Читать книгу 26. April 1986: Tschernobyl - Peter Bilhöfer - Страница 6

Einleitung

Оглавление

Der Gedanke zu diesem Buch entstand im Laufe mehrerer Semester an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Wenn in Lehrveranstaltungen das Thema Tschernobyl angesprochen wurde, zeigten die Reaktionen, dass über drei Jahrzehnte nach den Ereignissen nicht nur viele unbeantwortete Fragen weiterhin Diskussionsstoff boten, sondern sich auch neue Fragen stellten. Bei der historischen Einordnung des Geschehens fiel zudem die scheinbare Anhäufung technik- und umwelthistorischer Ereignisse im Jahre 1986, wie u. a. die Explosion der US-Raumfähre »Challenger« oder der Großbrand von Schweizerhalle, auf. Obwohl es sich dabei eher um eine zufällige Aneinanderreihung verschiedener Vorfälle mit unterschiedlichen Ursachen innerhalb eines Jahres handelte, können deren Wahrnehmung und Folgen aus historischer Perspektive durchaus als Ganzes betrachtet werden.

Wie ungebrochen das Interesse an Ursache, Verlauf und Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ist, zeigt nicht nur das Echo auf die beiden in den letzten Monaten erschienenen Monographien von Sergej Plokhy Chernobyl- History of a tragedy und Adam Higginbotham Midnight in Chernobyl sondern vor allem der Erfolg der fünfteiligen HBO-Serie Chernobyl. Trotz einiger genrebedingten Überzeichnungen und historischer Abweichungen erhielt »Chernobyl« hervorragenden Kritiken, ja wird je – nach Sichtweise – sogar als »beste Serie der Welt« bezeichnet.1

So zahlreich die Publikationen zu den eigentlichen Vorgängen in Tschernobyl sind, so überschaubar ist die Literatur zu den Folgen und Reaktionen in der Bundesrepublik Deutschland sowie der Deutschen Demokratischen Republik.2 Lediglich von der Historikerin Melanie Arndt liegt bisher eine gelungene Gesamtdarstellung zu den Geschehnissen in beiden deutschen Staaten aus dem Jahre 2011 vor. In Ihrer 2019 vorgelegten Habilitation Tschernobylkinder. Die transnationale Geschichte einer nuklearen Katastrophe beschäftigt sich Arndt zudem mit der enormen internationalen und sozialen Tragweite der Folgen des Reaktorunglücks.

Franz-Josef Brüggemeier bleibt in seinem 1998 erschienenen Buch Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische Herausforderung thematisch hinter den Erwartungen des Titels zurück, gibt aber zumindest eine für den damaligen Kenntnisstand beachtliche Einschätzung der historischen Dimensionen des Reaktorunglücks. Zu den Ereignissen in der Bundesrepublik lieferte der ehemalige Staatssekretär Paul Laufs eine gute Zusammenfassung mit Kenntnissen aus erster Hand. Neben vielen Kurzreportagen zumeist von ARD-Regionalsendern ist es vor allem die ZDF-info-Dokumentation Tschernobyl ’86: Deutschland und der GAU, die sich mit den Folgen von Tschernobyl in beiden deutschen Staaten befasst.3

Völlig anders gelagert als in der Bundesrepublik verlief hingegen der politische Diskurs in der Deutschen Demokratischen Republik, was sich auch in einer recht unterschiedlichen Quellenlage niederschlug. Hier leistete die Gießener Historikerin Dorothée de Nève 1995 regelrechte »Pionierarbeit«, die inzwischen durch die Publikationen von Sebastian Stude eine angemessene Fortsetzung findet. Mit der Aufsatzsammlung Tschernobyl und die DDR: Fakten und Verschleierungen – Auswirkungen bis heute? existiert eine angemessene Abhandlung für die Ereignisse auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, zu der es in dieser Art kein westdeutsches Gegenstück gibt. Neben der Darstellung des Medizinphysikers und Bürgerrechtlers Sebastian Pflugbeil verdient dabei vor allem der Beitrag des Hygienemediziners Bernd Thriene über die Folgen von Tschernobyl im Bezirk Magdeburg Erwähnung. Ähnliche Studien über eine deutsche Region liegen in der Geschichtswissenschaft nicht vor, Thomas Schattners 172 Seiten umfassende Dokumentation Die Folgen von Tschernobyl 1986 im Schwalm-Eder-Kreis ist nach wenigen einleitenden Worten lediglich ein Pressespiegel damaliger Zeitungsartikel. Überhaupt ist das Thema »Tschernobyl« aus regional- und landesgeschichtlicher Sicht ein zu größten Teilen noch unbearbeitetes Gebiet.

So kann und will auch dieses Buch keinen abschließenden und vollständigen Überblick zu den Ereignissen in beiden deutschen Staaten geben, sondern Schlaglichter auf die wichtigsten Geschehnisse in den Tagen, Wochen und Monaten nach dem 26. April 1986 werfen und diese miteinander in Beziehung setzen. Dazu erwies es sich als sinnvoll, auch auf die Entstehungsgeschichte des Unglücksreaktors, des Kraftwerks und der dazugehörigen Siedlung Pripjat sowie den Ablauf des eigentlichen Unfallhergangs näher einzugehen, zumal sich im Zeitalter von Verschwörungstheorien und Meinungsblasen hartnäckig Gerüchte und falsche Legenden über die Ereignisse halten. Ähnliches gilt für die Brandnacht von Schweizerhalle, deren Ursache bis heute ebenfalls Gegenstand wilder Spekulationen ist.

Zehn Infoboxen mit Schlagworten zu den jeweiligen Kapiteln ergänzen den Text und führen über das Thema hinausgehende Aspekte aus. Namen prominenter Politiker und Städte der ehemaligen Sowjetunion werden in der auch in den zeitgenössischen Quellen und Texten geläufigen deutschen Schreibweise wiedergegeben, ebenso wird die infolge des Zerfalls der Sowjetunion einsetzende sprachliche und inhaltliche Umbenennung nur dort thematisiert, wo es für die Einordnung in den historischen Kontext von Relevanz ist.

Frau Prof. Dr. Sabine Liebig und Frau Dr. Brigitte Übel sei für die Aufnahme des Buches in die Reihe Zeitpunkte der Geschichte ebenso gedankt, wie dem Kreis von Personen, die mich zu diesem Buch anregten und die mir mit ihren vielen Fragen genügend Stoff, aber auch neue Sichtweisen bei der Niederschrift boten.

26. April 1986: Tschernobyl

Подняться наверх