Читать книгу Hörbuchsprecher - Sein oder Nichtsein - Peter Eckhart Reichel - Страница 6
Wie werde ich Hörbuchsprecher?
ОглавлениеDiese Frage wird mir fast täglich gestellt. Sehr oft rufen mich Menschen an und ich höre von ihnen stets die gleichen Sätze: „Man sagt mir, ich habe eine schöne Stimme, und die Leute (Kinder, Senioren, Freunde auf Lesungen usw.) hören mir gern zu und finden meine Stimme toll. Ich möchte mich deshalb bei Ihnen als Hörbuchsprecher bewerben.“
Das ist zwar erfreulich, aber nicht gerade sehr aussagekräftig in Bezug auf ihre Eignung als Hörbuchsprecher.
Wenn ich dann nachhake und ich mich erkundige, ob sie oder er eine entsprechende Stimmausbildung oder Schauspielschule absolviert haben, stoße ich nicht selten auf Unverständnis.
Vorträge vor Ort oder auf einem Podium gelingen vor allem durch die Persönlichkeit der Interpreten und deren Präsenz und Sympathie beim Publikum. Aber das alles ist weg, wenn man ein Hörbuch produziert, dann zählt nur die Stimme. Und wenn sich ein Zuhörer auf die Geschichte konzentriert, merkt er schnell, ob die Stimme es erreicht, seine Fantasie anzuregen oder nicht.
Natürlich gibt es auch Naturtalente unter den „ungelernten“ Sprechern, aber im Studio müssen sie, wie Berufssprecher, verschiedene Varianten beherrschen und auch anbieten können. Zu dieser Fähigkeit gehört auch ein hohes Maß an Erfahrung dazu. Trotzdem gibt es immer wieder erfolgreiche Schauspieler, die nie eine Schauspielschule besucht haben, sie sind eher Ausnahmen.
Die Realität sieht aber so aus: Ohne eine Sprecherausbildung erfolgreich absolviert zu haben, werden Sie sich vergeblich in einem Rundfunksender als Berufssprecher bewerben, auch Synchronstudios und Hörbuchverlage setzen eine entsprechende Qualifikation voraus.
Bei einer Umfrage in einem Hörbuchforum, beschrieb ein Teilnehmer diese (wie ich finde) sehr zutreffenden Situation ganz exakt:
Gute Hörbuchsprecher sind immer Sprach-Künstler. Sie transportieren Inhalte vom gedruckten Wort in gehörte Sprache - im Idealfall so, dass man beim Zuhören gar nicht auf die Idee kommt, der Inhalt könnte überhaupt den Umweg übers Schriftbild gegangen sein: Jemand erzählt mir einfach eine Geschichte. Und das nicht nur Wort für Wort. Eine Geschichte besteht aus lauter Emotionen, aus Gedanken, aus Zwiegesprächen, aus turbulenten oder brutalen oder beschaulichen Bildern. Das will ich beim Zuhören alles erleben. Ein guter Erzähler, dem ich gerne zuhöre, vermittelt mir jeden Subtext: Die Freude, das Grauen, die Langeweile, die Überheblichkeit, die Hilflosigkeit, die Kränkung - und den Humor, vielleicht die schwierigste Gratwanderung von allen. Aber nicht jeder gute Sprecher, nicht jede prominente Schauspielerin ist auch gleichzeitig für dieses Medium geeignet.
Versetzen Sie sich bitte einfach mal in die Situation eines Hörbuchproduzenten, der bei jedem seiner Projekte immer wieder vor folgender Problematik steht. Er kennt zwar hunderte Berufssprecher und Schauspielerinnen und ihre unterschiedlichen Stimmen, aber er stellt sich immer wieder vor Beginn eines Projektes stets diese gleichlautenden Fragen:
Welcher Schauspieler oder Sprecher passt überhaupt von seinem Image, seinem Ausdruck oder seines Sprachklangs her zu welchem Text?
Ist die Interpretationskunst des Schauspielers oder der Sprecherin überhaupt geeignet, der Geschichte in einem Hörbuch die gewünschte Nuance zu verleihen, an die der Leser des Buches vielleicht nie gedacht hat, oder, im günstigsten Fall, die sich sogar mit seiner eigenen Fantasie hundertprozentig deckt?
Sie sollten sich nun selbst auch einige Fragen stellen und diese nach Möglichkeit objektiv beantworten:
Über welche Stimmattribute verfüge ich? Und: Zu welchem Charakterbild würde meine Stimme passen?
Eine gute Artikulation ist für jeden erlernbar, dies ist die Voraussetzung für eine Mikrofonarbeit.
Erfülle ich tatsächlich diese Voraussetzung?
Eine Schauspielausbildung ist sehr von nutzen, weil die Texte oder Dialoge authentischer klingen und Sprechtraining zur Ausbildung gehört.
Aber wer könnte meine Stimme ausbilden?
Zum Beispiel: Sprachtrainer, Sprecherzieher, Stimmtrainer - oft sind diese Leute ausgebildete Schauspieler oder Berufssprecher.
Ein Sprecherzieher würde Sie vielleicht einem Eignungstest unterziehen:
„Partizipationsprinzipien“ - Versuchen Sie dieses Wort dreimal hintereinander möglichst schnell und fehlerfrei auszusprechen. Oder Sie probieren es mit diesem Wort „Assistenzarztattest“.
Wenn dies gelingt, versuchen Sie es anschließend mit ein paar Zungenbrechern:
Der Whiskeymixer mixt den Whiskey. Den Whiskey mixt der Whiskeymixer.
oder:
Sechzig tschechische Chemiker checken rechnerisch technische Schemata.
Sie ahnen bereits, worauf ich hinaus will?
Zungenbrecher werden einerseits zur Belustigung aufgesagt, dienen aber andererseits auch professionellen Sprechern als Artikulationsübung.
Dennoch sind all diese guten Ratschläge noch kein Garant dafür, dass sehr viele Sprecher ein Hörbuch auch professionell genug einsprechen können.
Woran könnte das liegen?
Ganz einfach: die meisten Sprecher lesen. Und zwar falsch!