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2. Götzendienst

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Du sollst dir kein Götzenbild anfertigen von etwas, das im Himmel, auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie weder verehren noch dich vor ihnen zu Boden werfen, denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott!

(2. Mose 20,4-5a; NLB)

Sprich das Wort und du wirst sein wie ich.10

(The Word, 1965)

Die Beatles waren Idole. Auch Elvis Presley war ein Idol, aber vielleicht hatte er – wie John Lennon behauptete – an dem Tag aufgehört ein Idol zu sein, als er den Militärdienst antrat, als wäre an diesem Tag eine Maske gefallen. Vielleicht war es das erste Mal in der Geschichte, dass jemand fast auf den Rang (eines) Gottes gehoben wurde, ohne dass dem machtpolitische oder despotische Absichten zugrunde gelegen hätten.

Die verschiedenen Herrscher und Diktatoren der Welt spielten oft die Karte des Personenkults aus. Sogar Mussolini hat in seinem „Credo der Faschisten“ zehn Vorschriften verfasst, von denen eine lautete „Der Duce hat immer Recht“. Auch geschichtlich positiv besetzte Personen erlebten Momente des Personenkults, man denke nur an die immensen Menschenmassen, die sich um Mahatma Gandhi versammelten.

Binnen weniger Monate riefen die Auftritte der Beatles Massenhysterien hervor, so als füllten sie ganz unabsichtlich ein vorher vorhandenes Vakuum und als sei ihre Musik die rituelle Liturgie eines heidnischen und archaischen Kultes. Horden kreischender Mädchen, die die Musik durch ihr eigenes Geschrei hindruch kaum noch vernehmen konnten und es auch den Beatles auf der Bühne unmöglich machten, noch ihr eigenes gesungenes Wort zu verstehen.11

„Sprich das Word und du wirst sein wie ich“, sangen die Beatles im Jahr 1965 und boten sich somit als Vorbilder auf einem Weg, der zur Überwindung von Feindschaft und Kriegen führen sollte, an. Gespeist wurde diese Einstellung aus dem grenzenlosen Vertrauen in die Fähigkeiten des Menschen und in den Fortschritt, das kennzeichnend für die sechziger Jahre war, die als zweite Belle Époque des 20. Jahrhunderts verstanden wurden. Die religiös-liturgische Konnotation dieses Zitats aus dem Song The Word ist offenkundig und besteht in der Parallele zu dem Gebet, das in der katholischen Messe vor der Austeilung der Hostien gesprochen wird: „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Letzteres geht auf eine Begebenheit zurück, bei der ein römischer Hauptmann Jesus bittet, seinen Knecht gesund zu machen (Matthäus 8,8; Lukas 7,7).

Zugleich markiert das Entstehen dieser fast priesterlichen Rolle der Beatles auch das Ende der Phase ihrer Anbetung als Götzen: Als hätte man auch ihnen die Masken genommen, sind sie jetzt keine reinen Idole mehr, die man anzufassen und zu verehren sucht, sondern Vorbilder für das eigene Leben. Mit einer Textzeile, die der oben aus The Word zitierten ähnelt, schließt John Lennons Solosong working class hero (1970):

If you want to be a hero, well,Wenn du ein Held sein willst, gut,
just follow me.dann folge mir einfach.

Dieser Satz klingt ganz ähnlich wie Jesu Aussage über die Jüngerschaft: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Markus 8,34).

Angesichts dieser Entwicklung wurde die Liverpooler Band beschuldigt, den Kult ihrer eigenen Personen gefördert zu haben (das ist in etwa so, als gebe man dem Goldenen Kalb die Schuld daran, dass es verehrt wurde, und nicht dem Volk). Dementsprechend war in den verschiedenen (mehr oder weniger ernstzunehmenden) Studien, die diesbezüglich in den letzten 50 Jahren verfasst wurden, auch stets ausschließlich das Verhalten der Beatles Gegenstand der Untersuchung. Weitaus weniger analysierte man dagegen das Verhalten der Massen. Selbst nach dem letzten Auftritt der Beatles als Band am 29. August 1966 in San Francisco ließ sich beobachten, dass der Personenkult in gewisser Weise noch anhielt, obwohl die heilsbringerisch anmutenden Konzerte längst vorbei waren. Die Beatles trennten sich, um ihre musikalischen Werke zu verfeinern und dem Höllenspektakel entfliehen zu können, das im Umfeld ihrer Konzerte entstand. Doch, um mit den Worten der Gruppe Clash zu sprechen, stirbt nun zwar die Beatlesmanie, aber die Manien an sich erfreuen sich noch bester Gesundheit.

Nachdem ihnen das „Goldene Kalb“ genommen worden war, fielen die Waisen dieses Kults kurzerhand dem Gerücht über den Tod von Paul McCartney zum Opfer. Dies ist eine der vielen beunruhigenden Episoden, die den Heldenepos der Beatles begleitet haben: Im Jahre 1969 werden Stimmen laut, die behaupten, dass Paul bereits bei einem Autounfall vor einigen Jahren gestorben sei. Nicht nur die Band hat sich von der Bühne zurückgezogen, sondern auch Paul. Er lässt sich zu dieser Zeit nicht in der Öffentlichkeit blicken, da er zusammen mit seiner Familie auf dem schottischen Landsitz von Mull of Kintyre wohnt und seine nächste Solokarriere vorbereitet. Nachdem sich diese offenkundig falsche „Nachricht“ erst einmal verbreitet hat, kommt jeder Vorwand gelegen, sie aufrechtzuerhalten. So wird etwa der auf dem Cover des Albums Sgt. Pepper abgebildete Blumenkranz als „Trauerkranz“ interpretiert. Im gleichen Album, so mutmaßen plötzlich die Massen, wurde schon ein fremder Sänger eingeführt (nämlich der ominöse Billy Shears, der von den Beatles als Kunstfigur erfunden und in dem Song With a little help from my friends als vermeintlicher Sänger erwähnt worden war, hinterdem sich jedoch Ringo verbarg). Besonders in Verdacht gerät das Cover des Albums Abbey Road, auf dem die vier zu sehen sind, wie sie hintereinander im Gänsemarsch die Straße, in der sich die Aufnahmestudios der EMI befinden, überqueren. Lennon, in weiß gekleidet, führt die Gruppe an, gefolgt von Starr in einem schwarzen Anzug, McCartney ebenfalls im schwarzen Anzug, jedoch barfüßig und mit einer Zigarette in der rechten Hand (obwohl er doch Linkshänder ist) und Harrison in Arbeitskleidung. Den Befürwortern der Theorie von Pauls Tod zufolge sei diese Szene ein Trauerzug, angeführt vom Priester, gefolgt vom Bestatter, vom Toten und vom Arbeiter, der das Grab aushebt. Zusätzlich befindet sich vor dem Studio ein geparkter Käfer von Volkswagen (auf Englisch: Beetle) mit dem Kennzeichen 28 IF („28 wenn“, also das Alter von Paul, wenn er noch leben würde).

Es waren dies die Jahre des Kalten Krieges, die Jahre von 007 und der in den James-Bond-Filmen beheimateten Terrororganisation SPECTRE. Einige Verschwörungstheoretiker behaupteten, dass der betrügerische falsche Sänger sein Gesicht mithilfe der plastischen Chirurgie verändert habe und sich nun von diesem Eingriff erholen und daher vorübergehend aus dem öffentlichen Leben zurückziehen müsse. Wenn diese Geschichte wahr wäre, dann wäre jener mysteriöse Musiker übrigens künstlerisch noch besser gewesen als der „echte“ Paul, da er ja in diesem Fall Lieder wie Let It Be und Hey Jude komponiert hätte…

Diejenigen, die fest glaubten, dass Paul im Jahre 1967 gestorben wäre, ließen sich nicht davon überzeugen, dass dies eine falsche Nachricht war. Wahrscheinlich sind es dieselben, die auch meinten, dass der Bandleader der Doors, Jim Morrison, nicht 1971 in Paris gestorben oder dass nicht Elvis, sondern einer seiner Doppelgänger an seiner statt in der Graceland-Villa gestorben wäre. Zu glauben, dass Paul tot ist und Elvis noch lebt – das ist es wohl, was „Glaube“ in der Gott-ist-tot-Epoche bedeutet.

Aus dieser Geschichte lassen sich interessante Rückschlüsse auf das religiöse Empfinden des post-christlichen Westens ziehen. Trotz der verstärkten Säkularisierung war es dennoch nicht gelungen, den negativsten Aspekt einer Religion, d. h. den Götzendienst, abzuschaffen. Vielmehr wurde ein Vakuum geschaffen, eine Art allgemeiner Wunschglaube, den u. a. die Beatles auszufüllen vermochten. Auf den Punkt gebracht wird dieser Wunschglaube durch ein Poster, das hinter Agent Mulders Schreibtisch hängt. Aufgenommen in der TV-Serie X-Files, prangen dort die Worte „I want to believe“ („Ich möchte daran glauben“).12 Anhänger dieses Wunschglaubens werden immer wieder etwas suchen, an das sie gerne glauben möchten. Ähnlich war es bei den im Alten Testament beschriebenen Israeliten, die ihren Glauben auf das Goldene Kalb ausrichten wollten, weil man es anfassen, ansehen und vor ihm niederfallen konnte, oder gar bei den Massen, die einen Diktator wie Mussolini euphorisch grüßten. Es ist wie bei jemandem, der nicht leben kann, wenn er nicht an eine Verschwörung glaubt, oder aber an einen intelligenten Plan jenseits unserer Existenz. Es ist zwar ein „Wunschglaube“, aber eben auch ein Glaube, der jedoch ohne Gott auskommt.

Mit Ausnahme von Ringo Starr, der immer ein wenig mehr in Deckung blieb, versuchten die Beatles ihre ihnen gewogene Gefolgschaft jeweils in eine Richtung zu leiten. So finanzierte beispielsweise George Harrison die Hare-Krishna-Bewegung in Großbritannien mit gewaltigen Summen und bewarb diese bis zu seinem Tod auch in der Öffentlichkeit. Zudem organisierte er 1971 in New York das erste große Benefiz-Konzert in der Geschichte der zeitgenössischen Musik, bei dem er zusammen mit anderen Künstlern (u. a. Ringo Starr, Ravi Shankar, Eric Clapton und Bob Dylan) Geld für die Bevölkerung von Bangladesh einspielte, deren Land durch den Wirbelsturm Bhola verwüstet worden war.

John Lennon schwankte zwischen der Neigung, sich als öffentlicher Guru zu präsentieren, und der, sich in sein Privatleben zurückzuziehen. Diese widersprüchliche Haltung Lennons steht nur scheinbar im Kontrast zu seiner Ehrlichkeit und Integrität, denn er ändert zwar häufig seinen Sinn, glaubt aber jedes Mal ernsthaft an die neue Ausrichtung. Zusätzlich zu dem bereits genannten Song working Class Hero, von dem Lennon hoffte, dass er zu einer Art neuen Internationale würde, sei hier auch an Give Peace A Chance (1969) erinnert, eine pazifistische Hymne, die seinerzeit die öffentlich zelebrierten Flitterwochen mit Yoko Ono begleitete. Um gegen den Krieg zu protestieren, erfindet das Künstlerpaar eine hoteltauglichere Variante des Sit-in: das sogenannte Bed-in. Kurzerhand verlegt es den Sitzstreik in das Bett ihres Hotelzimmers im Amsterdamer Hilton, wobei beide ihr Zimmer der Allgemeinheit, den Journalisten und allen anderen, die gerne die Weltsicht des Paares hören möchten, öffnen. Besonders reizvoll ist hier, wie sehr die beiden sich gegenseitig künstlerisch beflügeln, denn Yoko Ono wurde zur bedeutendsten Vertreterin der Concept Art und der Performance Art des 20. Jahrhunderts. Das Bed-in ist eine sehr faszinierende und improvisierte Aktion, die an eine Installation erinnert und damit dem unbeständigen Gemütszustand von John Lennon entspricht.

John verlässt schließlich das England seiner Kindheit, seiner Jugend und der Beatles und geht nach New York. Dort musste er so lange bleiben, bis man ihm die Green Card (die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung) gewährt, um der Gefahr zu entgehen, dass ihm die Wiedereinreise verweigert wird. Sein eher kontrovers angesehenes politisches Engagement hatte dazu geführt, dass das FBI gegen ihn ermittelte, welches es jedoch nie geschafft hat, etwas Greifbares gegen ihn zu finden oder gar zu inszenieren. Lennons politische Phase dauerte knapp fünf Jahre an, danach zog er sich ins Privatleben zurück, um die ersten Lebensjahre seines Sohnes Sean Taro mitzuverfolgen. Kurz bevor er ermordet wurde, brachte er das Album Double Fantasy (1980) heraus – das erste nach gut fünf Jahren.

Paul McCartney hat sich, wenn man es so nennen kann, den Anschein des Bürgerlichen gegeben. Er lebt als ein guter Staatsbürger, ein guter Ehemann und ist sensibilisiert für die Problematik des Umweltschutzes, des Rassismus, des Tierschutzes und des Friedens in der Welt. Als Prophet des Vegetarismus führte er zusammen mit seiner Frau Linda Eastman einen regen Briefwechsel über dieses Thema mit dem Dalai Lama, wie er in einem Interview aus dem Jahre 2010 gegenüber der Zeitung „The Observer“ erklärte. McCartney fand zu seiner großen Überraschung heraus, dass der buddhistische Religionsführer Fleisch isst, und schrieb ihm daraufhin, dass das nicht in Ordnung sei. Der Dalai Lama antwortete, dass die Ärzte ihm aus gesundheitlichen Gründen von einer streng vegetarischen Ernährung abgeraten hätten. Überzeugt, dazu beigetragen zu haben, den geistlichen Führer auf den rechten Weg des Vegetarismus zurückgebracht zu haben, kommentierte Paul diese Episode mit den nachfolgenden Worten:

„Ich glaube, je mehr westliche Ärzte er konsultierte, desto häufiger sagten sie ihm, dass er seine Proteine auch aus anderen Nahrungsmitteln zuführen könne. Es ist etwas rückständig zu denken, dass er sie ausschließlich über Fleisch aufnehmen könne.“13

Diese Bemerkung, in der er ein Vorurteil gegenüber den Ärzten der sogenannten Dritten Welt äußert, zeigt noch einmal, wie sehr die Beatles in der Vergangenheit verwurzelt sind. Kein heutiger Star würde im Traum daran denken, eine solch politisch unkorrekte Äußerung abzugeben, es sei denn, dies wäre ein Teil der „Rolle“, die er spielt.

Wie dem auch sei, McCartney hat stets gegen den Rassismus gekämpft. Zu Beginn der achtziger Jahre kooperierte er mit den bekanntesten Vertretern der schwarzen Popmusik (u. a. Stevie Wonder und Michael Jackson), denn seiner Überzeugung nach gehört man zur gleichen Menschheit, wenn man zusammen singen kann. In Ebony And Ivory (1982) betrauert er zusammen mit Stevie Wonder, dass unter den Menschen nicht die gleiche Harmonie herrscht wie zwischen den schwarzen und weißen Tasten seines Klaviers. Es ist ein einfacher Text, der fast (aber eben nur fast) banal anmutet:

We all know that people areWir wissen alle, dass die Menschen
the same wherever we go.überall, wo wir hingehen, die gleichen sind.
There is good and badEs gibt Gutes und Böses
in ev’ryone,in einem jeden von uns,
we learn to live,lasst uns lernen zu leben,
we learn to give each otherlernen, wie wir einander das geben können,
what we need to survivewas wir alle dazu brauchen,
together alive.um zusammen zu überleben.
Ebony and Ivory live togetherEbenholz und Elfenbein leben zusammen
in perfect harmonyin perfekter Eintracht,
side by side on my pianonebeneinander auf der Tastatur
keyboard, oh Lordmeines Klaviers, oh Herr,
why don’t we?warum wir nicht?

Trotz – oder vielleicht gerade wegen – seines weltweiten Erfolges wird das Lied dafür kritisiert, dass es zu lasch sei, und auch kürzlich diente es der Fachzeitschrift „Blender“ und den Radiosendern AOL und BBC6 als Zielscheibe der Kritik. Erwähnenswert ist jedoch, dass es vom südafrikanischen Apartheid-Regime boykottiert wurde. Ganz so banal ist es also doch nicht – zumindest die Reaktionen darauf.

McCartney versucht, seine Gefolgschaft auch in Richtung Umweltschutz zu bewegen: In dem Song How Many People (1989) singt er einen Reggae zum Andenken an den brasilianischen Gewerkschaftler Chico Mendes, der wenige Monate zuvor ermordet wurde, weil er gegen die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes gekämpft hatte.

Wozu nun ein bürgerlicher Guru? Im Unterschied zu Lennon, für den sein unermesslicher Reichtum auch immer Anlass zu inneren Konflikten bot und der sich allerhöchstens als „Held der Arbeiterklasse“ definieren würde, nimmt Paul seine eigene menschliche Bedingtheit von ganzem Herzen und mit einer absoluten Ehrlichkeit an. In Peace In The Neighbourhood (1993) singt er:

Best thing I ever saw,Das Beste, was ich je gesehen habe,
was a man who loved his wife.war ein Mann, der seine Frau liebte.

All dies sind scheinbar banale Dinge, die jedoch auch heute noch genauso nottun.

10 „Say the word and be like me.“

11 Das war die „verlogene Beatlemanie, von der die Punk-Gruppe Clash fast zwei Jahrzehnte später sprach und sie gleichzeitig für tot erklärte, “Phoney Beatlemania has bitten the dust” (London Calling, 1979).

12 Im Deutschen: Akte X – die unheimlichen Fälle des FBI mit Agent Fox Mulder und Agent Dana Scully.

13 Internet: http://www.guardian.co.uk/music/2010/jul/18/paul-mccartney-vegetarianism, 10.09.2012.

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