Читать книгу Rafiki Beach Hotel - Peter Höner - Страница 5
L A M U : Dienstag, den fünften April ...
ОглавлениеTrotz einer leichten Brise ist es auf der Hotelterrasse des Strandhotels «Rafiki» in Shela morgens um acht schon so heiss, dass die Hotelgäste es vorziehen, im kühleren Innenhof des Hotels zu frühstücken, wenn sie nicht noch in ihren Betten liegen. Zwei Angestellte des Hotels sind damit beschäftigt, die leeren Bierkisten in ein Motorboot zu schleppen. Das Geschepper der leeren Flaschen in den Kästen stört die morgendliche Ruhe, so dass der Hotelmanager auf der Terrasse erscheint und seinen Angestellten mit einen kurzen Pfiff zu verstehen gibt, sie sollten bitte leiser sein.
Der junge Belgier ärgert sich. Er glaubt zu wissen, dass sie ein gutes Arbeitsklima haben, die Kompetenzen sind klar, ihre Löhne anständig. Umso weniger versteht er, warum solche Kleinigkeiten, die er den Leuten schon hundertmal gesagt hat, nicht befolgt werden. Vor allem da er und seine Frau sich bemühen, nicht die Unerreichbaren zu spielen. Im Gegenteil, sie pflegen mit den Angestellten ein geradezu kameradschaftliches Verhältnis. Aber das «Rafiki» ist ein Hotel. Die Gäste sind hier, um sich zu erholen. Seine Frau und er, aber auch seine Angestellten, haben sich nach den Wünschen der Kunden zu richten und nicht umgekehrt.
Der junge Mann, dessen Kleidung in keiner Weise den Direktor verrät, der mit seinem Kikoi um die Hüften wie einer seiner Gäste aussieht, will ins Hotel zurück, als sich von Lamu mit grosser Geschwindigkeit ein Boot nähert, das Polizeiboot, das direkt auf den Strand vor dem Hotel zuhält. Noch bevor es aufläuft, springt ein Mann heraus, das Boot wendet und schiesst mit laut aufheulendem Motor wieder ins offene Wasser. Der Polizeiassistent Mwasi eilt mit nassen Hosenstössen, die Schuhe in der Hand, auf den Hotelmanager zu, den er schon von weitem erkannt hat und streckt diesem eine amtliche Verfügung entgegen.
«Eine Routineangelegenheit. Eigentlich müssten wir das jedes Jahr machen, aber ... Es sind ja keine Klagen laut geworden, nur: Nach dem gestrigen Badeunfall, Sie verstehen. Man weiss nie, plötzlich steht einer von Nairobi da. Schliesslich ist die Tote eine Weisse, da ist immer alles anders.»
Der Hotelmanager, der Mwasi kennt, erinnert sich nur ungern an den übereifrigen Beamten. – Das letzte Mal, eine Diebstahlgeschichte, wurde er anschliessend gezwungen, am Strand alle hundert Meter ein Schild aufzustellen, das vor Stranddieben warnt.
«When swimming guard property against thieves.»
Eine Einrichtung, die dem Ruf des Hotels, das ohnehin nicht als Tugendburg gilt, sehr geschadet hat. Die Papiere, die Mwasi dem Hotelmanager überreicht, betreffen die Kontrolle von Vorschriften, die zur Geschichte des Hotels gehören.
Das Hotel wurde vor gut zwanzig Jahren gebaut. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit Kenias musste das Hotel immer wieder für längere Zeit geschlossen werden, weil keine Gäste kamen, die wenigen Gebäude zerfielen, und dem Hotel drohte dasselbe Schicksal wie der gesamten Insel. Die Inselstadt, bald einmal nur noch von Alten und Frauen bewohnt, zerfiel zur Geisterstadt. Der einstige Reichtum und die blühende Wirtschaft wurden zur Legende und das malerische Fischerdorf Shela, kaum noch bewohnt, schien ein Opfer der Sanddünen zu werden. In den späten Sechzigerjahren wurde Lamu dann von den Hippies entdeckt, die auf der Flucht vor ihren Vätern vom friedlichen Leben auf unberührten Inseln träumten. Zwar wehrten sich die Bewohner Lamus gegen die ungebetenen Gäste, die sich in den verlassenen Häusern der Stadt einquartierten, die die anfängliche Gastfreundschaft der Leute von Lamu ausnützten und sich über die Sitten und Moral ihrer Gastgeber hinwegsetzten. Doch erst eine Reihe von Verordnungen der Stadtverwaltung – das Schlafen in den besetzten Häusern, Nacktbaden und das Campieren am Strand sind verboten – vertrieb die Blumenkinder wieder. Trotzdem gilt Lamu bis heute als Geheimtipp für junge Leute, wo sich für wenig Geld Ferien machen lassen. Von dieser Entwicklung profitierte lange Zeit das einzige Hotel auf Lamu, das «Rafiki». Viele der ehemaligen Hippies kehren als arrivierte Leute nach Lamu zurück, und da es die damalige Hoteldirektion verstand, die Enttäuschung der Jugendlichen wenigstens teilweise aufzufangen, gehören Ferien im «Rafiki» für Ehemalige durchaus zum guten Ton.
Diesem, wenn auch geschäftlich verbrämten, Verständnis verdankt das Hotel die sogenannten Sicherheitsvorschriften, die Mwasi nun überprüfen soll. Es sind dies einerseits Bestimmungen, die allgemeinen Gesichtspunkten entsprechen, wie die Kontrolle eines Rettungsrings, die Sicherheit der Ufermauern und so weiter, anderseits erinnern sie an die Zeit vor zwanzig Jahren, wie zum Beispiel das Campingverbot auf dem Hotelareal. Mwasi, der sich wichtig an seine Untersuchungen macht, hat denn auch nichts zu bemängeln, obwohl er an allem herummäkelt und immer wieder ein bedenkliches Gesicht macht.
«Das Geländer rings um die Terrasse ist zu wackelig und zu niedrig. Es könnte jemand ins Meer fallen, das bei Flut an die Hotelmauer klatscht. Der Kasten, in dem der Rettungsring aufbewahrt wird, muss besser signalisiert werden. Und, bitte, schauen Sie sich den Bootssteg an. Kriminell!»
Ein Vorwurf, den der Manager nicht auf sich sitzen lassen kann: «Der Bootssteg ist nicht Eigentum des Hotels. Vor Jahren habe ich, als Direktor und Manager, die Distriktverwaltung gebeten, den Bootssteg zu reparieren. Bitte, kommen Sie mir nicht mit Dingen, die mit ihrem Papier nichts zu tun haben.»
«Der Bootssteg ist eine Gefahr für Ihre Gäste, für die Sie verantwortlich sind, nicht die Stadtverwaltung. Unsere Leute sind doch auf einen Bootssteg gar nicht angewiesen. Ihre Gäste bekommen nasse Schuhe, wir...» Mwasi lacht, zeigt seine nackten Beine. «Wir sind nasse Füsse gewohnt. – Aber seit gestern, seit wir eine Tote, eine Badetote, haben ...»
«Die Frau ist kein Gast des ‹Rafiki›. Was hat das mit dem Bootssteg zu tun?»
«Ist es etwa keine Weisse?»
Gegen die Logik eines kenianischen Polizisten kommt der Hotelmanager nicht an. Kopfschüttelnd gibt er zu verstehen, dass er Mwasis Argumentation begriffen habe, noch eh dieser seine Gedankenkette ausgebreitet hat.
Er ist froh, dass eines der schwerfälligen Motorboote, ein Busbetrieb zwischen den Inseln und dem Festland, um die Ecke biegt und auf die Überreste eines zu dreiviertel zerstörten, eben des von Mwasi kritisierten Bootsstegs zusteuert. Der einzige Passagier, ein älterer, rundlicher Herr mit Halbglatze, versucht auf alle Arten, aus dem Boot zu klettern, vorwärts, rückwärts, bis er schliesslich vom Kapitän in die Arme genommen und auf den Steg gesetzt wird. Der Hotelmanager und Mwasi amüsieren sich über die Ungeschicklichkeit des kleinen Dicken, bis sich herausstellt, dass das Männchen mit Sack und Pack, mit Koffern und Taschen ins «Rafiki» will und nach dem Hoteldirektor schreit.
Mein Gott, was für eine Nacht! Irgendwann hörte Mettler auf, den Wechsel von Erbrechen und Durchfall zu zählen. Gleich am ersten Tag hat er sich die Scheisserei geholt. Gegen Morgen, die Muezzins riefen bereits zum Gebet, nachdem er bestimmt ein halbes Dutzend «Baktrisolidin» geschluckt hatte, beruhigte sich sein Gedärm, so dass er sogar ein bisschen schlafen konnte.
Jetzt sitzt er mitgenommen und allein in der Frühstückshalle, es ist bereits nach Zehn, die Frühstückszeit vorbei. Simon, der Mettler in einem kaum zu ertragenden Wortschwall mit den Frühstücksgepflogenheiten des Gasthauses vertraut machte, liess sich dann wenigstens dazu bewegen, Mettler einen Tee aufzugiessen, den er in kleinen Schlückchen trinkt, immer in Sorge, jeden Moment wieder auf Toilette zu müssen. Sein Hemd klebt am Körper, er spürt, wie sich in seinen Bauchfalten die vielen kleinen Schweissbäche sammeln, die überall an ihm herunterrinnen, entsetzlich, und das alles... – Ja. Warum eigentlich?
Mettler hat seine Akten auf dem Frühstückstisch ausgebreitet. Er hofft, seinen Fall so schnell als möglich erledigen und Lamu wieder verlassen zu können. Was will er hier? Hat er geglaubt, in ein Paradies zurückzukehren? Seine Jugend wieder zu finden?
Ein paar Bilder von Gertrud schiessen, möglichst wie sie in den Armen ihres schwarzen Freundes liegt oder Hand in Hand den Strand entlang schlendert. Das wird den Verwandten in der Schweiz, der Tochter, genügen, er bekommt sein Geld, und was die Leute mit den Fotos machen, ist nicht seine Sache.
Trotz seines Ärgers, der Wut über seine Arbeit, die Mettler in letzter Zeit immer öfters überfällt, bleibt er seinen Arbeitsprinzipien treu: Diskretion nach Aussen, Sorgfalt im Detail. In wenigen Stichworten, die er aus losen Notizen sammelt, skizziert er, was er über Gertrud Hornacker und ihre Familie weiss.