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II

Alles fing mehr oder weniger mit einem Zufall an. Es war kein erfreulicher Zufall, denn dabei starb ein Tier, ein schneeweißer Schwan, und obwohl ich "etwas Gutes" getan hatte, nämlich einem anderen bedrohten Tier zu helfen, empfand ich anschließend mehr Trauer als Genugtuung oder Freude. Das Tier tat mir mehr leid, als so manches der menschlichen Opfer, die ich da auf meinem Weg hinter mir ließ.

Der Schwan ging auf eine kleine Ente los, schnäbelte auf das kleine Wesen ein, verfolgte es regelrecht, auch ins Wasser, wohin sich das Entlein retten wollte. Da war schon wieder der große Schwan hinter ihm, drückte es unter Wasser, hieb mit seinem Schnabel auf das Tierchen ein, als ob es der übelste Feind wäre, den sich das große Tier nur finden konnte. Man wusste von Fällen, wo Schwäne andere Mitbewohner ihrer Sphäre einfach töteten, wenn ihnen danach war. Formale Gründe, zumindest wie wir sie verstehen, gab es nicht. Da war nur der große weiße Vogel, der unerbittlich auf das kleine Entlein einhackte, es konnte nicht mehr lange dauern und das grausame Schauspiel käme zu Ende, genau so, wie dann eben die kleine Ente ihr Ende fände.

Ich musste ihr einfach helfen, warf zuerst nur ein paar Steine nach dem Schwan, was aber dessen Wut noch stärker anfachte. Ich warf einen kleinen Ast ins Wasser, aber außer einer kleinen Ablenkung war da nichts zu erreichen, der Schwan ließ von seinem Opfer nicht ab. Wäre es nicht Februar gewesen, das Wasser eiskalt, ich wäre hineingesprungen, ich hätte ihm den Hals umgedreht, diesem Ungeheuer. Ich lehnte am Zaun, sah verzweifelt hin zu dem ungleichen Kampf, denn das Entlein kämpfte um sein Leben, das war ganz offensichtlich. Ich sah mich um, ob ich irgendwo Hilfe holen konnte, irgendetwas, das den Schwan davon abbringen konnte, das kleine Entlein weiter zu bedrängen. Und dann passierte es einfach. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf den Schwan und sagte ganz leise, eher nur zu mir selbst.

"Du bösartiges Vieh, wenn du derartig böse bist, dann solltest du einfach sterben… jetzt !"

Plötzlich gab es einen lauten, klagenden, krächzenden Ton, der da übers Wasser schallte und mich unwillkürlich wieder umdrehen ließ.

Der Schwan paddelte hin zum Ufer, seine Bewegungen waren fast schon als panisch zu bezeichnen, er sah zu, dass er an Land kam, schaffte es aber nicht. Mit einem weiteren Klagelaut richtete er sich kerzengerade auf, um anschließend in sich zusammenzufallen, den Kopf seitlich unter Wasser. Der Schwan war tot, da gab es keinen Zweifel. Die kleine Ente kam an Land gewatschelt, lief sofort zu ihren Artgenossen hin, wo heftiges Geschnatter einsetzte. Der Schwan trieb als weißes Bündel im Wasser.

Langsam löste ich mich vom Zaun, völlig verwirrt und verstört, ich hatte das doch nicht gewollt. Man sprach doch oft mal irgend so einen Satz aus, irgendwelche Drohungen, verbale Entgleisungen, mit denen die Emotionen ausrauchen konnten, eine Art Dampfablassen, ohne das Gesagte wort-wörtlich zu meinen.

Das Entlein lief wieder herum, das Verbrechen verhindert, der potenzielle Täter beseitigt, das Problem war als gelöst zu betrachten. Ja, sicher, es war schon traurig, den Schwan dahintreiben zu sehen, aber andererseits, die körperliche Überlegenheit gegen das kleine Tierchen war erdrückend gewesen. Da musste man doch einschreiten, oder hätte ich einfach zusehen wollen, wie da gerade ein Mord stattfand, wo ein hoffnungslos unterlegenes Wesen einem überlegenem Monster zum Opfer fiel ?

Ich dachte noch lange nach, über das Geschehene, mir war mittlerweile auch klar, dass dies kein Zufall gewesen war, ich vielmehr wirklich die Verantwortung für des Schwanes Tod trug, ich war der "Täter" gewesen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das gemacht hatte, war mir keiner außerordentlichen eigenen Fähigkeit bewusst, um solcherlei Gewalt bewirken zu können, jemand, sei es auch nur ein Tier, vom Leben zum Tode zu befördern. Ich war verwirrt, mehr als nur verwirrt, ich war verstört, war mir selbst nicht geheuer. Was war das, was da in mir wohnte ?

An jenem Abend zog ich mich noch mehr in mich zurück, wäre am liebsten aus mir selbst geflüchtet. Ich betrank mich ziemlich sinnlos, obwohl mir das sonst fernlag, wollte das, was ich gesehen und erkannt hatte, wegschieben, verdrängen, ins Reich der Fantasie verbannen. Aber das ging so einfach nicht !

Sicher, irgendwann schlief ich dann ein, mit schwerem Kopf und erwachte mit noch schwererem Kopf, dumpfem Bewusstsein, aber immer noch präsenten Bildern vom Vortag, vom Schwan, als er langsam auf die Seite sank und starb.

In den Tagen darauf gelang es mir nur mühsam, mich wieder auf meinen Beruf zu konzentrieren. Journalismus verlangte unbedingte Aufmerksamkeit und Genauigkeit, wenn man den Beruf ernst nahm. Ich nahm meinen Beruf immer sehr ernst, da war ich noch bei dieser Zeitung gewesen, in meinem zweiten Jahr, war noch nicht abgefackt von den Spielen, die man da in dieser Stadt spielte, Hand in Hand, alles nur des schnöden eigenen Vorteils wegen. Die Korruption blühte in allen Farben, wenn man denn bereit war, die rosarote Brille abzunehmen und Klarsicht einzusetzen. Damals hatte ich noch an das Gute im Menschen geglaubt, an die "Gemeinschaft", dass man doch gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitete, den Menschen das Leben zu erleichtern, die Umstände zu verbessern - wie naiv und kindlich ich doch gewesen war, damals.

Nicht dass es nicht auch solche Menschen gab, die da reinen Herzens zu helfen versuchten, wo sie konnten, aber das war wohl eher nur die Ausnahme. Die meisten der Mitmenschen waren ausschließlich aufs eigene Wohl bedacht - erst komm' ich, dann komm' ich, und nach mir kommt dann wer kommen will. So sah es doch aus, in dieser Gesellschaft. Dass man dabei auch so manch anderen Mitmenschen übervorteilen musste, war die andere Seite der Medaille, das schien Teil der Realität, in der man sich bewegte. Das sollte nicht so sein, im idealen Zustand, nur gab es eben keinen Idealzustand, das war ein Wunschtraum nur, ein imaginärer Nebelstreif am fernen Horizont, nicht mehr.

Mit der Zeit verdrängte ich dann die Angelegenheit mit dem Schwan, wollte alles besser vergessen, wollte mich auch gar nicht mehr und tiefer mit dieser "Sache" befassen, es war mir vielleicht sogar selbst ein bisschen unheimlich. Die Frage war ja, welche Kräfte da in mir schlummerten. Aber eben genau das wollte ich nicht wahr haben, wollte doch lieber nur "normaler Mensch" sein, wie alle anderen, ein frommer Wunschtraum, wie sich später herausstellte. Der Verdrängungsmechanismus funktionierte, anfangs, zumindest einige Monate lang. Ich begann meinen eigenen Beteuerungen zu glauben, dass das alles doch sicher nur Zufall gewesen sei, wer konnte schon sagen, woran der Schwan tatsächlich gestorben war. Vielleicht ein Herzinfarkt, ein Gehirnschlag, ein Aneurysma, akutes Nierenversagen oder irgendeine sonstige Ungemach, Krebs, ein Tumor, Lungenembolie, an einem Frosch verschluckt oder einfach nur Altersschwäche.

Das alles waren nur Ausflüchte, ich spielte das Spiel vom Straußenvogel, dem man nachsagte, seinen Kopf in den Sand zu stecken, um herannahendes Unheil nicht zu sehen. Aber Straußenvögel waren nicht so blöd, die konnten sich auch ganz gut ihrer Haut wehren, wenn es sein musste. Nur ich war so blöd, zu versuchen, das, was da in mir brannte, zu ignorieren.

Ich arbeitete wie ein Besessener, oft an mehreren Reportagen zugleich, nur keine Müdigkeit, nur keine Langeweile und nun auch noch: "nur keine Zeit zum Nachdenken". Ich war getrieben, von mir selbst, im Beruf voranzukommen, mir einen Namen zu machen, mich als feste Größe in der lokalen Gesellschaft zu integrieren, meine in dieser Tageszeitung veröffentlichte Meinung zu einem Meilenstein zu machen, an dem die Entfernung zur öffentlichen Wahrheit gemessen werden konnte. Dies war an vielen Kleinigkeiten zu erkennen, wie man mir begegnete, nämlich mit großem Respekt, wobei Respekt vielleicht das falsche Wort an der richtigen Stelle war. Sie hatten vielmehr ein bisschen Angst, vor meinen zielsicheren Stichen. Ich entschied selbst, über meine Arbeit, ich hatte bald schon freie Hand. Da war niemand, außer vielleicht meinem Chefredakteur, der aber doch auch genau wusste, was er an mir hatte, jemand der journalistisch attraktiv war, jemand den "der Leser" lesen wollte, weil ich immer einen Brennpunkt fand, die Strukturen herausarbeitete und mit scharfem Schnitt auch die vordergründig noch verborgenen Krankheitsherde schonungslos offen legte.

Der Auflage schadeten diese Tiraden, die ich manchmal ritt, jedenfalls nicht. Manche sagten, dass sie immer, jeden Morgen erst nachsahen, was oder wen ich denn heute wieder in die Mangel nahm. Ich wurde immer frecher und gleichzeitig auch unbarmherziger in meiner Kritik, sodass dann auch bald die ersten Drohungen auftauchten, man werde darauf hinwirken, dass ich meinen Job verlor – ich lachte ihnen ins Gesicht - man werde sich "meiner annehmen", ich solle mich vorsehen.

Ein Politiker erdreistete sich sogar persönlich in der Redaktion zu erscheinen und mich, vor allen anderen anzubrüllen, mit wüsten Schimpfworten zu belegen. Wären die anderen Kollegen nicht im Raum gewesen, der hätte sich glatt auf mich gestürzt. Nur weil ich beweisen konnte, dass er als "stiller Teilhaber" – allein schon diese Formulierung - in ein Puff involviert war, was ihn wohl auch berechtigte mit den "Damen vom Haus" gelegentlich Freiräume zu nutzen, ganz neben den Ausschüttungen, seiner Gewinnbeteiligung, es gab da auch Fotos, die "jemand" gemacht hatte.

Es war anlässlich dieses Ereignisses, dass ich – mehr unwillkürlich, als absichtlich – wieder eine Reaktion hervorrief, die vielleicht ebenfalls auf der Ebene des Schwanes einzuordnen war. Ich dachte mir: "Kotz dich nur aus, du Drecksack oder noch besser kotz dich selbst an !"

Eine Wandlung vollzog sich im Gesicht des wütend brüllenden Mannes – er wurde fast grün im Gesicht. Anschließend ging alles ganz schnell, er begann zu würgen, hielt sich die Hand vor den Mund, aber der Druck war wohl zu hoch gewesen. Eine braune Soße quoll aus seinen Mundwinkeln hervor, verband sich schnell zu einem unaufhaltsamen Schwall, der dem Mann nun von der eigenen Brust tropfte. Er stieß einen wütenden Laut aus, kotzte noch einmal, diesmal auf einen der vor ihm stehenden Schreibtische, von wo der Brei auf den Boden lief. Der Mann war sprachlos, starrte wütend in die Runde. Ich konnte nicht umhin, anzumerken, dass die Redaktion ihm die Reinigungskosten in Rechnung stellen würde, logischerweise direkt an sein Büro adressiert Fotos mit eingeschlossen. Der Mann stürmte zur Tür hinaus. Ich war mir in Klaren, dass ich mir soeben einen Todfeind eingehandelt hatte, aber das scherte mich einen Dreck, zumindest jetzt noch. Später würde ich mich seiner noch einmal annehmen müssen, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Später dann, in der Nacht, dachte ich das erste Mal daran, mich mit diesen, meinen mysteriösen Fähigkeiten auseinandersetzen zu müssen. Aber der Entschluss brauchte noch viel Zeit um die nötige Tiefe und Umsetzung in die Tat zu erreichen.

Ich arbeitete weiter, als sei nichts geschehen, ging unverdrossen meiner Tätigkeit nach, vergaß meinen Vorsatz wieder, konzentrierte auf die Themen die mir meine Arbeit boten. Mein Engagement war aber auch zu dieser Zeit bereits zielgerichtet, ich hatte meine "Schiene" gefunden.

Es war in dieser Zeit, dass jemand zu mir sagte, irgendein Kollege, dass ich ja geradezu der "geborene Zorro" sei, der Rächer der Enterbten, Geschlagenen, Erniedrigten, Ausgebeuteten, Versklavten und überhaupt. Irgendwer hatte dann auch noch eine Fotomontage gemacht, meinen Kopf auf den Reiter montiert, mit der obligaten Augenmaske auf einem schwarzen Rappen, mit Degen, vor einem blutroten Sonnenuntergang. Ich lachte ein etwas schiefes Lachen. Es kam mir fast schon ein wenig komisch vor, jetzt, einige Jahre nach diesen Anfangs-, Einstiegsschwierigkeiten. Heute saß ich in einer Bar, am Strand in Queensland, in Australien, beobachte die wie geölt durch die Brandung gleitenden Surfer, auf ihren Brettern. Hier war alles voller Touristen, da fiel ich nicht auf, mit meiner kleinen Gestalt, die nahmen mich gar nicht wahr und das war gut so. Denn ich hatte gerade mal wieder einen "Auftrag" erledigt, ein Kerbe mehr, im Griff meines imaginären Colts. Nein, das war nur eine Metapher, ich verwendete ja keine externen Waffen für meine Vorhaben, das hatte ich nicht nötig - die Waffe war ich selbst !

Ich begann mich ernsthaft mit meinen geheimnisvollen Kräften auseinanderzusetzen, als ich die Zeitung bereits hinter mir gelassen hatte und erst einmal – bevor ich dann Fernsehen machte – einen längeren "Urlaub" antrat, wie ich meinen Freunden sagte, aber eigentlich war es alles andere, als ein Urlaub gewesen.

Ich hatte mich eingelesen in die Materie, obwohl es da, auf ernster Ebene, nicht so viel zu erfahren gab, wie ich es mir wünschte. Da gab es den bekannten VooDoo-Zauber, wo man Puppen mit Nadeln spickte und der Betreffende dann an genau diesen Stellen Schmerzen erlitt, erkrankte oder sogar daran verstarb. Auch dem Schamanismus sagte man nach, dass dessen "Priester" über geheime Kräfte verfügten und sie alles Mögliche an Unheil über Menschen hereinbrechen lassen konnten.

Vieles davon musste man einfach in den großen Bereich von Humbug einordnen, aber da gab es auch Berichte von gar eigenartigen, mysteriösen Geschehnissen. Vielleicht war ja doch etwas dahinter, ganz abwegig erschien es mir, gerade auch in meiner Situation, mit meinen eigenen seltsamen Erlebnissen, dann doch wieder nicht. Wahrscheinlich waren nur ganz wenige dieser Voodoo-Zauberer wirklich fähig Dinge zu bewegen, auf rein immaterieller, abgehobener, komplett vergeistigter Ebene, der Rest war Hörensagen und Märchen. Die Mythen waren aber dennoch so stark, die Menschen die dem jeweiligen Glauben angehörten, in Angst und Schrecken zu versetzen.

Außerdem gab es da noch Hypnose, aber die war nicht auf derselben Ebene, denn die hypnotisierten Menschen vollbrachten in ihrem Dämmerzustand keinerlei Taten, die sie bei klarem Bewusstsein nicht tun würden. Also stand auch, zum Beispiel, ein befohlener Selbstmord, wie auch ein Mordauftrag, völlig außer Frage, das wusste man.

Interessanter war es dann schon, anlässlich einer Reportage in der Schweiz, auf eine Gruppe tibetischer Mönche zu treffen, die man dort, in einem Tal angesiedelt hatte. Insgesamt lebten

2.500 von ihnen in diesem Tal, in dem sie Zuflucht gefunden hatten, als China sie ganz besonders gewalttätig verfolgte, in der Mitte der Siebziger-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ich wurde Zeuge einer wunderlichen Begebenheit. Es war leider nicht erlaubt Kameras dabei zu haben, es gab deshalb keine Fotos oder Filmmaterial. Es war auch nur eine kleine, ausgewählte Schar von Journalisten zugelassen, ich fühlte mich geehrt, als man mich namentlich nannte und persönlich einlud.

Der Mönch trug das bei den Tibetern übliche Gewand, eine Art Toga, in tiefem Weinrot, kahl geschorenen Kopf mit breitem Lächeln und funkelnden Augen, die die Besucher anstrahlten, als seien sie die erwarteten Freunde.

Man hatte an einem lang gestreckten, eher niedrigen Tisch Platz genommen, der Mönch von dem ich hier nun berichte, saß am Kopfende, hinter ihm ein atemberaubendes Bergpanorama, das durch das wandgroße Fenster ganz besonders nahe schien. Er selbst wirkte, wie von den hellen Strahlen durchdrungen, als ob er selbst Teil des Lichtes war. Sie murmelten gemeinsam, einige Verse eine Gebets, die Gebetsmühle wurde gedreht, man sang auch gemeinsam, eigenartige Laute, alles in dem ganz spezifisch tibetischen Sing-Sang. Sie verstummten wie auf ein geheimes Kommando, alle auf einmal, der Mönch an der Stirnseite sprach Deutsch, mit etwas kantigem Akzent, Schweizerdeutsch mit tibetischem Akzent – eine doch etwas eigenartige Sprachmischung - ich musste unwillkürlich lächeln.

Meine Verwunderung verwandelte sich in Erstaunen, als mich der Mönch ansprach und sagte, dass er es schön fand, wenn Menschen lachen, er müsse sich entschuldigen für seinen Akzent, das werde sicher, mit den Jahren noch viel besser. Er lachte auch, als er direkt zu mir sprach.

Woher hatte er gewusst, worüber ich lachen musste, niemand hatte darüber ein Wort verloren, nichts, alle waren ganz ernst geblieben.

Aber es war nicht Zeit, weiter über dieser Frage zu brüten, denn der Mönch schickte sich nun an, zu seiner Demonstration zu kommen. Zuerst sprach er auch noch über die tibetische Medizin, die ja, ganz für sich, eigenständige und einzigartige Behandlungsmethoden anwandte. Viele Schulmediziner westlicher Natur reisten genau deshalb an, nach Dharmsala in Nord-Indien, wo die geflüchteten Tibeter eine neue Heimstatt gefunden hatten, einschließlich des Dalai Lama. Man konnte dort auch studieren, eine eigene Universität lehrte verschiedene tibetische Künste, Wissenschaften, Philosophie und eben auch Medizin.

Es war schon ein wenig eigenartig, da saß man in den Schweizer Bergen und lauschte einem Vortrag der lokalen tibetischen Mönche.

"Ich möchte sie nun höflichst und dringend ersuchen, höchste Aufmerksamkeit walten zu lassen, wie auch absolute Stille. Ich darf bei dem, was ich Ihnen nun zeige, auf gar keinen Fall, ich wiederhole, auf gar keinen Fall gestört werden… sonst könnte eventuell großer Schaden entstehen, an meiner Person. Ich kann dabei auch sterben, wenn die Sphären sich plötzlich begegnen, in mir, dann verbrenne ich oder ich ertrinke, vielleicht sogar beides !"

Seine Erklärung war auch vollkommen logisch und verständlich, auch in unserem westlichen Verständnis, zwingend und selbstverständlich, jeder kannte den Vergleich, den er gleich brachte.

"Sie müssen sich das so vorstellen, es ist als ob ich Feuer und Wasser, zu einer gezielten, komprimierten, aber immer noch kontrollierten Reaktion bringe… das ist wie eine kleine Explosion. Wenn etwas schief geht, ich gestört, unterbrochen werde, dann kann es sein, dass ich dabei auch explodiere und... dass da vielleicht auch noch jemand anders dabei verletzt werden könnte."

Die anderen anwesenden Mönche saßen mit konzentrierten Mienen, leicht vornübergebeugt, sie sahen zu Boden, ihre Hände auf den Knien, völlig entspannt, niemand gab einen Laut von sich. Rimpong, der Chef-Lama, so war sein Name, griff nun nach der Wasserkaraffe, die bis jetzt unbeachtet in der Tischmitte stand, goss ein Glas etwa halb voll, um es anschließend auf eine Papierserviette, direkt vor sich zu stellen.

Seine Augen fest geschlossen, führte er seine gespreizten Hände zusammen, sodass sich die Fingerspitzen leicht berührten, schloss dann die Finger, woraus sich eine fast schon westlich geformte Bet-Haltung ergab. Er blickte nach oben, nach nirgendwo, ich vermeinte sehen zu können, wie sich sein Geist erhob und von ihm löste, ein seltsames Zittern erfüllte den Raum. Aber was zitterte hier, war es der Fußboden oder war es die Luft, die Welt, der Kosmos. So etwas hatte ich bislang noch nie erlebt und war sogleich völlig fasziniert, wusste, dass ich nun auch den Anfang meines Weges sehen konnte, ich war am richtigen Ort, bei der richtigen Person gelandet. Oder war ich hierher geschickt worden und wenn, wer schickte mich, was ging hier vor ? Es machte mich frösteln, und um ein Haar hätte ich nachgefragt, hätte genau jene Störung bewirkt, die dann eben Höchstgefahr bedeutete. Meine Neugier stieg ins Unermessliche, die Spannung im Raum war fast mit Händen zu greifen, oder erging es nur mir so?

Die anderen Journalisten, Teilnehmer an der Demonstration, saßen ganz unbewegt, beobachteten nur genau, was sich hier, vor ihrer aller Augen abspielte, aber dieselbe Erregung wie ich hatten sie dabei offensichtlich nicht.

Es musste meine eigene Veranlagung sein, die hier, bei diesem Vorgang, in irgendeiner geheimnisvollen und auch tonlosen Sprache angesprochen wurde, ich reagierte heftig darauf, Schweißperlen standen auf meiner Stirn, ich konnte spüren, wie sie mir übers Gesicht, bis in den Hemdkragen liefen.

Es dauerte nicht lange, nur etwa eine halbe Minute, aber mir schien es wie eine halbe Ewigkeit und als es dann geschah, kam es ganz unspektakulär. Es war keine Explosion, die da den Tisch zum Wanken brachte. Erst knackte es, nur ganz leise, dann erklang ein glockenheller Ton, das Glas fiel auseinander, in lauter kleine Teile, keine großen Scherben, es zerfiel mehr als es zerbrach. Das Wasser im Glas wurde zum größten Teil von der Serviette aufgefangen. Rimpong saß noch immer mit geschlossenen Augen, bewegte sich nicht und auch niemand anderer rührte auch nur einen Finger, man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören können.

Rimpong öffnete die Augen, löste seine Hände, sah auf das kaputte Glas vor sich, wischte das restliche Wasser vom Tisch und lächelte sie breit an. Man war fast versucht zu klatschen, wie nach einer Zaubervorführung, im Zirkus oder im Varieté.

Ich griff nach den kleinen Glasteilen, fragte nach, ob ich dürfe, was der Lama lächelnd bejahte. Das Glas war heiß, als ob das Wasser darin gekocht hatte, was aber eindeutig nicht der Fall gewesen war, wir hatten ja alle ganz genau zugesehen, da war keine Hitze zu bemerken gewesen, das Wasser hatte auch nicht gedampft oder Luftblasen gezeigt. Es war etwas anderes, eine uns gänzlich unbekannte Kraft, die hier eingewirkt haben musste, ich war völlig gefangen genommen, musste nun mehr erfahren und wenn es mein Untergang war.

Die Mönche versanken in einem gemeinsamen, nur ganz leise gemurmelten Gebet, die Räucherstäbchen verbreiteten den angenehmen Duft von Sandelholz im ganzen Raum. Dann wurde es nochmals ganz still, bis Rimpong, der Chef-Lama, seine Augen öffnete und in die Runde lächelte. Das Murmeln der anderen Mönche wurde nun wieder zunehmend lauter, erhob sich schließlich zur üblichen Lautstärke tibetischen Singsangs, Schellen wurden geschlagen, Gebetsmühlen heftig in Drehung versetzt.

Rimpong hob die Hände, das Gebet ebbte ab.

"Danke, für ihre… Aufm… Aufmerksamkeit… und verzeihen Sie meine noch bisschen, Träumen… es ist, wie… Sie können es so vergleichen, als wenn westliche Menschen Haschisch rauchen und der Kopf im Nebel ist und… es dauert noch eine kleine Weile bis wieder alles klar, in mein… Gehirn."

Ein junger Mönch kam, um frischen Tee zu bringen, ja, man hatte sogar – aus Höflichkeit den Gästen gegenüber, sogar Wein und Bier in den Raum gebracht.

Mein Mund war während der Demonstration extrem trocken geworden, ich musste unbedingt etwas trinken, ließ mir eine Flasche Bier geben, schenkte ein und trank ein Glas, nein, ich stürzte es hinunter. Rimpong, der dies beobachtet hatte, lächelte mich an.

"Ihr Mund ist trocken, so wie die Wüste Gobi… ich sehe, sie haben auch reagiert, auf meine… Vorführung. Das ist nicht sehr häufig."

"Ja, mir ist auch recht warm geworden, dabei, ich hätte mir gern das Sakko ausgezogen, wollte aber auf keinen Fall stören."

"Danke, dass Sie ruhig geblieben sind… Ich kenne das auch, so reagieren nur Menschen mit einem gewissen seltenen Talent."

Er lächelte geheimnisvoll, wandte sich dann aber wieder der allgemeinen Unterhaltung zu. Die anderen mitgereisten Journalisten wollten, verständlicherweise, jede Menge Fragen stellen. Ich hielt mich zurück, war noch immer innerlich aufgewühlt, als ob ich unter extremen emotionalen Stress gestanden hätte, ich zitterte leise.

Die Fragen der Kollegen waren mannigfaltig, wie es sich für ihre Zunft gehörte, sie versuchten alle möglichen Punkte nachzufragen, zu ergründen, was da eben vor ihrer aller Augen stattgefunden hatte. Ein Journalist, der von der größten Tageszeitung - etwas arrogant und unwillig - meinte, dass man das so wohl nicht zweifelsfrei als "wundersam" bezeichnen konnte, es gäbe zu viel Möglichkeiten, dass hier irgendein Trick angewandt worden war. Man müsste das unter wissenschaftlichen Bedingungen, wenn überhaupt, noch einmal verifizieren. Erst dann wäre er bereit zu "glauben", was er eben gesehen hatte.

"Ich war auch schon mal bei diesem amerikanischen Superstar, ein Zauberkünstler, der Menschen schweben lassen konnte oder verdampfen, um sie später an anderer Stelle, im Saal, wieder zu 'materialisieren' – das ist alles zwar sehr erstaunlich, aber…"

Rimpong lächelte ihm offen ins Gesicht.

"Ja, ich kenne diesen Zauberer auch, er ist faszinierend… Aber es hat nichts mit mir zu tun. Und ja, manchmal kann auch ich Dinge schweben lassen, manchmal, nicht immer, es kommt immer sehr darauf an, wie die Umstände sind, der Ort, vielleicht sogar das Wetter."

Wieder lachte Rimpong aus voller Kehle, er war völlig frei von Sarkasmus oder Doppeldeutigkeit, er sprach und jedermann wusste, dieser Mann meinte genau das, was er sagte, er war ohne jegliche Arg oder List, sein Herz war rein. Man konnte dies in seinen klaren grauen Augen sehen. Er hielt jedem Blick stand, lächelte dem Betreffenden offen ins Gesicht.

Nach dem gemeinsamen Mahl, es gab Hähnchen mit Reis, mit einer faszinierenden Gewürzmischung - so etwas hatte ich noch nie gegessen, es roch verführerisch gut - wollte ich mich einfach etwas näher an diesen Mönch heranmachen. Ich musste die Frage wohl in meinem Gesicht geschrieben tragen, denn Rimpong antwortete schon wieder, ohne dass ich ein Wort gesagt hatte.

"Das ist Kardamom, schwarzer und weißer Kardamom, und Kreuzkümmel – aber nicht in der Pfanne braten, sonst wird es bitter und nicht gut für den Magen."

Diesmal wunderte ich mich nicht mehr, dass er meine unausgesprochene Frage beantwortete, bei diesem Mann durfte man sich über gar nichts wundern. Auch nicht, als er sich neuerlich an mich wandte, mich direkt und persönlich ansprach.

"Sie haben Fragen an mich, wollen Sie mit mir kurz nach draußen gehen, auf die Veranda, ich antworte gerne, kein Problem."

Wir gingen hinaus, die trockene kalte Luft fühlte sich gut an, auch in meiner Lunge. Wir lächelten einander an.

"Sie haben… Erfahrungen gemacht, mit ihrem Kopf, mit ihrem Geist, nehme ich an… etwas Geheimnisvolles, Unerklärliches ?"

Ich blickte an ihm vorbei, sah in das gleißende, makellose Weiss des Berges auf der anderen Seite des Tals. Was sollte ich ihm sagen, was konnte ich ihm sagen… was durfte ich ihm sagen, ohne gleich alles zu verraten.

"Ich, äh, ja… da waren schon ein paar eigenartige Ereignisse, in der Tat, wo ich völlig im Dunkeln tappe…"

"Bitte haben Sie keine Angst, stellen Sie sich vor, ich wäre Priester, die müssen auch… schweigen. Sind Sie religiös veranlagt oder sollte ich sagen, spirituell… Das Wort 'Gott' und ganz besonders der europäische Gott, ist ja etwas… bedrohlich. Mit all diesen Die haben da einen Fehler drin, Gott ist Liebe und Wärme, nicht Strafe !“

Er lächelte mich an, sodass mir neuerlich ganz warm wurde, ich zog mein Sakko aus. Er lachte noch mehr.

"Ihre Reaktion zeigt mir, dass ich da wohl nicht ganz falsch liege, Sie reagieren, wie ich es in meiner Jugend getan habe, als ich auch noch nichts wusste…"

Ich verharrte noch eine Weile, den Blick in die Ferne gerichtet, spürte meine Verunsicherung, erst der Anstoß durch die Vorführung, schließlich die klare Ansage des Mönches. Ich musste wissen, woran ich war, musste einfach nachfragen, worauf wollte ich denn warten. Dies hier war die Gelegenheit, die Wahrheit, oder zumindest Hinweise zu bekommen. Vielleicht war es ja doch nur alles Zufall.

"Erzählen Sie…"

Und ich erzählte. Aber nur die Geschichte mit dem Schwan und der Rettung des Entleins. Ich erzählte es in allen Einzelheiten, schilderte auch meine emotionale Verzweiflung, mein Suchen nach einem Weg, den Schwan irgendwie zu vertreiben, sodass er endlich von dem kleinen Tier abließ.

Rimpong legte mir seine Hand auf den Unterarm, sah mir direkt in die Augen, ich spürte seine Kraft, ohne dass er auch nur den geringsten Druck ausübte. Ich lächelte ihn an, verstand auf einmal, was er meinte. Es war, als ob eine Art elektrischer Strom auf meinen Körper übergriff, aber ohne jegliche Bedrohung, es war wie ein übereinstimmendes, in Takt fallendes, gemeinsames Vibrieren, als ob man den gleichen Rhythmus verspürte, man gewissermaßen deckungsgleich wurde - kongruent, war das schöne Wort aus dem Mathematikunterricht.

Womit ich gedanklich automatisch bei dem Lehrer landete, der uns so gepiesackt hatte, mit seiner Art, mit seiner widerlichen Art, uns alle mies zu machen, für Trottel zu erklären, für "Weicheier, die ohnedies nicht genügend Mumm in den faulen Knochen hätten, denen man am Besten erst einmal die Hammelbeine lang ziehen musste, auf dem Exerzierplatz". Ja, da hätte er uns gern "gehabt" und dann folgte die x-te Wiederholung der Geschichte seiner Flucht aus Stalingrad. Bis eben zu jenem Tag, als dieser Miesmensch, wie ich ihn bezeichnete, es eindeutig zu weit trieb. Er hatte mich im Visier und nicht nur das, er wurde auch noch handgreiflich, zog mich, wie einen Grundschüler, an den dünnen Haaren an meiner Schläfe zur Tafel nach vorn, um mich dort, vor versammelter Klasse, auf die Knie zu zwingen. Und das alles, weil ich gewagt hatte nachzufragen, ob denn "alle diese alten Nazis" so vernagelt waren und auch so blieben. Seine Hand hatte meine Schläfenhaare fest gepackt, es war sehr schmerzhaft. Ich riss mich los, stand ganz nah vor ihm, sah ihm direkt in die Augen, bis er sich abwandte. Ich wusste, das er meinem Blick nicht standhalten konnte, dieser hinterhältige Kleinkrämer, mit der Schlussrechnung im Kopf.

Es geschah nach dem Unterricht. Ich war an der Kreuzung gestanden, als er mit seinem Wagen, einem schwarzen Mercedes, wegen des Rotlichts anhalten musste. Ich sah ihn und ich kochte vor Wut. Dann fuhr er los, ganz unvermittelt, direkt in den Gegenverkehr, Frontalzusammenstoß. Wobei es nachträglich hieß, dass er davor, noch an der Ampel stehend, bereits einen Herzinfarkt erlitten haben musste, es war seine Leiche gewesen, die dann das Gaspedal betätigte. Ich lief weg, als es krachte. Ich hörte das alles erst am nächsten Tag, als meine Klassenkameraden, wild durcheinanderschnatternd, in der Pause darüber sprachen. Niemand hatte mich an der Kreuzung gesehen, aber selbst wenn, ich hatte ja nichts gemacht, außer ihm vielleicht die Pest an den Hals zu wünschen. Das geschah doch täglich, zehntausendmal, in jeder Schule auf der Welt, dass Schüler auf irgendeinen Lehrer fluchten. Das war die normalste Sache der Welt, jeder kannte das, auch die Lehrer selbst, denn auch sie hatten ja, in ihren Schulzeiten, auf ihre Lehrer geflucht.

Ich meine, klar, mir war schon etwas eigenartig zumute, als der dann gleich starb, quasi direkt vor meinen Augen, wie auf meinen Befehl. Deshalb war ich auch instinktiv davongelaufen. Am Nachmittag ging ich dann hinüber, zu dem nahen Fußballplatz, kämpfte um jeden Ball, lief mich, spielte mich ausreichend müde, sodass die Bilder in meinem Kopf langsam verblassten.

Bis eben am nächsten Tag, als die ganze Schule darüber sprach.

Ein abschließendes Gruseln noch, wir mussten alle - die ganze Schule, also alle Klassen, die ihn als Lehrer gehabt hatten - zum Begräbnis gehen, verpflichtend. Und da lag er dann aufgebahrt, mit gelblich blassem Gesicht, spitzer Nase und einem nicht ganz geschlossenen linken Auge. Es blickte mich an, so dachte ich, als ich ihn sah. Ich verließ die Kirche eine Sekunde später und weigerte mich, auch nach Aufforderung des Direktors, dieselbige auch nur für eine Sekunde nochmals zu betreten. Was sollte das auch, eine ganze Schule zu einem Begräbnis zu befehligen, so ein Schwachsinn. Aber es hatte etwas Lehrreiches gehabt, das war meine erste Leiche gewesen, die ich zu Gesicht bekommen hatte. Ich verabscheute es zutiefst und hatte seither immer vermieden, irgendwelchen Leichen ins Gesicht zu sehen. Immer hatte ich Angst, dass die eine oder andere mich mit einem halbgeschlossenen Auge ansah. Ich hatte mir ein kleines Trauma eingeheimst.

Rimpong beobachtete mich genau, schwieg aber, ließ mich kommen und die folgende Frage stellen, so wie es sich geziemte. Schließlich wollte ich etwas von ihm, nicht umgekehrt.

"Wo kann man denn mehr über diese geistige Kraft erfahren, ich würde gern mehr wissen, vielleicht ja sogar selbst erlernen, wie man…"

"Du weißt, dass man diese Kraft nicht gegensätzlich einsetzen kann, sonst richtet sie sich gegen den missbrauchenden Menschen selbst und das ist sehr gefährlich, es kann das Leben kosten." "Ich habe nicht die Absicht, Verbrechen gegen die Menschheit zu begehen, ganz im Gegenteil, ich will dieser Welt Gutes tun, wenn ich denn kann und mich nicht bereichern oder anderwertig mit niedrigem, egoistischen Gedankengut belasten."

Rimpong sah mir lange und mit sehr ernstem Blick in die Augen, bevor er weitersprach.

"Ich weiß nicht, was ich da sehe, bei dir, in deinen Augen, aber ich sehe, dass da kein übles Tier in dir haust, das dich beherrscht, da ist kein Drache, keine Schlange, aber da ist etwas, ich kann es nur nicht genau erkennen, es ist warm, in dir, manchmal vielleicht ein bisschen zu heiß – du musst kühlen lernen, um nicht von innen her zu verbrennen."

Wir standen eine Zeit lang völlig unbeweglich, sahen in das gleißende Weiss der schneebedeckten Berge, sprachen kein Wort, aber es herrschte ein seltsames Einverständnis zwischen mir und dem Mönch, man musste nicht alles aussprechen, um verstanden zu werden. "Ich weiß es gibt da dieses seltsame Phänomen, diese geheimnisvollen Selbst-Entzündungen, bei der ein Mensch ganz einfach zu brennen beginnt. Das hat mich, seit ich davon erfahren habe, nicht mehr los gelassen, aber darauf weiß niemand eine Antwort und schon gar nicht unsere Schulmediziner, die stehen da ja nur fassungslos davor und wissen gar nichts." Rimpong lächelte ein schmerzhaftes Lächeln.

"Ja, ich weiß das… Es passiert wenn die Basis-Elemente im menschlichen Körper aus dem Gleichgewicht geraten, wie ich erklärt habe, wenn Feuer und Wasser aufeinanderprallen, dann wird der Mensch in sich selbst verbrennen und anschließend auch außen verbrennen, ohne dass man etwas dagegen tun kann."

Ich bekam es etwas mit der Angst zu tun, als neuerlich Schweigen einkehrte, wir unseren Gedanken nachhingen.

"Wollen Sie denn… was wollen Sie mit ihren Kräften anfangen, ich meine… was wollen Sie tun, wenn Sie lernen diese Kräfte zu gebrauchen, sie zu bündeln und auch in eine Ordnung bringen… es gibt wohl Mittel und Wege und vor allem auch einen Ort, wo sie lernen können… wenn Sie wirklich wollen. Aber es muss auch klar sein, dass dies kein Erholungsurlaub ist und kein Spaß."

"Ich will !"

Meine Antwort kam ganz ohne Zaudern oder Zögern, wie aus der Pistole geschossen, ich sah Rimpong direkt in seine grauen klaren Augen.

"Da ist ein ganz bestimmtes Kloster, in Tibet, natürlich, wo sonst… und es ist gar nicht so schwer erreichbar, man kann von Indien, über Kashmir und dann weiter nach Nordosten reisen, nach Leh und Laddak, dann ist es nicht mehr weit."

"Aha, sehr interessant, wie heißt denn das Kloster und würden die mich denn aufnehmen… wie viel Zeit müsste ich da investieren… und, was kostet das ?"

"Sie fragen zu viel, alles das sind keine Fragen, die gestellt werden sollten – es wird kein Geld fließen, außer Sie entschließen sich, am Ende ihrer Lehrzeit, eine Spende dazulassen, da wird man sicher nicht Nein sagen – tibetische Klöster sind oft arm, an finanziellen Mitteln, dafür aber haben sie sonst alles was man braucht."

"Was braucht man denn, um dort bleiben zu können ?"

"Unser wertvollstes Gut, nämlich Zeit und den nötigen guten Willen !"

Ich sah ihn an, er lächelte mir offen ins Gesicht und lachte laut auf.

"Ich weiß, davon haben wir nie genug… Nun, aber ohne Scherz. Ich kann Ihnen eine Empfehlung schreiben, und, vorher auch anrufen, denn auch Mönche in Tibet haben mittlerweile Mobiltelefone, zumindest gibt es eines in jedem Kloster, schon auch um eventuell Hilfe herbeiholen zu können, auch Mönche werden zuweilen krank und brauchen einen Arzt." "Wie lange dauert es, bis ich nach Tibet einreisen kann, bis die im Kloster wissen, dass ich komme, angenommen ich entscheide mich dafür, und was werden die Chinesen sagen, die ja die Herrschaft über Tibet innehaben ?"

"Die Chinesen haben von vielen Sachen, die bei uns vor sich gehen, keine Ahnung und sie müssen auch nicht alles erfahren. Zum Kloster kommen Sie über Schleichwege, Freunde werden Sie an der Grenze abholen und hinbringen, anders geht das ohnedies nicht, auch aus Sicherheitsgründen für die Mönche."

"Okay, aber wie wird das mit der Sprache, ich spreche zwar vier oder auch fünf Sprachen, darunter ist aber nicht die Landessprache von Tibet"

"Oooh, sie haben eine antiquierte Sicht der tibetischen Mönche, denn auch die reisen in der Welt herum, haben schon lange andere Sprachen gelernt, vor allem aber Englisch, schon allein durch die Nachbarschaft mit Indien und Pakistan – man wird Sie auf Englisch unterrichten, wenn Sie denn Englisch sprechen."

Ich lachte auf, ich war ja fast zweisprachig aufgewachsen, Englisch war, durch die Nachbarschaft mit einer amerikanischen Familie, geradezu zu meiner zweiten Muttersprache geworden. Die Kinder hatten fast kein Deutsch gesprochen und ich kein Englisch - wir brachten einander die jeweiligen Sprachen gegenseitig bei.

Die anderen Journalisten kamen ebenfalls auf die Veranda, ein humoristisches, oberflächliches Geplänkel kam auf. Ich ging hinein und trank noch ein Glas von dem Buttertee, schon allein um mich daran zu gewöhnen. Ich würde bald und sehr oft Butter-Tee trinken, denn mein Entschluss war gefasst, ich würde definitiv nach Tibet reisen um dieses Kloster zu besuchen, ich musste das tun, es gab keinen anderen Weg mehr.

Wieder zu Hause, suchte ich sofort das Kloster, vielleicht gab es ja auch Fotos im Internet. Aber da war nichts zu finden. Es hieß "Rimpung Che" und Rimpong hatte gelächelt, als er mir den Namen nannte.

"Ja, wie schon mein Name vermuten lässt, auch ich war Mönch in diesem Kloster gewesen, nahm auch von dort meinen Namen an - bevor ich, vor 15 Jahren, hierher kam, in die Schweizer Berge, um unsere Botschaft in die Welt zu tragen. Ich wurde auserwählt um diese ehrenvolle Tätigkeit ausüben zu dürfen – obwohl mir meine Heimat sehr fehlt. Ich werde Sie beneiden müssen, wenn sie wirklich hinfahren."

Der Regulator und ich

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