das alles Cost per Order vom Hersteller an den Großkunden. Wir vermitteln die Geschäfte, und wir verdienen sehr gut dabei.“ Er zwinkerte mir mit einem Auge und sagte: „Mein Geschäft ist in der Rue Filou 23.“ Dann schaute er auf die Uhr und besann sich, nun schnell aufzubrechen. Die Geschäfte warteten auf ihn. Er wiederholte noch einmal: „Vergessen Sie nicht, Rue Filou 23“, und fügte hinzu, „nur das Schönste und nur das Beste von allem, kommen Sie vorbei zu schauen!“

Sicher besaß er eine der Villen am Hang, sinnierte ich, als er gegangen war, wahrscheinlich auch eine der teuren Yachten im Hafen.

Etwas später, wieder an der Promenade, hielt ich wie jeden Morgen nach der jungen Deutschen Ausschau, die ihr Geld mit dem Verkauf von Sonnenbrillen verdiente. Ich war gleich am ersten Tag meines Urlaubs auf sie gestoßen, denn meine Sonnenbrille war in der Hektik des Kofferpackens daheim geblieben. Genau genommen wusste ich nicht mal mehr, ob ich nach dem Verlust der vorigen überhaupt noch eine in meinen Sachen hätte finden können. Die Sonnenbrillenverkäuferin, - „ich heiße Anja“ -, entlarvte mich beim Verkaufsgespräch rasch als Deutschen, war sehr gesprächig und ließ mir schließlich sogar vom Preis etwas nach. Seit diesem Tag hatte ich jeden Morgen im Vorübergehen ein paar Worte mit Anja gewechselt. Im Urlaub entsteht schnell Vertrautheit, sind die Seelen offen für den Empfang zwischenmenschlicher Signale. Sie war vielleicht Mitte bis Ende zwanzig und hatte ihrem Heimatland den Rücken gekehrt, um hier ihr Lebensglück, vielleicht sogar ihr Liebesglück, zu finden. Dabei schien sie im Gespräch mit mir als Landsmann etwas von einem zarten Zweifel zu transportieren, ob nicht doch das Leben in heimischen Gefilden irgendwann wieder seine Reize gewinnen würde. Ich spürte, so meinte ich, so etwas wie Heimweh.

Heute, an diesem Hauptgeschäftstag des Jahres, war ihr Stand um kurz nach neun seltsamerweise noch geschlossen. Sonst hatte sie immer schon die Schirme aufgespannt und ihre Kollektion ausgebreitet. Ich warf einen Blick an dem alten, restaurierten Fischerhaus empor, da sie mir gesagt hatte, dass sie das Zimmer im zweiten Stock bewohnte. Ich sah zu den Fenstern, ob sich dort nichts regte. Die Vorhänge waren zugezogen, nichts deutete auf einen baldigen Arbeitsbeginn hin.

Ich weiß nicht warum, das weiß man in solchen Fällen nie, aber irgendetwas trieb mich zum Eingang des Hauses, der offenbar stets unverschlossen war und die Stufen zum zweiten Stock empor. Irgendetwas sagte mir, dass hier etwas vorgefallen sein musste, irgendetwas Ungewöhnliches, das den täglichen Rhythmus durchbrach.

Schon wieder mischte ich mich in eine Privatssphäre ein, doch das treffsichere Feeling, das mich in solchen Fällen nie im Stich lässt, verbot mir, einfach weiter meines Weges zu gehen.

Diese schmalen Häuser werden längst nicht mehr nur von Fischern bewohnt. Ihre Besitzer haben sie zu wertvollen Immobilien umfunktioniert. Die Bauweise eines solchen Kleinodes ist ganz einfach: Jedes Stockwerk verfügt nur über ein Zimmer. Da nur wenig Platz für die Frontseite vorhanden ist, geht es in die Tiefe. Aus den ehemals für Fischerfamilien geplanten Wohnetagen mit verschiedenen Funktionen wurden nunmehr Ein-Zimmer-Apartements, die über schmale Stiegen erreichbar sind. Im Erdgeschoss befindet sich eine sündhaft teure Mietfläche, die als Geschäft, Boutique oder Restaurant genutzt wird, Sitzflächen oder Verkaufsstände sind auf der Promenade davor.

Die junge Deutsche aus Neu-Isenburg hatte auf meine Frage, wie es sich hier lebt, „hervorragend“ geantwortet und hinzugefügt, dass sie mit niemandem auf der Welt tauschen möchte. „Ich habe hier eine Wohnung mit einem atemberaubenden Ausblick über den ganzen Hafen, wie ich es mir immer gewünscht habe, fast immer schönes Wetter, und ich bin meine eigene, freie Unternehmerin!“

Als ich das Zimmer betrat, schlug mir eine Wolke von extrem süßlichen Düften entgegen, die wohl unter anderem von Duftkerzen oder Räucherstäbchen verschiedener Parfümierung stammten, nun aber mit der extrem verbrauchten Luft in dem abgedunkelten und ungelüfteten Raum sich zu einem widerlichen Gestank mischten, der mir fast den Atem nahm. Ich hatte angeklopft aber keine Antwort bekommen. Unheil ahnend hatte ich die Klinke gedrückt und festgestellt, dass die Tür unverschlossen war.

Nun musste ich erst meine Augen an das Halbdunkel gewöhnen. Ich glaubte zu spüren, dass jemand im Raum war, doch es dauerte eine Weile, bis ich die Lage erkannte. Auf einem Sofa lag sie ausgestreckt, nur halb bekleidet, regungslos wie tot. Ein Arm hing auffällig schlaff zu Boden, jetzt erkannte ich, dass ihr langes, blondes Haar wild zerzaust war, die Augen geschlossen, ihr schöner Mund dabei wie zum Schrei geformt, als wolle sie mir etwas sagen. Das ganze Zimmer in heillosem Durcheinander, überall herausgezogene Schubladen, ausgeräumte Bücherregale.

Schnell trat ich zu den Fenstern, zog die Vorhänge zurück und öffnete die Flügel beider Fenster weit. Mit dem Licht der eindringenden Sonne sah ich das ganze Unglück: Sie lag in ihrem Blut, war über den herunterhängenden Arm vollkommen leergelaufen. Der Fußboden schwamm, und ich hatte mit meinen Schuhen bereits rote, klebende Spuren hinterlassen.

Wie gern hätte ich sie ins Leben zurückgeholt. Doch die blutleere Blässe auf ihrem halbbekleideten Körper, die Menge des schon vor Stunden ausgetretenen Blutes beschied mir, dass alle Hoffnung verloren war. Obwohl sie aussah, als schliefe sie, war mir sofort klar, hier war nichts mehr zu retten. Zu oft schon war ich beruflich in dieser Lage gewesen, und dennoch gab es mir immer noch einen Stich ins Herz, vor allem wenn es sich um so junge Menschen handelte.

Gewohnt, kühlen Kopf zu bewahren, sah ich mir zuerst die Todeswunde an. Instinktiv spürte ich, dass diese rasche Abfolge mysteriöser Todesfälle kein Zufall sein konnte.

Offenbar sollte es für den oberflächlichen Beobachter und auf den ersten Blick wie ein Selbstmord aussehen.

Die Schnittwunde war gekonnt gesetzt. Viele Menschen, die sich die Pulsadern aufschneiden, setzen in ihrer Not und Unkenntnis den Schnitt falsch. Dieser Dilettantismus führt Gott sei Dank dazu, dass sie in vielen Fällen, bei rascher Entdeckung, noch gerettet werden können. Hier aber war alles ‚richtig‘, sodass der Tod durch Verbluten bald eingetreten sein musste.

Sie sah so schön, so jung und so friedlich aus!

Die Unordnung im Zimmer wies darauf hin, dass jemand etwas gesucht hatte. Das, so schloss ich kühn, musste geschehen sein, nachdem sie bereits tot war oder noch im Sterben lag.

Als Indizien gelten uns Kriminalisten sowohl feststellbare Sachverhalte, zum Beispiel über vorhandene Gegenstände, deren Lage und Zustand, aber auch Feststellungen über nicht Vorhandenes.

Auf dem Tisch waren die Reste verschiedener Räucherkerzen zu sehen, Spuren von Zigarettenasche in einem offenbar geleerten Aschenbecher, nicht jedoch die Kippen oder Schachteln der Zigaretten. Es war geraucht worden, darauf hatte auch die Luftmischung im Raum hingedeutet, doch hatte jemand die Spuren davon beseitigt.

Eine Flasche Rotwein stand auf dem Fußboden, leer, Gläser waren nirgends zu sehen. Entweder war die Flasche so an den Hals gesetzt worden, was eigentlich nicht dem Stil der jungen Frau entsprach, oder die Gläser, aus denen man getrunken hatte, waren, um Spuren zu beseitigen, gespült und fortgeräumt worden. Sollte es so sein, spräche alles für ein sehr gründliches und bedachtes Vorgehen des Mörders. In der kleinen Küchenzeile, die nach hinten hinausging, standen sechs unbenutzte Weingläser im Regal.

Nirgendwo zu entdecken war ein Abschiedsbrief, wie ihn Lebensmüde oft schreiben, um ihre Motive für die Nachwelt zu erläutern.

Ich hatte viele Menschen gesehen, die des Lebens überdrüssig waren, diese Frau war es nicht, da war ich mir ganz sicher.

Aber ein ganz anderes Indiz sprach eindeutig und zweifellos gegen den Suizid: Nirgendwo im Raum war ein scharfes Messer, eine Rasierklinge oder etwas Ähnliches zu finden, das der Selbsttötung hätte dienen können. Ohne dieses Instrument jedoch war nur die Tat eines bislang Unbekannten anzunehmen! Schnell durchsuchte ich das gesamte Zimmer, nirgendwo war das Tatwerkzeug zu entdecken.

Dann schaute ich mir noch einmal genau die klaffende Wunde an.

Ich musste jeden Moment damit rechnen, dass noch jemandem das Fehlen der jungen Frau an ihrem Stand auffiel, und ich somit bei meinen Untersuchungen gestört werden würde.

Soweit ich es aus meiner Erfahrung als Nichtmediziner beurteilen konnte, schien mir eher ein Rasiermesser, wie man es früher in Rasiersalons und bei Friseuren benutzte, oder auch ein Skalpell infrage zu kommen. Der Schnitt war schnell und fachmännisch gesetzt worden. Die Schnittführung verlief von oben nach unten. Da es sich um den linken Unterarm handelte und die Linie etwas bogenförmig von oben nach unten den Arm entlang mit einer leichten Rechtsbiegung zum Daumen hin verlief, die Tiefe von oben nach unten hin geringer wurde, was in der blutleeren Rinne nun gut erkennbar war, musste jemand den Arm von vorn links neben ihr stehend gehalten haben, um dann den Schnitt blitzschnell und gezielt zu platzieren.

Ungewöhnlich war, dass der Täter zwar den Anschein des Selbstmordes erweckte, aber zugleich durch die offensichtlichen Widersprüche in Kauf nahm, dass die Selbstmordannahme zugleich unglaubwürdig wurde. Daraus konnte man nur schließen, dass es für ihn die Hauptsache war, seine Identität nicht durch zurückgelassene Spuren zu verraten. Leider hatte ich nicht die Hilfsmittel, um nach Fingerabdrücken zu suchen, das würde hier auf fremdem Terrain auch zu weit gehen, ich würde mich strafbar machen. Sowieso hatte ich bereits meine Kompetenzen weit überschritten, hätte ich doch sofort die Polizei verständigen müssen.

„Alors, que faites-vous içi?“ (Also, was machen Sie hier?)

Eine Frau, die ich in der Hektik des nun einsetzenden Geschehens nicht erkennen konnte, war, von mir unbemerkt, hinter meinem Rücken eingetreten, und als sie nun die Tragik der Situation zu erkennen glaubte, diese aber falsch deutete, schrie sie sofort in allerhöchsten Tönen und polterte Hals über Kopf die Treppe wieder hinunter.

Ich sah keinen Grund, nun die Flucht anzutreten.

Es dauerte wohl an die zwei bis drei Minuten, bis drei Männer, in einem davon erkannte ich den Wirt der Bar Cap Canaille von nebenan, schnellen Schrittes die Treppe emporkamen, bei dem sich bietenden Anblick in der Tür stehen blieben und angesichts der gefassten Ruhe, mit der ich ihnen entgegentrat, merkten, dass sie nicht einen gerade ertappten Mörder vor sich haben konnten.

„Sie haben sie gefunden?“ fragte der Wirt, der mich kurz zuvor noch bedient hatte.

„Ja, sie ist, wie es aussieht, bereits seit einer Weile tot“, gab ich zurück.

Ich trat an eines der Fenster und sah vor dem Haus eine Menschenmenge. Die Frau, die zuvor Zeter und Mordio geschrien hatte, redete aufgeregt und fuchtelte mit Armen und Beinen.

Einer der drei Männer beugte sich über die Tote, um zu sehen, ob sie nicht vielleicht doch noch lebte. So ist es oft: Wir wollen das Unfassbare nicht fassen und dem Unglaublichen immer noch entgegentreten!

„Ne pas toucher!“ (Nicht anrühren!) befahl ich in strengem, geübtem Ton, worauf ersterer davon abließ.

Der dritte zückte sein Handy, um den Notruf abzusetzen.

Dann sagte er: „Ich glaube, Sie müssen jetzt hierbleiben, Monsieur. Man wird Sie befragen.“

Natürlich konnte und wollte ich nun nicht fortlaufen. Unversehens war ich zum Zeugen geworden. Ich musste mich in das Unvermeidbare fügen, wenn die drei mir nur dem Mob vom Leibe hielten, denn die Menschen auf der Straße vor dem Haus forderten nun im Sprechchor, ich solle herauskommen. Offenbar hatte die Frau, die mich vor der Leiche mit all dem vielen Blut knien sah, ihnen gesagt, „der Mörder“ sei noch dort oben.

Ich nahm also in einem Sessel Platz, der vor einem der beiden Fenster stand, den Blick zur Tür gewandt, um auf das Eintreffen der Polizei zu warten. Da saß ich nun und war bedacht, mein Gesicht nicht der aufgebrachten Menge zu zeigen, konnte ich ihnen doch nicht das Gegenteil ihrer Annahme beweisen.

Die Brillenverkäuferin war allseits bekannt und beliebt. Auch die ständigen Bewohner von Cassis kamen an ihrem Stand immer wieder vorbei. Sie verstand es, ihr Geschäft mit persönlichen Bindungen zu verknüpfen. Eine Sonnen-brille brauchte schließlich jeder einmal. Wenn man zum Beispiel verreiste, Besuche machte, war es immer ein schönes und preiswertes Mitbringsel, vor allem, weil es Mengenrabatt für mehrere gekaufte Brillen gab, den sie großzügig gewährte.

Da saß ich nun und wartete, und ich war mir vollkommen sicher, dass sich das Missverständnis schnell aufklären würde. Ich fühlte mich bar jeden Verdachtes. Natürlich musste man mich, der ich die Leiche gefunden hatte, vernehmen. Das war eine lästige Zeitvergeudung, vor allem vom Zweck meines Urlaubs gesehen. Aber das hatte ich nun davon, wenn ich meine Nase überall hineinsteckte!

Der Wirt kam herein und sagte erklärend, die Polizei sei sehr beschäftigt an diesem besonderen Tag. Alle seien im Einsatz. Sicherheitsvorkehrungen, weil irgendein hohes Tier zum Nationalfeiertag den Ort besuchte.

Außerdem hätte jemand auf der Straße erzählt, es habe gerade eine Familientragödie in einer anderen Straße gegeben, wozu alle verfügbaren Gendarmen angerückt seien, um zu schlichten und die Straße abzuriegeln.

Ja, die Toten können warten!

Allmählich überkam mich das Gefühl, nun hier in der Falle zu sitzen. War ich ein Gefangener der Umstände, in die ich mich selbst begeben hatte?

Ich musste nun unaufhörlich die Tote betrachten, mein Blick konnte keine andere Richtung finden: Da lag sie vor mir, die bloße Hülle der jungen Frau, die eben noch mitten im Leben stand. Unversehens war sie hinübergegangen in das Reich der Toten.

Es war für mich eindeutig ein kaltblütiger Mord. Der Mörder hatte seine Tat überlegt und planvoll ausgeführt. Ich war schon so oft mit dem Tod in Berührung gekommen. Doch hier war plötzlich alles anders. Es war kein ’Fall‘, kein Ermittlungsvorgang der üblichen Art. Ich fühlte mich direkt involviert, hineingezogen in etwas, das mich ereilte, hilflos machte, etwas, das ich nicht wie sonst gewohnt lenken oder zumindest beeinflussen konnte.

Wer hatte die Grausamkeit, dieses junge Leben so erbarmungslos und auf bestialische Weise auszulöschen?

Die Minuten waren wie Stunden.

Ich starrte hinüber.

Die Blutlache war schon zu einem dunkelroten See geronnen, der zunehmend erstarrte und mir nun, je länger ich hinsah, wie ein erloschenes Lavafeld vorkam.

Ein Sommer in Cassis

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